Bonner Aufruf
 
 
 
  
 

Müllers Zwischenbilanz

Nach anderthalb Jahren im Amt hat Entwicklungsminister Müller am 18.6. in einer Bundestagsrede eine "Zwischenbilanz" seiner Afrika-Politik gezogen. (Den Redetext finden Sie weiter unten. Darunter erscheint dann die "Maske", in der Sie Ihre Anmerkungen eintragen können.)

Das BMZ hat diese Rede ergänzt mit einer übersicht über
"Neue Akzente in unserer Afrikapolitik". Im Internet zu sehen unter:
http://www.bmz.de/de/zentrales_downloadarchiv/Presse/Afrikapolitik.pdf

Wie beurteilen Sie die Bilanz des Ministers?
Was fällt Ihnen positiv auf? Was negativ?
Was ist neu an seiner Politik?
Wem nützt sie?
Ist er auf dem richtigen Kurs?


Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller im Deutschen Bundestag am 18.06.2015

(Bisher stand hier der Redetext, den das BMZ auf seiner Website veröffentlich hat. Da er sich aber an etlichen Stellen nicht unwesentlich von der tatsächlich gehaltenen Rede Müllers unterscheidet, erscheint hier nun die offizielle Mitschrift des Bundestages.)

...
Äthiopien gilt als die Wiege der Menschheit. Das war vor 6 Millionen Jahren. Wir sind nur einen Flügelschlag auf diesem Planeten. Denken Sie an Lucy, das bekannte, 3,2 Millionen Jahre alte Skelett in Addis Abeba; einige von uns fahren demnächst dorthin. Von Äthiopien, von Afrika aus haben sich unsere Vorfahren über den Planeten verbreitet. Wir sind also letztlich alle Afrikaner mit Migrationshintergrund.

Warum erzähle ich das? Ich erzähle das, weil in unserem Reden über Afrika unser Nachbar immer sehr fern erscheint und weil wir viel zu wenig darüber wissen, was uns verbindet. Dabei hat gerade Europa Afrikas Geschichte entscheidend geprägt: der Sklavenhandel, der Menschen zu Objekten gemacht hat und der heute noch nachwirkt, und die willkürlichen Grenzen der Kolonialherren. Ein Grundstein hierfür wurde übrigens vor 130 Jahren durch die Berliner Konferenz von 1885 gelegt. Das ist hochspannend. Das liegt noch nicht so lange zurück.

Wir reden von Afrika und vergessen: Der Kontinent ist hundertmal so groß wie Deutschland. Er hat 54 Länder, mehr als 2 000 Sprachen, Tausende von Bevölkerungsgruppen, Ethnien, Stämme und Religionen, eine vielfältige Kultur, interessante Kunst, verschiedene Klimazonen – Wüste und Regenwald –, Pflanzenreichtum und Artenvielfalt von großartiger Bedeutung, Seen, Flüsse und das Meer. Und die Größe: Allein Algerien und Libyen sind zusammen, verehrte Gäste auf der Tribüne, so groß wie die gesamte Europäische Union.

In Nigeria werden in jedem Jahr 6 Millionen Menschen geboren, also mehr als in der gesamten Europäischen Union. Ich habe den neuen Präsidenten vor kurzem in München getroffen. Er ist eine große Hoffnung für dieses Land, und wir wünschen ihm alles Gute für seine Amtsführung.

Afrika ist jung, fast so jung wie die Schülerinnen und Schüler auf den Tribünen. Es gibt viele Jüngere im Parlament. Stellen Sie sich vor: In Uganda, Nigeria und Mali ist jeder Zweite jünger als 15 Jahre. Das Durchschnittsalter in den afrikanischen Ländern liegt bei 25 Jahren.
Afrika ist erfolgreich; das sagt nur keiner. Wir sehen immer nur die dunklen Seiten. Das Wirtschaftswachstum in Afrika ist rasant. Afrika hat gerade die längste Wachstumsperiode seit den 60er-Jahren erlebt.

Afrika hat natürlich auch Probleme, selbstverständlich: Heute sind 60 Prozent der 15- bis 24-Jährigen arbeitslos. Das ist dramatisch. So werden junge Leute zur Quelle von Konflikten statt zu einem Schatz für die Zukunft.

