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Beitrag vom 29.10.2019

FAZ

Jagd auf Afrikas Erdgas-Schätze

Beträchtliche Funde in Moçambique und Senegal haben einen Investitionsboom ausgelöst. Doch es fehlt an Infrastruktur und Regeln. Von Claudia Bröll und Thilo Thielke

KAPSTADT, 28. Oktober. Als vor zwei Wochen in dem südostafrikanischen Moçambique gewählt wurde, blickten Beobachter besonders bang auf den Norden des Landes. In der an Tansania grenzenden Provinz Cabo Delgado wüten seit mehr als einem Jahr Islamisten. Sie nennen sich „Soldaten des Kalifats“, machen ganze Ortschaften dem Erdboden gleich und massakrieren deren Bewohner. Rund 300 Menschen sollen dem Terror bislang zum Opfer gefallen sein – und ein Ende des Mordens ist nicht in Sicht.

Viele Informationen dringen nicht aus der Provinz mit ihren rund zweieinhalb Millionen Einwohnern. Die Regierung hält Journalisten fern. Reisende wollen zuletzt russische Milizionäre gesichtet haben. Gut möglich, dass die Regierung alte Verbündete im Kreml zu Hilfe gerufen hat, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Moskau hat traditionell enge Verbindungen zu den Marxisten der seit 1975 herrschenden „Befreiungsfront Moçambiques“ (Frelimo) – seit einigen Jahren aber auch verstärkt wirtschaftliche Interessen. Erst kürzlich unterzeichnete der russische Mineralölkonzern Rosneft ein Abkommen mit der Frelimo-Regierung – es gestattet den Russen, vor der Küste Gasfelder zu erschließen.

Für die Regierung ist Cabo Delgado weit mehr als ein von Islamisten tyrannisierter Fleck fernab der Hauptstadt; auf der Provinz im Norden ruhen fast sämtliche Hoffnungen auf Wohlstand in dem bitterarmen Land. Vor acht Jahren wurden an der Mündung des Rovuma-Flusses an der Grenze zu Tansania riesige Erdgasvorkommen entdeckt. Nach einem Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) handelt es sich um die drittgrößten Gasschätze in Afrika und die zwölftgrößten in der Welt. Schon träumen Optimisten von einem „Qatar in Afrika“.

Nicht nur in Moçambique dreht sich gerade viel um Gas. Auf dem Kontinent finden sich 7 bis 9 Prozent der Gasvorkommen auf der Welt, doch ein großer Teil davon ist noch nicht erschlossen. Alle paar Monate finden nun irgendwo auf dem afrikanischen Kontinent Messen statt, auf denen Vertreter der Öl- und Gaskonzerne mit Regierungsvertretern zusammenkommen. Die beiden größten Gasproduzenten südlich der Sahara – Nigeria und Angola – kündigten Ausschreibungen für neue Projekte an. Gabon und Kongo-Brazzaville wollen ihre Vorkommen erschließen, Ghana und Madagaskar auch. Bedeutende Entdeckungen wurden auch in Senegal gemacht. So stieß die amerikanische Firma „Kosmos Energy“ zwischen 2014 und 2016 auf gewaltige Erdgasvorkommen. Das Feld Grand Tortue-Ahmeyim liegt im Atlantischen Ozean und grenzt an mauretanisches Hoheitsgebiet. 2018 unterzeichneten beide Staaten diverse Abkommen, die die künftige Ausbeutung regeln sollen. Wenn die Produktion im Jahr 2022 angelaufen ist, sollen 10 Millionen Tonnen jährlich allein aus diesem Gasfeld gefördert werden. Daneben ist geplant, die Produktion 2022 noch auf zwei weiteren senegalesischen Gasfeldern anlaufen zu lassen. „Afrika wird führend sein, wenn es um die nächsten Mega-Flüssiggas-Projekte auf der Welt geht“, sagt Guillaume Doane, Chef der Messe Africa Oil & Power, die vor kurzem in Kapstadt stattfand. In diesem Jahr gaben Konzerne 103 Milliarden Dollar für sogenannte Greenfield-Investitionen, also für neue Explorationen und Projekte, auf dem Kontinent aus – das ist mehr als jemals zuvor und ein Drittel aller solcher Investitionen auf der Welt.

