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For a different development policy!

Beitrag vom 06.07.2023

Fünf vor acht - Die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE

Ein Musterbeispiel für misslungene Entwicklungshilfe

Die UN ziehen aus Mali ab, stattdessen sind jetzt Wagner-Söldner im Land. Der Westen hat es trotz Milliarden Dollar Aufbauhilfe nicht vermocht, das Land zu stabilisieren.

Eine Kolumne von Andrea Böhm

Das war's dann also. Nach zehn Jahren unter dem Dach verschiedener Missionen zieht die Bundeswehr aus Mali ab. Unfreiwillig.

Haut ab! Sofort! Das war, etwas diplomatischer formuliert, die Botschaft des malischen Außenministers Abdoulaye Diop Mitte Juni im UN-Sicherheitsrat.

Die UN-Blauhelm-Mission Minusma, schon seit Längerem von der herrschenden Militärjunta misstrauisch beäugt und in ihrer Arbeit behindert, muss ihre Stellungen im Norden des Landes räumen – und mit ihr das deutsche Kontingent. Und zwar sehr viel schneller, als es der ohnehin geplante Abzug zum Mai 2024 vorgesehen hatte. Beim Packen sehen ihnen russische Söldner der Wagner-Gruppe zu, die in Sichtweite der UN-Mission in der Stadt Gao ihr Lager aufgeschlagen haben. Für Sicherheit im Land will Malis Regierung nun allein mit Moskaus Hilfe sorgen.

Wie das abläuft, kann man in einem aktuellen Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte über einen Antiterroreinsatz malischer und Wagner-Einheiten im vergangenen Jahr in Zentral-Mali nachlesen. Im März 2022 verübten Soldaten und Söldner in dem Dorf Moura eines der größten Massaker in der Geschichte des Landes. Über 500 Männer wurden erschossen. Ein Bart im Gesicht reichte aus, um als vermeintlicher Dschihadist exekutiert zu werden. Viele Frauen wurden laut Zeugenaussagen vergewaltigt.

Dieser Report war offenbar der Auslöser für den Rausschmiss der UN-Mission. Weder das malische Militär noch seine russischen Verbündeten möchten sich bei ihrem war on terror von irgendjemandem kritisieren lassen.

Finstere Militärs, böse Russen, noch bösere Dschihadisten und eine düpierte UN. Dieses Narrativ ist schön einfach, nicht falsch und gerade deswegen in westlichen Medien populär. Aber es erzählt nur einen kleinen Teil der Geschichte eines kapitalen Scheiterns. Und ich rede hier nicht von militärischem Versagen, sondern vom Versagen internationaler Hilfspolitik. Auch Deutschland spielt dabei eine unrühmliche Rolle.

Im Westen war man mit regelmäßigen Wahlen zufrieden

Mali – das war einmal der Darling westlicher und vor allem deutscher Entwicklungshilfe. 1991 hatte eine Protestbewegung die Diktatur gestürzt und anschließend in monatelangen Debatten eine demokratische Verfassung entworfen. Ein enormer Erfolg – auch wenn er natürlich nicht die Kernprobleme des Landes lösen konnte: das koloniale Erbe eines zentralistischen Staates und einer willkürlichen Grenzziehung; der wachsende Einfluss eines wahhabitischen Islam, über die vergangenen Jahrzehnte befördert durch Saudi-Arabien; die ländliche Armut.

Man soll die Energie von Zivilgesellschaften nicht überschätzen, doch Mali hat bis heute wohl eine der lebendigsten und streitbarsten auf dem afrikanischen Kontinent. Es ist allerdings auch mit einer hochgradig korrupten politischen Elite geschlagen. Die nutzte den Geldsegen der Entwicklungshilfe lange nach dem Motto: der Kuchen für die Hauptstadt, die Krümel für das Hinterland.

Westliche Staaten, die Weltbank, internationale NGO fanden, das regelmäßige Abhalten von Wahlen genügte, um Mali als demokratisches Erfolgsmodell einzustufen und weiter mit Geld zu versorgen. Da war die Wahlbeteiligung schon deutlich geschrumpft, und Malier und Malierinnen erzählten jedem, der es hören wollte, dass diesem Staat mit seinem Wasserkopf in Bamako nicht zu trauen sei.

Trotz Milliarden Dollar an Aufbauhilfe für Straßenbau, Landwirtschaft, Schulbildung, Bewässerung, so resümierte 2013 ein Bericht des UN-Nachrichtendienstes Irin News, dümpele Mali weiter auf einem der letzten Plätze des UN-Index der menschlichen Entwicklung. "Bestenfalls war die Hilfe ineffektiv", heißt es. "Sie hat Korruption genährt und den Willen der Regierung unterminiert, auf produktiven Wegen oder durch Besteuerung selbst Geld zu erwirtschaften. Was schlimmer ist: Diese Bedingungen haben direkt zu dem Konflikt im Norden des Landes und zur politischen Krise in Bamako geführt."

