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Beitrag vom 01.03.2023

NZZ

Bola Tinubu gewinnt Präsidentschaftswahl in Nigeria

Das Politestablishment reproduziert sich

Natürlich ist die Wahl Tinubus an sich keine Schreckensmeldung. Die Biografie und der politische Leistungsausweis des Mannes sind auf den ersten Blick vielversprechend: umtriebiger Geschäftsmann und erfolgreicher Gouverneur der Riesenmetropole Lagos, keine Vergangenheit beim Militär.

Dennoch steht Tinubu für eine Vergangenheit, die viele Nigerianerinnen und Nigerianer überwinden wollten.

Nigeria leidet unter dem Paradox der alten kranken Männer, die ein junges Volk anführen. Das Durchschnittsalter liegt bei 18 Jahren, 70 Prozent der 220 Millionen Einwohner sind unter 30. Trotzdem blickt das Land auf eine leidvolle Vergangenheit mit Führern zurück, die nicht mehr «fit for duty» waren.

Umaru Yar’Adua starb 2010 im Amt. Der nun abtretende, heute 80-jährige Muhammadu Buhari verbrachte fast die Hälfte seiner ersten Amtszeit in Spitalpflege und wirkte so behäbig, dass bald der Spitzname «Baba Go-Slow» die Runde machte.
Tinubu setzt diese leidvolle Tradition fort: Er ist 70-jährig, wirkt aber älter und etwas zerstreut. Um die verbreiteten Bedenken zu seinem Gesundheitszustand zu zerschlagen, sah er sich im Wahlkampf gezwungen, ein (wenig dynamisches) Video von sich auf einem Heimtrainer zu veröffentlichen.

Tinubu ist trotz seinen politischen Verdiensten immer wieder mit Korruption in Verbindung gebracht worden. Er soll sich der Geldwäscherei und der Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben und in den 1990er Jahren gar im Drogenschmuggelgeschäft involviert gewesen sein.

Solche Vorwürfe gegenüber Angehörigen des politischen Establishments sind in Nigeria weit verbreitet – und nicht selten gut begründet. Dass die Korruption bis in die höchsten politischen Kreise des Landes reicht, ist einer der Hauptgründe, weshalb das rohstoffreiche Land seit Jahrzehnten weit hinter seinem wirtschaftlichen Potenzial zurückbleibt.

Das Land würde deshalb dringend einen politischen Führer brauchen, der das grassierende Übel glaubhaft bekämpft. Genau dies aber kann Tinubu aufgrund seiner zweifelhaften Vergangenheit unmöglich sein.

Tinubu geht als Sieger aus Wahlen hervor, die zum wiederholten Mal geprägt waren durch fehlende Transparenz, Verspätungen und Manipulationsvorwürfe. Die beiden grössten Oppositionsparteien fordern aufgrund angeblicher Irregularitäten gar eine Wahlwiederholung.

Belege für eine systematische und umfassende Wahlfälschung liegen bis jetzt zwar keine vor, doch bereits die anekdotischen Missstände während des Wahltags und bei der Auszählung sind Gift für das politische Klima in einem Land, in dem das Vertrauen in die staatlichen Institutionen ohnehin sehr gering ist.

Schliesslich markiert Tinubus baldiger Einzug ins Statehouse in Abuja auch den parteipolitischen Stillstand in Nigeria. Zwar gab es mit Peter Obi von der Labour-Partei erstmals einen aussichtsreichen Kandidaten, der die beiden dominanten Parteien bei nationalen Wahlen herausfordern konnte.

Letztlich siegte mit dem Regierungskandidaten Tinubu aber auch die bedrückende Einsicht, dass das verkrustete Politsystem Nigerias selbst in einer massiven Wirtschaftskrise keine Aussenseiter zulässt – und anstelle dessen weiterhin mediokre Angehörige des Politestablishments reproduziert.

Kontinuität des Leidens

Für viele Nigerianerinnen und Nigerianer, die sich nach Wandel sehnten, ist das Wahlergebnis deshalb ein Schlag ins Gesicht. Zwar dürfen sie weiterhin hoffen, dass Tinubu es besser machen wird als sein desaströser Vorgänger Buhari. Zu einem grundsätzlichen Kurswechsel dürfte es unter ihm aber nicht kommen.

Gerade für die über 130 Millionen Menschen, die in Nigeria in Armut leben, sind das schlechte Neuigkeiten. Für sie kommt die politische Kontinuität einer Kontinuität des Leidens gleich. Ihre Perspektiven bleiben mau, ihre Geldbeutel leer. Die erhoffte bessere Zukunft ist ein weiteres Mal auf unbestimmte Zeit verschoben worden.

Was diese Frustration für das Land bedeutet, wird nun wesentlich davon abhängen, wie die Wahlverlierer mit der Niederlage umgehen. Sehen sie darin einen Ansporn, politisch noch mehr zu tun, um einem Aussenseiter wie Obi womöglich beim nächsten Mal zum Sieg zu verhelfen? Oder sehen sie darin den abschliessenden Beleg dafür, dass an den Machtverhältnissen in Nigeria auf konventionellem Weg nichts geändert werden kann? Sollte sich letztere Sichtweise durchsetzen, drohen Nigeria unruhige Jahre. Eine Überraschung wäre dies nicht.