Beitrag vom 31.07.2013
Weser Kurier, Bremen
Volker Seitz: "Wir sollten aufhören, trügerische Versprechungen zu machen"
Was macht Deutschland bei der Entwicklungshilfe in Afrika falsch? Lassen wir uns zu sehr vom Mitleid für die arme Bevölkerung auf dem Schwarzen Kontinent leiten?
Volker Seitz: Entwicklungshilfe kann dazu beitragen, die Lebensverhältnisse von Menschen für eine gewisse Zeit zu verbessern. Derartige Nächstenliebe mag sich gut anfühlen, doch sie löst die Probleme selten nachhaltig. Alle Entwicklungsexperten wissen, dass Projekte meist nicht weitergeführt werden, sobald ausländischer Beistand entfällt. Das ist immer dann der Fall, wenn der Anstoß für ein Projekt nicht wirklich von der Bevölkerung kam und Beglückungen einfach abgelehnt wurden. Ausländische Helfer und Regierungsvertreter halten sich für Experten, dabei haben sie als Fremde keine Ahnung von den Kompetenzen oder Sozialformen vor Ort. Die effizienteste Hilfe ist immer noch die Bildungs- und Wirtschaftsförderung. Ein Teil der jährlich mehr als 6,3 Milliarden Euro deutscher Hilfe könnte etwa in Form von Krediten zu Risikokonditionen vergeben werden.
Was halten Sie von Forderungen, die Hilfszahlungen zu drosseln oder abzuschaffen?
Die Hilfe muss nicht gänzlich eingestellt werden, aber die Initiative muss von Afrika ausgehen. Vernünftige Hilfe setzt in den Empfängerländern hohe Eigenverantwortung bei gutem Regierungsmanagement voraus. Weder dies noch die Transparenz der Mittelverwendung ist in vielen Entwicklungsländern überhaupt gegeben. Darüber wird in der Öffentlichkeit selten gesprochen. Es gibt in vielen dieser Länder keine eigene "Kultur der Kontrolle". Aber jeder Sachkenner vor Ort wird bestätigen, dass das Engagement zurückgeht, sobald der Druck durch Kontrolle fehlt. In den Genuss unserer Steuergelder sollten deshalb nur noch Länder gelangen, die nachweislich alle Anstrengungen unternehmen, ihre Schwierigkeiten selbst zu beseitigen.
In welchen Regionen Afrikas haben Sie während Ihrer Arbeit als Diplomat die schlechtesten Erfahrungen in puncto Entwicklungshilfe gemacht?
Überall, wo ich tätig war, leiden die Länder unter zu viel Betreuung. Wir sollten aufhören, Illusionen zu nähren und trügerische Versprechungen zu machen. Die allgegenwärtige bevormundende Entwicklungshilfe - auch wenn sie selbstlos und aus Idealismus geleistet wird - ist meist keine Hilfe, sondern bestärkt Afrika in seiner Unselbständigkeit.
Sie kritisieren viele Entwicklungshelfer auch, weil deren wesentliches Interesse darin bestehe, die eigenen Arbeitsplätze zu sichern. Was sind die Gründe dafür?
Solange der Beruf des Entwicklungshelfers quasi als Teil des öffentlichen Dienstes verstanden wird, wird das arme und rückständige Afrika gebraucht. Armut und Rückständigkeit setzen den vielen - oft mit Steuergeldern - gespeisten Organisationen keine Grenzen. In jedem Land, in dem ich tätig war, gab es mehr als 300 verschiedene Hilfswerke, die sich gegenseitig mit neuen Projekten übertrumpften. Jeder kämpft um seine Marktanteile.
Welche Rolle spielen die afrikanischen Politiker? Sind nicht viele von ihnen für das Elend der Bevölkerung mit verantwortlich?
Wo afrikanische Politiker beliebig über Ressourcen und Bevölkerung des Landes verfügen, ist eine Armutsbekämpfung nicht möglich. Die Gier mancher politischer Führungskräfte führt dazu, dass die Zahl der Afrikaner, die unter der Armutsgrenze leben, weiterhin steigt. Diese Machteliten haben eine ganz eigene Auffassung von Menschenrechten, von Meinungsfreiheit und Rechtsstaat. In Afrika als Autokrat bezeichnet zu werden, ist für die meisten Politiker keine Beleidigung. In der afrikanischen Kultur ist der Gehorsam gegenüber Älteren und Chefs tief verwurzelt.
Raten Sie davon ab, Geld an Entwicklungshilfe-Organisationen zu spenden?
Nein, nicht grundsätzlich. Aber Menschen wertschätzen nur Dinge, wenn sie Opfer für sie bringen müssen. Das ist meine Erfahrung nach 17 Jahren in Afrika. Projekte benötigen erfahrene Berater, die ständig präsent sind. Zum Beispiel Kirchenvertreter, die selten eigene Interessen verfolgen. Und es müssen Anreize geschaffen werden, selbst aktiv zu werden.
Gibt es in Afrika auch positive Beispiele echter Hilfe zur Selbsthilfe?
Ja, die African Medical and Research Foundation (AMREF) baut seit 1957 einen Basisgesundheitsdienst in Ostafrika auf. Die ortsansässige Bevölkerung, die selbst am besten über ihre Probleme Bescheid weiß, wird sowohl in die Planung als auch in die Umsetzung der Projekte eng eingebunden.