Das Interesse rührt nicht nur von den relativ neu entdeckten Bodenschätzen her. Allein in Afrika soll sich die Bevölkerung bis 2050 auf 2,4 Milliarden Menschen fast verdoppeln. Zusätzlich steigen große Länder wie China von der Kohle auf das Erdgas um, um die Kohlendioxid-Emissionen zu verringern. Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur wird Erdgas bis 2030 Kohle als zweitwichtigsten fossilen Brennstoff nach Öl verdrängen. Doch wie so oft bei Großprojekten in Afrika liegen Potential und Realität weit auseinander. Das muss selbst Messechef Doane zugeben. Ihn ärgern die hohen Körperschaftsteuern in Afrika, die Investoren verschreckten. Auch die Unsicherheit über politische Schachzüge und Gesetze sowie Intransparenz und Korruption helfen nicht. Zudem liegen die Produktionskosten in Afrika immer noch höher als im Nahen Osten oder in Nordamerika. „Es ist ein weiter Weg, aber das Interesse von Seiten der Regierungen an den neuen Gasprojekten ist auf jeden Fall gegeben, die Chancen stehen besser als je zuvor“, sagt Doane.

Das sehen die internationalen Öl- und Gaskonzerne offensichtlich ähnlich. Bestes Beispiel ist Moçambique, wo seit einigen Jahren beachtliche Investitionssummen im Gespräch sind. Die italienische ENI investiert dort in ein Gasfeld namens Coral South vor der Küste 8 Milliarden Dollar. Der Konzern will Erdgas aus 2000 Meter Meerestiefe pumpen und mit einer schwimmenden Tiefwasser-Gasverflüssigungsanlage – der ersten dieser Art auf der Welt – in flüssige Form bringen, um es nach Asien zu transportieren.

Nicht weit vom Coral South entfernt hat der amerikanische Konzern Anadarko Petroleum Investitionen von 22 Milliarden Dollar beschlossen. Nach der Übernahme des Unternehmens durch den Rivalen Occidental Petroleum wird der französische Total-Konzern das Afrika-Geschäft übernehmen. Vom amerikanischen Konkurrenten Exxon Mobil werden Investitionen von bis zu 30 Milliarden Dollar erwartet. Eine endgültige Entscheidung soll Mitte 2020 fallen. Zum Vergleich: Das gesamte Bruttoinlandsprodukt von Moçambique ist nur halb so hoch.

Viele Pläne gibt es nun, wie das Gas-Geschäft die Wirtschaft ankurbeln und aus dem Armenhaus in Afrika ein Land mit mittlerem Einkommen machen könnte, beispielsweise mit einer Düngerproduktion. Besonders die Regierung hofft auf einen dringend benötigten Geldzufluss. Die Staatsverschuldung betrug im vergangenen Jahr mehr als 100 Prozent des BIP. Nicht nur verheerende Wirbelstürme, sondern auch ein milliardenschwerer Kreditskandal haben das Land in eine Finanzkrise gestürzt. Doch die Hürden sind groß. „Moçambique muss eine Gasindustrie fast neu aufbauen, angefangen bei der Gesetzgebung, über Umweltregulierung, dem Dialog mit der lokalen Bevölkerung bis hin zum Aufbau von grundlegender Infrastruktur“, sagt Doane. Es ist eine Herkulesaufgabe, zumal der Staat kein Geld für Investitionen hat, aber über den staatlichen Ölkonzern ENH am Geschäft beteiligt sein will.

Wie Unternehmensvertreter im Land erzählen, liegt die Crux auch darin, dass sich das neue Gas-Eldorado 3000 Kilometer der Hauptstadt Maputo entfernt befindet. Historisch bedingt gibt es in dem Land keine Nord-Süd-Routen. Keine Bahnverbindung reicht in den hohen Norden, die einzige große Straße dorthin ist für den Schwerlastverkehr nicht zu gebrauchen. Außerdem müssen Häfen, Straßen, Strom- und Wassernetze gebaut werden sowie Häuser, Schulen, Kliniken, Einkaufszentren und große landwirtschaftliche Betriebe wie Hühnerfarmen, um die vielen Experten und Arbeiter aus aller Welt zu versorgen.

Deutsche Firmen sind im Erdgassektor bislang nur in Nordafrika tätig, die Wintershall Dea zum Beispiel in Ägypten, Algerien und Libyen. Allerdings sei „der Bau von Anlagen, die Erdgas weiterverarbeiten – wie Düngemittelfabriken oder Raffinerien – weiterhin eine Kernkompetenz der deutschen Wirtschaft“, so Peggy Schulz vom „Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft“. Die größten Chancen hätten deutsche Firmen durch „indirekte Effekte“. So rechne der Internationale Währungsfonds in den nächsten Jahren mit Investitionen in Höhe von 55 Milliarden Dollar allein in Moçambique. Das Land, so Schulz, sei ein „attraktiver Markt, der in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit verdient“.

Zunächst muss das Land aber sein Problem mit den Terroristen in den Griff bekommen. Mitarbeiter der deutschen Handelskammer beispielsweise dürfen nicht einmal in die betroffene Region reisen. Wann die erste Gas-Verflüssigungsanlage in Moçambique in Betrieb gehen soll, ist ungewiss. Ursprünglich sollte es 2016 so weit sein. Jetzt ist das Jahr 2023 im Gespräch – oder später.