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Beitrag vom 05.06.2021

spiegel.de

Geflüchtete in Subsahara-Afrika

Das Ende der Willkommenskultur

Sie öffneten ihre Grenzen, integrierten Millionen Menschen: Subsahara-Afrika beherbergt derzeit mehr als ein Viertel der weltweit Geflüchteten. Nun dreht sich die Stimmung in einigen Ländern – nach dem Vorbild der EU.

Aus Malawi berichtet Heiner Hoffmann

Noch kaufen sie bei ihnen, die Bewohner der Nachbarschaft. Eine Packung Milch für 450 malawische Kwatcha, weniger als 50 Cent. Eine einzelne Zigarette für sechs Cent. Vor dem Laden sitzen junge Männer auf einer Betonbank, rauchen die eben gekaufte Kippe. Doch seit April ist die Atmosphäre eine andere, erzählen Juma und Regina, die Betreiber des Ladens. Denn Regina ist Malawierin, Juma Geflüchteter aus der Demokratischen Republik Kongo.

»Wenn ich mit meiner Frau unterwegs bin, geht es noch, das bietet mir Schutz. Aber wenn ich allein einkaufen gehe, dann muss ich mir anhören: Warum bist du hier, du solltest im Camp sein, du gehörst hier nicht mehr her«, erzählt Juma. Schuld ist eine Anweisung der malawischen Regierung: Alle anerkannten Flüchtlinge und Asylbewerber müssen in ein Lager ziehen, egal, wie lange sie schon im Land sind. Egal, ob sie Geschäfte betreiben oder wie Juma mit Einheimischen verheiratet sind. Alle müssen gehen. Die Stimmung im Land habe sich nachhaltig verändert, erzählen die Betroffenen.

Andrew Nyondo sitzt auf seinem Drehstuhl im Heimatschutzministerium Malawis. Aus dem Regierungsgebäude blickt man auf die karge Landschaft um die Hauptstadt Lilongwe. Aus dieser Gegend sollen die Geflüchteten nun verschwinden, in ein zentrales Camp etwa eineinhalb Stunden entfernt ziehen.

Zu ihrem eigenen Schutz, behauptet der Ministeriumssprecher: »In anderen afrikanischen Ländern machen sie die Flüchtlingslager zu. Wenn die Malawier davon erfahren, dass anderswo Flüchtlinge weggeschickt werden, könnte das hier auch zu Spannungen führen. Die Flüchtlinge könnten angegriffen werden.«

Hilfsorganisationen haben in den vergangenen Jahren viele afrikanische Länder dafür gefeiert, dass sie ihre Grenzen offen hielten; Menschen eine Zuflucht boten, die Schutz vor gewaltsamen Konflikten suchten. Noch immer empfangen die meisten afrikanischen Länder Geflüchtete deutlich offener als Europa, teilen die ohnehin knappen Ressourcen.

So beherbergt Subsahara-Afrika mehr als ein Viertel der weltweit Geflüchteten, Tendenz steigend. Die europäische Wahrnehmung, Zentrum von sogenannten Flüchtlingswellen zu sein, klingt für viele afrikanische Länder wie Hohn.

Nun scheint sich in mehreren Ländern des Südlichen Afrikas die Stimmung zu drehen. Kenia hat – wieder einmal – angekündigt, die riesigen Lager Dadaab und Kakuma im Norden des Landes zu schließen. Diesmal wolle man Ernst machen, heißt es. Die Camps gehören zu den größten der Welt. Hintergrund ist wohl ein politischer Streit mit dem Nachbarland Somalia, Kenia sieht in den somalischen Geflüchteten eine Bedrohung für die Sicherheit. An Teilen der Grenze wird derzeit eine Barriere errichtet, ein Flair von Trump in Ostafrika.

Auch das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sieht einige Entwicklungen in Afrika mit Sorge. »Es gab insgesamt in den vergangenen Jahren einen Trend zu mehr inklusiver Politik gegenüber Geflüchteten. Aber viele Länder sind nun zunehmend müde – wegen der hohen Zahl an aufgenommenen Menschen, wegen der Länge ihres Aufenthaltes. Das ist verbunden mit der Erwartung, dass reichere Länder mehr Verantwortung übernehmen sollen«, sagt Catherine Wiesner vom UNHCR-Regionalbüro Ostafrika.

Ladenbesitzer Juma in Malawi weigert sich noch zu gehen, ins Lager zu ziehen. »Sie haben uns den Rücken gekehrt, sehen uns nicht mehr als Menschen. Aber ich werde nicht weichen, bis die Polizei mich abholt«, sagt er. »Wer nicht freiwillig umzieht, dem wird die Polizei helfen«, sagt Regierungssprecher Andrew Nyondo. Mehrere Geflüchtete haben sich vor Gericht gegen die Anordnung gewehrt, zunächst mit Erfolg. Doch vergangene Woche hat ein übergeordnetes Gericht zumindest in einem Fall der Regierung recht gegeben. Nun soll der Plan durchgezogen werden.

Dabei galt Malawi einst als sehr Flüchtlingsfreundlich. Zwar existiert die Pflicht zum Aufenthalt im Camp auf dem Papier schon lange – doch durchgesetzt wurde sie bislang nicht. Die Geflüchteten, vor allem aus Burundi und dem Kongo, sind Stützen der Gesellschaft, sie betreiben eigene Läden und Unternehmen überall im Land.

