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For a different development policy!

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Mon, 7 Sep 2009 - 01:12

Falco Riemer, Bonn
Posting

Den Bonner Aufruf und viele Meinungen dazu habe ich mit wachsendem Interesse gelesen. Als kein entwicklungspolitischer Experte jedoch seit langem Interessierter und als in der Wirtschaft Beschäftigter mit strategischer Ausbildung. Vieles hier erinnert an Diskussionen, die auch in der Wirtschaft hinsichtlich Strategiefindung und -umsetzung, Visionen oder Missionen an anderer Stelle geführt werden. Es wäre vermessen einen direkten Vergleich anzustellen, jedoch gibt es Erfahrungen, die man durchaus übertragen kann. Und diese sind nicht so, dass man vermuten könnte, die Entwicklungshilfe sei "komplett anders", nicht gewinnmaximierend und damit betriebswirtschaftliche Ansätze nicht anwendbar. Es geht um allgemeingültige Erfahrungen aus einem Bereich, der sich oft mit richtigen und falschen, guten und schlechten Strategien sowie deren Verfolgung auseinandersetzen muss.

Der Aufruf erscheint, gesamt gesehen, als richtig und ein Schritt, konstruktiv mit der "Faust auf den Tisch" zu schlagen. Dass über das "wie" gestritten wird ist gut, lässt aber oft klare und einleuchtende Kommentare vermissen. Vieles verliert sich in einem "Haben-XY-schon-immer-gesagt-und-ich-auch" oder unterschwelligem "Jemand-muss-doch-an-die-Afrikaner-denken".

Es muss keiner an die Afrikaner denken - dafür sind die Menschen vor Ort selbst intelligent genug. Alles andere ist eine gönnerhafte Haltung und entspringt der vom Aufruf zu Recht bemängelten Ansicht, der Norden könne Afrika entwickeln. Äußerungen, dass XY das schon immer gesagt haben, verkennen, dass die EH, oder "EZ", nach dem Wegfall der politischen Blöcke unter anderen Prämissen geführt werden muss und, ehrlicherweise, schon immer musste. Es wird Neues auf allen Eben benötigt. Darum ist der Bonner Aufruf zumindest als "Weckruf" viel Wert. Darüber, wie neue Strategien und deren Umsetzung aussehen sollen, wird aber selten konstruktiv gestritten, sondern man kommt schnell zu reinen Ansätzen und Methoden wie "Dezentralisierung", "PRA", "PPP", "Evaluierung", "Budgethilfe", die dann aber breit diskutiert werden oder zu nicht zielführenden Grabenkämpfen führen.

Auch in der Wirtschaft bedient man sich gerne neuen Moden, Management Konzepten und Lehren, die Ergebnisse verbessern wollen, helfen sollen, Komplexitäten zu verringern oder Zusammenhänge zu verstehen. Sei es zum Beispiel "Business Process Reengineering", "Kernkompetenzen-Management" oder "Total Quality Management". Die Anwendung solcher Konzepte ist mit wechselnden Erfolgen beschieden und unterliegen einem Lebenszyklus. Bei allen "Buzz-words" lässt die Entwicklungshilfe einen wesentlichen Punkt vermissen: Der ehrlich kritischen Reflektion über Erfolg und Misserfolg von Maßnahmen bzw. Effizienz der Mittel, der Ableitung von strategischen Maßnahmen und Konsequenzen sowie dem Prinzip einer Qualifizierung von Menschen. Das heißt es fehlt zu oft der "missing link", die Verknüpfung zwischen Strategie und Umsetzung. Auch in der Wirtschaft bzw. Betriebswirtschaft ist dies ein großes Problem, jedoch mangelt es insbesondere der Entwicklungshilfe und allen Beteiligten an ehrlicher und konsequenter Selbstkritik, die über Eingeständnisse der Machtlosigkeit oder Verstrickung in nicht-beeinflussbaren Strukturen hinausgeht. Das erklärt auch die Strategie-Flut mit immer neuen Nuancen, die kaum eine Besserung der Situation herbeiführen kann, nur die Unzulänglichkeiten in der Umsetzung verdeckt und eine reine Diskussion von Methoden, aber nicht Strategien, fördert.