Mitte dieses Jahrhunderts werden in Afrika viermal so viele Menschen leben wie Mitte des letzten Jahrhunderts, das heißt statt 500 Millionen Menschen 2 Milliarden, und 40 Prozent aller Kinder des Planeten. Am Ende unseres Jahrhunderts wird jeder dritte Mensch in Afrika leben.

Dieser Kontinent steht natürlich vor gewaltigen Herausforderungen, etwa bei der Energieversorgung. Noch sind zwei Drittel Afrikas ohne verlässliche Stromversorgung. Vom schwarzen Afrika, das auf Kohle baut, zum grünen Kontinent, der auf erneuerbare Energien baut, das ist meine Vision. Wir tragen dazu bei durch Innovations- und Energiepartnerschaften. Beispielsweise werde ich noch in diesem Jahr zusammen mit den marokkanischen Freunden das größte Solarkraftwerk der Welt in Marokko eröffnen.

Afrika kennt natürlich auch extreme Not: Ich nenne das Elend von Millionen von Flüchtlingen, ich nenne die Ebolakrise und die Gewalt im Südsudan, in Teilen Nordafrikas und aktuell in Burundi.

Unsere neue Afrikapolitik setzt neue Schwerpunkte, meine sehr verehrten Damen und Herren. Diese Schwerpunkte haben wir in den letzten 18 Monaten in über 50 konkrete Initiativen übersetzt. Wir haben hier versprochen, jährlich 100 Millionen Euro zusätzlich für Afrika aufzuwenden. Das haben wir weit übertroffen.

In diesem Jahr bekommt das BMZ den stärksten und größten Haushalt, den es jemals hatte. Hier setzen wir einen ganz besonderen Akzent in Afrika. 2014 flossen rund 1,5 Milliarden Euro allein in bilaterale Projekte. Hinzu kamen 311 Millionen Euro aus den Sonderinitiativen. Wir setzen darüber hinaus in der Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“ einen neuen Schwerpunkt, und zwar in Krisenprävention, in Konfliktverhinderung, in Friedensarbeit in Krisenregionen und in der Bekämpfung von Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Ich glaube, das ist entscheidend, gerade in der aktuellen Diskussion.

Die allermeisten afrikanischen Flüchtlinge – ich will das hier heute nur kurz andeuten – kommen nicht nach Europa. Wenn wir heute über die Flüchtlingskrise in Europa diskutieren, müssen wir sehen: Unter 10 Prozent der Flüchtlinge, die in Europa ankommen, sind Afrikaner. Dennoch ist das natürlich ein großes Thema. Deshalb engagieren wir uns in Mali, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik ganz neu und auch in Nigeria. Ich werde deshalb mit Kolleginnen und Kollegen erstmals auch in das Krisenland Eritrea reisen.

Wir haben durchgesetzt, dass die Friedensmissionen der Afrikanischen Union durch den Europäischen Entwicklungsfonds weiter gestärkt werden. Ich habe mit Frau Zuma vor einer Woche vereinbart, dass wir Afrikas Entwicklung auch durch die Zusammenarbeit an neuen Ausbildungskonzepten voranbringen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt müssen mehr Mittel in zivile Krisenprävention und Mediation fließen.

Ebola hat darüber hinaus gezeigt, dass schwache Gesundheitssysteme Entwicklungserfolge zunichtemachen. Deshalb haben wir vor wenigen Wochen ein neues Sonderprogramm „Gesundheit in Afrika“ beschlossen, mit den drei Schwerpunkten Ausbildung, Aufklärung und Ausrüstung. In über zehn Ländern des afrikanischen Kontinents und in Regionalorganisationen werden wir 2015 und 2016 205 Millionen Euro investieren. Wir haben neue Partnerschaften für Berufsbildung eingerichtet; das werde ich als besonderen Schwerpunkt in den nächsten zwei Jahren ausbauen.

Wir haben einen Regionalfonds für Start-up-Unternehmen eingerichtet. Afrika – man höre und staune! – ist der boomende IKT-Markt in der Welt, auf Platz zwei. Mehr als jeder zweite Afrikaner besitzt heute ein Smartphone, und in der Erreichbarkeit sind die afrikanischen Länder häufig weiter als manche Region, manche Provinz bei uns zu Hause in Deutschland.

