Beitrag vom 27.09.2024
Finanz und Wirtschaft,Zürich
Warum Afrikas Wirtschaft in der Dauerkrise steckt
Der Kontinent ist auch fünfundsechzig Jahre nach der Unabhängigkeit noch immer weit von Wohlstand entfernt. Nicht zuletzt, weil man sich am falschen Entwicklungsmodell orientiert.
Wolfgang Drechsler, Kapstadt
In jedem Jahr seit der Jahrtausendwende gibt es am Rande der UN-Vollversammlung in New York ein Treffen der besonderen Art: Entwicklungshelfer, Staatsbeamte, Philanthropen und Weltbanker kommen dann zusammen, um sich jenseits der Resolutionen und Reden gegenseitig für den Rückgang der Armut zu feiern. Um fast eine Milliarde Menschen ist in den letzten fünfundzwanzig Jahren die Zahl derjenigen gefallen, die von weniger als zwei Dollar am Tag leben, also unterhalb der offiziellen Armutsgrenze.
Ein genauer Blick auf die Zahlen offenbart jedoch starke Unterschiede: So gibt es kaum noch Armut in früheren Hochburgen wie Osteuropa oder Südostasien. Doch in Afrika bleibt sie tief verwurzelt. Weltweit leben noch immer 700 Mio. Menschen in extremer Armut und weitere 3 Mrd. in Regionen, die noch immer weit vom Lebensstandard der entwickelten Welt entfernt sind – vor allem in Afrika und Arabien. Wie ist das möglich?
Reichtum schrumpft
Zentral für die Misere ist vor allem der Mangel an wirtschaftlichem Wachstum in Afrika. Wie schon in den Vorjahren sind und bleiben die Zuwachsraten für die Region südlich der Sahara ausgesprochen mager. Wuchs das Bruttoinlandprodukt (BIP) seiner achtundvierzig Staaten 2022 noch um (für arme Länder zu niedrige) 4%, fiel es 2023 sogar auf nur noch 3% zurück – und das von einer bereits sehr niedrigen Basis. Und auch dieses Jahr dürfte es nach Angaben der African Development Bank mit rund 3,5% nur geringfügig höher liegen und abermals nicht dazu beitragen, Afrika aus seiner tiefen Armut zu befreien.
Um angesichts seiner sehr starken Bevölkerungszunahme von durchschnittlich 2,6% real zu wachsen, bräuchte Afrika jedoch Zuwachsraten von mindestens 5 bis 10% – und dies über einen langen Zeitraum. Gegenwärtig wächst in Afrika jedoch nur die Zahl der Menschen – und zwar doppelt so schnell wie in Südasien (1,2%) und sogar fast dreimal so schnell wie in Lateinamerika (0,9%). Das bedeutet, dass Afrika mit seinem Mangel an Infrastruktur, Industrie und Institutionen alle zwei Jahre eine zusätzliche Bevölkerung von der Grösse Frankreichs oder Thailands absorbieren muss.
In diesem Zusammenhang wird oft angemahnt, Afrika nicht über einen Kamm zu scheren. Zu unterschiedlich seien seine Länder und ihre Entwicklung. Andererseits ist das Wirtschaftswachstum noch immer das beste Instrument dafür, um Wohlstand und Entwicklung eines ganzen Kontinents zu messen: War das BIP in den achtundvierzig Ländern südlich der Sahara vor zehn Jahren zum Ende des letzten Rohstoffbooms noch auf den Rekordstand von 1950 $ pro Kopf geklettert, ist es nun mit dessen Abflauen um über 10% auf etwa 1700 $ gefallen. Zeitgleich konnte das BIP im Rest der Welt um volle 15% zulegen.
Der wohl wichtigste Grund für diesen Einbruch liegt darin, dass quasi allen afrikanischen Volkswirtschaften genau das fehlt, was für einen längerfristigen Anstieg ihrer Wirtschaftskraft unabdingbar wäre: eine ausgebildete Arbeiterschaft, vernünftige Strassen, eine verlässliche Stromversorgung und vor allem kompetente, ethisch saubere Regierungen. Wo dies, wie in Taiwan, Chile oder einigen Ländern im früheren Ostblock gelungen ist, können Länder beachtliche Wachstumsraten erzielen und durchstarten. Wenn diese Wachstumstreiber aber fehlen und deshalb auch die Finanzierung, können viele Länder ihr Potenzial für lange Zeit nicht ausschöpfen – all den von aussen geschnürten Hilfspaketen zum Trotz.
«Ohne ein Minimum an Industrialisierung dürfte Afrika kaum dem Vorbild der asiatischen Tigerstaaten folgen.»