1) Strategie und strategische Maßnahmen

Es mag eine Binsenweisheit sein, dass Planung und Umsetzung bei Strategien den höchsten Stellenwert besitzen. Dies ist auch in der Entwicklungshilfe so und wird vermeintlich beherzigt (sei es "PRSP", "Afrika-Aktionsplan", "Millenium-Ziele" oder Partikularleitlinien von Entwicklungshilfeorganisationen). Allerdings kommt die Entwicklungshilfe trotz allem "das-wissen-wir" aus den Binsen nicht heraus.

Es wird vernachlässigt dass eine Strategie nicht Selbstzweck sein darf und von wesentlichen Erfolgsfaktoren abhängt: von Personal und Führungskräften (personelles qualitatives und quantitatives Potential), von der Kultur einer Organisation (Werte, Normen, Traditionen, Denkhaltungen), vom Managementsystem (d. h. als Instrument der Strategieumsetzung und als Frühwarnsystem), von der Organisationsstruktur (mit Weisungskompetenzen und Entscheidungsbefugnissen) und vom Planungssystem (mittelfristige Programm-/Projektplanung, operative Funktionsbereichs- und Budgetplanung). Eine Strategie verlangt die Beachtung aller Faktoren und eine Harmonisierung, damit diese zum Erfolg wird. Betrachtet man jedoch ausnahmslos ALLE entwicklungspolitischen Strategien und den Versuch deren Umsetzung, verlieren sich die Akteure darin, Maßnahmen und Methoden so zu betreiben, in der Hoffnung dass damit Strategien erreicht werden, deren Zielvorstellungen zu oft zu hart auf die Realität prallen.

So zum Beispiel bei der Förderung der Zivilgesellschaft, die als "Motor der Veränderung" dargestellt wird, man aber gerne vergisst, dass ein Fahrzeug neben dem Motor auch Reifen, Karosserie und vor allem einen Fahrer braucht, der weiß wo es hingehen soll. Da werden aber Menschen in Afrika, meist von mehreren Organisationen gleichzeitig, "qualifziert" mit Autoritäten zu sprechen, "Wissen zu kapitalisieren" oder "Projektmanagement" durchzuführen. Ähnlich inhaltsloses findet sich in vielen Publikationen der Wirtschaft: "Empowerment", "Paradigmenwechsel", "Partizipatives Management". Solche, an sich sinnvollen aber auf ein paar Spiegelstriche verkürzte, vermeintlichen Ansätze werden unreflektiert und modisch passend angewendet. Manchmal auch als "Dienstleistung" tituliert, die man den Menschen "anbietet", was jedoch die strategischen Unzulänglichkeiten dieser Maßnahmen nur vordergründig verschleiert bzw. einfach nur "trendy" klingen lässt. Damit setzt man jedoch keine Strategie um, sondern lässt Seminargeschädigte zurück. Wenn das in einem Wirtschaftsunternehmen schon sträflich ist, dann sind dergleich "Trainierte" eines beliebigen afrikanischen Landes, die so trainiert auch nichts bewirken können, zu bemitleiden.

Der Hinweis, dass Maßnahmen in generelle Leitlinien gebettet sind, kann nicht über den Eindruck hinwegtäuschen, dass man sich entwicklungspolitisch immer noch auf Umstände stürzt, die verbesserungswürdig sind und im Zuge dessen es eine "gute Idee" ist, die Zivilgesellschaft zu unterstützen, etwas für Kleine- und mittlere Unternehmen zu tun oder HIV zu bekämpfen. "Es kann ja so nicht weitergehen!" Eine wirkliche Beachtung, Verknüpfung und gesamthafte Betrachtung der erwähnten Erfolgsfaktoren erfolgt allerdings nicht oder nur unzureichend. Geschweige denn, dass man mit den Adressaten faktisch auf einer Augenhöhe spricht. So bleiben viele "strategisch bedeutsamen" Entwicklungsmaßnahmen als leere Hülle zurück, können mit jedem Entwicklungshelfer beliebig wiederbelebt werden oder scheitern gänzlich, während die Resignation der Beteiligten vor Ort wächst oder in Anspruchsdenken umschlägt. Eine gute Idee ist keine Strategie, auch wenn Sie so benannt wird.

