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Beitrag vom 27.11.2019

FAZ

Mali, Bundeswehr

Sind gute Gründe noch gut genug?

Die deutschen Soldaten in Mali sehen bislang von ihrem Camp aus zu, wie die französischen Kameraden in den Kampf gegen Terroristen ziehen. Das soll sich bald ändern.

Von Peter Carstens, Berlin, und Michaela Wiegel, Paris

Die Nachricht hat am Dienstag Frankreich erschüttert: 13 Soldaten sind während eines Kampfeinsatzes gegen islamistische Terrorbanden in der Wüste Malis getötet worden. Für Frankreich ist es der schwerste Verlust an Soldaten, seit 1983 eine Bombe in Beirut 58 Fallschirmspringer tötete. Präsident Emmanuel Macron nannte die 13 Männer „Helden, die nur ein Ziel hatten: uns zu schützen“.

Die beiden Hubschrauber des Heeres waren gegen 19.40 Uhr am Montagabend kollidiert, als sie in niedriger Höhe ihren am Boden kämpfenden Kameraden Beistand leisteten, wie Generalstabschef François Lecointre mitteilte. Die Eliteeinheiten der Anti-Terror-Operation „Barkhane“ am Boden waren seit mehreren Tagen im Sahel-Gebiet Terrorbanden auf der Spur, die laut dem Generalstabschef mit Pick-up-Wagen und Motorrädern unterwegs waren. Sie wurden durch Hubschrauber und Patrouillenflüge einer „Mirage 2000“-Maschine unterstützt. Die genauen Umstände des Hubschrauberunfalls müssen noch geklärt werden. Niemand überlebte den Zusammenprall, bei dem die Hubschrauber vom Typ „Tiger“ und „Cougar“ vollständig ausbrannten.

Verteidigungsministerin Florence Parly hatte erst jüngst um Hilfe der europäischen Partner gebeten, um die „schwierige Herausforderung“ in einem „asymmetrischen Krieg“ zu meistern. Im Sahel-Gebiet werde für die Sicherheit Europas gekämpft. Diesen Ruf hat Deutschland gehört, zumindest Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer: „Haben wir wirklich überzeugende Gründe, unseren Beitrag auf Aufklärung und Unterstützung zu beschränken?“, äußerte sie kürzlich mit Blick auf Bundeswehreinsätze in Mali und anderswo. Ihre Antwort lautet: Nein. Bei der Bekämpfung des „Islamischen Staats“ (IS) und anderer dschihadistischer Terrorgruppen sollten, so die CDU-Politikerin, die Bürden künftig gerechter verteilt werden. Das bedeutet: Deutsche Soldaten sollen sich intensiver an Kämpfen in Afrika und anderswo beteiligen, wenn die internationale Staatengemeinschaft oder die Europäische Union sich zum Eingreifen entschließen.
Neben dem Kampf gegen den Terrorismus spielt dabei auch eine Rolle, dass afrikanische Kriege und Bürgerkriege, Wirtschafts- und Klimakrisen stets auch dazu führen, dass Millionen ihre Heimatregionen verlassen und sich in Richtung Europa orientieren. Deutschland berücksichtigt das schon länger in seiner Außen- und Wirtschaftspolitik. Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist, anders als bei den europäischen Partnern und vor allem Frankreich, bislang aber die seltene Ausnahme. Das hat gute Gründe. Aber sind sie noch gut genug?

Die Geschichte des Deutschen Afrikakorps und der deutsch-britischen Kämpfe um Wüstenorte wie Tobruk oder El Alamein gehört zu den verwehten Episoden des Zweiten Weltkriegs, auch wenn im Verteidigungsministerium ein junger Staatssekretär, Peter Tauber, noch voriges Jahr an den Tod des deutschen Feldmarschalls Erwin Rommel erinnert hat. In Afrika hatte Deutschland jedenfalls seitdem nicht mehr viel zu suchen; seine Kolonien hatte es bereits nach dem Ersten Weltkrieg verloren. Zurück blieben britische, französische oder belgische Besitzungen, die im Laufe der Zeit nach und nach in die Hände regionaler Machthaber übergingen, stark beeinflusst von ihren ehemaligen Vormächten.

