Beitrag vom 18.02.2024
Die Tagespost
TERROR IN AFRIKA
Der Sahel und seine Nachbarn: Ein Tummelplatz für Islamisten
Von Mali, Burkina Faso über Niger bis zur Region um den Tschadsee, wo Nigeria, Kamerun und Tschad aufeinandertreffen, sind Millionen Menschen auf der Flucht vor den sich ausbreitenden Angriffen terroristischer Gruppen
Michael Gregory
Inzwischen ist sie fast schon Stammgast. Jedenfalls müssen Svenja Schulze und Omar Touray, Präsident des westafrikanischen Staatenbundes ECOWAS mit Sitz in Nigerias Hauptstadt Abuja, nicht immer wieder neu auf Tuchfühlung gehen, um sensible Themen anzusprechen. Im August vergangenen Jahres war die deutsche Entwicklungsministerin Gast bei der ECOWAS, unmittelbar nach dem Militärputsch in Niger. Seitdem ist der Kontakt zwischen dem Entwicklungsministerium und der Regionalorganisation wegen der Entwicklungen im Sahel noch enger geworden.
Weitere Umstürze drohen, etwa in Senegal, und inzwischen haben die drei von Juntas regierten Länder Mali, Burkina Faso und Niger ihren Austritt aus der ECOWAS erklärt. Bei ihrem jüngsten Besuch in Abuja Anfang Februar, nutzte Svenja Schulze das gewachsene Vertrauen. In einer für Touray besonders schwierigen Situation ging es hinter verschlossenen Türen um die Frage, ob es doch noch Wege gibt, mit den Austrittsländern zusammenzuarbeiten. Man wolle weiter Gesprächskanäle offenhalten zu den Militärs in Bamako, Ouagadougou und Niamey, im Interesse der notleidenden Bevölkerung, heißt es seitens ECOWAS und des Entwicklungsministeriums.
Verharmlosende Sicht auf islamistischen Terror
Soweit so gut. Wer sonst im globalen Norden wendet sich schon dem Sahel zu? Ob aber auch über des Pudels Kern gesprochen wurde, nämlich den zentralen Austrittsgrund Malis, Nigers und Burkina Fasos, darf bezweifelt werden. Alle drei Staaten werfen der ECOWAS vor, sie im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus zu wenig unterstützt zu haben. Selbst wenn der Vorwurf überzogen ist und auch taktische Motive haben mag, weil die ECOWAS in allen drei Länder einen ziemlich schlechten Ruf in der Bevölkerung hat, lenkt er den Blick doch auf eine Achillesferse des Bündnisses und seiner westlichen Unterstützer: eine mitunter an Verharmlosung grenzende Sicht auf die zerstörerische Kraft des islamistischen Terrors in der Region.
Zwar betrachten die Vereinten Nationen und viele internationale Entwicklungsorganisationen den Sahel inzwischen als „neues Epizentrum des islamistischen Terrorismus“, doch die Erkenntnis steht in einem merkwürdigen Gegensatz zur konkreten Projektarbeit vor Ort.
Beispiel Zentral-Nigeria: Als Hauptursache für die ständig neu aufflammende Gewalt dort zwischen den meist christlichen sesshaften Bauern und den meist muslimischen nomadischen Hirten werden die Folgen des Klimawandels gesehen. Die Erzählung geht im Wesentlichen so: Weil die Hirten für ihre Herden am Rand des Sahel nicht mehr ausreichend Wasser finden, werden sie gezwungen, immer weiter nach Süden zu ziehen, wo es dann oft zu gewalttätigen Zusammenstößen mit den dort lebenden Bauern kommt. Der Klimawandel als zentraler Einheizer für einen Konflikt, der sich inzwischen zu einem Hotspot der Geopolitik entwickelt hat?
Getarnt als Nomaden, agieren sie als Dschihadisten
Es stimmt, dass durch anhaltende Dürren in den vergangenen Jahren die Nomaden aus dem Volk der Fulani in Nigerias Middle Belt, und auch in den benachbarten Ländern, immer weiter nach Süden ziehen müssen, um Wasserstellen für ihre Herden zu finden. Doch die Gewalt – zuletzt eskaliert an Weihnachten 2023 mit rund 200 Toten im zentralnigerianischen Bundesstaat Plateau – wird entscheidend befeuert durch dschihadistische Scharfmacher auf muslimischer Seite.
Der Konflikt ist also durchaus religiös motiviert, was in den Leitungsstellen westlicher Geberorganisationen oder auch der ECOWAS gerne unausgesprochen bleibt. Christen in Nigeria würden immer wieder Opfer religiös motivierter Gewalt und dschihadistische Fulani griffen gezielt Christen an, berichtet zum Beispiel das katholische Hilfswerk „Kirche in Not“. Das Land leide nicht nur unter Angriffen der Terrororganisation Boko Haram und ethnisch-religiösen Konflikten, auch auf die Sicherheitskräfte könnten sich Christen nicht verlassen. Allein zwischen Januar 2021 und November 2023 seien mehr als 7.000 unbewaffnete Nicht-Muslime Opfer der sich zunehmend islamisch radikalisierenden Sicherheitskräfte geworden.