Das alles erinnert an die Redensart, die jeder, der in der Wirtschaft mit Strategien befasst ist, kennt: "Wenn dein Pferd tot ist, steig ab!" Die Entwicklungshilfe ist kreativ darin, in nahezu allen Bereichen genau das nicht zu tun. So wird im übertragenen Sinne lieber erklärt, dass man jetzt die Qualitätsstandards für das Reiten auf toten Pferden erhöht oder ein Arbeitskreis gebildet, um das Pferd zu analysieren. Im Zweifel werden Berater geholt, die bestätigen, dass das Pferd noch nicht ganz tot ist, wobei Trainingseinheiten eingeschoben werden, um besser reiten zu lernen. Wenn das nicht hilft, werden Metapläne darüber erstellt, was das Pferd könnte, wenn es noch lebte. Oder man stellt fest, dass die anderen auch tote Pferde reiten und erklärt das zum Normalzustand.

Entwicklungshilfe ist natürlich Politik, die nicht ohne Kompromisse auskommt. Dies entschuldigt allerdings nicht, dass Strategien methodisch mangelhaft entworfen und verfolgt werden, generelle Denkanstöße wie der Bonner Aufruf nicht substantiiert kritisch, positiv wie negativ, beleuchtet und Strategien nicht koordiniert gelebt werden. Strategien verlangen so auch konsequent ein "Nein" gegenüber den Beteiligten auszusprechen, wenn Maßnahmen nicht den gemeinsam vereinbarten Zielen entsprechen. Übertragen auf die Entwicklungshilfe im Zweifel bis zum Stop der Zusammenarbeit, auch wenn dies schmerzhaft ist. Alles andere jedoch verwirkt die sogenannte "license to operate" nach aussen und die Legitimation der Arbeit nach innen. Bei aller Politik und Sachzwängen, die eine Ambiguitätstoleranz erfordern, ist die Verweigerung des Aussprechens von Wahrheiten und eine unklare Kommunikation nahezu strafbar. Und das muss auch von der Politik der Geberländer bzw. von Entwicklungshilfeorganisationen mit Konsequenzen untermauert werden können.

Die Forderung "Mehr Geld" ist daher haarsträubend, denn dahinter steht die Logik, ein Problem mit schierer Masse zu lösen. Im Sinne eines "Roll-back"-Ansatzes der anderer Art. Dieses Geld kann nicht denjenigen Zugute kommen, für die es gedacht ist, wenn EH-Organisationen selbst schon ineffizient arbeiten, mangelhaft schlechte Strategien verfolgen und im Zweifel nicht merken oder intervenieren können wenn Gelder verloren gehen. Insofern ist es schlüssig, die deutsche Entwicklungspolitik vor Ort mit einer zentralen Stelle, z. B. den Botschaften oder auch Lenkungsausschüssen, koordinieren und kontrollieren zu können, um einer strategischen Steuerung einen ersten Schritt näher zu kommen und den "missing link" herzustellen.

2) Richtige Qualifizierung der richtigen Menschen

Dies betrifft den Entwicklungshelfer selbst. Es ist richtig, dass ein Nachteil der Entwicklungshilfe die Diskontinuität der Personen ist: Maßnahmen werden angestossen und verfolgt, jedoch steht und fällt jede Maßnahme, neben der Beachtung anderer strategischer Erfolgsfaktoren, mit den Personen, die beratend vor Ort tätig sind oder sein sollten. Es ist ein guter Ansatz, Entwicklungshelfer in ein Konzept zu betten, das eine entsprechende Vor- und Nachbetreuung vorsieht - diese Betreuung muss allerdings qualitativen Ansprüchen genügen. Und zwar den Besten. Schließlich werden Personen im Namen eines Landes oder einer Organisation entsendet. Und damit sind berechtigte Erwartungshaltungen der Adressaten vor Ort verbunden. Es reicht nicht, Landeskunde, Interkulturelle Seminare, Verhalten bei Entführungen mit ein wenig Einmaleins des Projektmanagements zu vermengen und diese Leute dann weiter im Zuge von wohlmeinenden Trainings vor Ort über ihre eigene Lage, über ihr Projekt oder über den Aufenthalt im Allgemeinen reflektieren zu lassen.