Frankreich stationiert noch dieser Tage dort auch in Friedenszeiten seine Bataillone, in Djibouti (1450 Soldaten), in der Elfenbeinküste (900 Mann), in Senegal (350 Mann) und in Gabun (350 Mann). Auch Mali, das seit 1960 unabhängig ist, behielten die Franzosen stets im Blick. Man kann nicht behaupten, dass die Bundeswehr ihnen gefehlt hätte. Doch das änderte sich, vor allem wegen der permanenten Überlastung des eigenen Militärs, und nun, nach dem Tod der Soldaten, dürfte sich die Frage nach Hilfe drängender stellen als je.

Paris will die Verantwortung teilen

Als Aufständische im April 2012 im Norden Malis einen autonomen Tuareg-Staat ausriefen, dauerte es nicht lange, bis in der Hauptstadt Bamako Putsch und Gegenputsch einander ablösten. IS-Kämpfer nutzten das Chaos und drangen rasch auf die Hauptstadt vor. Während in Deutschland nur Spezialisten davon Kenntnis nahmen, entschloss sich der französische Präsident François Hollande zum Handeln. Am 11. Januar 2013 kündigte er eine Militärintervention auf Anfrage des bedrängten malischen Präsidenten an. Wenige Stunden später nahmen bereits vier französische Kampfjets vom Typ „Mirage 2000D“ Ziele der IS-Kämpfer in Angriff. Innerhalb einer Woche verlegte Frankreich 1800 Soldaten nach Mali, die Nationalversammlung wurde erst nachträglich zu Rate gezogen, wie es die französische Verfassung vorsieht.

Die Operation „Serval“ wurde am 1. August 2014 beendet und durch den auf das gesamte Sahel-Gebiet ausgedehnten Kampfeinsatz „Barkhane“ abgelöst. Paris schickte Eliteeinheiten für gezielte Anti-Terror-Operationen. Zugleich unterstützen französische Ausbilder Einsätze der malischen Armee sowie von Soldaten aus afrikanischen Nachbarstaaten, die zur Stabilisierung der Lage herangezogen wurden. Seit April ist auch die Bundeswehr beteiligt, seit Juni 2013 innerhalb der Mission „Minusma“ der Vereinten Nationen. An der sind insgesamt etwa 11000 Blauhelmsoldaten und 1500 Polizisten beteiligt.

Der Großteil des aktuellen deutschen Kontingents ist in Gao („Camp Castor“) stationiert. Die Obergrenze für das Kontingent liegt bei 1100. Anfangs waren Stabspersonal, Verbindungsoffiziere sowie Flugzeuge zum Transport und zur Luftbetankung vor Ort. Seit 2016 wurde nach Angaben des Verteidigungsministeriums „eine verstärkte gemischte Aufklärungskompanie entsandt, die mit unbemannten Drohnen und Spähpanzern des Typs Fennek ausgerüstet ist. Hinzu kommen vor allem Objektschützer, Versorger und Fernmelder.“ Während des Mali-Einsatzes sind im Juli 2017 zwei Hubschrauberpiloten ums Leben gekommen, als ihr „Tiger“-Hubschrauber wegen eines technischen Fehlers abstürzte. Die Kosten für den Mali-Einsatz lagen anfangs bei 60, 70 Millionen Euro im Jahr, inzwischen sind sie stark gestiegen: Für das aktuelle Einsatz-Mandat des Bundestages sind für 2019/2020 etwa 313 Millionen Euro eingeplant. In Frankreich belaufen sich die Kosten für die Operation „Barkhane“ auf jährlich 700 Millionen Euro.

Frankreichs Verteidigungsministerin Florence Parly hat sich erst kürzlich bei einer Reise nach Mali und zum wichtigsten militärischen Verbündeten in der Region, Tschad, einen genauen Eindruck vom größten französischen Auslandseinsatz verschafft. Frankreich hat insgesamt 4500 Soldaten für „Barkhane“ mobilisiert. Mit 19 Hubschraubern, zehn Transportflugzeugen, drei Drohnen, sieben Kampfflugzeugen und annähernd 1000 Militärfahrzeugen handelt es sich um eine der aufwendigsten Operationen. Mehr als sechs Jahre nach der „Rettung“ des malischen Staatsgebildes durch französische Truppen sind terroristische Milizen erstarkt.