Wir haben eine Deutsch-Afrikanische Jugendinitiative ins Leben gerufen, die ich eigens vorstellen werde, aufgrund der Zeit nicht heute. Wir vergeben 1 000 neue Stipendien an afrikanische Studierende. Noch in diesem Jahr werde ich in Algerien die Panafrikanische Universität eröffnen. Afrika setzt – das möchte ich sehr deutlich sagen – die Rahmenbedingungen der Entwicklung aber in ganz erheblichem Maße selbst.

Bei der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika geht es zum einen um die ODA-Quote bzw. die Investitionen öffentlicher Mittel. Hiermit setzen wir den herausragenden Schwerpunkt. Privatinvestitionen und faire Handelsbeziehungen sind jedoch mindestens genauso wichtig, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wir erwarten darüber hinaus von den afrikanischen Regierungen – das lässt sich sehr deutlich am Ranking bezüglich einer positiven Entwicklung bzw. der Entwicklung bei der Armut ablesen – Eigenanstrengungen und Gegenleistungen, die ich nur kurz mit den Stichworten „Good Governance“, „Kampf gegen Korruption“, „Transparenz“, „Eigenfinanzierung der Haushalte“ und „Aufbau von Steuersystemen“ umschreiben möchte. Wir tragen das Unsrige dazu bei. Was die Investitionen angeht, liegt noch vieles vor uns. Denn viel zu wenige Firmen in Deutschland haben bisher die Chancen dieser Märkte erkannt. Wir hatten mehr Hermes für Afrika versprochen, und wir haben dieses Versprechen gehalten. Seit diesem Jahr können Geschäfte mit Äthiopien, Ghana, Mosambik, Nigeria, Tansania, Kenia, Senegal und Uganda abgesichert werden.

Besondere Chancen liegen in der Digitalisierung Afrikas. Ich habe dazu mit der GIZ, der ich ganz besonders für ihr großartiges Engagement in der Breite in vielen Ländern danke, ein eigenes Sektorvorhaben eingerichtet.

Unsere Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ setzt viele neue Akzente. Ich nenne in diesem Zusammenhang das Stichwort „Grünes Innovationszentrum“. Unsere Vision ist, dass „Eine Welt ohne Hunger“ auch Lebensperspektiven auf dem Land schafft, dass Hunger und Mangelernährung bekämpft werden. Dazu hat auch die Kanzlerin einen ganz erheblichen Beitrag geleistet und diese Themen auf dem G-7-Gipfel in Elmau ganz nach oben auf die Tagesordnung gesetzt. Vielen herzlichen Dank!

Wir nehmen auch die Industrieländer gemeinsam in die Pflicht für eine neue Partnerschaft mit Afrika. Afrika ist unser Partnerkontinent. Afrika ist für uns Verpflichtung, Herausforderung und Chance.

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10.10.2016, 10:26 Uhr
Matthias Pauschel, Daressalam, Tansania
Digital Publishing, Vorsitzender der tansanischen NGO 'kukutrust.org'
Vorab: folgendes ist keine Kritik an Minister Müller, der ja auf Informationszuträger aus seiner Hierarchie angewiesen ist -- das vorort gewonnene Lagebild ist jedoch geschönt und out-of-touch.