Malawi gehört sogar zu den ersten Ländern des südlichen Afrika, die sich bereit erklärt hatten, die sogenannte New Yorker Erklärung von 2016 umzusetzen - eine Selbstverpflichtung zur Integration von Geflüchteten. »Jetzt fangen wir wieder von vorne an. Dabei dachten wir, es gäbe Fortschritte«, sagt Rumbani Msiska aus dem UNHCR-Landesbüro Malawi. »Wir sehen mit Sorge, welche Auswirkungen die neue Politik auf das Verhältnis zwischen Malawiern und Geflüchteten haben könnte.«

Regina, die Ladenbesitzerin und Ehefrau von Juma, versteht die Welt nicht mehr. Ihr Mann soll plötzlich in ein Lager ziehen, nach sieben gemeinsamen Jahren in der Hauptstadt. »Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Als Paar gehören wir zusammen. Es ist, als würde die Regierung unsere Ehe annullieren«, sagt sie. Die Regierung von Malawi besteht darauf, dass sie nur geltendes Recht durchsetze. Wer sich außerhalb des Camps niederlassen wolle, könne sich eine reguläre Aufenthaltserlaubnis besorgen. Doch viele Betroffene schildern, dass dies in der Praxis schier unmöglich sei.

»Die Schwächung der Flüchtlingsrechte in Europa hat zu einer Art Welleneffekt geführt – damit wurden politische Verschärfungen auch in weiter entfernten Regionen begründet«, sagt Dana Krause, Leiterin des Kenia-Einsatzes von Ärzte ohne Grenzen.

Beispiele gibt es einige: In Tansania werden seit einigen Wochen Geflüchtete über den Grenzfluss zurück nach Mosambik geschickt. Dabei waren sie vor islamistischen Angriffen im Norden Mosambiks geflohen. Laut Berichten wurden zudem Geflüchtete aus Burundi mit Gewalt zurück in ihre Heimat verschleppt. Äthiopien hat im vergangenen Jahr in einigen Teilen des Landes aufgehört, Geflüchteten aus Eritrea und Südsudan pauschal einen Schutzstatus zuzusprechen. Einige von ihnen bewegen sich seither ohne rechtliche Sicherheit im Land, Asylanträge wurden nicht erfasst.

Auch Adonette Hatungimana hatte Angst. Sie gehörte zu den Ersten, die ins Flüchtlingscamp Dzaleka in Malawi gezogen sind, so wie die Regierung es fordert. »Meine Nachbarn haben gesagt: Wenn du nicht gehst, wirst du die Konsequenzen spüren.« Sie packte sofort. In der Hauptstadt hatte sie zwei Jobs, ein eigenes Haus, ihre Kinder gingen zur Schule. Hier im Lager gibt es nichts davon. Ihr Sohn hat die Abschlussprüfung verpasst, denn an der Schule für Geflüchtete in Dzaleka wurde er abgewiesen.

Rückkehrer wie Hatungimana schlafen auf dem blanken Holzboden in einem großen Zeltbau, viele klagen über akuten Hunger. Ihnen werde nichts gegeben, berichten sie. Dzaleka wurde einst für etwa 10.000 Bewohner errichtet, inzwischen leben fast 50.000 Menschen hier. Alles ist am Limit, vor Kurzem wurden wegen fehlender Finanzierung aus dem Globalen Norden die Essensrationen um die Hälfte gekürzt. »Wenn jetzt auch noch die Leute aus den Städten hierherkommen, gibt es eine richtige Hungerkrise«, fürchtet der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation.

Fast alle Rückkehrer nach Dzaleka berichten Ähnliches: Nachdem die Regierung verkündet hat, dass sie alle ins Lager ziehen müssen, sei die Stimmung gekippt. »Sogar meine Klassenkameraden haben mich plötzlich beschimpft, haben gesagt, ich solle abhauen«, erzählt der Schüler Steven Ndugu. Seit fünf Wochen haust er jetzt wieder Dzaleka. Statt zur Schule zu gehen, kann er von morgens bis abends nur tatenlos rumsitzen.

»In der Stadt konnten wir für uns selbst sorgen, wir hatten einen kleinen Laden. Jetzt ist alles Ersparte weg, wir sind auf Hilfe von anderen angewiesen«, sagt Feza Fatuma. Auch sie ist nach Dzaleka zurückgekehrt, nachdem sie von Nachbarn angefeindet worden war. »Wir sind einst nach Malawi gekommen, weil wir gehört haben, dass es ein friedliches und gastfreundliches Land ist«, ergänzt Beatrice Kamazi, während sie ihr Baby stillt. »Doch diese Gastfreundschaft ist leider vorbei.«

Möglicherweise war dies das Ziel der neuen Politik Malawis. »Sie fühlen sich hier frei, Malawi hat ihnen erlaubt, sich überall zu bewegen«, sagt Andrew Nyondo vom Heimatschutzministerium. »Vielleicht kommen sie genau deswegen her.« Mit dem neuen Lager-Gesetz wolle man diesen Anreiz abschaffen.

Es ist wohl auch ein populistisches Zugeständnis an die eigene Bevölkerung. Denn der wirtschaftliche Erfolg vieler Geflüchteter wird seit dem Ausbruch der Coronapandemie, die das Land in eine noch tiefere Krise stürzte, mit Neid beobachtet. Daher fürchten nun viele Betroffene, dass ihnen ihre Läden einfach abgenommen werden, wenn sie zurück ins Lager ziehen.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft