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Beitrag vom 29.07.2020

Africa Positive

Vor 60 Jahren begann in Südafrika der Anfang vom Ende der Apartheid

Das Massaker von Sharpeville – Rückblick, Versäumnisse, Ausblick

von Rainer Gruszczynski

Mitte des vergangenen Jahrhunderts protestierten schwarze Südafrikaner immer
wieder dagegen, dass sie durch Gesetze der weißen Regierung ihres Landes
gezwungen wurden, jederzeit, an einem Halsband sichtbar, einen Beutel mit sich zu
führen, in dem sich ihr Pass befand. Dieses „Beweisbuch“ gab nicht nur Auskünfte
über Identität und Beschäftigungsbiographie ihrer Inhaber. Es sollte vor allem die
Freizügigkeit der Schwarzen einschränken und damit ihre Verfügbarkeit an den ihnen
von Weißen zugedachten Arbeitsplätzen sicherstellen, z.B. in den Gold- und
Diamantenminen. Auch sollte es dafür sorgen, dass sie sich nicht ohne Erlaubnis in
den für Weiße vorbehaltenen Gebieten aufhielten. - Infolge der Passgesetze waren
Schwarze permanent der Kontrolle, der Demütigung, ja, der Dehumanisierung durch
ihre Unterdrücker ausgesetzt. Wer den Passgesetzen zuwiderhandelte, wurde
inhaftiert. Als einige Tausend von ihnen vor 60 Jahren am 21.März demonstrativ
ohne Pass – sie legten es darauf an, verhaftet zu werden - vor einer
Polizeidienststelle in Sharpeville erschienen, um ihrem Unmut darüber Ausdruck zu
verleihen, eröffneten „Sicherheitskräfte“ von den Dächern der umliegenden Häuser
das Feuer auf sie. Zwei Drittel der Opfer, darunter auch Frauen und Kinder, wurden
durch Schüsse in den Rücken getötet. Insgesamt verloren 69 Menschen ihr Leben,
mindestens 180 wurden verletzt.

Mit dieser Gräueltat begann der Anfang vom Ende des Apartheidregimes in
Südafrika. Denn sie war für den UN-Sicherheitsrat der Anlass, von der
südafrikanischen Regierung zum ersten Mal zu verlangen, die Politik der
Rassentrennung zu beenden. Danach wurde Südafrika mehr und mehr politisch,
aber vor allem auch ökonomisch von der Weltgemeinschaft unter Druck gesetzt.

Das Massaker von Sharpeville löste erhebliche Unruhen im ganzen Land aus. Als
Reaktion verbot die Regierung den African National Congress (ANC) sowie den Pan
Africanist Congress (PAC). Das führte dazu, dass ihre Aktivisten begannen, den
gewaltsamen Widerstand aufzunehmen. Einer von ihnen war Nelson Mandela.

Als erster schwarzer Präsident Südafrikas unterschreibt dieser am 10. Dezember
1996 in Sharpeville die neue Verfassung. Seit 1966 wird der 21. März als
Internationaler Tag gegen Rassismus gewürdigt.

Angesichts dieser Geschichte von Sharpeville ist leicht nachzuvollziehen, welche
emblematische Bedeutung diesem Ort im kollektiven Gedächtnis Südafrikas
zukommt.

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In einem ZEIT-Artikeli anlässlich des Massakers ließ unlängst Fabian Sickenberger
zwei Bewohner von Sharpeville zu Wort kommen: Zunächst eine inzwischen
83jährige Zeitzeugin, die heute noch ihre Wut darüber mit sich herumträgt, dass sich
bis jetzt niemand weder für ihre damaligen Verletzungen und Misshandlungen von
Körper und Seele noch für ihre Inhaftierung noch für ihre jahrelange Unterdrückung
in der Zeit nach 1960 bei ihr entschuldigt hat. Und schon gar nicht wurde sie dafür
irgendwie entschädigt. Weder die Regierung der Weißen noch die der Schwarzen
zeigte sich dafür zuständig.