Für viele afrikanische Länder ist als Folge ihrer Stagnation seit 2015 der Geldzufluss weitgehend versiegt – sowohl privat wie staatlich. Vor allem die starke Abhängigkeit von China seit dessen Ausgriff nach Afrika zur Jahrtausendwende hat für den Kontinent nun massive Folgen. Denn jahrelang finanzierte China in Afrika, oft im Rahmen seiner «Neuen Seidenstrasse», gigantische Infrastrukturprojekte, die sich inzwischen jedoch immer öfter als Milliardengrab entpuppen und vielerorts nur Schuldentürme hinterlassen haben.
Inzwischen nimmt China von solchen Projekten wohlweislich Abstand, was aber auch daran liegt, dass es selbst in einer wirtschaftlichen Krise steckt und international Risiken scheut. Das zuvor in Afrika investierte Geld wird nun daheim selbst gebraucht. Zwar will China in Afrika weiter aktiv bleiben, jedoch auf deutlich niedrigerem Niveau als zuvor, was auch die Kreditvergabe von nur noch 5 Mrd. $ im vergangenen Jahr ausweist. Zwar sind seine Kredite zuletzt wieder leicht gestiegen, doch liegen sie noch immer weit unter dem Niveau von 2016, als China fast 30 Mrd. $ in Afrika investierte. Seine Projekte sind nun kleiner und wirtschaftlicher als die massiven Vorzeigeprojekte, an denen sich zuvor schon die westliche Entwicklungshilfe verhoben hatte.
Unerwähnt bleibt zudem oft, dass Afrikas Wirtschaftswachstum seit der Jahrtausendwende fast ausschliesslich auf dem Konsum fusste. Anders als in Asien ist sein Wachstum wie bereits in den Sechzigerjahren fast nur von Geldern aus dem Export unverarbeiteter Rohstoffe gespeist worden. Doch ohne ein Minimum an Industrialisierung und ohne die Entwicklung eines verarbeitenden Sektors, der Waren für die Welt produziert, dürfte es in Afrika kaum eine industrielle Revolution nach dem Vorbild der asiatischen Tigerstaaten geben.
Bedingt durch die neuen geopolitischen Brennpunkte von der Ukraine bis Nahost und die hohe Überschuldung daheim hat aber auch der Westen seine Hilfsbudgets für Afrika stark beschnitten – und die Gelder in die Flüchtlingshilfe und Klimarettung kanalisiert. Auch daran dürfte sich auch auf absehbare Zeit wenig ändern. Symptomatisch dafür ist auch, dass der US-Vermögensverwalter BlackRock in Kürze seinen einzigen börsengehandelten Fonds schliessen wird, der physisch in afrikanische Aktien investiert hatte.
Schuldenkrise absehbar
Entsprechend gross ist vielerorts die Ratlosigkeit über das weitere Vorgehen in Afrika. Nachdem der Internationale Währungsfonds (IWF) die ihm (oft zu Unrecht) vorgeworfenen harten, aber notwendigen Massnahmen zur Strukturanpassung vieler afrikanischer Volkswirtschaften stark abgemildert hat, sind kaum neue, innovative Ansätze ausprobiert worden.
Wenig hilfreich ist zudem, dass sich der «Globale Süden», wie die Dritte Welt heute heisst, seit Längerem zunehmend am staatszentrierten chinesischen Entwicklungsmodell orientiert – ohne zu erkennen, das dem Erfolg Chinas marktwirtschaftliche Reformen unter Deng Xiaoping vorausgingen. Zeitgleich sind die Finanzierungskosten der seit 2010 massiv von Afrika aufgenommenen Kredite durch die zwischenzeitlich stark gestiegenen Zinsen auf ein unhaltbares Niveau geklettert.
Ein letztes grosses Hindernis vor der Genesung liegt schliesslich darin, das Afrikas Volkswirtschaften zu klein sind, um wie China in Asien oder Brasilien in Lateinamerika als Lokomotiven zu fungieren. Die schwache Wirtschaftsentwicklung wird dabei fast überall von marktfeindlichen Regierungsprogrammen verschärft, die seit Jahren das Wachstum in Südafrika und Nigeria unterminieren – den beiden grössten Volkswirtschaften im Süden der Sahara. Selbst wenn die Rohstoffpreise anzögen, dürfte dies dank der weithin verkrusteten politischen und sozialen Strukturen den Lebensstandard in Afrika kaum spürbar heben. Für viele seiner Bewohner dürften stattdessen auch die nächsten fünfundzwanzig Jahre des Jahrhunderts zum Kampf ums Überleben werden – ohne grosse Aussicht auf eine baldige und nachhaltige Trendwende.