"Auf der anderen Seite der Theke" oder :
Betrachtungen zum Stand des Dezentralisierungsprozesses in der Republik Benin,
angestellt von einem ehemaligen Mitarbeiter des reformführenden Innenministeriums, jetzt Bürger einer der neuen Kommunen
Vorbemerkung :
Zur Erinnerung : Soweit erkennbar, herrscht in der "Dezentralisierungswelt" Konsensus darüber, dass die Organisationsparameter einer dezentralisierten Territorialverwaltung mit sich selbstverwaltenden Gemeinden an der Basis universell gültig und "verbindlich" sind für alle Staats- und Verwaltungs-kulturen der Welt mit dem Willen zu solcher Reform, auch die afrikanischen. Ousmane Sy, der Vater der Dezentralisierung in Mali formuliert es eindrucksvoller (in seinem Buch : "Vorwärts Afrika - Plädoyer für einen Wandel von unten", dem auch alle nachfolgenden Zitate entnommen sind) : "Heute muss die Dezentralisierung als institutionelle Antwort verstanden werden, die … eine Einheit herbeiführen wird, die sich auf die Vielfalt stützt und sie dadurch stärkt. Daher bin ich überzeugt, dass die Dezentralisierung der Erwartung aller Völker der Welt entspricht, die unter Respektierung ihrer Unterschiede zusammenleben wollen, auch wenn jeder seiner Kultur, seinem Pantheon, seinem Referenzrahmen folgt." Entsprechend dieser Philosophie sind die Entscheidungen über die Ausgestaltung der Dezentralisation eines Landes zu treffen. Deren wichtigste beziehen sich üblicherweise auf :
-- die Ebenen der zu dezentralisierenden Verwaltungen (Gemeinden, Kreise, Departements,
Regionen) ;
-- die Mechanismen der Legitimation der dezentralisierten Ebenen ;
-- das Kommunalfinanzsystem ;
-- das Zusammenspiel zwischen Dezentralisation und Dekonzentration.
Die Grundzüge der dezentralisierten Territorialverwaltung Benins :
Auch die Republik Benin hatte für Konzeption, Vorbereitung und Durchführung ihrer "Réforme de l'Administration Territoriale, RAT" solche Grundentscheidungen zu treffen. Dabei kam ihr ein ziemlich entscheidender Vorteil zugute : die überschaubare geographische, institutionelle und politische Vorgeschichte der Gebietsverwaltungssysteme des Landes, die bis auf die Zeit vor der Unabhängigkeit zurückgehen. Auf diesen Systemen basieren die Grundlinien der RAT in Benin, in diese hat das Land die Elemente seiner Dezentralisierung eingebaut. Deren Grundpfeiler sind, summarisch zusammengefasst, folgende :
̶ Es gibt nur eine einzige Ebene der Dezentralisierung : die Gemeinde. Diese ist der institutionelle Nachfolger und gebietsmässig identisch mit den vorexistierenden staatlichen unteren Verwaltungsbezirken (Sous-Préfectures). Der entscheidende Unterschied und Reformkern : Diese Bezirke wurden zu per Kommunalwahlen legitimierten Selbstverwaltungskörperschaften erhoben, 77 an der Zahl. Gewählt werden : Der Conseil communal (Gemeinderat), der Maire und seine Adjoints innerhalb des Gemeinderats, Räte und Chefs der Stadtviertel und Dörfer (es handelt sich um Flächengemeinden mit einem Agglomerationskern und vielen Dörfern).
̶ Es gibt nur eine einzige Ebene der Dekonzentration : Das Département, mit einem Préfet als einzige (zwischen Zentralstaat und Gemeinden) dekonzentrierte Kommunalaufsichtsinstanz.
Das Département ist auch die Ebene der dekonzentrierten Dienste der Sektorministerien.
Der vorerwähnte Vorteil war zunächst nicht das Verdienst des Landes. Allerdings war es sehr wohl ein Zeichen politischer Weisheit, diese Vorgegebenheiten der Gebietsverwaltungsorganisation nicht verworfen, sondern dazu genutzt zu haben, eine pragmatische Dezentralisierung mit realistischen Umsetzungschancen zu konzipieren, indem vorbestehende staatliche Verwaltungseinheiten zu selbstverwalteten, durch Wahlen legitimierte Kommunen erhoben wurden. Immenser Vorteil dieser Situation : Das vermutlich delikateste und "politischste" Kernstück jeder Dezentralisierung und Einrichtung von Gemeinden, die Definition des Gemeindegebiets, entfiel bei der Reform in Benin
(… und konnte im wesentlich komplizierteren Falle Malis und seiner Dezentralisierungs- und Kommunalaufbaupolitik nur dank des meisterlichen Reformmanagements von Ousmane Sy gelingen). Auch konnten die neuen Gemeinden von Erfahrungen in Verwaltung und Organisation der kommunalen Vorgängerinstitution "Sous-Préfecture" (z.B. in der von diesen bereits gehandhabten Budgetisierungspraxis) profitieren. Wichtiger weiterer Startvorteil : Das vorhandene Personal. Allerdings, dessen Umpolung von der altgewohnten Tradition einer Kommandoverwaltung (oder "Besatzungsverwaltung", wie es Ousmane Sy nennt) auf eine Attitude dem lokalen Gemeinwohl (und nicht nur dem privaten) verpflichteten Kommunalbeamtentums bleibt ein hartes Stück Reformdurchführungsarbeit.
Kritik an solcherart "zu kurz gesprungener" (da nicht und sofort auch auf andere Ebenen, etwa die Départements, ausgedehnter) Dezentralisierungspolitik des Landes blieb nicht aus. Dennoch : Die gewählte Konzeption ist gemessen an universellen Dezentralisierungsprinzipien wie auch an der nationalen Verfassung unangreifbar.
Die Vorteile und Unterschiede der oben skizzierten RAT Benins zu anderen sich dezentralisiert habenden Ländern des frankophonen Westafrikas, vor allem zur vorgenannten Republik Mali, sind evident. Die entscheidendsten darunter : Begrenzte Anzahl der neu zu schaffenden Gemeinden, limitierte, vordefinierte Gemeindegebiete, die zu dezentralisieren und durch Wahlen zu legitimieren waren. Dekonzentration der staatlichen Verwaltung nur in einem Schritt : von der Zentralregierung zur Departementsverwaltung. Das alles ergab eine relativ einfache, nur dreistufige Konstruktion der neuen Gebietsverwaltungsorganisation (1. Sous-Préfecture umgewandelt zur und legitimiert als selbstverwaltete Gemeinde ; 2. Departement ; 3. Zentralregierung).
Nun, wieweit ist man mit der Umsetzung des Ganzen zum heutigen Zeitpunkt, nach Ablauf der ersten Mandatur (Gemeindewahlperiode, von 2003 bis 2008), und von fast vier Fünftel der zweiten (von 2008 bis Ende 2012 ? Und wichtiger noch : Wieweit hat sich die Lage der Bevölkerung, d.h. der 74 Gemeinden (77 minus die drei Grosskommunen Cotonou, Parakou, Porto-Novo) erkennbar
gebessert ? Es kann bei diesen Kommunen durchweg von ländlicher Bevölkerung gesprochen werden. Zwar gibt es in jeder Gemeinde eine eher urbane Agglomeration mit dem Sitz der Kommunalverwaltung. Diese ist aber vom rein ländlichen übrigen (Flächen-)Gemeindegebiet nicht zu trennen.
Die Meilensteine der bisherigen Umsetzung der Dezentralisierungsgesetze und ihrer Durchführungstexte :
-- Zwei Kommunalwahlen ziemlich korrekt durchgeführt.
-- Kommunen sind eingerichtet, Aufbau- und Ablauforganisation bestehen.
-- Ein Kommunalfinanzsystem ist eingerichtet und an die Selbstverwaltung der Gemeinden
angepasst.
-- Ein kommunaler Investitions- und Finanzausgleichsfonds existiert und funktioniert passabel.
Hindernisse für die praktische Umsetzung der Dezentralisierungsgesetze und ihrer Durchführungstexte :
Die klassischen :
Auch für Bénin und trotz seiner angepasst-pragmatischen Reform gilt die ebenso banale wie richtige Erkenntnis : "Die "Mutter aller Umsetzungsprobleme" von Dezentralisierung und Gemeindeaufbau ist und bleibt - ganz nach Ousmane Sy und anderen seriösen Beobachtern - die Angst des Zentralstaates vor Verlust von Zuständigkeiten, Macht und Mittelzugang. Es ist diese Angst, die den entsprechenden politischen Reformwillen lähmt und allenfalls unter Druck von aussen allmählich und irgendwann richtig zum Tragen bringt. Die derzeit negativsten Folgen dieses Phänomens für die in der Umsetzung befindliche Gebietsverwaltungsreform des Landes Benin sind :
(i) Andauernder Verzug in der tatsächlichen Übertragung der den Gemeinden gesetzlich zustehenden Kompetenzen und, vor allem, in den gesetzlich fixierten staatlichen Transferleistungen zu deren Finanzierung.
(ii) Restriktive, kaum vorauszukalkulierende Handhabung der allgemeinen Transferleistungen des Staates an die Gemeinden ; es gibt z.B. immer noch keinen gesetzlich fixierten Prozentsatz am BNP (etwa nach dem Vorbild Ghanas).
(iii) Kein Ersatz für wegfallenden Gemeindeanteil an Verbundsteuern.