Südafrikas Problem ist, dass diese Frau und die anderen Opfer von Sharpeville in
diesem Land keine Einzelfälle sind, sondern dass dort viele Hunderttausende
mittelbar oder unmittelbar Erfahrungen dieser Art erleben mussten und heute noch
darunter leiden.

Fabian Sickenbergers zweiter Gesprächsteilnehmer ist ein Unternehmer aus
Sharpeville, der mit einem deutschen Start-up als Zulieferer Elektro-Lastenräder
montiert. Er kann dort zwar einigen wenigen Menschen Einkommen verschaffen und
deshalb auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Aber angesichts der Tatsache,
dass sich für die allermeisten Menschen in Sharpeville seit dem Ende der Apartheid
materiell kaum etwas verbessert hat, ist seine Initiative allenfalls der berühmte
Tropfen auf dem heißen Stein. Statt inzwischen in einer Stadt zu wohnen, die diese
Bezeichnung verdient, überleben sie weiterhin in Slums. Die Arbeitslosigkeit liegt bei
60 Prozent; viele Jugendliche haben Drogenprobleme, auch mangels einer positiven
Perspektive für ihr Leben. Ihnen fehlt es an Selbstbewusstsein. Zu einer inneren
Freiheit haben sie nach dem Ende der Apartheid ebenso wenig finden können wie
ihre Eltern und Großeltern. Wie denn auch – wenn die Mehrheit von Ihnen von
Transferleistungen (über)lebt und bestenfalls gelegentlich von humanitär gedachten
Projekten profitiert, die kaum zu nachhaltigen Verbesserungen führen!

Der Graben zwischen Armen und Reichen hat sich weiter vertieft

Auch das, was der Unternehmer in seiner Heimatstadt erlebt, wirft – 26 Jahre nach
Mandelas Übernahme der Präsidentschaft - ein bezeichnendes Licht auf die
Situation der allermeisten Schwarzen in ganz Südafrika. Thomas Piketty stellt in
Capital et Idéologie (2019) fest, dass der ANC „niemals eine Politik der Umverteilung
von Wohlstand in Angriff genommen hat“, sodass der Abstand zwischen den
obersten10% der Einkommensbezieher und dem Rest der Bevölkerung seit dem
Ende der Apartheid sogar noch gestiegen ist (ii). Laut Deutschlandfunk (iii) ist in dieser
Zeit der Anteil des Farmlandes, der sich im Eigentum der Weißen befindet - sie
stellend nur rund 9% der Bevölkerung! - von 80% auf gerade mal 72% gefallen;
dabei müsse noch berücksichtigt werden, dass im Zuge der „Landreform“ von 1997
ein nicht unerheblicher Teil des an Schwarze überschriebenen Landes auf dubiose
Weise bei Mitgliedern des ANC gelandet ist. – Kann man sich dann noch wundern
über die Wut der Armen und Landlosen auf die reichen Weißen, aber inzwischen
auch auf die korrupten schwarzen Führer vom ANC? Und trotzdem wurde der ANC in
der Wahl von 2019 mit einer satten absoluten Mehrheit der Stimmen bestätigt.

Der letzte Wahlkampf wurde denn auch bestimmt vom Thema der
entschädigungslosen Enteignung der weißen Grundbesitzer, mit der eine
Gerechtigkeitslücke im Land geschlossen werden sollte. Präsident Cyril Ramaphosa
hatte das Thema, das ihm von der Opposition, aber auch von Teilen des ANC
aufgedrängt wurde, zwar in seinen Wahlkampf übernommen, aber nur wenige
Beobachter der südafrikanischen Politik rechnen heute noch damit, dass er eine
Landreform durchführen wird, die diesen Namen verdient, und schon gar nicht eine,
die auf der Grundlage einer entschädigungslosen Enteignung weißer Farmer
durchgeführt wird".