Auch wenn solche Personalprogramme, wenn sie vorhanden sind, eine interessante Abkürzung oder Namen tragen, sind sie meist wenig strategisch verknüpft, tragen kaum zur Personalentwicklung bei und unterstützen implizit nur die Bildung von drei Typen von Entwicklungshelfern: Zyniker, denen entweder durch das Herumreisen Ehe und Familie abhanden gekommen sind oder die sich trotz der Wirkungslosigkeit Ihrer Arbeit den Humor nicht verderben lassen und sich in der Expat Community wohlfühlen; nach dem Motto: "Das Leben ist ein Schiffswrack, aber wir sollten nicht vergessen, in den Rettungsbooten zu singen". Andere werden zu Fachblinden, die gerne über "Logframes" und "Geber-Harmonisierung" sprechen, sich jeder kritischen Analyse der Arbeit widersetzen und Anekdoten über ihre Zeit in Afrika erzählen können, was durchaus interessanter ist als über "Logframes" zu diskutieren. Im besten Fall sind solche Programme auf Idealisten abgestimmt, die mit dem schönen Gefühl zurückkehren wollen, Afrika "so richtig" und nicht wie die verhassten Touristen kennengelernt und einen "kleinen Beitrag" geleistet zu haben. Wenn man Glück hat, trifft man jedoch tatsächlich auf Personen, die realistisch ihre Situation einschätzen, zu alt für weltfremden Idealismus und zu jung für Zynismus sind. Aber was tun nach Ablauf der Projektzeit? Mal sehen, ob die UN grade etwas bietet, denn "die zahlen doch so gut". Oder eine erschwerte Reintegration auf dem "normalen" Arbeitsmarkt in Kauf nehmen.

Auch wenn diese Darstellung überspitzt formuliert ist: Ein Entwicklungshelfer bleibt vor Ort ein Exot und alleine mit sich. Entweder aufgrund der Hautfarbe, der Herkunft oder aufgrund der Tatsache, dass er mit Menschen zu tun hat, die man als "Lebensabschnittsbekanntschaften" selten wiedersieht oder wiedersehen will. Ein Entwicklungshelfer genießt ebenso oftmals ein Maß an Ansehen - auch aufgrund dieser Andersartigkeit. Dass mit solchen Lebenssituationen grade im außergewöhnlichen Alltag eines Entwicklungslandes eine gewisse Gemütlichkeit, Unbedarftheit oder auch dumm dreistes Auftreten unter einem vordergründig, in Seminaren beigebrachtem, "interkulturellem Verständnis" einhergehen und wachsen kann, zeigen zumindest in der Wirtschaft genügende Erfahrungen aus dem Bereich "International Human Resources" bei auf ähnliche "Assignments" Entsendeten.

Unternehmen beginnen erst seit rund fünfzehn Jahren damit, entsprechende Programme zur Mitarbeiterqualifizierung konsequent aufzulegen. Dahingehend steckt die Entwicklungshilfe noch in den Kinderschuhen. Und generell macht man hier den gleichen Fehler wie z. B. auch noch in vielen Vertriebsorganisationen von Unternehmen: Ersteinmal wird jemand in den Aussendienst "gesteckt", denn da kann er am wenigsten falsch machen. Wenn er sich bewährt hat, wird er "in die Zentrale geholt", denn dann ist sein Wissen und seine Erfahrung viel Wert. So viel Wert, dass er kaum noch Kundenkontakt hat und sich mit Planungen auseinandersetzt oder Strategien entwirft. Dass so im schlimmsten Fall durch dummes, schlechtkontrolliertes und mangelhaftes Auftreten eines Mitarbeiters im Aussendienst der Kunde dem Unternehmen den Rücken zudreht, wird gerne übersehen oder nur unter großen Mühen mit entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen entgegengewirkt.

