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Beitrag vom 18.07.2023

NZZ

Ein runder Bauch hilft beim Bankbesuch

Kreditgeber in Uganda bevorzugen laut einer Studie Übergewichtige

Samuel Misteli, Nairobi

In reichen Ländern, wo die Fitnesszentren voll sind und die Nachfrage nach Gemüse gross ist, wird Übergewicht meist als Zeichen für schlechte Ernährung gedeutet – oder als Charakterschwäche. In ärmeren Ländern dagegen werden dicke Personen weniger harsch bewertet – in manchen Fällen sogar so positiv, dass sich finanzielle Vorteile ergeben. Das zeigt eine Studie der amerikanischen Brown University, die demnächst in der Fachzeitschrift «American Economic Review» erscheinen wird.

Laut der Studie haben übergewichtige Personen in Uganda, einem ostafrikanischen Land mit knapp 50 Millionen Einwohnern, deutlich höhere Chancen, an Kredite zu gelangen, als dünne Personen. Die Autorin der Studie, die Ökonomin Elisa Macchi, die an der Universität Zürich promoviert hat, legte 238 Angestellten von 146 Finanzinstituten in Ugandas Hauptstadt Kampala Anträge von fiktionalisierten Kreditnehmern vor. Beigelegt waren veränderte Fotos der Antragsteller, die diese entweder dicker oder dünner erscheinen liessen, als sie in Wirklichkeit waren.

Das Ergebnis: «Kreditspezialisten im Experiment bevorzugen übergewichtige Kreditnehmer, ihr Verhalten entspricht statistischer Diskriminierung. Sie erachten die übergewichtigen Kreditnehmer als reicher und deshalb kreditwürdiger.» Die Kreditspezialisten gaben ihre Vorurteile auch zu, als sie später direkt danach gefragt wurden: 90 Prozent sagten, dicke Antragsteller hätten grössere Chancen auf Kredite als normalgewichtige.

«Eine tickende Zeitbombe»

In armen Ländern werden dicke Bäuche tatsächlich oft mit Wohlstand assoziiert. Wie frühere Studien, auch zu Uganda, gezeigt haben, sind wohlhabende Personen in solchen Ländern tatsächlich mit grösserer Wahrscheinlichkeit übergewichtig – was die Entscheide der ugandischen Experimentteilnehmer nachvollziehbar macht. Dünn zu sein dagegen, wird oft mit Armut oder Krankheit verbunden.

Dicke Bäuche sind aber in armen Ländern nicht nur ein Statussymbol, sie sind zunehmend ein Problem. Gerade in Afrika steigt die Zahl der übergewichtigen Menschen rasant. Eine Studie der University of Washington in Seattle führte vor einigen Jahren unter den zwanzig Ländern, in denen der Anteil der übergewichtigen Erwachsenen am schnellsten ansteigt, acht afrikanische Staaten auf. Im März 2022 schlug die WHO Alarm: Einer von fünf Erwachsenen und eines von zehn Kindern in zehn stark betroffenen afrikanischen Ländern könnten bis Ende 2023 übergewichtig sein. «Afrika hat ein wachsendes Problem mit Übergewicht, die Tendenzen verstärken sich. Das ist eine tickende Zeitbombe», sagte Matshidiso Moeti, die WHO-Regionaldirektorin für Afrika.

Veränderte Gewohnheiten

Die Aufregung rührt daher, dass starkes Übergewicht das Risiko für Herzerkrankungen, Diabetes und gewisse Krebsarten erhöht. Die Gesundheitssysteme sind darauf aber nicht vorbereitet – sie fokussieren ihre meist knappen Mittel auf Krankheiten wie Aids, Malaria oder Tuberkulose.

Afrikanerinnen und Afrikaner werden nicht dicker, weil sich der Wohlstand rasant ausbreiten würde. Sondern weil sich Lebensgewohnheiten in den letzten Jahrzehnten stark verändert haben: Subsahara-Afrika gilt als die Weltregion, die sich am schnellsten urbanisiert, Millionen von Afrikanerinnen und Afrikanern ziehen jedes Jahr vom Land in die Stadt. Dort bewegen sie sich meist weniger als auf dem Land, wo viele als Bauern arbeiteten. Dazu ersetzt in den Städten oft billiger Junk-Food selbst angebautes Gemüse.

Das heisst auch: Ugandas Kreditspezialisten werden ihre Einschätzungen zunehmend anpassen müssen, weil immer mehr Arme übergewichtig sind. Ein dicker Bauch bedeutet nicht mehr zwingend auch ein dickes Portemonnaie.