Beitrag vom 05.07.2023
FAZ
Kolonialismus-Ausstellung
Friedrichs schwarzer Fleck
Eine Ausstellung in Berlin will den Anteil Preußens am Unrecht des Kolonialismus zeigen. Aber ihr fehlt der Sinn für historische Zusammenhänge.
Von Andreas Kilb
Der Nubier August Albrecht Sabac el Cher wurde im März 1843 von Muhammad Ali, dem osmanischen Vizekönig von Ägypten, bei einer Audienz dem nach Kairo gereisten Prinzen Albrecht von Preußen geschenkt. Sabac el Cher, dessen Geburtsname unbekannt ist, war damals sieben Jahre alt; der Name, den ihm sein neuer preußischer Besitzer gab, bedeutet auf Arabisch „guten Morgen“. In Berlin wurde er christlich getauft und zum Kammerdiener und Vertrauten des Prinzen. 1866 und 1870 nahm er als Soldat am Preußisch-Österreichischen und am Deutsch-Französischen Krieg teil und bekam dafür das Eiserne Kreuz. Nach Albrechts Tod stieg er zum Silberverwalter im Prinz-Albrecht-Palais auf, 1882 erhielt er mitsamt seiner Familie das preußische Bürgerrecht. Seine Nachfahren waren Militärmusiker und Restaurantbesitzer, einer seiner Urenkel lebt als Rentner in Stuttgart.
Sabac el Cher ist einer der wenigen „Kammermohren“ in preußischen Diensten, über die mehr bekannt ist als ihre Taufnamen und die Namen ihrer Besitzer. In der Ausstellung „Schlösser. Preußen. Kolonial.“, mit der die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten an die Verwicklung des Hohenzollern-Königreichs in den europäischen Kolonialismus erinnern will, wird sein Lebenslauf dennoch nur bruchstückhaft nacherzählt. Der Nubier, heißt es knapp, sei nie in sein Heimatland zurückgekehrt und habe in Preußen „ein Kostüm“ tragen müssen, dessen ursprüngliche „soziologische Bedeutung“ durch den orientalisierenden Blick auf außereuropäische Gesellschaften ersetzt worden sei.
Keine Erläuterung gibt die Präsentation im Charlottenburger Schloss dagegen zu der Frage, wie sich Sabac El Chers Jahresgehalt von 600 Goldmark beispielsweise zum Einkommen eines preußischen Finanzbeamten, Schullehrers oder Oberförsters verhielt. Schon zweihundert Jahre zuvor hatte ein schwarzer Diener Friedrichs I. jährlich 500 Taler verdient, so dass er sich einen eigenen Diener leisten konnte. Unter den etwa hundert Afrikanern, die zwischen 1680 und 1850 als Sklaven, Kriegsgefangene aus osmanischen Heeren oder aus freien Stücken an preußische Höfe gelangten, scheinen zumindest einige stärker vom Überfluss der Adelsgesellschaft profitiert zu haben als die leibeigene Bevölkerungsmehrheit des Landes.
„Rassifiziert und exotisiert“
Die Kuratoren der Ausstellung interessieren sich für solche banalen soziologischen Fakten freilich weniger als für das seinerzeit auch in Preußen vorherrschende eurozentrische Weltbild, durch das die Bewohner der südlichen Hemisphäre insgesamt „rassifiziert und exotisiert“ wurden. An Beweisen für diesen ästhetischen Rassismus herrscht in preußischen Schlössern kein Mangel: Gemälde von Prinzessinnen und Prinzen mit schwarzen Dienern im Hintergrund, schwarze Laternenträger vor dem Neuen Palais, falsche Chinesen mit Pickelhauben im Chinesischen Teehaus Friedrichs des Großen – und als Gipfel ein allegorisches Deckengemälde im Charlottenburger Porzellankabinett, auf dem ein schwarzer Knabe die Dunkelheit verkörpert, vor der die fackelschwingende Aurora auf ihrem Prunkwagen davonbraust.
