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Beitrag vom 25.04.2024

faz.net

LOVE-SCAM ALS BELIEBTE MASCHE

Wie die nigerianische Mafia in Deutschland agiert

Von David Klaubert

Die nigerianische Mafia ist international in allen möglichen illegalen Geschäftsfeldern aktiv – vor allem im Onlinebetrug. Bei einer Razzia sind am Dienstag elf Menschen festgenommen worden.

Die Rädelsführer krimineller Vereinigungen lassen sich in der Regel nicht in Verzeichnissen nachschlagen. Im Fall der „Black Axe“ scheint das anders zu sein. Unter der Überschrift „Schlag gegen nigerianische Mafia“ meldeten die Staatsanwaltschaft München I und das Bayerische Landeskriminalamt am Dienstag Razzien in mehreren Bundesländern. Elf Beschuldigte wurden ­festgenommen, alle nigerianische Staatsbürger. Die Ermittler werfen ihnen vor, den „Black Axe“ anzugehören, einer Bruderschaft aus Nigeria, die international in allen möglichen illegalen Geschäftsfeldern aktiv ist, vor allem aber im Online­betrug. Eine beliebte Masche dabei ist der Love Scam, so etwas wie ­moderner Heiratsschwindel, bei dem die Betrüger Frauen und Männern in aller Welt romantische Beziehungen über das Internet vorgaukeln und sich unter verschiedenen Vorwänden Geld über­weisen lassen. Die Beschuldigten in Deutschland sollen dabei vor allem geholfen haben, den weiteren Weg der Beute zu verschleiern, Geldwäsche also.

Ihre Wurzeln haben die „Black Axe“ an nigerianischen Universitäten, wo Studenten in den Fünfzigerjahren Bruderschaften gründeten, zum Teil mit starken okkulten Elementen, gerade im Süden des ­Landes, wo Geheimgesellschaften und animistische Rituale tief verwurzelt sind. Eine davon nannte sich Neo-Black Movement of Africa, kurz NBM, das der eigenen Legende nach am 7. Juli 1977 an der Universität von Benin-Stadt gegründet wurde. Die ersten Mitglieder sahen sich ideologisch im Panafrikanismus verwurzelt, dem Kampf gegen Apartheid in Südafrika, gegen die Unterdrückung der Afroamerikaner, gegen die Armut der Schwarzen. Das Symbol des NBM war eine schwarze Axt, die die Ketten des Kolonialismus zerschlägt. „Black Axe“ wurde das NBM ­daher auch genannt.

In den Jahren der Militärdiktatur, die von Korruption und Repression, wirtschaftlichem Chaos und blutigen innenpolitischen Konflikten geprägt war, eskalierte der Konkurrenzkampf unter den Bruderschaften an den nigeria­nischen Universitäten. Viele von ihnen wandelten sich zu gewalttätigen, kriminellen Organisationen – die in Nigeria schließlich verboten wurden. Als besonders brutaler „campus cult“ gelten die „Black Axe“.

NBM „eine reine Tarnorganisation“

Das Neo-Black Movement gibt es weiterhin. 30.000 Mitglieder hat es nach eigenen Angaben auf der ganzen Welt. Es ­inszeniert sich als soziale, karitative Vereinigung. Mit dem Geheimkult der „Black Axe“ habe man nicht das Geringste zu tun, argumentiert die aktuelle Führung. Ermittler in ­aller Welt aber haben in den ­vergangenen Jahren Überschneidungen nachweisen können und NBM-Mitglieder ins Gefängnis gebracht. Oft ging es in den Verfahren um Onlinebetrug, in den Vereinigten Staaten, Kanada, Südafrika und Irland etwa, aber auch um Rauschgift-, Menschenhandel und Zwangsprostitution wie in Italien. Immer wieder argumentierten die Strafverfolgungsbehörden, dass das NBM und die „Black Axe“ identisch seien. So wie jetzt die Ermittler in Bayern.

In Deutschland ist das NBM seit 2002 als gemeinnütziger Verein registriert: Neo-Black Movement Germany e.V. Seine Mitglieder traten öffentlich auf, etwa beim Karneval der Kulturen in Berlin. Ab und zu veröffentlichten sie auch Fotos von Scheckübergaben, 500 Euro für ein Krebszentrum in Hamburg, 500 Euro für chronisch kranke Kinder in Augsburg. Der Leiter des Sachgebiets für organisierte Kriminalität im LKA Bayern, Jürgen ­Harle, aber sagt: „Eine reine Tarnorga­nisation.“

Ausgangspunkt der Ermittlungen waren vor gut zwei Jahren Hinweise des bayerischen Verfassungsschutzes, dass im Freistaat ein Schwerpunkt der Aktivitäten nigerianischer Bruderschaften liege. Das LKA und die Staatsanwaltschaft München I begannen daraufhin ein aufwendiges Strukturermittlungsverfahren. Sie trafen sich mit internationalen Kollegen, die schon entsprechende Erfahrungen mit kriminellen Netzwerken aus Nigeria gesammelt hatten. Sie nahmen die mutmaß­lichen Mitglieder in den Fokus, obser­vierten sie, hörten ihre Telefone ab und analysierten ihre Finanzbewegungen. Dabei fielen den Ermittlern zwei Dinge auf: Die Beschuldigten nutzten unter­einander die im NBM üblichen Codes, sprachen sich etwa mit ihren sogenannten „strong ­names“ an, Spitznamen in Erinnerung an ­afrikanische Freiheitskämpfer wie „Lord Nelson Mandela“. Und immer wieder ging es um Provisionen, Dating, Bankkonten.

