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Beitrag vom 04.03.2023

FAZ

Digitale Nomaden

Co-Working in Swakopmund

Digitale Nomaden ziehen durch die Welt und arbeiten von überall. Warum Afrika als Ziel im Trend liegt und warum es viele ausgerechnet nach Namibia zieht.
Von Annika Brohm

Rund 12.000 Kilometer liegen zwischen Hamburg und Swakopmund, und doch fühlt sich vieles schon vertraut an: das Meeresrauschen, die Ruhe, das fast schon dörfliche Miteinander. Vor drei Wochen sind Anneke Bösche und Jens Schoenell in der namibischen Küstenstadt angekommen. Ihr Plan: drei Monate aus der Ferne arbeiten, eingebettet zwischen Atlantik und Namib-Wüste. Das „Desert & Ocean“ ist ihr neuer Arbeitsplatz auf Zeit. In dem Co-Working-Büro in Swakopmund klappen die beiden nun jeden Tag ihre Laptops auf.

Ihr Arbeitstag beginnt in Namibia wegen der Zeitverschiebung eine Stunde später. Ansonsten mache die Distanz keinen Unterschied. „Wir arbeiten hier so, wie wir es auch im Homeoffice machen würden“, erzählen Bösche und Schoenell beim Zoom-Gespräch nach Feierabend. Es ist 19 Uhr abends in Swakopmund, sie sitzen im Freien, im Hintergrund geht die Sonne allmählich unter. Für das Paar – Bösche arbeitet selbständig für einen deutschen Energiekonzern, Schoenell für ein Hamburger Ingenieurbüro – ist es schon der zweite Aufenthalt im Südwesten Afrikas. Warum es sie abermals nach Namibia zieht? „Der Lebensstandard hier ist hoch, die Infrastruktur ist gut, es funktioniert alles mit der Arbeit“, sagt Schoenell. Und dann sei da noch das gute Wetter auf der Südhalbkugel.

Zur selben Zeit bereitet sich Sabrina Heer in der Schweiz auf ihre nächste Reise nach Namibia vor. Zwei, vielleicht auch drei Monate will sie diesmal in der Hauptstadt Windhoek verbringen. Als Business-Coach kann sie ihre Klienten von überall aus beraten. Warum also nicht in Namibia, bei Temperaturen von mehr als 30 Grad?

50 Länder bieten spezielle Visa an

Mit ihrem flexiblen Lebensmodell sind die drei schon lange keine Ausnahme mehr. Seit der Corona-Pandemie nutzen immer mehr Berufstätige die Möglichkeit, ortsunabhängig zu arbeiten. Rund 35 Millionen digitale Nomaden reisen schätzungsweise um den Globus. Das entspricht schon jetzt der Bevölkerung des namibischen Nachbarlandes Angola. Während die Zahl der digitalen Nomaden weiter steigt, verschärft sich auch der Wettbewerb unter den Gastgebern.

Von Mexiko bis nach Dubai, von Island bis nach Südkorea: Auf der ganzen Welt bieten rund 50 Länder spezielle Visa für digitale Nomaden an. Seit Oktober 2022 zählt auch die ehemalige deutsche Kolonie Namibia dazu. Wer für seinen Job nicht mehr braucht als einen Laptop und eine Internetverbindung, der kann mit dem neuen „Digital Nomad Visa“ bis zu sechs Monate im Südwesten Afrikas leben, arbeiten oder auch studieren. Auf dem afrikanischen Festland ist Namibia damit ein Vorreiter. Einzig drei zu dem Kontinent zählende Inseln waren schneller. Mauritius, die Seychellen und Kap Verde begrüßen digitale Nomaden schon seit Längerem mit offenen Armen. Südafrika, das bislang beliebteste afrikanische Land unter digitalen Nomaden, will womöglich bald nachziehen.

Dahinter steckt mehr als bloße Gastfreundschaft. Für Länder wie Namibia ist der Tourismus seit Jahrzehnten eine tragende Säule. In den Pandemie-Jahren ist sie beinahe komplett weggebrochen. Die digitalen Nomaden sollen der Wirtschaft nun neuen Schwung verleihen. Nicht zuletzt ihre Kaufkraft macht sie zu einer begehrten Zielgruppe. Addiert man die jährlichen Ausgaben aller digitalen Nomaden, landet man nach Angaben der Plattform „A brother abroad“ bei einer Summe von rund 736 Milliarden Euro. Für die Zielländer sind das gute Aussichten. Die Ortsunabhängigen bringen oft monatelang Geld ins Land, ohne lokale Arbeitsplätze einzunehmen. Im Gegenzug verspricht Namibia auf der offiziellen Visa-Website „atemberaubende Landschaften“ und „zahlreiche Wildtiere“, gepaart mit „politischer Stabilität“ und einer „ausgezeichneten Infrastruktur“.

Die Lebenshaltungskosten steigen

Was zunächst nach einem Gewinn für alle Seiten klingt, birgt jedoch auch neue Herausforderungen. In einem Gastbeitrag für die Tageszeitung „The Namibian“ schreibt der namibische Bankfachmann Josef Sheehama, digitale Nomaden könnten „einen Anstieg der Lebenshaltungskosten vor Ort bewirken, den Wettbewerb um Ressourcen verschärfen und Wohlstandsblasen schaffen“. Zudem schreibt er: „Studien weisen darauf hin, dass eine Gruppe von Arbeitnehmern, die die lokale Infrastruktur und Dienstleistungen nutzt, aber keine Steuern dafür zahlt, zu Unmut bei den steuerzahlenden Einwohnern führen kann.“