Zu mächtig ist die Befürchtung von Verhältnissen wie die in
Simbabwe: Aus der Kornkammer Afrikas wurde dort nach der Vertreibung der
weißen Farmer durch die Regierung Mugabe ein Armenhaus.

Ein Blick in die Geschichte: Sklavenhalter statt Sklaven wurden entschädigt

Dass Pläne zur Enteignung von Weißen, zumal einer ohne Entschädigung, bei den
davon Betroffenen keine Begeisterung auslösen, wundert niemanden. Sind sie doch
mehrheitlich der Meinung, sie hätten vor langer Zeit ein Land in Besitz genommen,
das keinem gehörte, und es zu dem entwickelt, was es heute ist, nämlich indem sie
es nutzbar gemacht und bearbeitet haben. Zumindest die Valorisierung wird auch
von vielen schwarzen Südafrikanern anerkannt.

Eigentum als Institution und als Ausdruck von Freiheit spielt im westlichen Denken
eine überragende Rolle. Es in Frage zu stellen, stellt nicht nur für Philosophen und
Juristen eine extreme Herausforderung dar, sondern vor allem auch für diejenigen,
die darüber in nennenswertem Umfang verfügen oder auch nur eine Chance sehen,
dies zu verwirklichen. Eine Ahnung davon, wie schwer es sein wird, in der Frage des
Eigentums an Grund und Boden zu einer Einigung zu gelangen, kann uns ein Blick in
die Geschichte vermitteln:

Anlässlich der Befreiung der Sklaven im 19. Jahrhundert in Frankreich, USA oder
dem Vereinigten Königreich wurden nicht etwa die Opfer für das erlittene Unrecht
entschädigt, sondern die Sklavenhalter. Denn diese hatten, so die Lesart damals,
das Eigentum an Menschen ja schließlich rechtmäßig erworben; und ein Verzicht auf
Entschädigung der befreiten Sklaven wäre ohnehin kein Thema, weil diese doch die
eigentlichen Nutznießer ihrer Befreiung waren. Diese zynische Denkart betraf
versklavte Individuen und Staaten gleichermaßen. So weist Piketty (S 281ff) darauf
hin, dass der Status von Haiti, das 1804 nach mehreren Sklavenaufständen seine
Unabhängigkeit von Frankreich erklärt hatte, 1825 schließlich durch Charles X. zwar
anerkannt wurde. Allerdings musste der Inselstaat eine Schuld von 150 Mill.
Goldfrancsv akzeptieren, damit Sklavenbesitzer für den Eigentumsverlust
entschädigt werden konnten. Die Schulden von 1825 wurden erst zu Beginn der
1950er Jahre offiziell getilgt.

Es wäre auch heute sicher kaum verwunderlich, wenn Eigentum als Institution von
der Mehrheit der politischen Entscheider in Südafrika über alle moralischen
Bedenken hinweg gefeiert und mit äußersten Mitteln verteidigt wird. Und wenn es
„nur“ darum geht, irgendwelchen Anfängen zu wehren oder dem Druck ausländischer
Kapitalgeber auszuweichen - Donald Trump hat schon entsprechend gedroht und
auch der IWF steht schon in den Startlöchern! Unstrittig dürfte allerdings selbst bei
der Mehrheit der ehemaligen weißen Herren Südafrikas bleiben, dass diese im
Laufe ihrer langen Herrschaft, vor allem aber auch noch in den letzten hundert
Jahren, dort eine enorme moralische Schuld auf sich geladen haben, die bis in die
Gegenwart hineinreicht und nach Ausgleich verlangt:

Schwarze Menschen in Südafrika haben über Jahrhunderte durch Kolonialismus und
Apartheid nicht nur viel Land verloren; mindestens bis in die 1990er Jahre wurden
sie von Weißen in extremer Weise ausgebeutet, gedemütigt und seelisch deformiert;
ihnen wurde Bildung vorenthalten und dadurch auch Chancen verwehrt, Einkommen
sowie Vermögen – das im Übrigen wieder Einkommen generiert! - und mithin
gesellschaftlichen Status zu erhöhen. All das hat ihrem Selbstbewusstsein, das für
die Verwirklichung eines Lebens in Würde so wichtig ist, mit Sicherheit erheblichen
Schaden zugefügt.

