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Beitrag vom 14.11.2022

NZZ

Afrika entwickelt sich mehr und mehr zur geopolitischen Einfluss- und Kampfzone – der Westen muss sich auf die chinesische und russische Konkurrenz besser einstellen

China in seinem Ressourcen- und Russland in seinem Machthunger haben den afrikanischen Kontinent als Einflusssphäre neu entdeckt. Der Westen, der angesichts der autokratischen Verhältnisse bisher defensiv agierte, sieht sich herausgefordert. Was sind seine Optionen?

Hans-Josef Beth

Die globalen Mächte China, USA, EU und Russland haben ihr Werben um die Gunst der afrikanischen Länder verstärkt. Aktueller Hintergrund dieser intensivierten Bemühungen ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die 54 afrikanischen Staaten machen fast einen Drittel der Mitgliedsländer der Uno aus und haben somit einen wesentlichen Einfluss auf Abstimmungen wie auch Postenbesetzungen in den internationalen Organisationen. Neben dem diplomatischen Gewicht Afrikas sind es insbesondere dessen geostrategische Relevanz und dessen wirtschaftliches Potenzial, welche das neu erwachte starke Interesse an möglichst engen Beziehungen zu Afrika begründen.

Dabei sieht es nicht danach aus, dass es den Wettbewerbern um vorteilhafte Positionen in Afrika gelingen wird, mithilfe ideologisch geprägter Werbenarrative entscheidende Durchbrüche zu erzielen. Weder die Appelle der westlich liberalen demokratischen Staaten, sich ihrer Allianz zur Aufrechterhaltung einer «regelbasierten» Weltordnung anzuschliessen, noch die Aufforderungen Russlands und Chinas, gemeinsam die globale «westliche Vorherrschaft» infrage zu stellen, stossen bei den afrikanischen Regierungen auf wirkliche Resonanz.

Wunsch nach Äquidistanz

Die afrikanischen Politiker lassen immer deutlicher erkennen, dass sie sich in ihrer Freiheit zur Vereinbarung ihnen nützlich erscheinender Kooperationen nicht durch externe Vorgaben einschränken lassen wollen. Der ugandische Präsident Museveni dürfte die grosse Mehrheit seiner kontinentalen Amtskollegen auf seiner Seite haben, wenn er Sanktionen gegen Russland mit dem Hinweis verweigert, dass ein langjähriger Partner «nicht plötzlich zum Feind wegen seiner Rivalität mit anderen Staaten» werden könne. Der Wunsch nach Äquidistanz zu externen Systemrivalen umfasst die Botschaft, dass von den afrikanischen Regierungen die «Nützlichkeit» als wesentliches Kriterium bei ihrer Auswahl unter konkurrierenden Kooperationsangeboten betrachtet wird.

Ein afrikanischer «Mittelstand», als Katalysator für wirtschaftlichen und auch politischen Fortschritt, konnte sich bisher erst schwach entwickeln.

Wenn sich der Einfluss der globalen Mächte in Afrika also künftig nach dem von den dortigen Partnern definierten «Nutzen» des jeweiligen Engagements entfalten wird, stellt sich die Frage nach dem «besseren Angebot». Welcher Bedarf an internationaler Kooperation ist in Afrika überhaupt erkennbar, und wie positionieren sich die zum Teil rivalisierenden externen Akteure hierzu?

Die meisten afrikanischen Staaten verfügen weder über die finanziellen noch über die institutionellen Kapazitäten, um sich den in den nächsten Jahrzehnten auf sie zukommenden nationalen und regionalen Herausforderungen alleine stellen zu können. Sie werden zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels, zur Modernisierung ihrer Landwirtschaften sowie zum Aufbau beschäftigungsintensiver und global konkurrenzfähiger Wirtschaftsbetriebe auf umfangreiche internationale Unterstützung angewiesen sein.

Den afrikanischen Ländern fehlen bis jetzt auch die finanziellen und organisatorischen Mittel, um den von bewaffneten Konflikten, Terrorismus und organisierter Kriminalität ausgehenden Gefahren für ihre Stabilität eigenständig zu begegnen. Die durchschnittlichen Verteidigungsbudgets liegen in Afrika meist deutlich unter 2 Prozent des BIP – und dies bei relativ schwachen Volkswirtschaften. Die 2003 von der afrikanischen Staatengemeinschaft gegründete African Standby Force (ASF) steht noch immer nicht als einsatzbereites kollektives Instrument der Friedenssicherung zur Verfügung.

Autoritäre Herrschaftsstile

Generell können die Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union (AU) grössere zivile oder militärische Fördermassnahmen seitens dieses kontinentalen Kollektivs nicht erwarten. Der entsprechende Leistungsstand wird durch einen Vergleich der Gemeinschaftshaushalte von AU und EU deutlich: Während Letzterer für (reguläre) Ausgaben zugunsten ihrer 27 Mitglieder rund 160 Milliarden Euro im Jahr zur Verfügung stehen, muss die AU mit einem Budget von rund 600 Millionen Euro für 54 Länder auskommen.