Das Bild des Hofmalers Anthonie Coxcie, heißt es seltsam verdruckst im Katalog, sei „ein Zeichen für die damals bereits vorhandenen diskriminierenden Ansichten über Schwarze Menschen auf der Basis von Hautfarbe“. Eine installative Variante dieser Verdruckstheit ist die künstlerische Intervention, die der Deutsch-Ghanaer Nando Nkrumah an Schlüters Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten im Charlottenburger Schlosshof unternimmt. Nkrumah hat vor die vier angeketteten Kriegerfiguren am Sockel des Denkmals ebenso viele rote Holzpodeste gestellt, die an das Leiden der durch Preußens Schuld versklavten und getöteten Schwarzen gemahnen sollen. Doch die Gefesselten aus Bronze sind durch Bart und Haartracht eindeutig als Europäer gekennzeichnet, sie verkörpern die vier Feindesmächte Schweden, Polen, Frankreich und das Osmanische Reich, so dass die hölzerne Symbolik der roten Stelen an ihnen abprallt.
Dabei hätte die Ausstellung gerade an der Kolonialpolitik Friedrich Wilhelms von Brandenburg ihren dankbarsten Gegenstand gehabt. Tatsächlich hat der Kurfürst, dessen Sohn zum König „in Preußen“ aufrücken sollte, in seiner Regierungszeit den entschiedenen Versuch unternommen, sein wirtschaftlich unterentwickeltes und territorial zersplittertes Land an die globalen Handelsnetzwerke der frühen Neuzeit anzuschließen. Zu diesen Netzwerken zählte der transatlantische Sklavenhandel. Zwischen 1683, als Friedrich Wilhelm an der Küste von Ghana das Fort Großfriedrichsburg errichten ließ, und dem Jahr 1711, als die eigens gegründete Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie ihren Bankrott erklärte, wurden zwischen zehn- und dreißigtausend versklavte Afrikaner im preußischen Auftrag an Plantagenbesitzer in Südamerika und der Karibik verkauft. Die Kellergewölbe, in denen sie auf ihren Abtransport warteten, haben sich erhalten. Die Geschichte des Forts, seiner Handelspartner und seiner Gegner wäre ein Musterbeispiel für eine Ausstellung zur Theorie und Praxis des Frühkolonialismus.
Monopol für Menschenhandel
Aber dazu müsste man die eingefahrenen Gleise der moralisierenden Schuldzuweisung verlassen und über Akteure sprechen, die den Rahmen des postkolonialen Weltbilds sprengen. Etwa über Jan Conny, dem die Kuratoren nur eine allzu kurze Notiz widmen. Conny war ein einheimischer Sklavenhändler und Gewaltunternehmer, der mit den Gewinnen aus seiner Geschäftsbeziehung zu Brandenburg eine Privatarmee aufbaute. Mit ihr eroberte er auf Kosten der Akan-Staaten an der ghanaischen Küste ein eigenes Territorium, das die brandenburgische Kolonie wie ein Sperrgürtel umschloss. Die Schwäche der Brandenburger, die notorisch an Geld- und Personalmangel litten, machte er sich zunutze, um ein Handelsmonopol aufzubauen. 1710 erzwang er die Absetzung eines Gouverneurs, der ihm nicht passte. Sechs Jahre später besetzte er mit seinen Truppen das Fort, das an die Holländer verkauft worden war, und hielt es bis 1724. Conny verkörpert alles, was der Postkolonialismus für seine Ikonen einfordert, Unabhängigkeit, Eigensinn und Stärke. Nur verdiente er, wie die meisten afrikanischen Herrscher seiner Epoche, am Handel mit versklavten Schwarzen. Man musste damals offenbar kein Rassist sein, um Menschen auf den Markt zu werfen.
Der europäische Kolonialismus hat eine politisch-ökonomische und eine künstlerische Seite. Zu beidem findet sich selbst in den Hinterlassenschaften der preußischen Monarchie, die nur ein kleiner Player unter den kolonialen Großmächten war, reiches Anschauungsmaterial. Aber damit die Objekte und Dokumente zu sprechen beginnen, muss man sie in den zeitlichen Zusammenhang stellen, dem sie entstammen. Die Ausstellung der Schlösserstiftung bringt stattdessen nur die Urteile ihrer Kuratoren zur Sprache. Der schwarze Diener, sagt sie, sei in Preußen unter die Räder gekommen wie der Knabe auf dem Deckenbild. Das Schicksal des Sabac el Cher spricht dagegen.