Erst Buße macht Versöhnung möglich

An dieser Stelle mag mancher südafrikanische Weiße einwenden, dass es für die
Vergebung von Schuld bereits die Wahrheits- und Versöhnungskommissionen gab.
Sie sollten dazu führen, dass schwarze Opfer ihren weißen Tätern verzeihen und
dadurch eine „Regenbogennation“ ermöglichen. Wie aber bereits Wole Soyinka, der
Literaturnobelpreisträger, zu Beginn unseres Jahrtausends in seinem Buch Die Last
des Erinnerns sehr klar zu bedenken gab: Wahrheit allein führt nicht zur Versöhnung;
dazu bedarf es der echten Reue der Täter und Verantwortlichen für die Verletzung
der grundlegenden Menschenrechte im Südafrika der Apartheid. Soyinka macht
hingegen geltend, dass er während des intensiven Studiums umfangreichen
Filmmaterials zu den Verhandlungen der südafrikanischen Wahrheits- und
Versöhnungskommissionen in Haltung, Gestik, Mimik und oft nicht einmal in den
Worten schlimmster Sadisten, die ihre Taten „bereuten“, erkennen konnte, dass ihre
Reue ehrlich war, sondern dass sie vielmehr aus Kalkül „eine öffentliche Maske der
Reumütigkeit“ anlegten“. Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft durch
Vergebung Heilung erfahren kann, müsse jedoch sein, dass Übeltäter irgendwie
geläutert aus dem Prozess hervorgehen. Ansonsten könne es passieren, dass sie
Vergebung lediglich als einen Akt der Schwäche des Opfers empfinden. Was die
Opfer beleidigen und die Gesellschaft auf lange Sicht sprengen könne, statt sie zu
befrieden.

Doch nicht einmal Reue allein kann im Falle schwerster Verfehlungen, wie sie von
Weißen in Südafrika noch bis zur Übergabe der Macht an die Regierung Nelson
Mandelas in großem Stil begangen wurden, zur Versöhnung von Opfern und Tätern
führen. Dazu bedarf es, so Soyinka, der Buße. Die aber äußert sich nicht nur in
symbolischen Handlungen – der Kniefall Willy Brandts am Ehrenmal für die Toten
des Warschauer Ghettos im Jahre 1970 war z.B. eine solche beispielgebende
Handlung – sondern sie sollte sich auch in materieller Entschädigung für erlittenes
Unrecht zeigen. Vor allem dann, wenn die Opfer in materieller Hinsicht weiterhin
erheblich unter den Folgen der an ihnen verübten Verbrechen zu leiden haben. Eine
solche Ethik der Entschädigung wird im Übrigen weltweit in philosophischen und
religiösen Traditionen – auch in afrikanischen Mythologien – anerkannt. Soyinka aber
musste feststellen, dass keiner der Übeltäter, die vor den Wahrheits- und
Versöhnungskommissionen erschienen, auch nur erkennen ließ, dass er gewillt war,
von den materiellen Vorteilen, die er durch seine Verfehlungen erreicht hatte, etwas
an die Opfer oder ihre Vertreter oder die Gesellschaft zurückzugeben. Dabei wäre
genau das nötig gewesen, um Südafrika zu heilen und damit eine tragfähige
gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen, der sich Bürger, schwarze wie weiße
gleichermaßen, zugehörig fühlen können. Diese Zugehörigkeit wäre der Klebstoff,
der die Bürger der damit erst noch zu schaffenden Regenbogengesellschaft
verbinden könnte. Und Voraussetzung dafür ist nun mal, dass die Mitglieder dieser
Gesellschaft bestimmte grundlegende Werte und Verhaltensweisen nicht nur
theoretisch teilen, sondern sie auch sichtbar leben. Recht und Gerechtigkeit stehen
dabei ganz oben in der Wertehierarchie.