(iv) Bisher vollständige Blockade der qua Gemeindeorganisationsgesetz vorgeschriebenen Verwaltungsdekonzentration. Erläuterung hierzu : Die beninischen Sektorministerien besitzen auf Départementsebene regionale Antennen für ihre Dienste (sog. Directions départementales de la Santé, … de l'Education, … des Travaux Publics, etc.). Die gesetzlich und theoretisch-politisch gewollte Aufgabenstellung dieser Strukturen im Rahmen der Dezentralisation besteht in der Beratung und technischen (natürlich honorarpflichtigen) Assistenz der Kommunen ihres Bezirks bei der Wahrnehmung der auf sie übertragenen Kompetenzen. Dies gilt für alle kommunalen Infrastruktur-Aufgaben die technisch-administratives know-how und Personal erfordern, z.B. für Gesundheit, Erziehung, Wegebau, Wasserversorung, etc. Eine sehr vernünftige Lösung, angesichts der unvernünftigen und unrealistischen Alternative, auf der kommunalen Ebene eigene technische und Managementkompetenzen aufzubauen. Was ist geschehen seit Gründung der Gemeinden Anfang 2003 ? Fehlanzeige komplett ! Die dekonzentrierten Dienste weigern sich, ihre neue Rolle zu akzeptieren. Sollten sie das doch irgendwann, haben sie kein Geld für die den Kommunen anzubietenden Dienstleistungen (auch der kleinste Wasserhahn muss beim Fachministerium in Cotonou beantragt werden) : Die zentralen Sektorministerien weisen ihren dekonzentrierten Dépendancen keinerlei Budget zu. Das für ihren Betrieb erforderliche Geld existiert, wird aber in der Zentrale budgetiert …. und meist bestimmungswidrig ausgegeben. Dieses Verhalten, weiterhin geübt, ist eine Killer-Annahme dafür, dass die grosse Mehrheit der Kommunen jemals die ihren Bürgern geschuldeten Dienstleistungen, auch nur im Ansatz, erbringen können.
(v) Fortführung eines schon in der Vorreformzeit praktizierten (gegenüber den schon damals budgetisierenden Sous-Préfectures) Verhaltens des "Trésor Public" (Staatskasse) als "unfreundlicher Bankier". Erklärung hierzu : Benin hat für seine Gemeindefinanzordnung das französische Prinzip der "Unité de caisse" übernommen. Diesem Prinzip zufolge gibt es für die Nation nur eine einzige öffentliche Kasse, den Trésor Public, der die Gesamtheit der öffentlichen Ein- und Ausgaben des Landes verwaltet, auch die der Gemeinden. Diese halten dort ihr eigenes Konto, das der Trésor Public als ehrlicher Bankier zu führen hat (was in Frankreich auch geschieht, mit dem grossen Vorteil für die Gemeinden, zum Beispiel über Kassenkredite verfügen zu können, eine Möglichkeit, die etwa deutsche Gemeinden nicht haben). Nun klemmt in Benin gerade hier das System, und zwar zu einem - aller Verbesserung der materiellen kommunalen Finanzsituation zum Trotz - die lokale Entwicklung stark gefährdenden Grad : Der - staatliche - der Kommune zugeordnete und deren Konto führende "Receveur-Recepteur" weigert sich des Öfteren, Zahlungsanweisungen des seine Mittel bewirtschaftenden Bürgermeisters durchzuführen, trotz auf dem Gemeindekonto vorhandener Deckung. Dies ist absolut gesetzeswidrig. Doch, so heisst es meist, müsse er erst Ausgaben für den Staat honorieren, z.B. die Pensionen der in der Gemeinde lebenden Ruhestandsbeamten oder das Benzin für den Präfekten oder …. oder…. . ; klarer Fall zentralstaatlich organisierter Veruntreuung kommunaler Gelder.
Hindernisse, deren Ursprünge im allgemein immer noch schwach entwickelten politischen Reformwillen, aber auch in der Konfusion von lokaler und nationaler Politik liegen :
Einige Beispiele :
(i) Ungelöste Situation des Gemeindepersonals :
Fortbestehende Vermischung von Personal der Gemeindeverwaltung mit der des Zentral- und dekonzentrierten Staates / Verschleppung des Gesetzes über ein Personalstatut mit der Folge weitgehender Schlecht- und Ungleichbehandlung und damit Demotivation des kommunalen Personals.
(ii) Systematische Hinderung - durch die Zentralregierung - der Präfekten an der konsequenten Ausübung ihrer Kommunalaufsichtsbefugnisse, besser : Nichtausübung derselben in vorauseilendem politischem Gehorsam ; denn ein Präfekt wird hierzulande - gesetzeswidrig - von vornherein nicht zu Kontrolle und Promotion "seiner" Gemeinden eingesetzt, sondern nach Kriterien der nationalen Politik und der Durchsetzung derselben vor Ort, und sei's zum offensichtlichen Nachteil der Gemeinden. In dieser Praxis liegt der Keim des Scheiterns der gesamten Reform, denn : Ohne starke, kompetente Wahrnehmung der Aufsicht und auch der Assistenzpflichten des Präfekten gegenüber natürlicherweise noch unerfahrenen, personell unterbesetzten, mit allerhand Startschwierigkeiten kämpfenden Kommunen, sind diese zu nachhaltiger Misswirtschaft geradezu eingeladen.
(iii) Systematische Vermischung von nationaler mit lokaler Politik bei unangreifbarer Dominanz von ersterer :
Die Gemeinden als neuer Raum oder Forum für Kommunalpolitik bieten aber auch neue Politikmissbrauchsräume. Es gilt die Maxime, frei nach Orwell's "Farm der Tiere" : "Alle Politiken, die nationalen und kommunalen - regionale gibt es in Benin noch nicht - sind gleich, die nationale jedoch ist gleicher als gleich". Im Klartext : Kommunalpolitik, die sich - vor allen nationalpolitischen Erwägungen - prioritär an den Bedürfnissen der lokalen Entwicklung und, vor allem, denen der Gemeindebürger orientiert, findet im Lande noch nicht statt, ausgenommen einige wenige Fälle couragierter Bürgermeister. Die gibt es! Doch sonst legt sich nationale Politik über alles, was an lokalpolitischen Initiativen aufzukommen versucht. Das fängt an bei der Listenaufstellung zur Kommunalwahl (die Möglichkeit freier Listen besteht, ist aber ohne praktische Bedeutung) und geht weiter über die selektive - je nach Affinität zum präsidialen politischen Lager - Einleitung. aufsichtsrechtlicher Massnahmen gegen misswirtschaftende oder/und korrupte Bürgermeister.
Besonders beliebt ist die Übung der Zentralverwaltung, Realisierungen, die von der Gemeinde in ihrer eigenen Kompetenz verantwortet worden sind, vom Staatspräsidenten selbst oder seinen Ministern mit grossem Pomp und den Ruhm für sich reklamierend einweihen zu lassen. Dies mag als Detail erscheinen, ist aber, ganz im Gegenteil, von grosser demotivierender Wirkung für Bürgermeister und Kommunalverwaltung ; schlimmer noch : es beschädigt, in den Augen der Bürger, die Autorität von beiden, und verwirrt das Volk bei der Beantwortung der Frage, wer denn nun für die Lokalentwicklung zuständig ist und wozu die Gemeinde überhaupt da ist. Solche Phänomene machen so manche Bemühungen (des Staates, meist aber der Kooperation und der NRO) zunichte, die Dezentralisierung, die Rolle der Gemeinden und die Nützlichkeit einer guten Kommunalverwaltung (vulgo : Bonne Gouvernance Locale) den Bürgern näherzubringen.
Aber auch : Trotz Hindernissen gibt es Beispiele konkreter Fortschritte in der Reformdurchführung und der Situation der Gemeinden :
Stellvertretend für die Dezentralisierungsgewinne sei hier nur einer, der entscheidende, genannt :
Die Einnahmeseite der Gemeindefinanzen hat sich seit Bildung der Gemeinden in 2003 dramatisch verbessert. Nimmt man als Ausgangsbasis die Budgetsituation der institutionellen Vorgängerinstitution, der Sous-Préfecture, so hat sich diese im Durchschnitt aller 77 Kommunen etwa verzehnfacht. Die wesentlichen Gründe : Verbesserte Anwendung eines neuen Systems der den Gemeinden als Eigeneinnahme zustehenden Grundsteuer und deren Eintreibung sowie die Produkte der Gewerbesteuer und einer neugeschaffenen lokalen Entwicklungssteuer. Positive Auswirkungen hat auch das neue System der Zuweisung von Finanzausgleichszahlungen (Funktionszuweisungen und Investitionsfinanzierungen als Subventionen) über einen kommunalen Ausgleichs- und Unterstützungsfonds. Die Einrichtung funktioniert seit zwei Jahren recht gut, da - noch - ganz überwiegend geberfinanziert, deshalb ziemlich wirksam kontrolliert und vor Mittelfehlleitungen geschützt. Generell hat sich durch diese Möglichkeiten der Handlungsspielraum für kommunale Investitionen erheblich erhöht.
Die Wirkungen der Reform für die Gemeindebürger -- Was ist angekommen bei der Bevölkerung ?