Viele der afrikanischen Staaten erscheinen mit Blick auf ihre wirtschaftliche Lage und ihren gesellschaftlichen Zusammenhalt fragil. Die meisten afrikanischen Regierungen praktizieren einen Herrschaftsstil, der ihren Landsleuten nur begrenzte bürgerliche Freiheiten und rechtsstaatliche Garantien bietet. Nach der letzten Bestandsaufnahme des Think-Tanks «Freedom House» werden nur 8 der 54 afrikanischen Länder (mit 7 Prozent der Gesamtbevölkerung des Kontinents) als «frei» eingestuft. Verfassungsmässig vorgesehene demokratische Institutionen sind oft nur Fassade, politische Stabilität wird wesentlich durch eine auf materiellen Vergünstigungen beruhende Verständigung unter den nationalen Eliten gewährleistet.

Korruption ist nach Feststellung der ehemaligen liberianischen Staatschefin Johnson Sirleaf ein «systemisches Problem» der afrikanischen Gesellschaften und wesentlich «armutsbedingt» (Bertelsmann Transformationsindex 2015). Die auf dem Kontinent verbreitete Armut wird in den vorherrschenden informellen Beschäftigungs- und Gewerbestrukturen erkennbar, die oft nur geringe und unsichere Erträge abwerfen.

Ein afrikanischer «Mittelstand», als Katalysator für wirtschaftlichen und auch politischen Fortschritt, konnte sich bisher in zweifacher Hinsicht erst schwach entwickeln: Zum einen sind es nach Daten der Weltbank nur 2 Prozent der Bevölkerung in den 49 Staaten Subsahara-Afrikas, die ein verfügbares Einkommen von über 15 Dollar pro Tag haben; 40 Prozent leben unterhalb der extremen Armutsgrenze von 1 Dollar 90, 85 Prozent von weniger als 5 Dollar 50 am Tag. Zum anderen fehlt es auch an einem leistungsstarken unternehmerischen Mittelstand, der sich nur bei ausreichender staatlicher Absicherung und Förderung entfalten könnte.

Als Antwort auf das auch Afrika einbeziehende globale Infrastrukturprojekt der Belt-and-Road-Initiative (BRI) Chinas haben sich in den vergangenen Jahren insbesondere die europäischen Länder und die USA darum bemüht, mit immer höheren Finanzierungszusagen ihr eigenes Gewicht als strategische Partner in Afrika zu bestätigen. Alleine die EU hat im Rahmen ihres «Global Gateway»-Programms 150 Milliarden Euro für die Förderung von Kooperationen in Afrika bis 2027 in Aussicht gestellt.

Menschenrechte nachrangig

China konnte sich in den letzten beiden Jahrzehnten zum wichtigsten Investitions- und Handelspartner der afrikanischen Länder entwickeln, es ist auch der grösste bilaterale Kreditgeber. Russland ist es gelungen, sich als grösster Waffenlieferant der afrikanischen Staaten zu etablieren; es konnte in zwei Ländern (der Zentralafrikanischen Republik und Mali) Frankreich als traditionell dominierenden Partner verdrängen.

Während die USA und die europäischen Staaten ebenso wie Kanada und Japan ihre afrikanischen Partner regelmässig zur Beachtung von Menschenrechten und Regeln demokratischer Regierungsführung auffordern, betonen China und Russland ihre entsprechende «Nichteinmischung» in innere staatliche Angelegenheiten. Auffällig ist, dass die seitens der «Lager» vorgeschlagenen Projektschwerpunkte für die konkrete Zusammenarbeit weitgehend identisch sind: Es geht vorrangig um die Verbesserung der Infrastruktur, technologischen Fortschritt und den Aufbau klimafreundlicher Produktionsstrukturen.

Eine auf der Befragung von über tausend afrikanischen Entscheidungsträgern basierende Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung («The Clash of Systems», 2022) vermittelt europäischen Politikern und Unternehmern eine beachtenswerte Botschaft: Beim Umgang mit afrikanischen Partnern sollten sie wissen, dass für diese die Zügigkeit bei Abschluss und Ausführung von Projekten als ein entscheidender «Wert» gilt. Und unter diesem Gesichtspunkt wird China als Geschäftspartner in Afrika ein vergleichsweise hohes Ansehen konzediert. Die Europäer müssten sich bei ihren Projekten zur Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Nachhaltigkeit des eher nachrangigen Stellenwerts dieser Themen aus afrikanischer Perspektive bewusst sein.

Die europäischen Länder können sich schon aufgrund ihrer historischen, geografischen und sicherheitspolitischen Nähe zu ihrem Nachbarkontinent als erste Bewerber um privilegierte Partnerschaften mit den afrikanischen Ländern betrachten. Deshalb sollte die EU, zusammen mit Grossbritannien und abgestimmt mit den anderen westlichen Partnern, die afrikanischen Regierungen und Zivilgesellschaften von ihrer Bereitschaft und Fähigkeit zu einer umfassenden und langfristig angelegten Zusammenarbeit überzeugen.

Die westlichen Staaten verfügen in Afrika gemeinsam noch immer über weit überlegene Bestände an Investitionen sowie kulturellen, wirtschaftlichen und auch militärischen Beziehungen. Sie sollten ihre Kooperationen weiter ausbauen und ihre afrikanischen Partner auf diese Weise in einem immer engeren Austausch auch von der Nützlichkeit und der Vorteilhaftigkeit des eigenen Wertesystems überzeugen.

Hans-Josef Beth arbeitete 35 Jahre lang für den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Zuletzt leitete er die Abteilung Internationaler Terrorismus.