Wenn es aber zu einer gelingenden Befriedung einer Gesellschaft gehört, dass sich
Täter zu ihrer Verantwortung für zugefügtes Unrecht bekennen, dann wäre es in
Südafrika ein Signal an die Opfer mit erheblichem Versöhnungspotential, wenn die
Gesamtheit der Profiteure der Apartheid, die vermögenden Weißen bzw. deren
Vertreter, von sich aus ihre Bereitschaft bekunden würde, begangenes Unrecht auch
materiell auszugleichen. Täter aber, die dazu nicht bereit sind, müssten dann eben,
so Soyinka, zu dieser Art von Wiedergutmachung gezwungen werden. Selbst wenn
dies ethisch geboten wäre, bleibt jedoch festzuhalten: Die materielle Entschädigung
verlöre erheblich an gesellschaftlicher Bindekraft, wenn die Täter sie sich nur unter
Zwang, z.B. über Enteignungen, Vermögensabgaben oder progressive Steuern,
abpressen ließen.

Wiedergutmachung - eine Investition in die Zukunft

Es gibt in Südafrika mit Umati ein Mentorenprogramm, das von weißen Farmern für
schwarze Farmer betrieben wird, damit diese erfolgreich wirtschaften und also eine
positive Lebensperspektive für sich und ihre Community entwickeln können. Solche
privaten Partnerschaften sind schon deswegen zu begrüßen, weil sie einen Rahmen
bieten, in dem neben Empowerment auch wertvolle menschliche Begegnungen und
Empathie der Beteiligten füreinander ermöglicht werden. Außerdem erlauben sie es,
Ressourcen, Geld eingeschlossen, sehr gezielt und wirksam einzusetzen.
Allerdings können sie einen gesamtgesellschaftlich notwendigen materiellen
Ausgleich nicht ersetzen, der doch in einer angemessenen Relation zum Ausmaß
des angerichteten Schadens stehen sollte. Anders gesagt: Der materielle Ausgleich
sollte Profiteure des in Südafrika von Weißen begangenen Unrechts, namentlich der
Apartheid, auch spürbar belasten, wenn er seinen Zweck erfüllen soll.

Solche Überlegungen zur Wiedergutmachung sollten selbstverständlich ebenfalls für
Schwarze gelten, die in Südafrika von erheblichem Unrecht profitiert haben. Auch für
hochgradige Verfehlungen, die erst nach dem Ende der Apartheid zum Schaden der
Bevölkerung Südafrikas begangen wurden! Kleptokraten wie Jacob Zuma seien hier
genannt, der bereits dafür angeklagt wird, dass er Hunderte von Millionen US-Dollars
durch Betrug und Korruption für sich vereinnahmt hat, und sich nebenbei zu
exkulpieren sucht mit dem Hinweis, dass Korruption eben „Teil der afrikanischen
Kultur“ sei. Auch die bereits erwähnten ANC-Verantwortlichen, die im Zuge der
Überschreibungen von Landbesitz im Verlauf einer „Landreform“ vor allem an sich
selbst gedacht haben, sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Oder der König
der Zulus, der sich laut Deutschlandfunk noch kurz vor Mandelas Wahl zum
Präsidenten dem von ihm dominierten Ingonyama Trust 3 Millionen Hektar Land
überschreiben ließ, sich seitdem aber weigert, seine Untertanen an den Erträgen
daraus angemessen zu beteiligen, ja sogar heute, zusammen mit
rechtspopulistischen Weißen, gegen eine Landreform kämpft und noch 2018 dem
Präsidenten Südafrikas mit Krieg für den Fall gedroht hat, dass es zur Enteignung
kommt.

