Müllers Zwischenbilanz
Nach anderthalb Jahren im Amt hat Entwicklungsminister Müller am 18.6. in einer Bundestagsrede eine "Zwischenbilanz" seiner Afrika-Politik gezogen. Den Redetext finden Sie weiter unten. Darunter können Sie Ihre Kommentare eintragen.
Wie beurteilen Sie die Bilanz des Ministers?
Was fällt Ihnen positiv auf? Was negativ?
Was ist neu an seiner Politik?
Wem nützt sie?
Ist er auf dem richtigen Kurs?
Rede von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller im Deutschen Bundestag am 18.06.2015
Zunächst stand hier der Redetext, den das BMZ auf seiner Website veröffentlich hat. Da er sich aber an etlichen Stellen nicht unwesentlich von der tatsächlich gehaltenen Rede Müllers unterscheidet, erscheint hier nun die offizielle Mitschrift des Bundestages.
"...
Äthiopien gilt als die Wiege der Menschheit. Das war vor 6 Millionen Jahren. Wir sind nur einen Flügelschlag auf diesem Planeten. Denken Sie an Lucy, das bekannte, 3,2 Millionen Jahre alte Skelett in Addis Abeba; einige von uns fahren demnächst dorthin. Von Äthiopien, von Afrika aus haben sich unsere Vorfahren über den Planeten verbreitet. Wir sind also letztlich alle Afrikaner mit Migrationshintergrund.
Warum erzähle ich das? Ich erzähle das, weil in unserem Reden über Afrika unser Nachbar immer sehr fern erscheint und weil wir viel zu wenig darüber wissen, was uns verbindet. Dabei hat gerade Europa Afrikas Geschichte entscheidend geprägt: der Sklavenhandel, der Menschen zu Objekten gemacht hat und der heute noch nachwirkt, und die willkürlichen Grenzen der Kolonialherren. Ein Grundstein hierfür wurde übrigens vor 130 Jahren durch die Berliner Konferenz von 1885 gelegt. Das ist hochspannend. Das liegt noch nicht so lange zurück.
Wir reden von Afrika und vergessen: Der Kontinent ist hundertmal so groß wie Deutschland. Er hat 54 Länder, mehr als 2 000 Sprachen, Tausende von Bevölkerungsgruppen, Ethnien, Stämme und Religionen, eine vielfältige Kultur, interessante Kunst, verschiedene Klimazonen – Wüste und Regenwald –, Pflanzenreichtum und Artenvielfalt von großartiger Bedeutung, Seen, Flüsse und das Meer. Und die Größe: Allein Algerien und Libyen sind zusammen, verehrte Gäste auf der Tribüne, so groß wie die gesamte Europäische Union.
In Nigeria werden in jedem Jahr 6 Millionen Menschen geboren, also mehr als in der gesamten Europäischen Union. Ich habe den neuen Präsidenten vor kurzem in München getroffen. Er ist eine große Hoffnung für dieses Land, und wir wünschen ihm alles Gute für seine Amtsführung.
Afrika ist jung, fast so jung wie die Schülerinnen und Schüler auf den Tribünen. Es gibt viele Jüngere im Parlament. Stellen Sie sich vor: In Uganda, Nigeria und Mali ist jeder Zweite jünger als 15 Jahre. Das Durchschnittsalter in den afrikanischen Ländern liegt bei 25 Jahren.
Afrika ist erfolgreich; das sagt nur keiner. Wir sehen immer nur die dunklen Seiten. Das Wirtschaftswachstum in Afrika ist rasant. Afrika hat gerade die längste Wachstumsperiode seit den 60er-Jahren erlebt.
Afrika hat natürlich auch Probleme, selbstverständlich: Heute sind 60 Prozent der 15- bis 24-Jährigen arbeitslos. Das ist dramatisch. So werden junge Leute zur Quelle von Konflikten statt zu einem Schatz für die Zukunft.
Mitte dieses Jahrhunderts werden in Afrika viermal so viele Menschen leben wie Mitte des letzten Jahrhunderts, das heißt statt 500 Millionen Menschen 2 Milliarden, und 40 Prozent aller Kinder des Planeten. Am Ende unseres Jahrhunderts wird jeder dritte Mensch in Afrika leben.