"Besondere Chancen liegen in der Digitalisierung... (mehr)
07.07.2015, 16:25 Uhr
Dieter Brauer, Köln
Journalist, Früher DAAD-Lektor in Afrika; Deutsche Welle - Afrika-Progra
Ich vermisse in dem Beitrag die Erwähnung von Handelsfragen, die die Entwicklung in Afrika hemmen. Die EU-Landwirtschafts- und Fischereipolitik behindert die Entwicklung in Afrika und führt zur Armut und damit auch zu Armutsmigration. Hier könnten wir handeln, ohne auf den Abbau von Korruption und eine gerechtere Verteilung des an natürlichen Ressourcen so reichen Kontinents warten zu müssen. Die Strukturen müssen sich ändern, sonst hilft die beste Projekthilfe und alles Geld aus dem Norden nichts. Wir lernen das doch gerade auch in Griechenland!
30.06.2015, 22:12 Uhr
Kurt Gerhardt, Köln
Journalist, Mitinitiator des "Bonner Aufrufs"
Der wichtigste Satz der Rede lautet: „Wir erwarten von afrikanischen Regierungen Eigenanstrengungen.“ Das Wörtchen „mehr“ fehlt, ist aber sicher mitgemeint. Noch besser hätte der Minister gesagt: Wir geben erst dann Entwicklungshilfe, wenn die... (mehr)
28.06.2015, 11:04 Uhr
Hans F. ILLY, Prof.Dr.phil., Merzhausen/Brsg.
Hochschullehrer und Consultant, Seit 1965 alle 54 Länder Afrikas besucht !
Nur zwei Anregungen an den vor unbegründetem Euphemismus strotzenden Minister: Bitte einmal systematisch die vielen oft sehr gut ausgebildeten jungen afrikanischen Menschen fragen, aus wel chen Gründen sie eigentlich ihr Land verlassen wollen/müssen,... (mehr)
26.06.2015, 17:13 Uhr
Hans-Albrecht Schraepler, Bonn
Botschafter , Botschafter in Mali, Liberia, Côte d'Ivoire
1. Müllers Zwischenbilanz: eine politisch lächerliche Auflistung der guten Taten des BMZ für die Zukunft Afrikas
2. Die politische Lage in Afrika, der dortige Wandel, verlangt eine handfeste, geänderte Afrikapolitik, in der sich der politische Ansatz... (mehr)
24.06.2015, 18:20 Uhr
Jürgen Haushalter, 53340 Meckenheim
Photogrammeter i.R., Drei Jahre technische Projektarbeit in Lesotho
Der Einschätzung von Elke Zarth zu "Müllers Zwischenbilanz” in ihrem Beitrag vom 19.6.15 ist wenig hinzuzufügen. Es spricht keine am Bonner Schreibtisch sitzende Vertreterin der "Hilfsindustrie”, sondern eine Expertin, die vor Ort profunde... (mehr)
23.06.2015, 15:07 Uhr
Christian Wilmsen, Berlin
Pensionär, Ev. Entw.dienst, Kindernothilfe, BMZ
Analog zu seinen Vorgängern/-innen spricht BM Dr. Müller unzureichend die Ursachen der Unterentwicklung an, die seitens der OECD-Staaten zu verantworten sind. Den Hauptbeitrag für Entwicklung muss der Globale Süden selbst erbringen und erbrachte ihn,... (mehr)
22.06.2015, 16:33 Uhr
Hartmut Ries, Oberursel
MinRat, VWLer, Berater , GTZ, EU,BRH
Ich reagiere auf die Äußerung von Herrn Müller, der seine Vorgänger noch an der Formulierung beeindruckender - derzeit unerfüllbarer - Visionen übertrifft. Ein "schlichter" Hinweis auf den Protektionismus der EU und Müllers Absichtserklärung... (mehr)
21.06.2015, 18:58 Uhr
Wilfried Hoffer, Frankfurt
Berater, Redakteur, Ausbilder, 3 Jahre Marokko, 14 Jahre Mali
Ich reagiere auf die Äußerung zu: Sonderinitiative "EineWelt ohne Hunger" und habe mir die Erläuterungen dazu angesehen. Was beim Minister immer wieder auffällt ist sein übergrosser Anspruch. Einmal abgesehen davon, dass die Rede von der... (mehr)
20.06.2015, 22:31 Uhr
Gerhard Brockschmidt, Darmstadt
Arbeitspsychologe, 15 Jahre in nordafrikanischen und arabischen Ländern
Ich reagiere auf die Äußerung von Herrn Müller: Die meisten afrikanischen Länder befinden sich in einem Teufelskreis aus hohen Geburtenüberschüssen und bad governance. Im Kongo sagt man: "wer nicht korrupt ist, handelt verantwortungslos gegenüber... (mehr)
20.06.2015, 22:01 Uhr
Klaus Thüsing, Bonn
Sozialwissenschaftler, Landesdirektor des DED 1988-2004 in afrik. Ländern
MÜLLERS ZWISCHENBILANZ: Schon ein anderes, differenzierteres Politikverständnis als Niebel.
Doch ist die deutsche EZ -insbesondere die giz- für eine neue Afrikapolitik aufgestellt angesichts eines rapiden gesellschaftlichen Wandels in der Mehrzahl... (mehr)
19.06.2015, 23:56 Uhr
Elke Zarth, Segou
Unternehmerin, 23 Jahre in Mali
Man muss es dem derzeitigen Entwicklungsminister Müller lassen, dass er offenherziger in seiner Arbeitsbilanz ist als sein Vorgänger Niebel. Er liefert viele Zahlen. Allerdings hat auch er es versäumt, eine Orientierungsgrundlage mitzuliefern –... (mehr)