Die Bundesregierung will das Engagement im Sahel ausbauen

2013 – da steckte Mali bereits mitten in der Gewaltspirale. Mit dem "Konflikt im Norden des Landes" war ein Aufstand von Tuareg-Rebellen gemeint, deren Gebiete vom Staat immer schon vernachlässigt worden waren. Sie schlossen ein fatales Bündnis mit Al-Kaida nahen Islamisten, die sehr bald die Kontrolle übernahmen und Richtung Hauptstadt marschierten. Als Frankreich auf Bitten der malischen Regierung Truppen schickte und die Dschihadisten stoppte, schwenkten Menschen in Timbuktu, Gao, Kidal oder Bamako jubelnd die Trikolore. Doch die Begeisterung kühlte schnell ab. Die Militäroperationen unter französischer Führung verbesserten die Sicherheit nicht, sondern verschlechterten sie. Bei französischen Luftangriffen wurden immer wieder Zivilisten getötet. Entsprechende Berichte der UN oder von Menschenrechtsorganisationen wies Frankreich empört zurück.

Von Dschihadisten befreite Gebiete konnten nicht gehalten werden, weil Bamako kaum in den Wiederaufbau von Schulen, Gerichten und Polizeistationen investierte. Immer mehr Menschen fragten sich, was diese ausländischen Soldaten mit ihrer Hightechausrüstung eigentlich machten. Die Stimmung begann zu kippen. Die Militärjunta unter Assimi Goita, einem angesehenen Offizier, der seit einem durchaus populären Putsch 2020 an der Macht ist, ging auf Distanz, die Beziehungen zu Frankreich wurden immer eisiger, die Stimmung in der Bevölkerung kippte in Wut auf die ehemalige Kolonialmacht. Solche Gemengelagen sind bekanntlich ein idealer Türöffner für russische Ambitionen in Afrika. Als Frankreich empört begann, seine Truppen abzuziehen, waren die ersten Wagner-Söldner schon in Bamako und übernahmen wenig später den verlassenen französischen Stützpunkt in Gao.

Der Rest der Geschichte ist bekannt. Aber wie geht's jetzt weiter?

Die russischen Söldner werden bis auf Weiteres bleiben – auch wenn sie immer noch nicht wissen, wer ihnen nach der gescheiterten Revolte ihres Chefs Jewgeni Prigoschin nun die Befehle gibt.

Dem Land droht zudem eine weitere Eskalation der Gewalt, eine neue Front. Denn mit dem Abzug der UN-Mission dürfte auch das Friedensabkommen gescheitert sein, das Bamako 2015 mit den Tuareg-Rebellen geschlossen hatte und dessen Einhaltung die Minusma überwachen sollte. Malis Junta wird zusammen mit russischen Söldnern ihren brutalen Krieg gegen Dschihadisten fortsetzen – mit den absehbaren Folgen für die Zivilbevölkerung.

Absehbar ist auch, dass diese Strategie, die auf den militärischen Sieg setzt, keinen Erfolg haben wird. Möglich also, dass russische Söldner bald ähnlich unpopulär werden, wie es französische Militärs waren. Gut möglich ist auch, dass die Junta unter Goita den Rückhalt in der Bevölkerung verliert.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat noch vor dem definitiven Rausschmiss der UN-Mission angekündigt, dass die Bundesregierung ihr entwicklungspolitisches Engagement in der Sahel-Region, auch in Mali, ausweiten wolle. Mit Programmen zur Jobbeschaffung und anderen Projekten könne man dazu beitragen, "dem Terrorismus den Nährboden entziehen".

Mit Dschihadisten reden?

Solche vollmundigen Sprüche haben die Malier und Malierinnen in den vergangenen Jahrzehnten oft genug von der westlichen Politik gehört. Aber es ist richtig, gerade angesichts des militärischen Abzugs im Land zu bleiben, Kontakte zu zivilgesellschaftlichen Gruppen auszuweiten, sich auf plötzliche Umbrüche der politischen Verhältnisse vorzubereiten. "Bereit sein, wenn es darauf ankommt", schreibt Melissa Li, Research Fellow am Global Public Policy Institute in Berlin.

Li fordert auch, von deutscher Seite jene Organisationen in Mali zu unterstützen, die sich auf Verhandlungen mit dschihadistischen Fraktionen einlassen wollen – und das in der Vergangenheit auf lokaler Ebene auch schon getan haben.

Das ist ein verdammt heikles Terrain. Frankreich hatte solche Gespräche ebenso kategorisch abgelehnt, wie es heute die malische Junta und ihre russischen Verbündeten tun. Nur: Die Folgen dieser Position haben die Menschen in den umkämpften Gebieten zu ertragen, die immer mehr Gräber ausheben müssen.

Bevor sich Deutschland seine nächste neue Mali-Strategie aufblättert, braucht es noch etwas ganz anderes: eine parlamentarische Kommission, die das Scheitern der Mali-Politik in den vergangenen dreißig Jahre untersucht. Das ist man nicht nur den zivilen Helferinnen und deutschen Soldaten schuldig, die in Mali stationiert waren. Sondern vor allem den Menschen im Land.