Ähnlich wie bei der Entwicklungshilfe: Was haben zum Beispiel sogenannte "Entwicklungsstipendiaten", "Entwicklungstrainees" und 19 oder 20jährige mit unfertiger Persönlichkeit vor Ort in Afrika zu suchen? Was soll das, dass diese dankbar an die nächste Projektstelle weitergereicht werden und dort zum "Experten" gedeihen? Bei allem Verständnis für deren Idealismus und dafür, dass man sicherlich auch einen "kleinen Beitrag" leisten will: Entwicklungshilfeorganisationen können in der jetzigen Form nicht das bereitstellen, womit sich schon Wirtschaftsunternehmen unter hohem Markt- und Ergebnisdruck schwertun, nämlich eine Auslandsentsendung oder "Erfahrung da draussen" nicht nur für den Mitarbeiter sondern auch für die Adressaten vor Ort schadensfrei zu gestalten.

Wenn man auf qualifiziertes Personal angewiesen ist und sich dieses selten bereits "fertig" auf dem Arbeitsmarkt findet ist es grade wichtig, eine sorgfältige Personalauswahl zu treffen und Menschen gut vorzubereiten bzw. hochqualitativ zu schulen. Im Idealfall erfolgt eine sehr lange Vorbereitung im Heimatland mit qualifizierendem Abschluss, der erst im Anschluss erlaubt, vor Ort Projekte direkt angehen zu können. Bei entsprechender Persönlichkeitsstruktur und, durch diese Maßnahmen erhaltener, entwicklungspolitischer und strategischer Fach- und Sozialkompetenz auf dem neuesten Stand. Ähnlich eines Managementstudiums, das durch entsprechende nachhaltige Programme vor Ort flankiert wird. Man könnte so auch die berechtigten Zukunftsängste von Entwicklungshelfern lindern, die häufig von Projektstelle zu Projektstelle hetzen müssen, weil sie "sonst keiner mehr nimmt"; um dann auf der neuen Stelle entsprechend unbedarft, mit strategischem Halbwissen aus "Review-Seminaren" aber großer "Vor-Ort-Erfahrung" und "aktionsplangestützt" weiter zu machen. Entwicklungshilfe braucht echte Profis auf allen Ebenen, insbesondere vor Ort, wo es auf die Strategieumsetzung ankommt.

Mit einer gründlichen Qualifizierung und Personalauswahl von Fach- und Führungskräften würde man nicht nur den Entwicklungshelfern helfen, deren Arbeit und Einsatz im überwiegenden Maße trotz aller Widerstände einen großen Respekt verdient, sondern auch den Afrikanern. Deren Verwunderung oder Resignation ist zu verstehen, wenn jemand etwas über "Dezentralisierung" erzählen soll, dessen einzige Qualifikation aber darin besteht ein paar Praktika in Entwicklungsländern, unter dem Applaus der Familie die Universität absolviert zu haben und genauso schnell wieder geht, wie er oder sie gekommen ist - ohne Verantwortung für das "danach" übernehmen zu müssen. Dass man vor Ort ist, weil eine Regierung darum gebeten hat, wird allzu oft vergessen oder steigt einem zu Kopf, so dass man schnell zu einem der eingangs erwähnten drei Typen abrutscht, wenn noch schlechte Koordination und unklare Verantwortlichkeiten bzw. mangelndes Verantwortungsbewußtsein vor Ort hinzukommen. Die oftmals gefundene Gleichung, dass ein Ethnologe, Ingenieur oder Volkswirt, gerne auch mit "mindestens drei Jahren Berufserfahrung", ein guter Entwicklungshelfer sein kann, der "den Rest on the job" vor Ort mit ein paar Trainings lernt oder gelernt hat, ist haarsträubend. Den grade auf diesen "Rest" kommt es an. Man mag diesen "Rest" durchaus auch im Beruf lernen können, jedoch verbleibt der Entwicklungshilfe insgesamt zu wenig Zeit, um auch noch vermeidbare Fehler durch solche Lernprozesse, neben den eigentlichen Problemen des Einsatzlandes, zu lösen oder zu vermeiden.