Wer sich für das Visum bewerben will, muss ein monatliches Einkommen von mindestens 2000 US-Dollar vorweisen. Damit liegt die Anforderung knapp über dem durchschnittlichen Monatsbudget digitaler Nomaden. „Gerade für Berufseinsteiger oder Gründer könnte das eine Hürde werden“, glaubt die Schweizerin Heer. Günstig ist das Leben in Namibia ohnehin nicht, zumindest im afrikanischen Vergleich. Windhoek zählt laut dem Lebenshaltungskosten-Index der Datenbank „Numbeo“ zu den teuersten Städten des Kontinents. Die Hamburger Bösche und Schoenell bestätigen: „Es ist nicht so, als ob man hier im Vergleich zu Deutschland viel Geld sparen würde.“ Die Preise für Lebensmittel seien ähnlich wie in der Heimat. Für ein Airbnb-Apartment in der Hauptstadt zahlt man im Durchschnitt 1000 Euro im Monat.

Oder aber man zieht direkt mit anderen digitalen Nomaden zusammen. Tuta Nangolo betreibt den Co-Living-Space „Kamatjona“ in Windhoek, also eine Kombination aus Gemeinschafts-Mietbüro und -Unterkunft. An einem Nachmittag im namibischen Sommer öffnet er die Tür zu dem Gemeinschaftshaus im Viertel Ludwigsdorf. Die Treppen in der Eingangshalle führen zum Konferenzraum, der Blick fällt von dort direkt auf den Pool im Innenhof. Daneben befinden sich weitere Arbeitsplätze, eine Gemeinschaftsküche mit Bartresen und großzügige Schlafzimmer. Nangolo sagt: „Der Markt ist groß, die Nachfrage ist da.“

„Wir können viel voneinander lernen“

Mit den neuen Visa sei Namibia auf dem richtigen Weg, glaubt er. Zum einen, weil eine breite Schicht der namibischen Bevölkerung von den digitalen Nomaden profitieren könne. Womöglich stärker noch als von Touristen, die oft von einer hochpreisigen Lodge zur nächsten reisen. Digitale Nomaden hingegen würden oft länger im Land bleiben und tiefer in die Kultur eintauchen. So lande das Geld mitunter auch bei denen, die es am dringendsten brauchen. Viele seiner Gäste ließen sich zum Beispiel einen traditionellen Mantel in Katutura schneidern, einem der ärmsten Viertel Windhoeks.

Am wichtigsten ist dem jungen Unternehmer jedoch das „Skillsharing“. Schon oft habe er beobachtet, wie sich digitale Nomaden und Namibier zusammengetan und gemeinsam an Projekten gearbeitet haben. Seiner Heimat könne der Wissensaustausch nur guttun, glaubt Nangolo: „Wir können viel voneinander lernen.“ Mit seiner Geschäftsidee scheint er jedenfalls einen Nerv getroffen zu haben. Unter der Woche bringt er digitale Nomaden aus aller Welt in Ludwigsdorf zusammen, am Wochenende organisiert er Touren durchs Land. Unterwegs sollen seine Gäste die kulturelle Vielfalt Namibias kennenlernen.

An der Vergangenheit des Landes kommt man dabei nicht vorbei. Besonders in Swakopmund erinnert bis heute vieles an die deutsche Kolonialzeit von 1885 bis 1915. Restaurants servieren Eisbein, Schwarzwälder Kirschtorte und Bier nach deutschem Reinheitsgebot; Straßen tragen Namen wie „Am Zoll“. „Wir hätten nicht gedacht, dass der deutsche Einfluss noch so stark ist“, sagen Bösche und Schoenell. Für einige sei das sicher ein Pluspunkt. So sei die Sprachbarriere zum Teil niedriger als in anderen Ländern, weil man sich vielerorts auch auf Deutsch verständigen könnte.

So enge Freundschaften wie sonst nirgends

Das Paar selbst findet deutsche Straßennamen und Bauten wie das „Alte Amtsgericht“ eher befremdlich. Dennoch zieht es sie immer wieder zurück nach Namibia – wegen der Natur und der Begegnungen mit „Locals“, von denen einige inzwischen zu Freunden geworden sind. Auch Heer spricht von Momenten der Annäherung: „In keinem anderen Land habe ich so enge Freundschaften schließen können wie in Namibia.“

Die Schweizerin glaubt, dass Afrika als Ziel für digitale Nomaden noch großes Potential hat. Mit ihrer Einschätzung ist sie nicht allein. Auf Blogs wird der Kontinent als „the next big thing“ gehandelt. Heer hat schon in mehreren afrikanischen Ländern gearbeitet, unter anderem in Ägypten, Südafrika und Tansania. Ihr Fazit: Namibia sei die optimale Mischung. Dort könne man, anders als etwa im europäisch anmutenden Kapstadt, „Afrika richtig erleben“. Zugleich müsse man auf nichts verzichten, zum Beispiel eine zuverlässige Stromversorgung oder Internetverbindung. Letzteres ist für digitale Nomaden neben den Lebenshaltungskosten das wichtigste Kriterium, wie Umfragen zeigen. Auf Rang drei folgt die Sicherheit. Auch in der Hinsicht schneidet Namibia vergleichsweise gut ab: Laut „Weltfriedensindex“ zählt es zu den zehn sichersten Ländern Afrikas. Und dann sind da noch die versprochenen „atemberaubenden Landschaften“ und „zahlreichen Wildtiere“. Bösche und Schoenell wollen all das bei einer Reise in den Norden Namibias erleben. Bis an die Grenze zu Angola reicht ihre Route. Im April fliegt das Paar dann wieder 12.000 Kilometer zurück nach Hamburg. Dann wird es allmählich kälter in Namibia. Und der deutsche Winter sollte sich verzogen haben.