Dieser Kontinent steht natürlich vor gewaltigen Herausforderungen, etwa bei der Energieversorgung. Noch sind zwei Drittel Afrikas ohne verlässliche Stromversorgung. Vom schwarzen Afrika, das auf Kohle baut, zum grünen Kontinent, der auf erneuerbare Energien baut, das ist meine Vision. Wir tragen dazu bei durch Innovations- und Energiepartnerschaften. Beispielsweise werde ich noch in diesem Jahr zusammen mit den marokkanischen Freunden das größte Solarkraftwerk der Welt in Marokko eröffnen.
Afrika kennt natürlich auch extreme Not: Ich nenne das Elend von Millionen von Flüchtlingen, ich nenne die Ebolakrise und die Gewalt im Südsudan, in Teilen Nordafrikas und aktuell in Burundi.
Unsere neue Afrikapolitik setzt neue Schwerpunkte, meine sehr verehrten Damen und Herren. Diese Schwerpunkte haben wir in den letzten 18 Monaten in über 50 konkrete Initiativen übersetzt. Wir haben hier versprochen, jährlich 100 Millionen Euro zusätzlich für Afrika aufzuwenden. Das haben wir weit übertroffen.
In diesem Jahr bekommt das BMZ den stärksten und größten Haushalt, den es jemals hatte. Hier setzen wir einen ganz besonderen Akzent in Afrika. 2014 flossen rund 1,5 Milliarden Euro allein in bilaterale Projekte. Hinzu kamen 311 Millionen Euro aus den Sonderinitiativen. Wir setzen darüber hinaus in der Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“ einen neuen Schwerpunkt, und zwar in Krisenprävention, in Konfliktverhinderung, in Friedensarbeit in Krisenregionen und in der Bekämpfung von Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Ich glaube, das ist entscheidend, gerade in der aktuellen Diskussion.
Die allermeisten afrikanischen Flüchtlinge – ich will das hier heute nur kurz andeuten – kommen nicht nach Europa. Wenn wir heute über die Flüchtlingskrise in Europa diskutieren, müssen wir sehen: Unter 10 Prozent der Flüchtlinge, die in Europa ankommen, sind Afrikaner. Dennoch ist das natürlich ein großes Thema. Deshalb engagieren wir uns in Mali, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik ganz neu und auch in Nigeria. Ich werde deshalb mit Kolleginnen und Kollegen erstmals auch in das Krisenland Eritrea reisen.
Wir haben durchgesetzt, dass die Friedensmissionen der Afrikanischen Union durch den Europäischen Entwicklungsfonds weiter gestärkt werden. Ich habe mit Frau Zuma vor einer Woche vereinbart, dass wir Afrikas Entwicklung auch durch die Zusammenarbeit an neuen Ausbildungskonzepten voranbringen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt müssen mehr Mittel in zivile Krisenprävention und Mediation fließen.
Ebola hat darüber hinaus gezeigt, dass schwache Gesundheitssysteme Entwicklungserfolge zunichtemachen. Deshalb haben wir vor wenigen Wochen ein neues Sonderprogramm „Gesundheit in Afrika“ beschlossen, mit den drei Schwerpunkten Ausbildung, Aufklärung und Ausrüstung. In über zehn Ländern des afrikanischen Kontinents und in Regionalorganisationen werden wir 2015 und 2016 205 Millionen Euro investieren. Wir haben neue Partnerschaften für Berufsbildung eingerichtet; das werde ich als besonderen Schwerpunkt in den nächsten zwei Jahren ausbauen.
Wir haben einen Regionalfonds für Start-up-Unternehmen eingerichtet. Afrika – man höre und staune! – ist der boomende IKT-Markt in der Welt, auf Platz zwei. Mehr als jeder zweite Afrikaner besitzt heute ein Smartphone, und in der Erreichbarkeit sind die afrikanischen Länder häufig weiter als manche Region, manche Provinz bei uns zu Hause in Deutschland.
Wir haben eine Deutsch-Afrikanische Jugendinitiative ins Leben gerufen, die ich eigens vorstellen werde, aufgrund der Zeit nicht heute. Wir vergeben 1 000 neue Stipendien an afrikanische Studierende. Noch in diesem Jahr werde ich in Algerien die Panafrikanische Universität eröffnen. Afrika setzt – das möchte ich sehr deutlich sagen – die Rahmenbedingungen der Entwicklung aber in ganz erheblichem Maße selbst.