„Wir sind entschlossen, den Frieden in die Sahel-Zone zurückzubringen“, bekundete Präsident Macron. Doch aus dem Verteidigungsministerium sind auch nachdenkliche Töne zu hören. 41 französische Soldaten sind seit Beginn des Einsatzes in der früheren Kolonie getötet worden, ein Dutzend wurden so schwer verletzt, dass sie ihr Leben lang Kriegsinvaliden bleiben. Die Militäroperation hat nach Schätzungen bereits vier Milliarden Euro verschlungen. Generalstabschef Lecointre sagte schon im vergangenen Jahr vor dem Verteidigungsausschuss der Nationalversammlung, dass eine kurzfristige Befriedung nicht in Sicht sei. „Ich glaube nicht, dass wir das Problem in Mali innerhalb von zehn bis fünfzehn Jahren in den Griff bekommen, wenn es uns überhaupt gelingt“, sagte Lecointre.

Auch deshalb ist Frankreich immer mehr darauf bedacht, nicht allein für die Sicherheit in Mali zuständig zu sein. Die G5-Interventionstruppe aus Mali und vier Nachbarstaaten steht aber noch am Anfang. Paris ist sich dessen bewusst, wie wertvoll die Hilfe der Bundeswehr ist. Präsident Macron hat das wiederholt hervorgehoben. Ministerin Parly kündigte bei ihrem Besuch in Gao an, dass schon 2020 europäische Spezialeinheiten Frankreich im Anti-Terror-Kampf im Sahel-Gebiet unterstützen sollen. „Wir haben beschlossen, eine europäische Elitetruppe zu begründen. Vom nächsten Jahr an sollen französische Spezialkräfte an der Seite von Spezialkräften unserer europäischen Partner in Mali eingesetzt werden“, sagte die Ministerin. Die Einheit soll den Namen „Takuba“ tragen, das Wort der Tuareg für „Säbel“. Parly sagte nicht, ob die Bundeswehr Spezialkräfte entsenden wird. In französischen Verteidigungskreisen hieß es, die Entsendung deutscher Elitesoldaten wäre ein starkes Symbol.

Schickt die Bundeswehr KSK-Kräfte?

Die höchst aufreibenden Kampfmissionen stellen eine hohe Belastung dar. Die französische Armeeführung entsendet deshalb alle Soldaten, die in der Wüste im Einsatz waren, zu einem sogenannten „Dekompressionsaufenthalt“ nach Zypern, bevor sie zu ihren Familien nach Frankreich zurückkehren können. Nach den Kampfeinsätzen unter widrigsten Klimabedingungen sind viele psychisch angeschlagen. Auf Zypern werden sie von Militärärzten untersucht, erhalten psychologischen Beistand und ein „Entspannungsprogramm“ durch Sophrologen. Untergebracht sind sie in einem gehobenen Hotel, dessen Schwimm- und Dampfbäder sowie Massage- und Sportangebote sie nutzen sollen. Den Soldaten wurde kürzlich sogar ein Fernsehfilm, „Palace Beach Hotel“, gewidmet. „Die Rückkehr ins normale Leben kann brutal sein nach sechs Monaten Kampfeinsatz“, sagte Oberst Moynard, der die „Dekompressionseinheit“ leitet. Nach dem Schock über den Tod von zehn Soldaten in Afghanistan, die 2008 in einen Hinterhalt geraten waren, wurden die Kameraden der Gefallenen erstmals nach Zypern geschickt. Seither haben mehr als 13000 Soldaten den Erholungsaufenthalt auf Zypern durchlaufen.

Für die Bundeswehr und ihre Missionen in Mali müsste eine Veränderung bedeuten, auch Spezialkräfte und geeignete Ausrüstung zu schicken und das bisherige Einsatzkonzept zu überdenken. Nach einem Bericht von Spiegel Online wurde die deutsche Verteidigungsministerin bereits gebeten, Ausbilder des Kommandos Spezialkräfte (KSK) zu entsenden, die beim Aufbau einer Spezialeinheit der malischen Armee helfen – und diese auch ins Gefecht begleiten sollen. So etwas macht die Bundeswehr bislang nicht. Ihre Soldatinnen und Soldaten sind überwiegend in einem burgähnlichen Camp stationiert, wo sie zusehen, wie die französischen Kameraden in den Kampf gegen die Islamisten ziehen. 41 Tote hat Frankreich bereits zu beklagen, mehr als 200 Blauhelmsoldaten sind in den vergangenen drei Jahren in Mali getötet worden. Die Mission ist eine der gefährlichsten in der Geschichte der Vereinten Nationen. Ob das in Berlin jedem und jeder klar ist?