Die Antwort auf die Frage : Was kommt beim Gemeindebürger an? hängt zunächst vom Grad der gesetzeskonform ausgeübten Kommunalverwaltung ab. Dazu bietet die Gestaltung der RAT und die bisherige Praxis ihrer Umsetzung den Gemeinden in Benin durchaus die geeigneten Instrumente und kommunalpolitischen Möglichkeiten (wenn das Ganze denn die Nationalpolitik nicht behindert). Die Gemeinden haben auch schon jetzt die finanziellen Mittel zur Versorgung der Bürger mit korrekten Dienstleistungen und Investitionen. Allerdings : Sie haben, für wichtige Dienste, nicht die technischen und Managementkompetenzen. Die brauchen sie auch nicht, sondern können sie delegieren, u.a. auf staatliche dekonzentrierte Strukturen (die aber nicht funktionieren ; s. dazu oben). Für einige der wichtigsten Dienste werden nachstehende Fallbeispiele gebracht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und nur zur Veranschaulichung des Grades der Reformumsetzung und der dabei für den Bürger spürbaren Wirkungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Umsetzung der Reform und der Eintritt von Verbesserungen oder Nicht-Verbesserungen kommunaler Dienstleistungen nicht landeseinheitlich, sondern je nach Gemeinde sehr unterschiedlich sein kann :
(i) Förderung der lokalen Wirtschaft :
Hier hat sich in den neuen Gemeinden Einiges getan, etwa in Form der Gründung von Entwicklungsagenturen in verschiedener Form, an die der gemeindliche Dienst für die Promotion der lokalen Wirtschaft die Durchführung konkreter Förderungsaktivitäten delegiert. Solche Agenturen sind sicher eine sachlich angepasste Lösung. Die Struktur muss nur mit Leben (d.h. in erster Linie mit kompetentem und motiviertem Personal) gefüllt werden. Anderes gilt, wenn nach der in Benin (nicht nur bei der Regierung, sondern auch unter den verschiedenen Kooperationen!) beliebten Devise gehandelt wird : Struktur gebildet - Problem gelöst. Hier wird eher Politschau betrieben, die dazu dient, die Gründung einer Organisation, Institution oder ähnlichem schon als aktive Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung zu verkaufen. So geschehen jüngst durch die unter grosser medialer Begleitung aus der Taufe gehobene "Dezentralisierte Partnerschaft für Beschäftigung", die in jeder Gemeinde einen Stützpunkt für Beschäftigungsförderung vorsieht. Über Aufgabenbeschreibung, Wirkungsmöglichkeit oder Realisierungschancen dieser Strukturen konnte Näheres nicht in Erfahrung gebracht werden. Sie bleiben nach aller Erfahrung hypothetisch.
Allerdings, es gibt sehr wohl und sehr viele Kommunen, die reale Investitionen tätigen mit konkret-positiver Wirkung auf die lokale Wirtschaft und die wirtschaftliche Betätigung der Bevölkerung, allem voran die Investitionen in Konstruktion und Ausbau kommunaler Märkte und Autohöfe. Diese generieren substantielle Einkünfte für Kommunen und Gewerbetreibende. Sie sind der sichtbarste Ausdruck der Möglichkeiten kommunaler Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Förderung von lokaler Entwicklung und Wirtschaft.
(ii) Kommunaler Strassen- und Wegebau :
Es scheint hier zunächst um ein rein technisches Detail zu gehen und darum, zu unterscheiden zwischen Strassen- und Wegenetz in der Agglomeration einer Kommune und dem enormen übrigen, zutiefst ländlichen, Gemeindegebiet. Tatsächlich aber steht hier ein grundsätzlicher Entwicklungsfaktor zur Debatte, die Transportinfrastruktur einer sich über grosse Flächen erstreckenden Gemeinde.
Zu ersterem Komplex, dem Wegenetz der Agglomeration : Hier ist die Bandbreite gross zwischen Gemeinden einerseits, die ihre Kompetenzen und die bestehenden Finanzierungsmöglichkeiten nutzen zu Ausbau und Rehabilitierung ihrer Wege, und, andererseits, Gemeinden, die dem rapide zunehmenden Verfall der Netze tatenlos zusehen, ohne jede Initiative ihres Bürgermeisters (auf den allein kommt es an). Der Verfasser dieses Vermerks hatte und hat Gelegenheit, beide Varianten der Auffassung von Verantwortung dieses Amtes in situ zu beobachten, besonders deren Folgen für die Bevölkerung : Als Bürger einer Gemeinde mit verantwortungs- und initiativloser Führung musste er die besonders in der Regenzeit gravierenden Konsequenzen solcher Haltung miterleben, auch am eigenen Leib : Massive Beeinträchtigung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens durch eingeschränkte, zeitweilig völlig blockierte Mobilität der Bürger ; signifikant steigende Unfallhäufigkeit (vorwiegend für Motorräder, dem Rückgrat jedes gemeindlichen Personentransports in Benin) mit ebenso steigender Zahl tödlicher Ausgänge (dank unterspülter, metertief eingebrochener, nie gewarteter und unbeleuchteter Pisten). Und nun der Gegenentwurf : eine Nachbargemeinde, in Grösse, Fläche und Mittelzugang vergleichbar mit der Erstgenannten, jedoch gesegnet mit einem dynamischen, jede der zahlreichen Finanzierungsgelegenheiten auslotenden und nutzenden Bürgermeister. Die Folgen dieser Situation sind evident und zeigen das genaue Gegenteil der vorerwähnten Konsequenzen einer "Bad Local Governance".
Zum zweiten Komplex, dem ländlichen Wegenetz : Es sei an eine Binsenwahrheit erinnert, die jede seriöse und ins Konkrete gehende Entwicklungsdebatte bestimmt oder bestimmen sollte : Die Tatsache, dass wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes (und natürlich von Gemeinden mit grosser Fläche wie die beninischen) nur stattfinden kann, wenn dem Ausbau und der Wartung eines Strassen- und Wegenetzes erste Priorität eingeräumt wird. Ganz besonders gilt das für die ländliche Entwicklung : Keine Verbesserung landwirtschaftlicher Produktion (und der Lage der Produzenten), wenn diese nicht oder nur zu unvertretbaren Kosten zu ihren Absatzmärkten kommen kann. Diese Grunderkenntnis hat sich in der Mehrheit der neuen beninischen Gemeinden offenbar noch nicht in eine greif- und nutzbare Verbesserung der ländlichen Wegenetze umgesetzt. Es gibt zwar Wegebauprogramme für den ländlichen Bereich ; die gehen aber meist nicht von kommunalen Initiativen aus, sondern sind "gebergetrieben". Die meisten Gemeinden besitzen ein fruchtbares Umland, das den Anbau von in den "Städten" nachgefragten Nahrungsmitteln erlaubt. Nur, sie schaffen es nicht, dieses Umland strukturell so zu entwickeln, dass Obst, Gemüse und Konsorten auch wirklich in die "Stadt" kommen. Deshalb wird erst gar nicht ausreichend angebaut. So müssen sich etwa die Bürger der oben als Negativbeispiel angeführten Gemeinde (die ein fruchtbares Umfeld besitzt), ihre Tomaten, Zwiebeln, etc. häufig aus den Nachbarländern Togo und Burkina Faso besorgen! Diese Lagebeurteilung ist hart, sicher auch voreilig, gemessen an der relativ kurzen Existenz der Gemeinden. Sie wird dennoch so formuliert, da eine Besserung der Lage nur dann eintreten kann, wenn eines der oben genannten Grunddefizite, die fehlende Zusammenarbeit zwischen Gemeinden als Bauträger und dekonzentrierten staatlichen Diensten (hier der "Directions Départementales des Travaux Publics") als Berater und Ausführende, ausgeräumt sein wird. Nur dann kann die Abhängigkeit von der internationalen Entwicklungszusammenarbeit durch Wahrnehmung der eigenen (kommunalen wie staatlichen) Kompetenzen irgendwann einmal enden.
(iii) Verbesserung der Dienstleistungen, welche die Gemeinde ihren Bürgern zu erbringen hat :
Der Gemeindeverwaltung obliegt, neben den technischen Aufgaben der Daseinsvorsorge, auch die Leistung einer Vielfalt von weiteren Diensten an ihre Bürger, sei es im eigenen Wirkungskreis (z.B. Dienstleistungen sozialer, kultureller, planungstechnischer, wirtschaftsfördernder, etc. Natur), sei es im übertragenen (der sog. Auftragsverwaltung, darunter der für die Bevölkerung wichtigste Aufgabenbereich des Personenstandswesens, Etat civil). Die ganz entscheidende Grundvoraussetzung dafür, dass diese Leistungen wirksam und bürgerfreundlich erbracht werden, ist die Verfügbarkeit von Personal, das nach Zahl, Ausbildungsqualität und Motivation den Anforderungen entspricht. Hier hapert es gewaltig.
Die Gemeinden mussten ein Personal übernehmen, das eine Art Mitarbeiter-Patchwork darstellte, bestehend aus freigestellten Staatsbeamten, örtlichen Beamten ohne jegliches Statut, Angestellten mit Arbeitsverträgen, Tagelöhnern. Seit Übernahme des Personals hat sich an dieser Situation nichts geändert. Ein die Lage klärendes Kommunalbeamtengesetz ist nicht in Sicht. Der Qualifikationsstand der Mitarbeiter entspricht ihrer arbeitsrechtlichen Lage : chaotisch und unzureichend. Es liegt auf der Hand, dass solche Umstände kaum einen Mitarbeiter (die vom Staat delegierten und bezahlten Beamten vielleicht ausgenommen) dazu motivieren, seine Dienste so zu verstehen und zu erbringen, wie es ihm die neue Gemeindeorganisation ermöglicht, nämlich bürger- und bedarfsorientiert. Es bleibt demnach festzuhalten, dass die Dezentralisierung mit dem Aufbau sich selbst verwaltender und durch Wahlen legitimierter Gemeinden noch keine für den Bürger spürbare Verbesserung im Vergleich zur "Besatzungsverwaltung" der Vorgängerinstitution "Sous-Préfecture" gebracht hat. Die schlechte Personalsituation ist dafür der Hauptgrund. Bevor diese nicht geklärt ist, vornehmlich in den Punkten Arbeitsrecht, Ausbildung, aber auch Führungsmethoden der Bürgermeister, sind Fortschritte nicht zu erwarten.
(iv) Verbesserung der sonstigen Infrastruktur :
Beispiel Wasser und Strom : Die Zuständigkeit für diese Leistungen der Daseinsvorsorge liegt zwar bei den Gemeinden ; die aber müssen sich für die technische Leistungserbringung der lokalen Antennen der Versorgungsbetriebe für Wasser und Elektrizität bedienen. Das Dumme dabei : Beide Versorger sind Staatsbetriebe und zählen zu den Champions in den Disziplinen Korruption und Misswirtschaft. Druckmittel zur Verbesserung dieser Lage besitzen die Bürgermeister kaum, wenn sie denn politisch überhaupt wollten.