Chinua Achebe, der weltweit verehrte „Vater der afrikanischen Literatur“ und weise
Humanist, hat einmal festgestellt, dass Privilegien dazu neigen sich „wie eine dicke
Fettschicht auf unser Einfühlungsvermögen“ zu legen (vi).“ Wenn aber die Profiteure
von Unrecht – egal, ob weißer oder schwarzer Hautfarbe - weiterhin für die Folgen
ihres Fehlverhaltens so unempfindlich bleiben wie bisher, dann könnte es passieren,
dass die bornfrees und andere radikale Schwarze sich auf eine Weise der Probleme
annehmen, die von den eingangs zitierten Menschen in Sharpeville immer noch
beklagt werden. Das jedoch würde dem Land und vor allem seinen privilegierten
Bürgern sicher nicht gut bekommen. Namentlich die oft zitierte Urangst der Weißen
vor der Rache der Armen und der swart gevaar könnte weitere Nahrung erhalten
und ihnen das Leben in Südafrika verleiden.

Wenn es in Südafrika aber wider Erwarten doch noch zu einer Wiedergutmachung
für die Opfer der Profiteure käme, könnte ein Problem entstehen, das wir schon von
der Entwicklungshilfe in Subsahara–Afrika kennen: Ratlosigkeit angesichts der
Frage, wie man sicherstellen kann, dass die Entschädigung bei den Opfern auch
ankommt. – Denn es ist kaum zu vermuten, dass mit dem Abgang von Jacob Zuma
die Veruntreuung von Geldern in den Ministerien Südafrikas ein Ende gefunden hat.

Doch erlauben wir uns abschließend einmal, neben unserem Wirklichkeitssinn
unseren Möglichkeitssinn (Robert Musil) zu schärfen …indem wir träumen, wie es
Südafrika gelingt, die Regenbogenfarben der Nation zum Leuchten zu bringen: Das
Land schafft es, seine Profiteure von vormals begangenem Unrecht davon zu
überzeugen, dass sie freiwillig ihren Teil dazu beitragen, die von ihnen
verantworteten Probleme ebenso zu lösen wie das der gerechten Allokation von
Entschädigungen. - In diesem Fall könnte von Südafrika ein machtvoller Impuls
ausgehen für die Befriedung auch anderer afrikanischer Gesellschaften, und zwar
aus deren Inneren heraus. Was mit Sicherheit das wirtschaftliche Wohlergehen des
gesamten Kontinents erheblich befördern würde!

Wiedergutmachung könnte sich dann als eine renditeträchtige Investition in die
Zukunft Südafrikas und Subsaharas insgesamt erweisen. Wäre allein diese Aussicht
nicht schon Grund genug, unabweisbare moralische Schulden zu begleichen?

i DIE ZEIT Nr. 13/2020

ii Vgl. Piketty, S.376; dort erklärt er auch, dass Schwarze zwar mehr und mehr in obere Einkommensklassen aufsteigen, „dass die Weißen aber nach wie vor eine mehr als herausragende Stellung besetzen“, denn sie stellen noch 85% des reichsten 1% der Bevölkerung und fast 70% der reichsten 10%.

iii Leonie March, Ein eskalierender Konflikt, DLF,18.11.2018

iv Auffallend ist, dass in dieser Diskussion kaum das Eigentum an städtischem Boden problematisiert wird. Denn obwohl er sich vielfach als Bauland im Besitz der Regierung befindet, muss die große Mehrheit der Schwarzen weiterhin - wie schon in den Jahren der Apartheid - in ihren Townships leben. Diese werden statt vom Staat in einem erheblichen Ausmaß von kriminellen und gewalttätigen Banden kontrolliert. Außerdem liegen sie weit entfernt von den Arbeitsplätzen der Bewohner. Weil öffentliche Verkehrsmittel rar sind, ist es für diese daher sehr
zeitaufwendig, sie zu erreichen.

v Lt. Piketty entsprach das 1825 der dreifachen Wirtschaftsleistung Haitis.

vi In: Das Bild von Afrika (2000), S. 165