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Beitrag vom 10.02.2022

weltneuvermessung.wordpress.com

WIR BRAUCHEN EINEN NEW DEAL ZWISCHEN AFRIKA UND DER EUROPÄISCHEN UNION

Gipfel der Afrikanischen Union und der Europäischen Union am 17. und 18. Februar in Brüssel

Robert Kappel

Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem afrikanischen Kontinent stehen vor besonderen Herausforderungen. Anders als ursprünglich von afrikanischen und europäischen Regierungen gedacht, werden die anstehenden Verhandlungen zwischen den Partnern einer besonderen Probe unterworfen. Die globale Ausbreitung von COVID-19 hat zu Wirtschaftskrisen auf dem afrikanischen Kontinent geführt. Die Klimakrise schlägt voll zu. Und die zentralen Probleme der Beschäftigungs- und Armutskrise[1] sind noch nicht im Fokus der Diskussion. Der ursprünglich für Oktober 2020 geplante, dann auf das Jahr 2021 verschobene Gipfel, wird nun in Brüssel vom 17. bis 18. Februar stattfinden.

Die EU nimmt sich vor allem vor, ein ehrgeiziges Investitionspaket Afrika-Europa auf den Weg zu bringen, in dem globalen Herausforderungen, wie dem Klimawandel und der derzeitigen Gesundheitskrise, Rechnung getragen wird. Auch Instrumente und Lösungen zur Förderung von Stabilität und Sicherheit durch eine erneuerte Friedens? und Sicherheitsarchitektur sollen Gegenstand der Beratungen sein. Außerdem soll es eine Reihe thematischer Gespräche geben, u.a. zu Wachstumsfinanzierung, Gesundheitssysteme und Impfstoffherstellung, Landwirtschaft und nachhaltige Entwicklung, Unterstützung des Privatsektors und wirtschaftliche Integration, Klimawandel und Energiewende.[2]

Präsident Macron möchte die Beziehungen allerdings weiter fassen und sie auf Werte und Fortschritt fokussieren. Konkret formuliert er: “Erstens brauchen wir einen wirtschaftlichen und finanziellen New Deal mit Afrika, der auf dem aufbaut, was wir im Mai letzten Jahres aufgebaut haben, als Europa die Frage der IWF-Sonderziehungsrechte und die Neuzuweisung unserer Rechte vorgeschlagen, befürwortet und auf den Weg gebracht hat, aber mit sehr konkreten Investitionsvorschlägen. Zweitens brauchen wir eine Bildungs-, Gesundheits- und Klimaagenda für die Entwicklung des Kontinents, um den jungen Menschen in Afrika Hoffnung zu geben. Drittens brauchen wir eine Sicherheitsagenda, die europäische Unterstützung für afrikanische Staaten beinhaltet, die mit dem Anstieg des Terrorismus konfrontiert sind, wie wir es gemeinsam in der Sahelzone getan haben. Und schließlich müssen wir irreguläre Migration und Menschenhandelsnetze bekämpfen, um die Freizügigkeit in Verbindung mit kulturellen, akademischen und wirtschaftlichen Allianzen besser zu fördern.”[3]

Inge Kaul (Professorin an der Hertie School of Governance) fordert einen Reset der Beziehungen, der mehr als ein „Weiter So“ ist.[4] Nehmt Afrikas Agenden endlich ernst!“ Dies könnte in Bezug auf die Spillover-Effekte der EU-Politik geschehen, die sich derzeit nachteilig auf den Kontinent auswirken und die Afrika gerne reduziert sähe; in Bezug auf gemeinsame Kooperationsbemühungen in Afrika und in der EU; in Bezug auf die Bündelung der Kräfte zur Förderung eines schnelleren Fortschritts hin zu globalem nachhaltigem Wachstum und Entwicklung für alle. Sollte es tatsächlich zu einer solchen Neuausrichtung der Beziehungen kommen, so würde dies ein längst überfälliges Überdenken des derzeitigen Systems der internationalen Zusammenarbeit erfordern”.

Dirk Kohnert (Assoziierter Research Fellow am GIGA Institut für Afrika-Studien) sieht düstere Wolken über dem EU-Gipfel und betont den geostrategischen Aspekt: „Eine orientierungslose EU ist konkurrierenden globalen Spielern im Kampf um Afrikas Ressourcen hoffnungslos unterlegen“.[5]

Barbara Unmüßig (Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung) thematisiert vor allem die Pandemie- und Klimafragen. Sie sieht die EU in einer Glaubwürdigkeitsfalle: „Angesichts der großen Kluft in der Impfstoffverteilung zwischen den afrikanischen und den EU-Ländern haben Ansehen und Glaubwürdigkeit der EU Schaden genommen“. Ihr Plädoyer: Mittel- und langfristig müssen wir strukturelle Fragen der globalen Gesundheit und globalen (Un)Gerechtigkeit adressieren, damit auch die ganze Welt und nicht nur ein kleiner Teil von ihr auf die zukünftigen Herausforderungen besser vorbereitet ist.“[6]