(v) Schlecht sieht es in den zwei zum Über- und Besser-Leben der Gemeindebevölkerung sowie für jegliche Entwicklung überhaupt wichtigsten Dienstleistungssektoren aus : Gesundheit und Ausbildung. Die Zuständigkeiten hierfür sind geteilt : Die Gemeinden besitzen, immerhin, die Kompetenz für bauliche und ähnliche Infrastrukturmassnahmen (und haben Anspruch auf entsprechende staatliche Finanzzuweisungen, …. die nicht kommen) ; die weit wichtigere Zuständigkeit aber, nämlich diejenige, die Verfügbarkeit professionellen Personals in genügender Zahl und Qualität zu garantieren, verblieb beim Staat (im Grunde auch richtig, die Gemeinden selbst würden das nie schultern können). Der jedoch setzt seine traditionelle "Bad Governance" im Gesundheits- und Ausbildungswesen unverändert fort. Den Gemeindebürgern, und zwar allen, den städtischen und ländlichen, hat die Dezentralisierung für ihre Gesundheit und Bildung also nichts gebracht. Besserung, auch mittelfristig, ist nicht in Sicht. Die Reform verpufft.
Fazit der vorstehenden Einzelbetrachtungen über die beninische Gebietsverwaltungsreform (Dezentralisierung - Dekonzentration) und ihren bisherigen Nutzen für die Bevölkerung :
Vorstehende Betrachtungen mögen den Eindruck einer allzu pessimistischen Bewertung der Zielerreichungschancen der Reform erwecken. Dieser Eindruck ist zu relativieren. Zwar könnten die aufgeführten - in der Mehrzahl negativen - Einzelbeispiele zu einem solchen Schluss verleiten ; das Gesamtbild aber des derzeitigen Umsetzungsstandes in den Reformbereichen : Dezentralisierung, Dekonzentration und Gemeindeaufbau, extrapoliert in die langfristige Zukunft, liefert durchaus Anhaltspunkte für Optimismus. Ein solcher Punkt betrifft, das mag erstaunen, das Phänomen der Korruption : Dezentralisierung der Territorialverwaltung, so eine der finsteren Prognosen, sei nichts anderes als Dezentralisierung der Korruption. Ganz richtig und zunächst : die Prognose trat wie erwartet, gewissermassen natürlicherweise, ein. Ständig wurden und werden Fälle korrupten Verhaltens, besonders auf Bürgermeisterebene, aufgedeckt, sanktioniert oder nicht (je nach politischer Couleur), oder im Dunkeln belassen. Doch das Ganze hat auch einen positiven
Folgeeffekt : Die Fälle werden der Bevölkerung bekannt, viel häufiger und detaillierter als dies in Korruptionsfällen auf Regierungs- und Zentralverwaltungsebene geschehen kann. Interessanter noch und ein Effekt der Tatsache, dass der kommunale Raum einen ungemein fruchtbaren kommunikativen Mikrokosmos bildet : jeder Gemeindebürger ist in der Lage (und er tut das auch, egal, ob Analphabet oder kundiger Leser eines Kommunalbudgets), eine direkte Verbindung herzustellen zwischen Art, Umfang und Modalität der veruntreuten Güter (Geld, Fahrzeuge, Gemeindegrundstücke, um die häufigsten Fälle zu nennen) und dem Schaden für ihn und seine Gemeinde, den solche Missverwaltung seiner Steuern und Beiträge verursacht. Leider folgt diesem Effekt - noch - nicht die "finale" Konsequenz, die allein wirksame Sanktion : die Nicht-Wiederwahl der indelikaten Mandatsträger bei der nächsten Kommunalwahl. Noch hat der Stimmbürger die Möglichkeiten dieses Mittels nicht verinnerlicht, noch versteht er sich, wie in der Vergangenheit, als machtloses Objekt einer unberührbaren "Besatzungsverwaltung".
Ermutigende Perspektiven, was die Erfolgschancen der Reform betrifft, sind durchaus erlaubt. Die erste Voraussetzung dafür ist erfüllt : eine pragmatisch konzipierte Reform, die mit den heute schon
vorhandenen personellen, finanziellen und organisatorischen (wenngleich noch stark verbesserungsbedürftigen) Mitteln ins Werk gesetzt wird und künftig werden kann. Vieles ist schon realisiert, besonders strukturelle und Organisationsmassnahmen. Doch nötig ist auch, bei allem Verständnis für Komplexität und Dauer von Veränderungen sowie die Zeit, die es braucht, bis theoretische Vorgaben zur Praxis werden, eine überschaubare zeitliche Perspektive. Hierzu ein Konkretisierungsvorschlag : das Ende der vierten Kommunalwahlperiode, 2018 ; das ergäbe dann eine Reformumsetzungsdauer von zwanzig Jahren (ab erster Wahl in 2003) ; unbeschadet natürlich der Tatsache, dass die Umsetzung einer Reform ganz allgemein eine permanente, nie endende Geschichte ist.
Weitere Fortschritte in der praktischen Anwendung der beninischen Territorialverwaltungsreform verlangen weitere konsequente Massnahmen. Diese sind zu treffen im unbedingten Respekt aller Bedingungen, welche die Reformgesetze für den Dezentralisierungsprozess sowie für Organisation und Funktionieren der Gemeinden festgelegt haben, zumindest soweit es diejenigen der oben bereits angesprochenen Grundelemente angeht, die als "Geschäftsgrundlage" der Reform gelten können :
-- gesetzliche und organisatorische Klärung der Situation des Gemeindepersonals
-- wirksame Umsetzung der Dekonzentrations-Regeln
-- konsequente, möglichst wenig politisierte Wahrnehmung der Kommunalaufsicht durch die
Präfekten
-- effektive Kompetenzübertragungen an die Gemeinden mit den zugehörigen Finanzzuweisungen
-- korrekte Führung der Gemeindekonten durch den "Trésor Public".
Sollte dies alles erfreulicherweise geschehen, sollte sich gar der politische Wille der Regierung verfestigen dahingehend, die vorstehend spezifizierte "Geschäftsgrundlage" der beninischen Reform nun tatsächlich zu schaffen, bleibt dennoch eine Ungewissheit. Es ist die Frage danach, ob und wieweit diese Reform "von einer technokratischen Dezentralisierung zu einem echten politischen Projekt" (Ousmane Sy) geworden oder dabei ist, es zu werden. Oder anders gefragt, und auf die beidseitigen (Kommunen und Staat) Akteure der Reform bezogen : Haben Bürgermeister und Gemeinderäte verinnerlicht, was die Verpflichtungen, aber auch die Möglichkeiten eines Kommunalpolitikers sind ? Haben die reformverantwortlichen Vertreter des Staates verstanden, dass ihre Rolle nicht mehr im Kommandieren nach unten besteht, sondern in der Kontrolle und begleitenden Assistenz der Gemeinden ? Oder ist es beim alten, immer noch verbreiteten Verständnis eines öffentlichen Amtes, das Mittelzugang und Einflussmöglichkeit bietet, geblieben, karikiert üblicherweise als "Politique du ventre" (Titel eines Buches von Jean-François Bayart : "L'Etat en Afrique - La politique du ventre", 1989) ? Für die meisten gewählten Gemeindevertreter sieht das Bild bisher wenig ermutigend aus, auch wenn die bekannt gewordenen und die zu vermutenden Fälle von Korruption und Misswirtschaft der Bürgermeister (s. oben) nicht pauschal für alle 77 Kommunen Benins zu verallgemeinern sind. Auch sind es nicht nur die strafrechtlich relevanten Verwaltungs-methoden von Bürgermeistern, die ihrer Autorität schaden, bzw. diese gar nicht erst entstehen lassen. Oft verwalten und "führen" sie in weitgehender Isolation von ihrer Bevölkerung und halten keinen Kontakt zum Terrain. Oft sind sie bei der eigenen Bevölkerung unbekannt. Ihr vorzugsweises Wirkungsgebiet sind Seminare, Konferenzen, Auslandsreisen, sachlich nicht gerechtfertigte Dienstreisen in die Hauptstadt, etc. Die Teilnahme daran generiert üppige Spesen, hält sie aber fast permanent von ihrer Gemeinde fern.
Die Ursachen für eine solche Amtsauffassung bleiben zu ergründen. Vielleicht liegen sie an einem "Mangel an früher Erziehung hin zu demokratischen Ideen und Denken fort von Clanbewusstsein, Nepotismus und traditionell organisierten Strukturen" (Artikel von Elke Zahrt : "Dezentralisierung in Mali - große Schilder in kleinen Gärten", 2011). Vielversprechender indes als solche Lektionen von ausserhalb scheint der Ansatz von Ousmane Sy zu sein : Der liegt im Rückbesinnen auf das historische Empire Mali des 13. Jahrhunderts und dort nachweisbare Vorläuferformen dezentralisierter Territorialverwaltung. Auf seinen Sensibilisationsreisen durch's Land (auf denen er auch nach einem Pendant in Landessprache zum Terminus "Dezentralisierung" suchte) stiess Ousmane Sy auf Dorfautoritäten, denen das Dezentralisierungsvorhaben des modernen Mali bekannt vorkam. Es sei nichts anderes als "die Rückkehr der Verwaltung nach Hause". Merkenswert und schön!
Es bliebe zu untersuchen, ob auch für Benin solche Hinweise auf Vorläuferformen der Dezentralisation und historische Vorgängerinstitutionen der heutigen selbstverwalteten Gemeinden zu finden sind. Wie auch immer, vielleicht könnte das genannte historisch-afrikanische Beispiel der Selbstverwaltung eines Dorfes und der Rolle von Dorfchef und Dorfrat dabei helfen, die heutigen Gemeinderäte zu einer an Entwicklung und Wohl ihrer Kommunen (und nicht nur dem eigenen) orientierten Politik zu motivieren.