Bei der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika geht es zum einen um die ODA-Quote bzw. die Investitionen öffentlicher Mittel. Hiermit setzen wir den herausragenden Schwerpunkt. Privatinvestitionen und faire Handelsbeziehungen sind jedoch mindestens genauso wichtig, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wir erwarten darüber hinaus von den afrikanischen Regierungen – das lässt sich sehr deutlich am Ranking bezüglich einer positiven Entwicklung bzw. der Entwicklung bei der Armut ablesen – Eigenanstrengungen und Gegenleistungen, die ich nur kurz mit den Stichworten „Good Governance“, „Kampf gegen Korruption“, „Transparenz“, „Eigenfinanzierung der Haushalte“ und „Aufbau von Steuersystemen“ umschreiben möchte. Wir tragen das Unsrige dazu bei. Was die Investitionen angeht, liegt noch vieles vor uns. Denn viel zu wenige Firmen in Deutschland haben bisher die Chancen dieser Märkte erkannt. Wir hatten mehr Hermes für Afrika versprochen, und wir haben dieses Versprechen gehalten. Seit diesem Jahr können Geschäfte mit Äthiopien, Ghana, Mosambik, Nigeria, Tansania, Kenia, Senegal und Uganda abgesichert werden.
Besondere Chancen liegen in der Digitalisierung Afrikas. Ich habe dazu mit der GIZ, der ich ganz besonders für ihr großartiges Engagement in der Breite in vielen Ländern danke, ein eigenes Sektorvorhaben eingerichtet.
Unsere Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ setzt viele neue Akzente. Ich nenne in diesem Zusammenhang das Stichwort „Grünes Innovationszentrum“. Unsere Vision ist, dass „Eine Welt ohne Hunger“ auch Lebensperspektiven auf dem Land schafft, dass Hunger und Mangelernährung bekämpft werden. Dazu hat auch die Kanzlerin einen ganz erheblichen Beitrag geleistet und diese Themen auf dem G-7-Gipfel in Elmau ganz nach oben auf die Tagesordnung gesetzt. Vielen herzlichen Dank!
Wir nehmen auch die Industrieländer gemeinsam in die Pflicht für eine neue Partnerschaft mit Afrika. Afrika ist unser Partnerkontinent. Afrika ist für uns Verpflichtung, Herausforderung und Chance."
Kommentar
Sa. 20 Jun 2015 - 01:56
Man muss es dem derzeitigen Entwicklungsminister Müller lassen, dass er offenherziger in seiner Arbeitsbilanz ist als sein Vorgänger Niebel. Er liefert viele Zahlen. Allerdings hat auch er es versäumt, eine Orientierungsgrundlage mitzuliefern – etwa in Form einer Analyse der Nachhaltigkeit der vorangegangenen 50Jahre Entwicklungspolitik. Der Steuerzahler muss sich also wieder einmal auf die Grundsätze „wer hilft ist im Recht, wer hilft kann nichts verkehrt machen, mehr Geld hilft mehr“ bescheiden und die „Experten“ machen lassen. Müllers Zwischenbilanz ist problemfrei, alle Versprechen wurden gehalten, wenn nicht gar übertroffen. Es gibt offensichtlich nichts, was sich nicht mit Geld realisieren ließe – so wird es jedenfalls suggeriert.