Theo Rauch (Professor an der FU Berlin) fordert „faire Handelsbedingungen verknüpft mit beschäftigungsorientierter Industriepolitik und koordinierten Initiativen lokaler Akteure“.[7]

Und Helmut Asche (Professor an der Universität Mainz) konzentriert sich auf die grundlegenden Fragen des Handels: „Es wäre ein großer Fortschritt, wenn die EU-Kommission dafür zu handelspolitischen Kompromissen bereit wäre. Ob sich aber alle afrikanischen Länder erneut auf weitgehende Handelsliberalisierung gegenüber Europa einlassen werden, wird wiederum nicht dadurch plausibler, dass man die ganze Problematik auf die kontinentale Ebene hebt. Die Europäische Union müsste wohl viel weitergehende Angebote machen – eine gemeinsame Neuordnung der Agrarpolitik zum Beispiel – um am Sitz der Afrikanischen Union Begeisterung auszulösen. Das sollte die Bundesregierung unterstützen, wenn sie Afrika wirklich helfen wollte.“[8]

Poorva Karkare (Policy Officer am ECDPM in Maastricht)[9] nimmt sich vor allem der Wirtschaftsfragen an. Sie betont Industrialisierung, freien Zugang afrikanischer Produzenten zum europäischen Markt, der durch eine Investitionspartnerschaft gefördert werden müsse. Afrikanische Firmen müssten so unterstützt werden, dass sie auch höherwertige Produkte exportieren können. Zudem plädiert sie für Maßnahmen zur Unterstützung der panafrikanischen Freihandelszone.

Thomas Bonschab und Robert Kappel (Herausgeber Blog Weltneuvermessung) sehen ein grundlegendes Problem in den Beziehungen: „Europäische Länder haben den afrikanischen Kontinent in den vergangenen Jahren mit Strategien und Sonderinitiativen geradezu überschüttet. Die Gründe liegen vor allem daran, dass Europa dringend eine Antwort auf die wachsenden Flüchtlingszahlen vor allem aus Nordafrika sowie die wachsende geopolitische Präsenz Chinas auf dem Kontinent insgesamt sucht.[10]

Robert Kappel fordert in verschiedenen Beiträgen eine Neujustierung der Kooperation[11]: „Die Neuorientierung muss sich auf die wesentlichen Themen heute beziehen: Außenhandel, Transformationsprozesse, ausländische Direktinvestitionen, die weitgehend ohne große Beschäftigungseffekte bleiben. Es ist auch entscheidend, dass die notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen im Kontext der anhaltenden klimatischen Herausforderungen umgesetzt werden. Gerade die dramatischen Folgen des Klimawandels können die afrikanische Transformation hin zu nachhaltiger Entwicklung, Beschäftigung und Armutsbekämpfung gefährden. Daher kommt es u.a darauf an, dass die afrikanischen Länder ihre finanziellen wie technologischen Forderungen auf der UN Climate Change Conference 2022 (UNFCCC COP 27) in Ägypten im Juni 2022 vorbringen. Einige Schlussfolgerungen lassen sich ziehen: Wirtschaftswachstum muss so gestaltet werden, dass es Beschäftigungschancen und höheren Wohlstand gewährleistet. Dies erfordert einen beschleunigten und nachhaltigen Strukturwandel, der eine Verlagerung der Investitionen weg von der Rohstoffgewinnung hin zu Sektoren mit höherer Wertschöpfung, wie der verarbeitenden Industrie, einschließt“.

Ein Beitrag von Chatham House[12] betont: “Analysten stellen schnell fest, dass Europa nicht mehr der einzige Akteur ist, der sich um Einfluss bemüht und Afrika Hilfe anbietet, denn auch China, Russland und andere sind inzwischen wichtige Akteure. In den letzten Jahren hat die Afrikanische Union beispielsweise Gipfeltreffen mit den Vereinigten Staaten, Japan und der Türkei abgehalten, und für Ende 2022 ist eine Konferenz mit Russland geplant. In der Tat hat Moskau eine wachsende militärische Präsenz auf dem Kontinent und war in den letzten vier Jahren der größte Waffenexporteur in die afrikanischen Länder südlich der Sahara.”

Mikaela Gavas und W. Gyude Moore (Center for Global Development, Washington, D.C.)[13] verweisen darauf, dass es zu größerem Einfluss Chinas gekommen ist. Sie sprechen von einem „EU-Afrika-Gipfel: Make or Break“. „Der Versuch der EU, dem drohenden Einfluss Chinas durch eine hochwertigere, umweltfreundlichere und transparentere Infrastruktur zu begegnen, ist ein Schlüsselelement ihres Angebots an Afrika durch die Mobilisierung privater Investitionen mit Hilfe von EU-Haushaltsgarantien”.