Sat, 29 Oct 2011 - 19:24
"Auf der anderen Seite der Theke" oder :
Betrachtungen zum Stand des Dezentralisierungsprozesses in der Republik Benin,
angestellt von einem ehemaligen Mitarbeiter des reformführenden Innenministeriums, jetzt Bürger einer der neuen Kommunen
Vorbemerkung :
Zur Erinnerung : Soweit erkennbar, herrscht in der "Dezentralisierungswelt" Konsensus darüber, dass die Organisationsparameter einer dezentralisierten Territorialverwaltung mit sich selbstverwaltenden Gemeinden an der Basis universell gültig und "verbindlich" sind für alle Staats- und Verwaltungs-kulturen der Welt mit dem Willen zu solcher Reform, auch die afrikanischen. Ousmane Sy, der Vater der Dezentralisierung in Mali formuliert es eindrucksvoller (in seinem Buch : "Vorwärts Afrika - Plädoyer für einen Wandel von unten", dem auch alle nachfolgenden Zitate entnommen sind) : "Heute muss die Dezentralisierung als institutionelle Antwort verstanden werden, die … eine Einheit herbeiführen wird, die sich auf die Vielfalt stützt und sie dadurch stärkt. Daher bin ich überzeugt, dass die Dezentralisierung der Erwartung aller Völker der Welt entspricht, die unter Respektierung ihrer Unterschiede zusammenleben wollen, auch wenn jeder seiner Kultur, seinem Pantheon, seinem Referenzrahmen folgt." Entsprechend dieser Philosophie sind die Entscheidungen über die Ausgestaltung der Dezentralisation eines Landes zu treffen. Deren wichtigste beziehen sich üblicherweise auf :
-- die Ebenen der zu dezentralisierenden Verwaltungen (Gemeinden, Kreise, Departements,
Regionen) ;
-- die Mechanismen der Legitimation der dezentralisierten Ebenen ;
-- das Kommunalfinanzsystem ;
-- das Zusammenspiel zwischen Dezentralisation und Dekonzentration.
Die Grundzüge der dezentralisierten Territorialverwaltung Benins :
Auch die Republik Benin hatte für Konzeption, Vorbereitung und Durchführung ihrer "Réforme de l'Administration Territoriale, RAT" solche Grundentscheidungen zu treffen. Dabei kam ihr ein ziemlich entscheidender Vorteil zugute : die überschaubare geographische, institutionelle und politische Vorgeschichte der Gebietsverwaltungssysteme des Landes, die bis auf die Zeit vor der Unabhängigkeit zurückgehen. Auf diesen Systemen basieren die Grundlinien der RAT in Benin, in diese hat das Land die Elemente seiner Dezentralisierung eingebaut. Deren Grundpfeiler sind, summarisch zusammengefasst, folgende :
̶ Es gibt nur eine einzige Ebene der Dezentralisierung : die Gemeinde. Diese ist der institutionelle Nachfolger und gebietsmässig identisch mit den vorexistierenden staatlichen unteren Verwaltungsbezirken (Sous-Préfectures). Der entscheidende Unterschied und Reformkern : Diese Bezirke wurden zu per Kommunalwahlen legitimierten Selbstverwaltungskörperschaften erhoben, 77 an der Zahl. Gewählt werden : Der Conseil communal (Gemeinderat), der Maire und seine Adjoints innerhalb des Gemeinderats, Räte und Chefs der Stadtviertel und Dörfer (es handelt sich um Flächengemeinden mit einem Agglomerationskern und vielen Dörfern).
̶ Es gibt nur eine einzige Ebene der Dekonzentration : Das Département, mit einem Préfet als einzige (zwischen Zentralstaat und Gemeinden) dekonzentrierte Kommunalaufsichtsinstanz.
Das Département ist auch die Ebene der dekonzentrierten Dienste der Sektorministerien.
Der vorerwähnte Vorteil war zunächst nicht das Verdienst des Landes. Allerdings war es sehr wohl ein Zeichen politischer Weisheit, diese Vorgegebenheiten der Gebietsverwaltungsorganisation nicht verworfen, sondern dazu genutzt zu haben, eine pragmatische Dezentralisierung mit realistischen Umsetzungschancen zu konzipieren, indem vorbestehende staatliche Verwaltungseinheiten zu selbstverwalteten, durch Wahlen legitimierte Kommunen erhoben wurden. Immenser Vorteil dieser Situation : Das vermutlich delikateste und "politischste" Kernstück jeder Dezentralisierung und Einrichtung von Gemeinden, die Definition des Gemeindegebiets, entfiel bei der Reform in Benin
(… und konnte im wesentlich komplizierteren Falle Malis und seiner Dezentralisierungs- und Kommunalaufbaupolitik nur dank des meisterlichen Reformmanagements von Ousmane Sy gelingen). Auch konnten die neuen Gemeinden von Erfahrungen in Verwaltung und Organisation der kommunalen Vorgängerinstitution "Sous-Préfecture" (z.B. in der von diesen bereits gehandhabten Budgetisierungspraxis) profitieren. Wichtiger weiterer Startvorteil : Das vorhandene Personal. Allerdings, dessen Umpolung von der altgewohnten Tradition einer Kommandoverwaltung (oder "Besatzungsverwaltung", wie es Ousmane Sy nennt) auf eine Attitude dem lokalen Gemeinwohl (und nicht nur dem privaten) verpflichteten Kommunalbeamtentums bleibt ein hartes Stück Reformdurchführungsarbeit.
Kritik an solcherart "zu kurz gesprungener" (da nicht und sofort auch auf andere Ebenen, etwa die Départements, ausgedehnter) Dezentralisierungspolitik des Landes blieb nicht aus. Dennoch : Die gewählte Konzeption ist gemessen an universellen Dezentralisierungsprinzipien wie auch an der nationalen Verfassung unangreifbar.
Die Vorteile und Unterschiede der oben skizzierten RAT Benins zu anderen sich dezentralisiert habenden Ländern des frankophonen Westafrikas, vor allem zur vorgenannten Republik Mali, sind evident. Die entscheidendsten darunter : Begrenzte Anzahl der neu zu schaffenden Gemeinden, limitierte, vordefinierte Gemeindegebiete, die zu dezentralisieren und durch Wahlen zu legitimieren waren. Dekonzentration der staatlichen Verwaltung nur in einem Schritt : von der Zentralregierung zur Departementsverwaltung. Das alles ergab eine relativ einfache, nur dreistufige Konstruktion der neuen Gebietsverwaltungsorganisation (1. Sous-Préfecture umgewandelt zur und legitimiert als selbstverwaltete Gemeinde ; 2. Departement ; 3. Zentralregierung).
Nun, wieweit ist man mit der Umsetzung des Ganzen zum heutigen Zeitpunkt, nach Ablauf der ersten Mandatur (Gemeindewahlperiode, von 2003 bis 2008), und von fast vier Fünftel der zweiten (von 2008 bis Ende 2012 ? Und wichtiger noch : Wieweit hat sich die Lage der Bevölkerung, d.h. der 74 Gemeinden (77 minus die drei Grosskommunen Cotonou, Parakou, Porto-Novo) erkennbar
gebessert ? Es kann bei diesen Kommunen durchweg von ländlicher Bevölkerung gesprochen werden. Zwar gibt es in jeder Gemeinde eine eher urbane Agglomeration mit dem Sitz der Kommunalverwaltung. Diese ist aber vom rein ländlichen übrigen (Flächen-)Gemeindegebiet nicht zu trennen.
Die Meilensteine der bisherigen Umsetzung der Dezentralisierungsgesetze und ihrer Durchführungstexte :
-- Zwei Kommunalwahlen ziemlich korrekt durchgeführt.
-- Kommunen sind eingerichtet, Aufbau- und Ablauforganisation bestehen.
-- Ein Kommunalfinanzsystem ist eingerichtet und an die Selbstverwaltung der Gemeinden
angepasst.
-- Ein kommunaler Investitions- und Finanzausgleichsfonds existiert und funktioniert passabel.
Hindernisse für die praktische Umsetzung der Dezentralisierungsgesetze und ihrer Durchführungstexte :
Die klassischen :
Auch für Bénin und trotz seiner angepasst-pragmatischen Reform gilt die ebenso banale wie richtige Erkenntnis : "Die "Mutter aller Umsetzungsprobleme" von Dezentralisierung und Gemeindeaufbau ist und bleibt - ganz nach Ousmane Sy und anderen seriösen Beobachtern - die Angst des Zentralstaates vor Verlust von Zuständigkeiten, Macht und Mittelzugang. Es ist diese Angst, die den entsprechenden politischen Reformwillen lähmt und allenfalls unter Druck von aussen allmählich und irgendwann richtig zum Tragen bringt. Die derzeit negativsten Folgen dieses Phänomens für die in der Umsetzung befindliche Gebietsverwaltungsreform des Landes Benin sind :
(i) Andauernder Verzug in der tatsächlichen Übertragung der den Gemeinden gesetzlich zustehenden Kompetenzen und, vor allem, in den gesetzlich fixierten staatlichen Transferleistungen zu deren Finanzierung.
(ii) Restriktive, kaum vorauszukalkulierende Handhabung der allgemeinen Transferleistungen des Staates an die Gemeinden ; es gibt z.B. immer noch keinen gesetzlich fixierten Prozentsatz am BNP (etwa nach dem Vorbild Ghanas).
(iii) Kein Ersatz für wegfallenden Gemeindeanteil an Verbundsteuern.
(iv) Bisher vollständige Blockade der qua Gemeindeorganisationsgesetz vorgeschriebenen Verwaltungsdekonzentration. Erläuterung hierzu : Die beninischen Sektorministerien besitzen auf Départementsebene regionale Antennen für ihre Dienste (sog. Directions départementales de la Santé, … de l'Education, … des Travaux Publics, etc.). Die gesetzlich und theoretisch-politisch gewollte Aufgabenstellung dieser Strukturen im Rahmen der Dezentralisation besteht in der Beratung und technischen (natürlich honorarpflichtigen) Assistenz der Kommunen ihres Bezirks bei der Wahrnehmung der auf sie übertragenen Kompetenzen. Dies gilt für alle kommunalen Infrastruktur-Aufgaben die technisch-administratives know-how und Personal erfordern, z.B. für Gesundheit, Erziehung, Wegebau, Wasserversorung, etc. Eine sehr vernünftige Lösung, angesichts der unvernünftigen und unrealistischen Alternative, auf der kommunalen Ebene eigene technische und Managementkompetenzen aufzubauen. Was ist geschehen seit Gründung der Gemeinden Anfang 2003 ? Fehlanzeige komplett ! Die dekonzentrierten Dienste weigern sich, ihre neue Rolle zu akzeptieren. Sollten sie das doch irgendwann, haben sie kein Geld für die den Kommunen anzubietenden Dienstleistungen (auch der kleinste Wasserhahn muss beim Fachministerium in Cotonou beantragt werden) : Die zentralen Sektorministerien weisen ihren dekonzentrierten Dépendancen keinerlei Budget zu. Das für ihren Betrieb erforderliche Geld existiert, wird aber in der Zentrale budgetiert …. und meist bestimmungswidrig ausgegeben. Dieses Verhalten, weiterhin geübt, ist eine Killer-Annahme dafür, dass die grosse Mehrheit der Kommunen jemals die ihren Bürgern geschuldeten Dienstleistungen, auch nur im Ansatz, erbringen können.
(v) Fortführung eines schon in der Vorreformzeit praktizierten (gegenüber den schon damals budgetisierenden Sous-Préfectures) Verhaltens des "Trésor Public" (Staatskasse) als "unfreundlicher Bankier". Erklärung hierzu : Benin hat für seine Gemeindefinanzordnung das französische Prinzip der "Unité de caisse" übernommen. Diesem Prinzip zufolge gibt es für die Nation nur eine einzige öffentliche Kasse, den Trésor Public, der die Gesamtheit der öffentlichen Ein- und Ausgaben des Landes verwaltet, auch die der Gemeinden. Diese halten dort ihr eigenes Konto, das der Trésor Public als ehrlicher Bankier zu führen hat (was in Frankreich auch geschieht, mit dem grossen Vorteil für die Gemeinden, zum Beispiel über Kassenkredite verfügen zu können, eine Möglichkeit, die etwa deutsche Gemeinden nicht haben). Nun klemmt in Benin gerade hier das System, und zwar zu einem - aller Verbesserung der materiellen kommunalen Finanzsituation zum Trotz - die lokale Entwicklung stark gefährdenden Grad : Der - staatliche - der Kommune zugeordnete und deren Konto führende "Receveur-Recepteur" weigert sich des Öfteren, Zahlungsanweisungen des seine Mittel bewirtschaftenden Bürgermeisters durchzuführen, trotz auf dem Gemeindekonto vorhandener Deckung. Dies ist absolut gesetzeswidrig. Doch, so heisst es meist, müsse er erst Ausgaben für den Staat honorieren, z.B. die Pensionen der in der Gemeinde lebenden Ruhestandsbeamten oder das Benzin für den Präfekten oder …. oder…. . ; klarer Fall zentralstaatlich organisierter Veruntreuung kommunaler Gelder.
Hindernisse, deren Ursprünge im allgemein immer noch schwach entwickelten politischen Reformwillen, aber auch in der Konfusion von lokaler und nationaler Politik liegen :
Einige Beispiele :
(i) Ungelöste Situation des Gemeindepersonals :
Fortbestehende Vermischung von Personal der Gemeindeverwaltung mit der des Zentral- und dekonzentrierten Staates / Verschleppung des Gesetzes über ein Personalstatut mit der Folge weitgehender Schlecht- und Ungleichbehandlung und damit Demotivation des kommunalen Personals.
(ii) Systematische Hinderung - durch die Zentralregierung - der Präfekten an der konsequenten Ausübung ihrer Kommunalaufsichtsbefugnisse, besser : Nichtausübung derselben in vorauseilendem politischem Gehorsam ; denn ein Präfekt wird hierzulande - gesetzeswidrig - von vornherein nicht zu Kontrolle und Promotion "seiner" Gemeinden eingesetzt, sondern nach Kriterien der nationalen Politik und der Durchsetzung derselben vor Ort, und sei's zum offensichtlichen Nachteil der Gemeinden. In dieser Praxis liegt der Keim des Scheiterns der gesamten Reform, denn : Ohne starke, kompetente Wahrnehmung der Aufsicht und auch der Assistenzpflichten des Präfekten gegenüber natürlicherweise noch unerfahrenen, personell unterbesetzten, mit allerhand Startschwierigkeiten kämpfenden Kommunen, sind diese zu nachhaltiger Misswirtschaft geradezu eingeladen.
(iii) Systematische Vermischung von nationaler mit lokaler Politik bei unangreifbarer Dominanz von ersterer :
Die Gemeinden als neuer Raum oder Forum für Kommunalpolitik bieten aber auch neue Politikmissbrauchsräume. Es gilt die Maxime, frei nach Orwell's "Farm der Tiere" : "Alle Politiken, die nationalen und kommunalen - regionale gibt es in Benin noch nicht - sind gleich, die nationale jedoch ist gleicher als gleich". Im Klartext : Kommunalpolitik, die sich - vor allen nationalpolitischen Erwägungen - prioritär an den Bedürfnissen der lokalen Entwicklung und, vor allem, denen der Gemeindebürger orientiert, findet im Lande noch nicht statt, ausgenommen einige wenige Fälle couragierter Bürgermeister. Die gibt es! Doch sonst legt sich nationale Politik über alles, was an lokalpolitischen Initiativen aufzukommen versucht. Das fängt an bei der Listenaufstellung zur Kommunalwahl (die Möglichkeit freier Listen besteht, ist aber ohne praktische Bedeutung) und geht weiter über die selektive - je nach Affinität zum präsidialen politischen Lager - Einleitung. aufsichtsrechtlicher Massnahmen gegen misswirtschaftende oder/und korrupte Bürgermeister.
Besonders beliebt ist die Übung der Zentralverwaltung, Realisierungen, die von der Gemeinde in ihrer eigenen Kompetenz verantwortet worden sind, vom Staatspräsidenten selbst oder seinen Ministern mit grossem Pomp und den Ruhm für sich reklamierend einweihen zu lassen. Dies mag als Detail erscheinen, ist aber, ganz im Gegenteil, von grosser demotivierender Wirkung für Bürgermeister und Kommunalverwaltung ; schlimmer noch : es beschädigt, in den Augen der Bürger, die Autorität von beiden, und verwirrt das Volk bei der Beantwortung der Frage, wer denn nun für die Lokalentwicklung zuständig ist und wozu die Gemeinde überhaupt da ist. Solche Phänomene machen so manche Bemühungen (des Staates, meist aber der Kooperation und der NRO) zunichte, die Dezentralisierung, die Rolle der Gemeinden und die Nützlichkeit einer guten Kommunalverwaltung (vulgo : Bonne Gouvernance Locale) den Bürgern näherzubringen.
Aber auch : Trotz Hindernissen gibt es Beispiele konkreter Fortschritte in der Reformdurchführung und der Situation der Gemeinden :
Stellvertretend für die Dezentralisierungsgewinne sei hier nur einer, der entscheidende, genannt :
Die Einnahmeseite der Gemeindefinanzen hat sich seit Bildung der Gemeinden in 2003 dramatisch verbessert. Nimmt man als Ausgangsbasis die Budgetsituation der institutionellen Vorgängerinstitution, der Sous-Préfecture, so hat sich diese im Durchschnitt aller 77 Kommunen etwa verzehnfacht. Die wesentlichen Gründe : Verbesserte Anwendung eines neuen Systems der den Gemeinden als Eigeneinnahme zustehenden Grundsteuer und deren Eintreibung sowie die Produkte der Gewerbesteuer und einer neugeschaffenen lokalen Entwicklungssteuer. Positive Auswirkungen hat auch das neue System der Zuweisung von Finanzausgleichszahlungen (Funktionszuweisungen und Investitionsfinanzierungen als Subventionen) über einen kommunalen Ausgleichs- und Unterstützungsfonds. Die Einrichtung funktioniert seit zwei Jahren recht gut, da - noch - ganz überwiegend geberfinanziert, deshalb ziemlich wirksam kontrolliert und vor Mittelfehlleitungen geschützt. Generell hat sich durch diese Möglichkeiten der Handlungsspielraum für kommunale Investitionen erheblich erhöht.
Die Wirkungen der Reform für die Gemeindebürger -- Was ist angekommen bei der Bevölkerung ?
Die Antwort auf die Frage : Was kommt beim Gemeindebürger an? hängt zunächst vom Grad der gesetzeskonform ausgeübten Kommunalverwaltung ab. Dazu bietet die Gestaltung der RAT und die bisherige Praxis ihrer Umsetzung den Gemeinden in Benin durchaus die geeigneten Instrumente und kommunalpolitischen Möglichkeiten (wenn das Ganze denn die Nationalpolitik nicht behindert). Die Gemeinden haben auch schon jetzt die finanziellen Mittel zur Versorgung der Bürger mit korrekten Dienstleistungen und Investitionen. Allerdings : Sie haben, für wichtige Dienste, nicht die technischen und Managementkompetenzen. Die brauchen sie auch nicht, sondern können sie delegieren, u.a. auf staatliche dekonzentrierte Strukturen (die aber nicht funktionieren ; s. dazu oben). Für einige der wichtigsten Dienste werden nachstehende Fallbeispiele gebracht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und nur zur Veranschaulichung des Grades der Reformumsetzung und der dabei für den Bürger spürbaren Wirkungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Umsetzung der Reform und der Eintritt von Verbesserungen oder Nicht-Verbesserungen kommunaler Dienstleistungen nicht landeseinheitlich, sondern je nach Gemeinde sehr unterschiedlich sein kann :
(i) Förderung der lokalen Wirtschaft :
Hier hat sich in den neuen Gemeinden Einiges getan, etwa in Form der Gründung von Entwicklungsagenturen in verschiedener Form, an die der gemeindliche Dienst für die Promotion der lokalen Wirtschaft die Durchführung konkreter Förderungsaktivitäten delegiert. Solche Agenturen sind sicher eine sachlich angepasste Lösung. Die Struktur muss nur mit Leben (d.h. in erster Linie mit kompetentem und motiviertem Personal) gefüllt werden. Anderes gilt, wenn nach der in Benin (nicht nur bei der Regierung, sondern auch unter den verschiedenen Kooperationen!) beliebten Devise gehandelt wird : Struktur gebildet - Problem gelöst. Hier wird eher Politschau betrieben, die dazu dient, die Gründung einer Organisation, Institution oder ähnlichem schon als aktive Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung zu verkaufen. So geschehen jüngst durch die unter grosser medialer Begleitung aus der Taufe gehobene "Dezentralisierte Partnerschaft für Beschäftigung", die in jeder Gemeinde einen Stützpunkt für Beschäftigungsförderung vorsieht. Über Aufgabenbeschreibung, Wirkungsmöglichkeit oder Realisierungschancen dieser Strukturen konnte Näheres nicht in Erfahrung gebracht werden. Sie bleiben nach aller Erfahrung hypothetisch.
Allerdings, es gibt sehr wohl und sehr viele Kommunen, die reale Investitionen tätigen mit konkret-positiver Wirkung auf die lokale Wirtschaft und die wirtschaftliche Betätigung der Bevölkerung, allem voran die Investitionen in Konstruktion und Ausbau kommunaler Märkte und Autohöfe. Diese generieren substantielle Einkünfte für Kommunen und Gewerbetreibende. Sie sind der sichtbarste Ausdruck der Möglichkeiten kommunaler Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Förderung von lokaler Entwicklung und Wirtschaft.
(ii) Kommunaler Strassen- und Wegebau :
Es scheint hier zunächst um ein rein technisches Detail zu gehen und darum, zu unterscheiden zwischen Strassen- und Wegenetz in der Agglomeration einer Kommune und dem enormen übrigen, zutiefst ländlichen, Gemeindegebiet. Tatsächlich aber steht hier ein grundsätzlicher Entwicklungsfaktor zur Debatte, die Transportinfrastruktur einer sich über grosse Flächen erstreckenden Gemeinde.
Zu ersterem Komplex, dem Wegenetz der Agglomeration : Hier ist die Bandbreite gross zwischen Gemeinden einerseits, die ihre Kompetenzen und die bestehenden Finanzierungsmöglichkeiten nutzen zu Ausbau und Rehabilitierung ihrer Wege, und, andererseits, Gemeinden, die dem rapide zunehmenden Verfall der Netze tatenlos zusehen, ohne jede Initiative ihres Bürgermeisters (auf den allein kommt es an). Der Verfasser dieses Vermerks hatte und hat Gelegenheit, beide Varianten der Auffassung von Verantwortung dieses Amtes in situ zu beobachten, besonders deren Folgen für die Bevölkerung : Als Bürger einer Gemeinde mit verantwortungs- und initiativloser Führung musste er die besonders in der Regenzeit gravierenden Konsequenzen solcher Haltung miterleben, auch am eigenen Leib : Massive Beeinträchtigung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens durch eingeschränkte, zeitweilig völlig blockierte Mobilität der Bürger ; signifikant steigende Unfallhäufigkeit (vorwiegend für Motorräder, dem Rückgrat jedes gemeindlichen Personentransports in Benin) mit ebenso steigender Zahl tödlicher Ausgänge (dank unterspülter, metertief eingebrochener, nie gewarteter und unbeleuchteter Pisten). Und nun der Gegenentwurf : eine Nachbargemeinde, in Grösse, Fläche und Mittelzugang vergleichbar mit der Erstgenannten, jedoch gesegnet mit einem dynamischen, jede der zahlreichen Finanzierungsgelegenheiten auslotenden und nutzenden Bürgermeister. Die Folgen dieser Situation sind evident und zeigen das genaue Gegenteil der vorerwähnten Konsequenzen einer "Bad Local Governance".
Zum zweiten Komplex, dem ländlichen Wegenetz : Es sei an eine Binsenwahrheit erinnert, die jede seriöse und ins Konkrete gehende Entwicklungsdebatte bestimmt oder bestimmen sollte : Die Tatsache, dass wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes (und natürlich von Gemeinden mit grosser Fläche wie die beninischen) nur stattfinden kann, wenn dem Ausbau und der Wartung eines Strassen- und Wegenetzes erste Priorität eingeräumt wird. Ganz besonders gilt das für die ländliche Entwicklung : Keine Verbesserung landwirtschaftlicher Produktion (und der Lage der Produzenten), wenn diese nicht oder nur zu unvertretbaren Kosten zu ihren Absatzmärkten kommen kann. Diese Grunderkenntnis hat sich in der Mehrheit der neuen beninischen Gemeinden offenbar noch nicht in eine greif- und nutzbare Verbesserung der ländlichen Wegenetze umgesetzt. Es gibt zwar Wegebauprogramme für den ländlichen Bereich ; die gehen aber meist nicht von kommunalen Initiativen aus, sondern sind "gebergetrieben". Die meisten Gemeinden besitzen ein fruchtbares Umland, das den Anbau von in den "Städten" nachgefragten Nahrungsmitteln erlaubt. Nur, sie schaffen es nicht, dieses Umland strukturell so zu entwickeln, dass Obst, Gemüse und Konsorten auch wirklich in die "Stadt" kommen. Deshalb wird erst gar nicht ausreichend angebaut. So müssen sich etwa die Bürger der oben als Negativbeispiel angeführten Gemeinde (die ein fruchtbares Umfeld besitzt), ihre Tomaten, Zwiebeln, etc. häufig aus den Nachbarländern Togo und Burkina Faso besorgen! Diese Lagebeurteilung ist hart, sicher auch voreilig, gemessen an der relativ kurzen Existenz der Gemeinden. Sie wird dennoch so formuliert, da eine Besserung der Lage nur dann eintreten kann, wenn eines der oben genannten Grunddefizite, die fehlende Zusammenarbeit zwischen Gemeinden als Bauträger und dekonzentrierten staatlichen Diensten (hier der "Directions Départementales des Travaux Publics") als Berater und Ausführende, ausgeräumt sein wird. Nur dann kann die Abhängigkeit von der internationalen Entwicklungszusammenarbeit durch Wahrnehmung der eigenen (kommunalen wie staatlichen) Kompetenzen irgendwann einmal enden.
(iii) Verbesserung der Dienstleistungen, welche die Gemeinde ihren Bürgern zu erbringen hat :
Der Gemeindeverwaltung obliegt, neben den technischen Aufgaben der Daseinsvorsorge, auch die Leistung einer Vielfalt von weiteren Diensten an ihre Bürger, sei es im eigenen Wirkungskreis (z.B. Dienstleistungen sozialer, kultureller, planungstechnischer, wirtschaftsfördernder, etc. Natur), sei es im übertragenen (der sog. Auftragsverwaltung, darunter der für die Bevölkerung wichtigste Aufgabenbereich des Personenstandswesens, Etat civil). Die ganz entscheidende Grundvoraussetzung dafür, dass diese Leistungen wirksam und bürgerfreundlich erbracht werden, ist die Verfügbarkeit von Personal, das nach Zahl, Ausbildungsqualität und Motivation den Anforderungen entspricht. Hier hapert es gewaltig.
Die Gemeinden mussten ein Personal übernehmen, das eine Art Mitarbeiter-Patchwork darstellte, bestehend aus freigestellten Staatsbeamten, örtlichen Beamten ohne jegliches Statut, Angestellten mit Arbeitsverträgen, Tagelöhnern. Seit Übernahme des Personals hat sich an dieser Situation nichts geändert. Ein die Lage klärendes Kommunalbeamtengesetz ist nicht in Sicht. Der Qualifikationsstand der Mitarbeiter entspricht ihrer arbeitsrechtlichen Lage : chaotisch und unzureichend. Es liegt auf der Hand, dass solche Umstände kaum einen Mitarbeiter (die vom Staat delegierten und bezahlten Beamten vielleicht ausgenommen) dazu motivieren, seine Dienste so zu verstehen und zu erbringen, wie es ihm die neue Gemeindeorganisation ermöglicht, nämlich bürger- und bedarfsorientiert. Es bleibt demnach festzuhalten, dass die Dezentralisierung mit dem Aufbau sich selbst verwaltender und durch Wahlen legitimierter Gemeinden noch keine für den Bürger spürbare Verbesserung im Vergleich zur "Besatzungsverwaltung" der Vorgängerinstitution "Sous-Préfecture" gebracht hat. Die schlechte Personalsituation ist dafür der Hauptgrund. Bevor diese nicht geklärt ist, vornehmlich in den Punkten Arbeitsrecht, Ausbildung, aber auch Führungsmethoden der Bürgermeister, sind Fortschritte nicht zu erwarten.
(iv) Verbesserung der sonstigen Infrastruktur :
Beispiel Wasser und Strom : Die Zuständigkeit für diese Leistungen der Daseinsvorsorge liegt zwar bei den Gemeinden ; die aber müssen sich für die technische Leistungserbringung der lokalen Antennen der Versorgungsbetriebe für Wasser und Elektrizität bedienen. Das Dumme dabei : Beide Versorger sind Staatsbetriebe und zählen zu den Champions in den Disziplinen Korruption und Misswirtschaft. Druckmittel zur Verbesserung dieser Lage besitzen die Bürgermeister kaum, wenn sie denn politisch überhaupt wollten.
