Re-Finanzierung von Mikrofinanzinstituten und Genossenschaft
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Bezug:
"Warum Mikrokredite den Armen nur selten helfen" in Spiegel Online, 01.01.2014
(siehe "Neues")
Ich muss der Autorin K. Hartmann heftig widersprechen. Ich beschäftige mich seit über zehn Jahren wissenschaftlich mit Mikrofinanz und Beteiligungsgerechtigkeit und muss immer wieder feststellen, dass von Kritikern der Anschubfinanzierungen für Kleinstunternehmer völlig unangemessen und realitätsfern europäische Maßstäbe an unabdingbare Gegebenheiten der Lebens- und Arbeitswelt in Ländern des Südens angelegt werden, wie etwa die Forderung nach Arbeitsplätzen statt Selbständigkeit. Dabei wird ausgeblendet, dass es in vielen Ländern überhaupt kein Angebot an unselbständiger Erwerbsarbeit wie wir sie kennen gibt, und wenn Arbeitsplätze von Großkonzernen angeboten werden, dann sind diese nicht selten mit Hungerlöhnen dotiert. "Non bankable People" faires Geld für faire, einkommensgenerierende Tätigkeiten zu anzubieten, ist Kernaufgabe sozial verantwortlich geführter Mikrofinanz. Freilich gibt es auch Missbräuche in diesem System, jedoch diese als mediale Aufhänger gegen die Mikrofinanz allgemein in Stellung zu bringen ist unangemessen, denn der Nutzen für die Menschen überwiegt bei weitem.
Unsere eigene Geschichte in Österreich und Deutschland beweist die Wirkung der Mikrofinanz. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden mittellose Bauern und Handwerker erst durch die Initiative von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch bankfähig. Damals war die Situation der Menschen gut vergleichbar mit den heute vorfindbaren Problemen der Menschen im Süden. Sie waren dem informellen Finanzsektor mit seinen Kredithaien ausgeliefert. Gefangenen in einem System von Ausbeutung und Unterdrückung bis hin zur Bedrohung der eigenen Existenz. Daher gründeten Schulze-Delitzsch und Raiffeisen vor etwa 150 Jahren das genossenschaftlich strukturierte Netzwerk von Volks- und Raiffeisenbanken für die "nicht bankfähigen" KreditnehmerInnen. Das Mikrofinanz-System ist nichts anderes - sondern nur eine Rückbesinnung auf das Primärbankgeschäft.
Man kann bei allen Bemühungen der Entwicklungszusammenarbeit den Fokus klar ressourcenorientiert oder defizitorientiert ansetzen. Letzteres unternimmt Frau Hartmann in leider unjournalistischer Unausgewogenheit. Hinzu tritt auch der m. E. politische Fokus. Wer Finanzdienstleistungen per se Unanständigkeit attestiert und in der Mikrofinanz ab ovo nur eine neoliberale Überformung des kapitalistischen Systems sieht und dabei nicht auf den einzelnen Menschen und seine persönlichen Bedürfnisse hört, sondern sich paternalistisch in der Deutehoheit eines Denkansatzes wähnt, der das Kollektiv über den Einzelnen stellt, wird individuellen Lösungsansätzen stets kritisch gegenüberstehen. Ich habe in meiner Dissertation "Vom Gelde, das dem Leben dient" (P. Lang Verlag, Frankfurt 2011) versucht, die Pros und Contras in wissenschaftlicher Redlichkeit einander gegenüberzustellen.
Sat, 4 Jan 2014 - 13:58
Bezug:
"Warum Mikrokredite den Armen nur selten helfen" in Spiegel Online, 01.01.2014
(siehe "Neues")
Ich muss der Autorin K. Hartmann heftig widersprechen. Ich beschäftige mich seit über zehn Jahren wissenschaftlich mit Mikrofinanz und Beteiligungsgerechtigkeit und muss immer wieder feststellen, dass von Kritikern der Anschubfinanzierungen für Kleinstunternehmer völlig unangemessen und realitätsfern europäische Maßstäbe an unabdingbare Gegebenheiten der Lebens- und Arbeitswelt in Ländern des Südens angelegt werden, wie etwa die Forderung nach Arbeitsplätzen statt Selbständigkeit. Dabei wird ausgeblendet, dass es in vielen Ländern überhaupt kein Angebot an unselbständiger Erwerbsarbeit wie wir sie kennen gibt, und wenn Arbeitsplätze von Großkonzernen angeboten werden, dann sind diese nicht selten mit Hungerlöhnen dotiert. "Non bankable People" faires Geld für faire, einkommensgenerierende Tätigkeiten zu anzubieten, ist Kernaufgabe sozial verantwortlich geführter Mikrofinanz. Freilich gibt es auch Missbräuche in diesem System, jedoch diese als mediale Aufhänger gegen die Mikrofinanz allgemein in Stellung zu bringen ist unangemessen, denn der Nutzen für die Menschen überwiegt bei weitem.
Unsere eigene Geschichte in Österreich und Deutschland beweist die Wirkung der Mikrofinanz. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden mittellose Bauern und Handwerker erst durch die Initiative von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch bankfähig. Damals war die Situation der Menschen gut vergleichbar mit den heute vorfindbaren Problemen der Menschen im Süden. Sie waren dem informellen Finanzsektor mit seinen Kredithaien ausgeliefert. Gefangenen in einem System von Ausbeutung und Unterdrückung bis hin zur Bedrohung der eigenen Existenz. Daher gründeten Schulze-Delitzsch und Raiffeisen vor etwa 150 Jahren das genossenschaftlich strukturierte Netzwerk von Volks- und Raiffeisenbanken für die "nicht bankfähigen" KreditnehmerInnen. Das Mikrofinanz-System ist nichts anderes - sondern nur eine Rückbesinnung auf das Primärbankgeschäft.
Man kann bei allen Bemühungen der Entwicklungszusammenarbeit den Fokus klar ressourcenorientiert oder defizitorientiert ansetzen. Letzteres unternimmt Frau Hartmann in leider unjournalistischer Unausgewogenheit. Hinzu tritt auch der m. E. politische Fokus. Wer Finanzdienstleistungen per se Unanständigkeit attestiert und in der Mikrofinanz ab ovo nur eine neoliberale Überformung des kapitalistischen Systems sieht und dabei nicht auf den einzelnen Menschen und seine persönlichen Bedürfnisse hört, sondern sich paternalistisch in der Deutehoheit eines Denkansatzes wähnt, der das Kollektiv über den Einzelnen stellt, wird individuellen Lösungsansätzen stets kritisch gegenüberstehen. Ich habe in meiner Dissertation "Vom Gelde, das dem Leben dient" (P. Lang Verlag, Frankfurt 2011) versucht, die Pros und Contras in wissenschaftlicher Redlichkeit einander gegenüberzustellen.