Die Realität sieht indes anders aus und das sind keine neuen Erkenntnisse. Mehr vom Gleichen enthebt die afrikanischen Verantwortlichen mehr von ihrer Verantwortung. Inzwischen sind die Entwicklungsetats zu Staatsetats mutiert, mit denen fest zu rechnen ist – die Europäer zahlen pünktlich, sei das Szenario noch so abstrus. Aus dem Süden wird geliefert, was „bestellt“ wird: ein Armutszeugnis. Die afrikanische Union macht deutlich, was sie von Recht und Gesetz nach europäischer Auffassung hält – Rechtsstaatlichkeit und verlässliche Strukturen werden in einem solchen Krückenwerk nicht gebraucht, die breite Bevölkerung wird ihrem „Erfindungsgeist“ überlassen – oder sie verlässt die Heimat und macht sich auf den Weg nach Europa (zu den nichtversiegenden Quellen des Wohlstands ihrer Leader). Das Bildungssystem ist in der Regel marode und verschlechtert sich trotz mannigfaltiger Programme gar weiter. Das hat entscheidenden langfristigen Einfluss auf alle anderen Bereiche der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Diesem Umstand wird von Seiten der Geberländer nicht konsequent entgegen gewirkt. Es mutet naiv an, dass man sich für alle Belange der Empfängerländer verantwortlich fühlt – und so wird man von den Empfängerländern auch eingeschätzt. Es entbehrt jeglichem Sinn, immer gleiche Projekte neu zu finanzieren, die seit Jahrzehnten keine entsprechenden Effekte erzeugen konnten. Hinzu kommt der Stafettenlauf der Nationen um immer gleiche EZ-Pfründe. Projekte, die eine Nation aus der betreuten Phase in die autonome Weiterführung entlässt, werden nicht selten von der nächsten neuaufgelegt und weiterfinanziert. Die Länder sind überzogen von einem unüberschaubaren Flickenteppich von NGOs, Assoziationen, Vereinen und sonstigen denkbaren Gruppierungen für alles und jedes, die je nach Bedarf und vorherrschendem Thema wie Pilze aus dem Boden schießen, um nach Ablauf der Finanzierungsphase in der Regel genau so wieder zu verschwinden. Verlässlich und bleibend sind dagegen die islamistisch beförderten Strukturen, die den Menschen Halt, Sinn und Ziel suggerieren.
In der Bilanz fehlt es, wie gehabt, an kritischer Reflexion über derlei Zusammenhänge und der Ableitung entsprechender Konsequenzen. Ein Entwicklungsministerium muss es sich zum Ziel machen, eines Tages nicht mehr gebraucht zu werden – hier will man sich offensichtlich unentbehrlich machen.
So. 21 Jun 2015 - 00:01
MÜLLERS ZWISCHENBILANZ: Schon ein anderes, differenzierteres Politikverständnis als Niebel.
Doch ist die deutsche EZ -insbesondere die giz- für eine neue Afrikapolitik aufgestellt angesichts eines rapiden gesellschaftlichen Wandels in der Mehrzahl der afrikanischen Staaten - mit dem Aufkommen neuer selbstbewußter junger Eliten bei gleichzeitigem Fortbestehen der alten korrupten und verbürokratisierten Strukturen. Die giz ist weithin selbst ein Teil dieser Bürokratie geworden: Die Mehrzahl der Menschen interessiert nicht: Das sind die Armen.
So. 21 Jun 2015 - 00:31
Ich reagiere auf die Äußerung von Herrn Müller: Die meisten afrikanischen Länder befinden sich in einem Teufelskreis aus hohen Geburtenüberschüssen und bad governance. Im Kongo sagt man: "wer nicht korrupt ist, handelt verantwortungslos gegenüber seiner Familie" Die entwickelte Welt macht mit diesen korrupten Eliten Geschäfte um Rohstoffe oder um politisches Wohlverhalten wie z.B von Ägypten gegenüber Israel. Die große Masse der afrikanischen Bevölkerung hat keine Teilhabe an diesen Geschäften und vermehrt sich immer noch stark. Beides führt zu einer spürbaren Verschlechterung ihrer Lebensumstände. Die Folge sind Aufstände, Bürgerkrieg, Vertreibung und Armutsflüchtlinge. Wenn wir wirklich etwas dagegen tun wollen, müssen wir aufhören, korrupte Eliten zu fördern und anfangen, spürbare Anreize zur Geburtenkontrolle zu geben.
So. 21 Jun 2015 - 20:58
Ich reagiere auf die Äußerung zu: Sonderinitiative "EineWelt ohne Hunger" und habe mir die Erläuterungen dazu angesehen. Was beim Minister immer wieder auffällt ist sein übergrosser Anspruch. Einmal abgesehen davon, dass die Rede von der EinenWelt wesentlich mehr Wunschdenken als Realitätssinn erkennen lässt - warum muss es gleich die ganze Welt sein? Auch Afrika ohne Hunger wäre ein Ziel, an dem sich die deutsche EZ gehörig übernähme. Der Wunsch danach ist ehrenwert, mehr nicht.