(v) Schlecht sieht es in den zwei zum Über- und Besser-Leben der Gemeindebevölkerung sowie für jegliche Entwicklung überhaupt wichtigsten Dienstleistungssektoren aus : Gesundheit und Ausbildung. Die Zuständigkeiten hierfür sind geteilt : Die Gemeinden besitzen, immerhin, die Kompetenz für bauliche und ähnliche Infrastrukturmassnahmen (und haben Anspruch auf entsprechende staatliche Finanzzuweisungen, …. die nicht kommen) ; die weit wichtigere Zuständigkeit aber, nämlich diejenige, die Verfügbarkeit professionellen Personals in genügender Zahl und Qualität zu garantieren, verblieb beim Staat (im Grunde auch richtig, die Gemeinden selbst würden das nie schultern können). Der jedoch setzt seine traditionelle "Bad Governance" im Gesundheits- und Ausbildungswesen unverändert fort. Den Gemeindebürgern, und zwar allen, den städtischen und ländlichen, hat die Dezentralisierung für ihre Gesundheit und Bildung also nichts gebracht. Besserung, auch mittelfristig, ist nicht in Sicht. Die Reform verpufft.
Fazit der vorstehenden Einzelbetrachtungen über die beninische Gebietsverwaltungsreform (Dezentralisierung - Dekonzentration) und ihren bisherigen Nutzen für die Bevölkerung :
Vorstehende Betrachtungen mögen den Eindruck einer allzu pessimistischen Bewertung der Zielerreichungschancen der Reform erwecken. Dieser Eindruck ist zu relativieren. Zwar könnten die aufgeführten - in der Mehrzahl negativen - Einzelbeispiele zu einem solchen Schluss verleiten ; das Gesamtbild aber des derzeitigen Umsetzungsstandes in den Reformbereichen : Dezentralisierung, Dekonzentration und Gemeindeaufbau, extrapoliert in die langfristige Zukunft, liefert durchaus Anhaltspunkte für Optimismus. Ein solcher Punkt betrifft, das mag erstaunen, das Phänomen der Korruption : Dezentralisierung der Territorialverwaltung, so eine der finsteren Prognosen, sei nichts anderes als Dezentralisierung der Korruption. Ganz richtig und zunächst : die Prognose trat wie erwartet, gewissermassen natürlicherweise, ein. Ständig wurden und werden Fälle korrupten Verhaltens, besonders auf Bürgermeisterebene, aufgedeckt, sanktioniert oder nicht (je nach politischer Couleur), oder im Dunkeln belassen. Doch das Ganze hat auch einen positiven
Folgeeffekt : Die Fälle werden der Bevölkerung bekannt, viel häufiger und detaillierter als dies in Korruptionsfällen auf Regierungs- und Zentralverwaltungsebene geschehen kann. Interessanter noch und ein Effekt der Tatsache, dass der kommunale Raum einen ungemein fruchtbaren kommunikativen Mikrokosmos bildet : jeder Gemeindebürger ist in der Lage (und er tut das auch, egal, ob Analphabet oder kundiger Leser eines Kommunalbudgets), eine direkte Verbindung herzustellen zwischen Art, Umfang und Modalität der veruntreuten Güter (Geld, Fahrzeuge, Gemeindegrundstücke, um die häufigsten Fälle zu nennen) und dem Schaden für ihn und seine Gemeinde, den solche Missverwaltung seiner Steuern und Beiträge verursacht. Leider folgt diesem Effekt - noch - nicht die "finale" Konsequenz, die allein wirksame Sanktion : die Nicht-Wiederwahl der indelikaten Mandatsträger bei der nächsten Kommunalwahl. Noch hat der Stimmbürger die Möglichkeiten dieses Mittels nicht verinnerlicht, noch versteht er sich, wie in der Vergangenheit, als machtloses Objekt einer unberührbaren "Besatzungsverwaltung".
Ermutigende Perspektiven, was die Erfolgschancen der Reform betrifft, sind durchaus erlaubt. Die erste Voraussetzung dafür ist erfüllt : eine pragmatisch konzipierte Reform, die mit den heute schon
vorhandenen personellen, finanziellen und organisatorischen (wenngleich noch stark verbesserungsbedürftigen) Mitteln ins Werk gesetzt wird und künftig werden kann. Vieles ist schon realisiert, besonders strukturelle und Organisationsmassnahmen. Doch nötig ist auch, bei allem Verständnis für Komplexität und Dauer von Veränderungen sowie die Zeit, die es braucht, bis theoretische Vorgaben zur Praxis werden, eine überschaubare zeitliche Perspektive. Hierzu ein Konkretisierungsvorschlag : das Ende der vierten Kommunalwahlperiode, 2018 ; das ergäbe dann eine Reformumsetzungsdauer von zwanzig Jahren (ab erster Wahl in 2003) ; unbeschadet natürlich der Tatsache, dass die Umsetzung einer Reform ganz allgemein eine permanente, nie endende Geschichte ist.
Weitere Fortschritte in der praktischen Anwendung der beninischen Territorialverwaltungsreform verlangen weitere konsequente Massnahmen. Diese sind zu treffen im unbedingten Respekt aller Bedingungen, welche die Reformgesetze für den Dezentralisierungsprozess sowie für Organisation und Funktionieren der Gemeinden festgelegt haben, zumindest soweit es diejenigen der oben bereits angesprochenen Grundelemente angeht, die als "Geschäftsgrundlage" der Reform gelten können :
-- gesetzliche und organisatorische Klärung der Situation des Gemeindepersonals
-- wirksame Umsetzung der Dekonzentrations-Regeln
-- konsequente, möglichst wenig politisierte Wahrnehmung der Kommunalaufsicht durch die
Präfekten
-- effektive Kompetenzübertragungen an die Gemeinden mit den zugehörigen Finanzzuweisungen
-- korrekte Führung der Gemeindekonten durch den "Trésor Public".
Sollte dies alles erfreulicherweise geschehen, sollte sich gar der politische Wille der Regierung verfestigen dahingehend, die vorstehend spezifizierte "Geschäftsgrundlage" der beninischen Reform nun tatsächlich zu schaffen, bleibt dennoch eine Ungewissheit. Es ist die Frage danach, ob und wieweit diese Reform "von einer technokratischen Dezentralisierung zu einem echten politischen Projekt" (Ousmane Sy) geworden oder dabei ist, es zu werden. Oder anders gefragt, und auf die beidseitigen (Kommunen und Staat) Akteure der Reform bezogen : Haben Bürgermeister und Gemeinderäte verinnerlicht, was die Verpflichtungen, aber auch die Möglichkeiten eines Kommunalpolitikers sind ? Haben die reformverantwortlichen Vertreter des Staates verstanden, dass ihre Rolle nicht mehr im Kommandieren nach unten besteht, sondern in der Kontrolle und begleitenden Assistenz der Gemeinden ? Oder ist es beim alten, immer noch verbreiteten Verständnis eines öffentlichen Amtes, das Mittelzugang und Einflussmöglichkeit bietet, geblieben, karikiert üblicherweise als "Politique du ventre" (Titel eines Buches von Jean-François Bayart : "L'Etat en Afrique - La politique du ventre", 1989) ? Für die meisten gewählten Gemeindevertreter sieht das Bild bisher wenig ermutigend aus, auch wenn die bekannt gewordenen und die zu vermutenden Fälle von Korruption und Misswirtschaft der Bürgermeister (s. oben) nicht pauschal für alle 77 Kommunen Benins zu verallgemeinern sind. Auch sind es nicht nur die strafrechtlich relevanten Verwaltungs-methoden von Bürgermeistern, die ihrer Autorität schaden, bzw. diese gar nicht erst entstehen lassen. Oft verwalten und "führen" sie in weitgehender Isolation von ihrer Bevölkerung und halten keinen Kontakt zum Terrain. Oft sind sie bei der eigenen Bevölkerung unbekannt. Ihr vorzugsweises Wirkungsgebiet sind Seminare, Konferenzen, Auslandsreisen, sachlich nicht gerechtfertigte Dienstreisen in die Hauptstadt, etc. Die Teilnahme daran generiert üppige Spesen, hält sie aber fast permanent von ihrer Gemeinde fern.
Die Ursachen für eine solche Amtsauffassung bleiben zu ergründen. Vielleicht liegen sie an einem "Mangel an früher Erziehung hin zu demokratischen Ideen und Denken fort von Clanbewusstsein, Nepotismus und traditionell organisierten Strukturen" (Artikel von Elke Zahrt : "Dezentralisierung in Mali - große Schilder in kleinen Gärten", 2011). Vielversprechender indes als solche Lektionen von ausserhalb scheint der Ansatz von Ousmane Sy zu sein : Der liegt im Rückbesinnen auf das historische Empire Mali des 13. Jahrhunderts und dort nachweisbare Vorläuferformen dezentralisierter Territorialverwaltung. Auf seinen Sensibilisationsreisen durch's Land (auf denen er auch nach einem Pendant in Landessprache zum Terminus "Dezentralisierung" suchte) stiess Ousmane Sy auf Dorfautoritäten, denen das Dezentralisierungsvorhaben des modernen Mali bekannt vorkam. Es sei nichts anderes als "die Rückkehr der Verwaltung nach Hause". Merkenswert und schön!
Es bliebe zu untersuchen, ob auch für Benin solche Hinweise auf Vorläuferformen der Dezentralisation und historische Vorgängerinstitutionen der heutigen selbstverwalteten Gemeinden zu finden sind. Wie auch immer, vielleicht könnte das genannte historisch-afrikanische Beispiel der Selbstverwaltung eines Dorfes und der Rolle von Dorfchef und Dorfrat dabei helfen, die heutigen Gemeinderäte zu einer an Entwicklung und Wohl ihrer Kommunen (und nicht nur dem eigenen) orientierten Politik zu motivieren.