Henrik Maihack (Leiter des Afrika-Referats der Friedrich-Ebert-Stiftung) benennt vor allem Fragen der Sicherheit. Seiner Ansicht nach wird „Afrika … in diesem Jahrzehnt außenpolitisch eine wichtigere Rolle spielen als in den vergangenen Dekaden.“ In Afrika seien die „möglichen Auswirkungen globaler Megatrends … schon spürbar. So löst die Klimakrise bereits heute Dürren in Afrika aus… Eine schnelle Urbanisierung führt dazu, dass immer mehr junge Menschen in afrikanischen Städten wohnen, wo aber formale Arbeitsplätze, Wohnraum und politische Beteiligungsmöglichkeiten Mangelware sind. Neue soziale Bewegungen und Proteste gegen eine alte politische Elite sind angesichts der wachsenden urbanen politischen Frustration absehbar. Gleichzeitig wird die geopolitische Konkurrenz zwischen den USA, China und anderen in Afrika zunehmend spürbar“.[14] Um diese Herausforderungen kooperativ und kollektiv zu bearbeiten, sehen sich afrikanische Regierungen vor allem als Partner für Außen-, nicht alleine für Entwicklungspolitik. Maihack betont 5 Hauptthemen, die Deutschland pushen solle: Dringende Exportförderung von Impfdosen aus dem globalen Norden und gleichzeitige Unterstützung für den Aufbau von Impfproduktion in Afrika; stärkere außen- und entwicklungspolitische Orientierung an multilateral orientierten Demokratien und deren Zivilgesellschaften in Afrika; dezentralen Zugang zum Grünen Klimafonds für Klimaschutz in Afrika verbessern; Entschuldung; Peacekeeping.

Es gilt also, Reformpakete gemeinsam zu schnüren und die Kooperation zwischen Afrika und Europa neu zu justieren. Daher bedürfen die von der EU-Kommission vorgelegten Pläne für die Beratungen über die zukünftige Kooperation einer gründlichen Überarbeitung. Dies gilt vor allem für die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, für die Fokussierung der Maßnahmen auf Jobs und Armutsbekämpfung, die Wertschöpfungsketten und, vor dem Hintergrund der Klimakatastrophe, die auf dem Kontinent zu Wachstums- und Arbeitsplatzverlusten sowie zur Gefährdung der Landwirtschaft und Nahrungsmittelversorgung führ Zudem kommt es darauf an, afrikanische Gesellschaften in der Pandemiekrise und bei allen Friedensaktivitäten zu unterstützen.

Anmerkungen/Quellen

[1] Robert Kappel (2021), Africa’s Employment Challenges: The Ever-Widening Gaps, Berlin: Friedrich-Ebert-Foundation, 2021 (http://library.fes.de/pdf-files/iez/18299.pdf).

[2] https://www.consilium.europa.eu/de/meetings/international-summit/2022/0…

[3] https://presidence-francaise.consilium.europa.eu/en/news/french-preside…. Vgl. auch den Beitrag https://weltneuvermessung.wordpress.com/2021/06/15/vom-washington-konse…

[4] https://www.indepthnews.net/index.php/opinion/5055-pressing-the-reset-b…

[5] https://weltneuvermessung.wordpress.com/2021/11/22/dustere-wolken-uber-…

[6] https://www.boell.de/de/2022/02/10/corona-pandemie-impfstoffverteilung-…

[7] https://weltneuvermessung.wordpress.com/2021/02/10/jobs-in-afrika-brauc…

[8] https://weltneuvermessung.wordpress.com/2019/07/15/afrikas-kontinentale…

[9] https://ettg.eu/institute/ecdpm/strengthening-the-au-eu-partnership-on-… Siehe das Dossier des ECDPM (European Centre for Development Policy Management). https://ecdpm.org/dossiers/africa-europe-relations/

[10] https://weltneuvermessung.wordpress.com/2020/09/07/europas-wirtschaftsb…

[11] Robert Kappel (2021), Afrika-Europa. Die Neuorientierung in Angriff nehmen http://library.fes.de/pdf-files/bueros/bruessel/16645-20201026.pdf. https://weltneuvermessung.wordpress.com/2020/07/02/zusammenarbeit-afrik…

[12] https://www.chathamhouse.org/publications/the-world-today/2022-02/world…

[13] https://www.cgdev.org/blog/make-or-break-eu-africa-summit

[14] https://www.fes.de/referat-afrika/neuigkeiten/fuenf-impulse-fuer-afrika…