Aber zur Sonderinitiative: dazu werden 6 Aktionsfelder angeführt: Ernährungssicherung; Vermeidung von Hungersnöten und Stärkung der Widerstandsfähigkeit;
Innovation im Agrar- und Ernährungssektor;
Strukturwandel im ländlichen Raum;
Schutz natürlicher Ressourcen und Bodenrehabilitierung;
Sicherer und fairer Zugang zu Ressourcen und Land.
Unter der Überschrift Dafür steht die Sonderinitaive werden dann Forderungen oder Absichtserkläriungen formuliert wie:
Alle Menschen müssen Zugang zu ausreichender und gesunder Nahrung haben. Oder: Die Landwirtschaft muss produktiver werden, aber gleichzeitig die natürlichen Ressourcen wie Wasser, Boden und Artenvielfalt erhalten. etc.
Stellt sich mir natürlich die Frage nach der Umsetzung. Dazu heisst es u.a. Afrika ist der regionale Handlungsschwerpunkt und zur Steigerung der Wirksamkeit "wurden zehn "ernährungsunsichere Kernländer"...identifiziert." In fünfen soll "die gesamte Bandbreite des entwicklungspolitischen Instrumentariums zum Einsatz" kommen, in den anderen soll "die multilaterale und die nicht staatliche Entwicklungs-zusammenarbeit sowie die strukturelle Übergangshilfe verstärkt" werden. Die Auswahl stelle eine Richtschnur dar, die ein Engagement in anderen Ländern nicht völlig ausschliesse.
Was getan werden soll, um "Landwirtschaft an die Auswirkungen des Klimawandels an[zu]passen" oder "Faire und sichere Landeigentums- und Landnutzungsrechte [zu] fördern" bleibt offen und somit kann die mögliche Wirkung der Sonderinitative nicht eingeschätzt werden.
Fazit: weitgehend sinnvolle Vorhaben und Wünsche. Wo ein Wille ist, mag auch ein Weg sein - aber welcher?
Mo. 22 Jun 2015 - 18:33
Ich reagiere auf die Äußerung von Herrn Müller, der seine Vorgänger noch an der Formulierung beeindruckender - derzeit unerfüllbarer - Visionen übertrifft. Ein "schlichter" Hinweis auf den Protektionismus der EU und Müllers Absichtserklärung , hier tätig zu werden, wäre ein Einstieg in die eigentliche reale Problemlage.
Di. 23 Jun 2015 - 17:07
Analog zu seinen Vorgängern/-innen spricht BM Dr. Müller unzureichend die Ursachen der Unterentwicklung an, die seitens der OECD-Staaten zu verantworten sind. Den Hauptbeitrag für Entwicklung muss der Globale Süden selbst erbringen und erbrachte ihn, wenn auch von Land zu Land höchst unterschiedlich. Die EZ ist nur die kleinste Größe, selbst wenn sie stark gesteigert würde. Die zweitwichtigste Säule für die Überwindung von Not und Unrecht in u.a. Afrika ist es, die Schadenszufügung durch die OECD-Staaten schnellstmöglich abzubauen, z.B. durch: Bekämpfung der Steuervermeidung seitens multinationaler Firmen mit dem Sitz in einem OECD-Staat und Töchtern in Steuerparadiesen, Abbau der Agrarexporte aus der subventionierten europäischen Landwirtschaft in EL, Beendigung der Überfischung und Raubfischerei vor Afrikas Küsten, keine weitere Behinderung regionaler afrik. wirtschaftlicher Zusammenschlüsse durch Insistieren auf der Meistbegünstigungsklausel für die EU-Staaten, keine Bekämpfung der Einführung von Exportzöllen seitens der afrik. Staaten, obgleich ihnen andere Formen der Steuererhebung administrativ sehr schwer fallen.
Mi. 24 Jun 2015 - 20:20
Der Einschätzung von Elke Zarth zu "Müllers Zwischenbilanz†in ihrem Beitrag vom 19.6.15 ist wenig hinzuzufügen. Es spricht keine am Bonner Schreibtisch sitzende Vertreterin der "Hilfsindustrieâ€, sondern eine Expertin, die vor Ort profunde Erfahrungen gemacht hat.
Ich möchte einen Kommentar zu Schutzsuchenden aus Afrika hinzufügen. Was diese brisante Frage bestrifft, meinte BMZ-Chef Gerd Müller anlässlich eines Treffens der EU-Minister für Entwicklungszusammenarbeit am 26.5.15 in Brüssel, dass es eine "epochale Herausforderung†wäre, in der Heimat der Flüchtlinge den Ursachen nachzugehen. Recht hat er. Mich würde interessieren, wie der BMZ-Chef zu einem Hilfspaket in Höhe von Euro 300 Millionen steht, dass die EU kürzlich für Eritrea beschlossen hat. Es ist das Land, das beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit 13198 Asylanträgen (7,6 % aller Anträge) in 2014 ganz oben auf der Liste afrikanischer Länder steht. Seit 23 Jahren versetzt Tyrann Isaias Afwerki die Bevölkerung in Angst und Schrecken. In einem UN-Report wird Eritrea mit Nordkorea verglichen. Scharf werden Folterungen, willkürliche Verhaftungen, gewaltsame Entführungen und Zwangsarbeit verurteilt. Die verantwortlichen EU-Politiker sind auf einem Auge blind.
Eritrea ist nicht der einzige von verantwortungslosen Autokraten und Eliten geführte Staat Afrikas, in dem Entwicklungshilfe nicht bei den Bedürftigen ankommt und somit Ansätze zu einer eigenständigen Entwicklung unterbleiben. Die Vermutung liegt nahe, dass andere Interessen, aber auch Mittelabzugzwang und gut dotierte Arbeitsplätze in staatlichen Hilfsorganisationen für eine derart skandalöse Hilfspolitik die Gründe sind.
Müller, der sich mit seinen Bekundungen zu globalen Herausforderungen immerhin von seinem Vorgänger positiv unterscheidet, fährt handlungsmäßig auf alten Gleisen. Auch er zieht keine unerlässlichen Schlüsse aus fünf Dekaden gescheiterter Entwicklungspolitik. Eine Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, die auf die Wirkung von Hilfsmaßnahmen sowie nachprüfbare Verbesserung der Regierungsführung und Eigenverantwortung der Nehmerländer basiert, ist nicht zu sehen.
Fr. 26 Jun 2015 - 19:13
1. Müllers Zwischenbilanz: eine politisch lächerliche Auflistung der guten Taten des BMZ für die Zukunft Afrikas
2. Die politische Lage in Afrika, der dortige Wandel, verlangt eine handfeste, geänderte Afrikapolitik, in der sich der politische Ansatz vereinigt mit entwicklungspolitischen Vorgaben und Respekt des international gültigen Rechtssystems.
3. Bereffend Côte d'Ivoire, die ebenfalls großzügig unterstützt wird, weiß ich, wovon ich spreche.
So. 28 Jun 2015 - 13:04
Nur zwei Anregungen an den vor unbegründetem Euphemismus strotzenden Minister: Bitte einmal systematisch die vielen oft sehr gut ausgebildeten jungen afrikanischen Menschen fragen, aus wel chen Gründen sie eigentlich ihr Land verlassen wollen/müssen, Bitte offen die afrikanischen Regierungsvertreter fragen ,was sie (in Fällen wie Nigeria, Angola, DR Kongo etc.) mit den vielen Milliarden Dollar/Euro machen, die sie monatlich durch den Verkauf von Rohstoffen einnehmen.
Mi. 1 Jul 2015 - 00:12
Der wichtigste Satz der Rede lautet: „Wir erwarten von afrikanischen Regierungen Eigenanstrengungen.“ Das Wörtchen „mehr“ fehlt, ist aber sicher mitgemeint. Noch besser hätte der Minister gesagt: Wir geben erst dann Entwicklungshilfe, wenn die afrikanischen Partner alle eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Das würde allerdings dazu führen, dass er bald arbeitslos würde.
Müller sagt vieles, das ratlos macht. Wie kann er von „extremer Not“, vom „Elend der Flüchtlinge“, von „dramatischer Jugendarbeitslosigkeit“ und Korruption sprechen, von Gewalt in vielen Staaten, von zwei Dritteln der Afrikaner, die keinen Strom hätten – um dann festzustellen: „Afrika ist erfolgreich.“
Wie kann er von „rasantem Wirtschaftswachstum“ reden, ohne hinzuzufügen, dass davon bei der Masse der Menschen nichts ankommt, weil die herrschende Klasse sich ein Großteil der Erlöse aus dem Verkauf von Bodenschätzen unter den Nagel reißt?