Jeder kennt den „nigerianischen Prinzen“

Schon seit vielen Jahren hat sich Nigeria einen Ruf als Zentrum des Onlinebetrugs gemacht. Die Maschen reichen vom klassischen „nigerianischen Prinzen“, der per Mail ein Millionenerbe verspricht, über Love Scams bis zu ausgefeilten Angriffen auf einzelne Unternehmen.

Und immer wieder spielen die „Black Axe“ und das NBM eine große Rolle. So koordinierte Interpol im vergangenen Jahr eine Operation, bei der in 21 Ländern Dutzende mutmaßliche Mitglieder fest­genommen wurden. 2,15 Millionen Euro an mutmaßlicher Beute wurden beschlagnahmt, 298 Bankkonten eingefroren. Laut den irischen Behörden ging es um Betrug im Umfang von insgesamt mehr als 70 Millionen Euro.

Die Beschuldigten in Bayern waren laut den Erkenntnissen der Ermittler vor allem als Finanzagenten aktiv, betrieben sozu­sagen Geldwäsche aus dem Homeoffice. Sie organisierten Bankkonten, auf die ­Betrugsopfer Geld überweisen konnten, stückelten die großen Summen dann, überwiesen sie weiter, hoben sie ab, transferierten sie über Finanzdienstleister oder in Form von Gütern wie medizinischem Gerät oder Secondhandkleidung nach ­Nigeria. Ein „systematisches Chaos“, sagt Staatsanwalt Maximilian Kraus. Für die Ermittler sei es nur schwer nach­zu­voll­ziehen. „Eine absolute Sisyphusarbeit.“

Streng hierarchisch organisiert

Doch die Ermittler ließen am Dienstag nicht nur diejenigen festnehmen, die sich ihren Erkenntnissen nach aktiv an den einzelnen Geldwäschetaten beteiligt hatten, sondern die gesamte Führungsriege der „German Zone“ des NBM – die nach Informationen der F.A.Z. identisch ist mit der Führung des Vereins, der im öffentlichen Vereinsregister eingetragen ist. Die Ermittlungen ­hätten gezeigt, argumentiert die Staats­anwaltschaft, dass alle von den illegalen Machenschaften gewusst hätten. Aus ihrer Sicht ist das NBM eine auf der ganzen Welt tätige ausländische kriminelle Vereinigung, die „German Zone“ und damit auch der Verein eine in Deutschland tätige kriminelle Vereinigung.

Alle Informationen aus dem Ermittlungsverfahren würden nun auch dem Bundesinnenministerium zur Verfügung gestellt, sagt Kriminaldirektor Harle, da es für Vereinsverbote zuständig sei.

Wie in Nigeria ist das NBM auch in Deutschland streng hierarchisch organisiert – das zeigt die „Verfassung“ der Organisation, die der F.A.Z. in Kopie vorliegt. Der Boss einer „Zone“ heißt „Head“, er wird wie die gesamte Führungsriege alle zwei Jahre gewählt. Sein Stellvertreter ist der „Priest“, dem auch eine zeremonielle Rolle zukommt. Der „Bucha“, der Metzger, ist für die Disziplin im NBM und für die Wehrhaftigkeit nach außen zuständig. Als Symbol dafür hat er eine Peitsche, die, so Staatsanwalt Kraus, nach den Ermittlungserkenntnissen durchaus auch zum Einsatz gekommen sei. Bei den Durch­suchungen am Dienstagmorgen wurden mehrere Peitschen gefunden.

Gesamte Führungsriege verhaftet

Beim „bislang bundesweit größten Schlag gegen die nigerianische Mafia“, wie der bayerische Innenminister, Joachim Herrmann (CSU), mitteilen ließ, waren insgesamt 350 Polizisten im Einsatz. Sie durchsuchten Wohnungen und auch Asylunterkünfte. Der aktuelle „Head“ des NBM wurde nach Informationen der F.A.Z. in Hamburg festgenommen, der „Priest“ im Landkreis Tübingen. Beim Vorgänger des „Head“ im baden-württembergischen Filderstadt beschlagnahmten die Ermittler eine schwarze Axt mit der Aufschrift „King Zulu“. Weitere Razzien gab es in Hessen und in etlichen bayerischen Städten. Die meisten Beschuldigten sind schon seit Langem in Deutschland.

Dass ein Schwerpunkt der „Black Axe“ in Bayern liegt, hat laut den Ermittlern mit der Nähe zu Italien zu tun. Dort sind die Netzwerke seit Jahren aktiv, insbesondere im Rauschgifthandel und in der Zwangsprostitution, wofür junge Frauen aus Nigeria nach Europa gelockt werden. Bei den „Black Axe“ in Deutschland spielten diese Straftaten laut den bayerischen Ermittlern zumindest keine systematische Rolle.

Ein früherer Vorsitzender des NBM in Deutschland, der nun nicht unter den Festgenommenen ist, sagt der F.A.Z. auf Anfrage: Wenn einzelne Mitglieder gegen Gesetze verstoßen hätten, sollten Polizei und Staatsanwaltschaft hart gegen sie vorgehen. „Als Gruppe haben wir nichts Kriminelles gemacht.“