Viel Geld, das in Afrika im Rahmen einer "Budgethilfe" jeden Tag versickert, ist in Deutschland in einer entsprechend langen Ausbildung VOR jeder entwicklungspolitischen Tätigkeit in einem Einsatzland und mit qualifizierenden Abschlüssen, die ihren Titel verdienen, besser aufgehoben. Wenn die Entwicklungshilfe wirklich so wichtig ist wie oft postuliert wird, dann sollte man an den durchführenden Menschen als letztes sparen. Entwicklungshilfe ist an Menschen gebunden und jede Strategie nur so gut, wie die, die sie umsetzen und leben sollen. Das diplomatische Corps legt viel Wert auf die Ausbildung angehender Diplomaten. Warum nicht auch die Entwicklungshilfe?

3) Erfolg, Misserfolg und Mitteleffizienz

Es ist keine These, sondern in volks- und betriebswirtschaftlichen Studien belegt: Anreizsysteme sind die am schwersten zu kontrollierenden Systeme überhaupt und a priori zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht gewissenhaft entworfen, genau kontrolliert und gepflegt werden. Erfolg und Misserfolg liegen hier sehr nahe zusammen. Hat die Entwicklungshilfe dafür Zeit und Ressourcen? Die Entwicklungshilfe sollte mit ähnlichem Experimenten brechen und nicht die gleichen schlechten Erfahrungen wiederholen, die schon Unternehmen und Volkswirtschaften mit Anreizsystemen in der Hoffnung der Erfolgssteigerung gemacht haben und täglich machen.

Es zählt die Verantwortung, die auch der Bonner Aufruf fordert. Man sollte allerdings, das zeigen Erfahrungen aus der Wirtschaft, weitergehen und die direkte Ergebnisverantwortung, die mit entsprechenden Zielvorgaben (und nicht "Aktionsplänen"), disziplinarischen Maßnahmen und enger Kontrolle verbunden ist, verlangen. Eins wird an der heutigen Entwicklungshilfe deutlich, nämlich dass, insbesondere in Bezug auf die Strategie, konsequenzloses Agieren von Personen und Organisationen vor Ort auf die Arbeitsergebnisse Einfluss nimmt. Anders sind die oft beschriebenen kaputten Strassen, Schneepflüge in Angola oder Dezentralisierungsmaßnahmen, die schlussendlich an der Korruption oder dem Unwillen der Beteiligten scheitern, nicht zu erklären. Die vielgeforderte Evaluation, die die Entwicklungshilfe nötig hat, ist nutzlos, wenn nicht entsprechende Verantwortlichkeiten und Kompetenzen damit verbunden sind. Ansonsten beschleunigt Evaluation nur den aktuellen Umstand, dass EH-Organisationen oder Personen sich schon so lange selbst durch schlechte Projekte diskreditieren müssen, damit man beginnt darüber nachzudenken, ob mit diesen Beteiligten weiter zusammengearbeitet werden sollte. Dann ist aber schon größerer Schaden entstanden.

Als Alternative könnten EH-Organisationen in Erwägung ziehen, in der Wirtschaft bewährte "Führungssysteme" zu etablieren, bei denen in abgewandelter Form Projektleiter, Technical Assistants oder Direktoren entsprechend schnell noch vor Ort sanktioniert oder freigesetzt werden können wenn Projekte nicht die vorher persönlich vereinbarten Ziele erreichen. Umgekehrt muss Entwicklungshelfern eingeräumt werden, bei Problemen in der Zielerreichung ein Problem selbst eskalieren zu können - im Zweifel so weit, dass die höchste koordinierende Stelle vor Ort oder in Deutschland sich dem Thema annehmen und Entscheidungen treffen muss, die die Probleme abstellt. Im Zweifel bis zur Beendigung des Projekts und einer Neuorientierung, die nicht zu Lasten des einzelnen Entwicklungshelfers geht.

