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Beitrag vom 15.05.2023

NZZ

Brutales Massaker durch malische Soldaten und Wagner-Gruppe

Ein Uno-Bericht wirft ein Schlaglicht auf einen Krieg, der zunehmend blutiger wird

Samuel Misteli, Dakar

Was Ende März 2022 im Dorf Moura in Zentralmali geschah, beschrieb die Militärjunta des Landes ursprünglich als erfolgreiche Operation in einer «terroristischen Hochburg»: Man habe 203 bewaffnete Jihadisten getötet und 51 weitere Verdächtige verhaftet. Tatsächlich handelte es sich um das vermutlich schlimmste Massaker an Zivilisten in einem Konflikt, der seit mehr als zehn Jahren andauert. Wesentlich dazu beigetragen haben Kämpfer der in Mali engagierten russischen Militärgruppe Wagner, wie ein am Freitag veröffentlichter Bericht des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte zeigt.

Über 500 Tote

Das 41-seitige Dokument rekonstruiert, wie malische Soldaten und ausländische Kämpfer das Dorf angriffen und während fünf Tagen mindestens 500 Personen erschossen; unter ihnen rund zwanzig Frauen und sieben Kinder. Die Berichterstatter schreiben zudem, 58 Frauen und junge Mädchen seien vergewaltigt oder Opfer anderer Formen sexueller Gewalt geworden. Der Uno-Bericht beschreibt die Vorgänge in Moura, einem Marktzentrum mit rund 10 000 Einwohnern, damit als noch schlimmer als bisher bekannt. Menschenrechtsorganisationen und Medien hatten kurz nach dem Massaker von rund 300 Toten geschrieben, Human Rights Watch bezeichnete es damals als «schlimmste Greueltat in Mali in den letzten zehn Jahren».

Der Uno-Bericht rekonstruiert auch die Rolle russischer Paramilitärs. Sie sollen unter Hunderten von Zivilisten, die ausserhalb des Dorfes in Gruppen zusammengetrieben wurden, jene aussortiert haben, die sie zum Beispiel aufgrund ihrer Kleidung als Jihadisten verdächtigten. Daraufhin übergaben sie die Verdächtigen den malischen Soldaten, die die Verdächtigen erschossen. Die Verfasser des Berichts schreiben nicht explizit von Wagner-Kämpfern, sondern von «bewaffneten weissen Männern».

Mehrere hundert Wagner-Kämpfer sind seit Ende 2021 in Mali stationiert. Die malische Regierung aber bestreitet, dass Wagner-Soldaten an der Seite der malischen Armee kämpfen. Sie hat während Monaten versucht, die Veröffentlichung des Moura-Berichts zu stoppen. Zuvor verhinderte sie, dass Berichterstatter Zugang zum Dorf erhielten, und wies den Leiter der Menschenrechtsabteilung der Uno-Friedensmission in Mali aus dem Land.

Moura liegt rund 500 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bamako und weniger als 50 Kilometer entfernt von einer der grössten Basen der Uno-Friedensmission. Das Dorf stand seit 2015 faktisch unter der Kontrolle einer mit al-Kaida verbündeten jihadistischen Gruppierung. Am 27. März hielten sich Tausende von Personen am wöchentlichen Markt im Ort auf, um unter anderem mit Vieh zu handeln. Die malischen Soldaten und ihre ausländischen Verbündeten gelangten mit fünf Helikoptern nach Moura. Sie lieferten sich zuerst aus der Luft, dann auf dem Boden ein Feuergefecht mit rund dreissig im Ort präsenten Jihadisten. Laut dem Uno-Bericht töteten die Soldaten an diesem ersten Tag mindestens zwanzig Zivilisten und ein Dutzend Jihadisten.

In den folgenden vier Tagen durchsuchten malische Soldaten und russische Kämpfer das Dorf systematisch. Der Imam des Ortes musste über die Lautsprecher der Moschee alle Männer dazu aufrufen, sich zu stellen – sonst riskierten sie, exekutiert zu werden. Hunderte von Bewohnern wurden an mehreren Orten ausserhalb des Dorfes zusammengetrieben und einer Triage unterzogen. Als verdächtige Merkmale galten etwa Bärte, Hosen, die nur bis zum Knöchel reichten, oder Anzeichen von Angst. Jene, die als mutmassliche Jihadisten aussortiert wurden, wurden durch Schüsse in Kopf, Rücken oder Brust hingerichtet. In den Tagen, in denen die Soldaten so Hunderte von Zivilisten töteten, vergewaltigten sie auch mehrere Dutzend Frauen.

Die Rechercheure der Uno führten Interviews mit 157 Zeugen, unter anderem mit Personen, die nach dem Abzug der Soldaten die Leichen eingesammelt und begraben hatten. Sie zogen Satellitenaufnahmen und medizinische Berichte bei und konnten 238 der Opfer namentlich identifizieren. Volker Türk, der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte, sagte, bei den im Bericht beschriebenen Taten könnte es sich um Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln.

Bedeutendes «Afrika-Geschäft»

Der Konflikt in Mali hatte 2012 mit einem Aufstand von Tuareg-Gruppen gegen die Zentralregierung begonnen. Die Rebellion wurde von jihadistischen Gruppen mitgetragen, die sich daraufhin immer weiter ausbreiteten – und neben Mali auch die Nachbarländer Burkina Faso und Niger destabilisiert haben. Hunderttausende Zivilisten wurden vertrieben, die Regierungen von Mali und Burkina Faso haben die Kontrolle über weite Teile ihres Staatsgebiets verloren.

Die Wagner-Gruppe, die als Speerspitze des Kremls auf dem afrikanischen Kontinent funktioniert, hat im Sahel in den letzten Jahren an Einfluss gewonnen. Sie profitiert davon, dass insbesondere die Regierungen in Mali und Burkina Faso verzweifelt nach einem Mittel suchen, um der jihadistischen Gruppen Herr zu werden. In Mali brach die Regierung mit den Franzosen, die mit Tausenden von Soldaten erfolglos versucht hatten, das Land zu stabilisieren. In Burkina Faso sind Wagner-Kämpfer – soweit bekannt – nicht präsent, es ist aber möglich, dass sich das bald ändert. Burkinas Interimspräsident Ibrahim Traoré bezeichnete Russland Anfang Mai als «strategischen Partner».

In Mali ist die Gewalt seit der Ankunft der russischen Paramilitärs weiter eskaliert. Laut der Konfliktdatenbank Acled töteten die malischen Streitkräfte 2022 mehr Zivilisten als in allen vorangegangenen Jahren des Konflikts zusammen; was daran liege, dass die Armee zusammen mit Wagner-Kämpfern versuche, an jihadistische Gruppen verlorenes Gebiet mit aller Gewalt zurückzuerobern.

Wagner ist in rund einem Dutzend afrikanischen Ländern präsent. Das Geschäftsmodell der Gruppe besteht darin, fragile, autoritäre Regierungen gegen Bezahlung zu schützen – oft durch Beteiligung am Rohstoffabbau. Wagners Afrika-Interesse ist auch dadurch nicht erlahmt, dass die Gruppe stark in den Ukraine-Krieg verwickelt ist. Da der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin sich inzwischen mit der Generalität in Moskau überworfen hat und die Zukunft der Gruppe in der Ukraine ungewiss ist, glauben manche Experten, dass die Wichtigkeit des «Afrika-Geschäfts» von Wagner noch einmal zunehmen könnte.