Tatsächlich verfügt Nigerias Middle Belt über fruchtbare Böden, was ihn zu einem umkämpften Terrain macht. „Sie tarnen sich als Nomaden, handeln aber wie Dschihadisten“, so Remigius Ihyula, Leiter der diözesanen Stiftung für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden, gegenüber „Kirche in Not“. Die Angreifer aus dem Norden Nigerias und dem benachbarten Niger seien mittlerweile dazu übergegangen, ganze Landstriche zu besetzen und Gemeinden zu vertreiben. Zudem habe sich ein „ganzer Wirtschaftszweig“ aus Entführungen entwickelt, so Ihyula. Auf dem Weltverfolgungsindex 2024 des evangelischen Hilfswerks Open Doors steht Nigeria auf Platz Sechs.
Strategen der Terrorbekämpfung scheinen immer ratloser
Ebenso gehört Nigeria zu den Tummelplätzen islamistischer Organisationen. In weiten Teilen des Sahel von Mali, Burkina Faso über Niger bis zur Region rund um den Tschadsee, wo Nigeria, Kamerun und Tschad aufeinandertreffen, sind Millionen von Menschen auf der Flucht vor den sich ausbreitenden Angriffen terroristischer Gruppen.
Die sind immer besser vernetzt, und die Strategen der Terrorbekämpfung scheinen immer ratloser. Häufig kommt es in Grenzregionen zu Anschlägen und Angriffen, und häufig verlagern sich die Schauplätze sehr schnell. In Nigeria hat der „Islamische Staat in der Provinz Westafrika“ (ISWAP) – die Gruppe spaltete sich 2016 von Boko Haram ab und verfügt über etwa 5.000 Mitglieder – Kontakte zum „Islamischen Staat in der Größeren Sahara“ (ISGS) in Mali, Niger und Burkina Faso.
Bereits 2017 schlossen sich in Mali Ansar Dine, die Macina-Befreiungsfront und Al-Mourabitoun zur islamistischen Sammelbewegung Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin (JNIM) zusammen, die sich seitdem in Burkina Faso ausgebreitet hat. ISWAP breitete sich über Nigeria hinaus aus und verübte im Tschad Anschläge und gezielte Entführungen.
Finanziert aus Saudi-Arabien und Katar
Die Organisationen finanzieren sich über den Drogen- und Waffenhandel sowie Entführungen. Je weniger die Staatsmacht präsent ist, desto besser funktioniert dieses Geschäftsmodell. Das zeigt die Entwicklung rund um den Tschadsee. Dort baut Experten zufolge ISWAP eine Basisversorgung für die Zivilbevölkerung auf, wofür eigentlich der Staat zuständig wäre. Auf diese Weise bindet die Terrorgruppe die Bevölkerung an sich, führt die Unfähigkeit des nigerianischen Staates vor und schafft sich so eine stille Reserve an Sympathisanten. In anderen Ländern der Region läuft es ähnlich.
Wo der Staat sich nicht um Entwicklung, also etwa Bildung, Infrastruktur und Jobs, bemüht, stoßen die Islamisten vor. Unterstützt und finanziert werden sie von religiösen Organisationen aus Saudi-Arabien, Katar und anderen Golf-Staaten. Sie bauen Koran-Schulen und Moscheen im Sahel und bringen ihre eigene, rigorose Auslegung des Islam mit.
Was den Konflikt in Nigeria überdies anheizt, ist die Zirkulation von Kleinwaffen. Regierungsvertreter gehen von landesweit 350 Millionen aus. Es heißt, dass Gewehre und Pistolen auf 250 verschiedenen Routen ins Land kämen – meist über Kamerun und Tschad. Ein Ursprungsort sei Libyen. Andere Waffen würden im Südosten Nigerias lokal produziert oder gegen gestohlenes Rohöl getauscht.
Jahrhundertelang lebten sie hier friedlich zusammen
Islamistischer Furor, traditionelle Konflikte und ein immer knapper werdender Kulturraum: Bietet dieser Schreckensmix aus Partikularinteressen und veränderten geografischen Bedingungen überhaupt Lösungswege, zumal die von den Militärs der Putschregierungen versprochenen Erfolge in der Terrorbekämpfung bisher ebenfalls ausblieben? Eigentlich müssten die Vereinten Nationen mit Nachdruck voranschreiten als Hüterin der Menschenrechte, zu der die Religionsfreiheit zählt. Bislang war aus New York aber nicht viel zu hören. Für alle möglichen Themen gibt es internationale Konferenzen, warum nicht eine für den Sahel und seine Nachbarn, mit dem Ziel, Frieden zu fördern und dem Dschihadismus als Verursacher vieler Probleme in der Region die Zähne zu ziehen? Muslime und Christen in Westafrika haben über Jahrhunderte bewiesen, dass sie friedlich zusammenleben können. Der Westen könnte voran gehen und die Financiers der Scharfmacher mit ins Boot holen.
Nach ihrer Visite in Abuja fuhr Schulze weiter nach Jos (Plateau), um dort ein Beratungszentrum des nigerianischen Arbeitsministeriums für Migration einzuweihen. Jungen Leuten, die einen Beruf erlernt haben und raus wollen, soll die Fachkräftemigration ermöglicht werden. Für manche könnte das ein Hoffnungsschimmer sein, doch die Ursachen für die Misere, die auch immer mehr die Nachbarstaaten am Golf von Guinea bedrohen, müssen vor Ort angepackt werden.