Desweiteren: Für jedes Wirtschaftsunternehmen besteht die gesetzlich hart geregelte Pflicht, eine Bilanz nach einem klarem Schema zu erstellen. Warum sollte dieses nicht ebenso für Entwicklungshilfeorganisationen gelten? Es ist sicherlich begrüßenswert, wenn EH-Organisationen dazu übergehen, ihre Tätigkeiten in Jahresberichten festzuhalten und darzustellen. Allerdings kommen diese meist über eine Hochglanzbroschüre mit inhaltslosen, beliebig manipulierbaren Zahlen nicht hinaus.

Eine Bilanz stellt den Erfolg eines Unternehmens dar, damit ein sachkundiger Dritter diesen schnell bewerten kann. Ist ein Unternehmen akut oder drohend zahlungsunfähig oder überschuldet ist die Insolvenz erreicht. Mit gesetzlich geregelten Folgen. Sicherlich kann man bei EH-Organisationen nicht mit Zahlungsströmen und Gewinnen argumentieren, jedoch mit dem Erfolg. Es kann überlegt werden, eine spezielle standardisierte Erfolgsrechnung gemessen an den Zielen und Projektvereinbarungen aufzulegen, die allgemeingültig ist. Ähnlich eines punkteorientierten Projekterfolgsmaßstabes, der auf jede Entwicklungsmaßnahme angewandt werden kann. Verbunden mit belastbaren, verständlichen Planzahlen, die einen erstrebenswerten und erreichbaren Zustand beschreiben.

Der eine oder andere mag jetzt einwenden, dass das schwierig sei, man nicht alles standardisiert erfassen könne und die EH viel zu komplex sei. Es geht. Was ist der gemeinsame Nenner der Entwicklungshilfe? Menschen beratend zur Seite zu stehen, um deren Lebensstandard zu erhöhen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich lokal und global mit legalen Mitteln zu behaupten. Diesen angestrebten Erfolg gilt es zu messen ("If you can't measure it, you cannot manage it") UND zu bewerten - bis hin zu jedem Brunnenbau einer einzelnen Organisation. Entwicklungshilfemaßnahmen, die dazu nicht beitragen haben ihre "license to operate" verloren und sollten gesetzlich gezwungen werden ihre Tätigkeit einzustellen. Als faktische "Insolvenz", denn alles andere ist Zeit- und Ressourcenverschwendung. Es gibt genügend Beratungsunternehmen, die erfolgreich in der Wirtschaft tätig sind und rein erfolgsbasierend arbeiten. Warum sollte das nicht auf die EH übertragbar sein? Die Entwicklungshilfe ist genau so komplex, wie unzählige Ministerialreferenten, Durchführungsorganisationen und Beratungsunternehmen, die alle ihre Daseinsberechtigung aus dieser ziehen, sie gestalten. Eine Verweigerungshaltung zeugt nur von einem Selbstrechtfertigungsreflex der verkennt, dass sich trotz 50 Jahren Entwicklungshilfe, davon rund 20 Jahre ohne Ost-/West-Konflikt, wie vom Bonner Aufruf bemängelt, eben gar nichts geändert hat und es nun an der Zeit ist, auch ungewöhnliche Schritte zu gehen.