Oder: „Viel zu wenige Firmen in Deutschland haben bisher die Chancen (der afrikanischen) Märkte erkannt.“ Doch, natürlich wissen sie Bescheid. Deutsche Unternehmer meiden Afrika, weil sie erkannt haben, dass es dort für sie interessante Chancen kaum gibt.
Merkwürdig übrigens auch, dass der Minister die Ausdehnung der Hermes-Deckung auf weitere acht Länder Afrikas erwähnt. Erstens ist er für Hermes gar nicht zuständig, sondern das Wirtschaftsministerium (das diese Nachricht bereits vor einem halben Jahr verbreitet hat), und zweitens bedeutet Hermes Exportförderung für die deutsche Wirtschaft – aber nicht Entwicklungshilfe für Afrika.
In der von Müller vorgetragenen Zwischenbilanz stecken viele Verzerrungen und Ungereimtheiten, und die Frage stellt sich natürlich, wie auf einer solchen Basis schlüssige Politik entstehen kann.
Vieles in der „Bilanz“ bezieht sich auf die Zukunft: Sonderprogramm „Gesundheit in Afrika“
Fonds für Unternehmensgründer, „Grüne Innovationszentren“, Berufsbildung … Das meiste könnten die Afrikaner selbst leisten, ohne unsere Hilfe, wenn vor allem die politisch Verantwortlichen klüger wirtschafteten und motivierter und organisierter ans Werk gingen.
Gerade vor diesem Hintergrund ist nach wie vor – auch unter Minister Müller – das Grundübel der Entwicklungspolitik unser Gestaltungswahn, der afrikanische Initiative erstickt. Der Minister spricht von „meiner Version“, etwa für Energieprojekte, und von „unserer Herausforderung“.
Afrikanische Führungscliquen hören das gern und können sich weiter zurücklehnen.
Afrika braucht unsere Visionen nicht, es muss eigene haben und sie mit eigenen Kräften zielstrebig verfolgen.
Di. 7 Jul 2015 - 18:25
Ich vermisse in dem Beitrag die Erwähnung von Handelsfragen, die die Entwicklung in Afrika hemmen. Die EU-Landwirtschafts- und Fischereipolitik behindert die Entwicklung in Afrika und führt zur Armut und damit auch zu Armutsmigration. Hier könnten wir handeln, ohne auf den Abbau von Korruption und eine gerechtere Verteilung des an natürlichen Ressourcen so reichen Kontinents warten zu müssen. Die Strukturen müssen sich ändern, sonst hilft die beste Projekthilfe und alles Geld aus dem Norden nichts. Wir lernen das doch gerade auch in Griechenland!
Mo. 10 Okt 2016 - 12:26
Vorab: folgendes ist keine Kritik an Minister Müller, der ja auf Informationszuträger aus seiner Hierarchie angewiesen ist -- das vorort gewonnene Lagebild ist jedoch geschönt und out-of-touch.
"Besondere Chancen liegen in der Digitalisierung Afrikas."
Absolut, allerdings nicht, wenn Google, Facebook und Microsoft die Regeln setzen. Nationale IT-Institute erfassen weder die sich vor ihren Augen vollziehende Entwicklung der Digitalen Kolonisierung, noch entwickeln sie eigene Konzepte.
"Mehr als jeder zweite Afrikaner besitzt heute ein Smartphone,"
... aber versteht nicht damit umzugehen. Das Potential ist verschenkt und eingeschränkt durch vorsätzliche technische Limitierungen (tethered appliance).
"in der Erreichbarkeit sind die afrikanischen Länder häufig weiter als manche Region, manche Provinz bei uns zu Hause in Deutschland."
... Schneckentempo-Internet -- Geschwindigkeit wie in den 1990igern mit 56k-Modem. Quantität statt Qualität.
Ohne Bildung keine Veränderung, das Smartphone hätte riesiges Potential. Wird jedoch nur zur Unterhaltung und zum Chatten benutzt. Selbst gebildete Afrikaner bekommen große Augen, wenn ich ihnen e-Bücher installiere...
http://www.kukutrust.org/
PS: "Grünes Innovationszentrum" -- wir haben dazu ein Konzept entwickelt, das Smartphone-Bildung mit Grundeinkommen aus Gartenbau verbindet. In Kürze mehr...
Neuen Kommentar hinzufügen