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Beitrag vom 24.08.2012

Handelsblatt

Angst vor der Gewalt treibt Platinpreis

Kommentar
von Wolfgang Drechsler

Nach dem blutigen Streik in einer Platinmine in Südafrika leidet das Image der Minenbranche. Die Furcht vor weiteren Streiks steigt. Die Spannungen gefährden Unternehmen und das ganze Land.

Das Blutbad letzte Woche in der Mine des Platinförderers Lonmin hat nicht nur die südafrikanische Öffentlichkeit, sondern auch die internationalen Rohstoffmärkte aufgeschreckt. Die Bilder der von der Polizei erschossenen 34 Bergarbeiter haben dem Image der südafrikanischen Minenbranche, die rund ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt des Landes beisteuert, schweren Schaden zugefügt. Die Sorge, dass sich der illegale Streik bei Lonmin auch auf andere Platinminen und womöglich die Goldbergwerke am Kap ausweiten könnte, hat dem Preis der beiden Edelmetalle Auftrieb verliehen.

Schließlich kommen rund 75 Prozent der weltweiten Platinförderung aus einem kleinen Gebiet westlich von Johannesburg. Geschürt werden die Sorgen noch dadurch, dass Anglo American Platinum (Amplats), eine 80-Prozent-Tochter des Minenhauses Anglo American, zur Wochenmitte von ähnlich drastischen Lohnforderungen berichtete, wie sie letzte Woche zur Eskalation der Lage beim Konkurrenten Lonmin geführt hatten.

Amplats steuert als größter Anbieter rund 45 Prozent zur weltweiten Platinproduktion bei. Die Unruhen treffen die Unternehmen in einer schwierigen Situation. Monatelang lag der Platinpreis mit niedrigen 1400 Dollar pro Unze leicht unter den gegenwärtigen Förderkosten - so dass viele der Produzenten inzwischen rote Zahlen schreiben und eine Reihe unrentabler Schächte schließen mussten.

Ein Überschuss an Platin von rund 500.000 Unzen (in einem Gesamtmarkt von sechs Millionen Unzen pro Jahr) und die anhaltend unsichere Lage in der Autoindustrie, die rund 50 Prozent des Edelmetalls für den Bau von Katalysatoren abnimmt, sind die Hauptgründe für den langen Preisverfall und den massiven Einbruch der Aktienkurse in der Branche.

Schon wegen dieses Überhangs dürfte sich der Anstieg des Platinpreises zunächst in Grenzen halten. Lonmin hat in den letzten Tagen durch die Schließung seiner Mine rund 25.000 Unzen verloren, also kaum mehr als fünf Prozent der gegenwärtigen Überproduktion am Markt.

Und wenig deutet trotz der anhaltenden Spannungen derzeit darauf hin, dass die Lage in den südafrikanischen Minen komplett aus dem Ruder läuft. Nach Angaben der Bergbaukammer in Johannesburg arbeiten 95 Prozent der südafrikanischen Minenindustrie derzeit normal. Noch beschränken sich die Unruhen auf die für ihre gewalttätigen Arbeitskämpfe bekannte Platinbranche. Ähnlich ist die Lage im Goldsektor, wo Südafrika inzwischen auf den fünften Rang der Förderer zurückgefallen ist. Gerade der Goldbergbau am Kap hat in den letzten 40 Jahren einen dramatischen Niedergang erlebt.

Gewalt gehört längst zum politischen Alltag

Lieferte er 1970 mit etwa 1000 Tonnen fast 80 Prozent der gesamten Goldförderung, sind es heute mit weniger als 200 Tonnen im Jahr nur noch etwa acht Prozent. Dies liegt vor allem daran, dass seine Bergwerke heute bis zu 4000 Meter tief sind und die Produktion wegen der in den letzten drei Jahren drastisch gestiegenen Kosten nun viel zu teuer ist: Der Strompreis hat sich verdoppelt, die Löhne sind in drei Jahren um rund 40 Prozent gestiegen, bei rund fünf Prozent Inflation pro Jahr.

Besorgniserregend für die Unternehmen und das Land ist vor allem, dass der aus dem Ruder gelaufene Streik stellvertretend für die vielen sozialen Missstände am Kap steht. Längst gehört die Gewalt hier zum politischen Alltag. Arbeitswillige werden von streikenden Kollegen oft eingeschüchtert und drangsaliert.

Rohstoffe werden für Unternehmen zur Kostenfalle

Dies liegt daran, dass der regierende ANC seit langem mit dem mächtigen Gewerkschaftsbund Cosatu verbündet ist und wenig Lust verspürt, sich mit seinen Alliierten und Parteifreunden anzulegen. Immer öfter werden bei Streiks ganze Innenstädte zum Stillstand gebracht, Autobahnen blockiert oder Eisenbahnwaggons in Brand gesteckt, ohne dass die Polizei dagegen ernsthaft vorginge.

In den staatlichen Krankenhäusern sterben Patienten, weil das streikende Pflegepersonal sich einfach in den Ausstand verabschiedet. Und immer öfter werden schwarze Zuwanderer aus Afrika von schwarzen Südafrikanern bedroht oder ermordet, weil sie den Einheimischen angeblich Arbeitsplätze stehlen.

Die blutigen Streiks sind deshalb nur ein weiteres, wenn auch besonders eindrückliches Beispiel für die zunehmende Anarchie im Land. Dass es am Kap so schnell so weit bergabgehen konnte, hat vor allem mit der Person des Präsidenten zu tun: Auch drei Jahre nach seinem Machtantritt weiß niemand, wohin Jacob Zuma Südafrika eigentlich führen will - er selbst offenbar am allerwenigsten.