Afrika kann sich heute, so muss man es sagen, noch nicht einmal selbst aus einer nassen Papiertüte befreien. Trotz aller begrüßenswerten Erfolge der letzten Zeit. Ehemalige Entwicklungsländer in Asien sind Afrika weit voraus. Dieser Umstand verlangt anzuerkennen, dass Entwicklungshilfe zuallererst bei den Ausführenden anfängt. Nur so kann die viel, und zu Recht, verlangte Eigenverantwortung der Regierenden in Afrika auch substantiiert angesprochen und von den Beteiligten akzeptiert werden. Bei aller Korruption und unappetitlichen Personen sind diese, und auch die Geber-Länder, sicherlich intelligent genug dann objektiv bewerten zu können, welcher "Entwicklungsschrott" in Form von Organisationen und Projekten vor Ort tätig ist und mit welchen Konsequenzen. Ist es verwunderlich, wenn zum Beispiel chinesische Unternehmen, gestützt von Staatsvereinbarungen, mittlerweile in vielen Ländern Afrikas herzlich willkommen sind gegen Schürf- oder Bohrrechte Infrastruktur bereitzustellen? Oder sogar ganze Industriegebiete mit Wohnungen und Bürokomplexen (siehe Madagaskar)? Hier sind direkte Ergebnisse zu sehen, die bislang von längerfristiger Natur sind als jeder Brunnenbau oder wohlmeinendes Dezentralisierungstraining. Damit sollen nicht die sicherlich kritisch hinterfragbaren chinesischen Engagements gelobt sondern deutlich gemacht werden, worauf es ankommt: Für jeden Beteiligten überprüfbare nachhaltige Ergebnisse hervorbringen.

Damit können natürlich auch unangenehme Schritte verbunden sein. Im Extremfall sogar bis zur Einstellung der Entwicklungshilfe in Ländern, wo Entwicklungshilfeorganisationen ihre Ziele nicht erreichen können. Doch da sei die Frage erlaubt, was dort überhaupt gemacht wird bzw. ob Entwicklungs- oder besser Katastrophenhilfe angezeigt ist. Nur weil "alle da sind" heißt das nicht, dass auch alles mitgemacht werden muss. Ansonsten ist man wieder bei dem Vergleich mit dem Pferd, von dem man besser abgestiegen wäre: Man stellt fest, dass die anderen auch tote Pferde reiten und erklärt das zum Normalzustand. Insofern hat der Bonner Aufruf Recht, eine klare Durchsetzung der Verantwortlichkeiten zu verlangen. Menschen tendieren dazu, gerne Abstriche in einer weiten, noch nicht konkreten Zukunft hinzunehmen, wenn damit positives in einer konkreten Gegenwart verbunden ist. Dieser Tendenz kann nur durch kluge Planung, Umsetzung und Kontrolle entgegengewirkt werden, mit entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten und verbunden mit einer klaren Darstellung und Kommunikation an alle Beteiligten und Adressaten.

Man mag jetzt einwerfen können, dass viele der hier genannten Aspekte schon mehr oder weniger angegangen werden, jedoch stellt sich die Frage, ob dabei tatsächlich die in 1) erwähnten und in 2) und 3) weiter ausgeführten Erfolgsfaktoren ernsthaft insgesamt beachtet werden und wie werthaltig deren Verfolgung ist. Wenn das Ergebnis der jetzigen Entwicklungshilfebemühungen und -maßnahmen immer noch ertrinkende Afrikaner vor Italien oder kongolesische Rebellen sind, die Frauen und Mädchen bis zur Bewusstlosigkeit vergewaltigen, sind Zweifel angebracht. Wenn manchen diese Ergebnisbeurteilung zu weit geht, wäre die Entwicklungshilfe gut beraten nicht nur über den öffentlich wahrgenommen Anspruch und die eigene Wirklichkeit nachzudenken, sondern sich auch so zu verhalten. Und nicht mit großartigen Strategien aufzuwarten, die scheitern müssen. Bei der Entwicklungshilfe erinnert viel daran, dass man sich zwar zu Recht über jeden neuen Erfolg freut, diese Erfolge aber immer noch zu marginal sind als dass die von der Strategie gewünschten Verbesserungen eintreten. Eine solche Strategie ist realitätsfern, die nur Enttäuschte zurücklässt. So braucht sich die Entwicklungshilfe und deren Akteure keine Sorgen zu machen, durch Bonner Aufrufe pauschal als untauglich abgestempelt zu werden. In der jetzigen Form, deren strukturelle und strategische Mängel in nur ausgewählten Teilbereichen auch langjährig interessierten Dritten wie dem Verfasser auffallen, ist sie es offenbar.