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Beitrag vom 17.05.2024

NZZ

Wenig Kompetenz, viel Populismus

Kurz vor den Wahlen unterzeichnet Südafrikas Präsident Ramaphosa eine nicht bezahlbare Gesundheitsreform

Christian Putsch, Kapstadt

In nur wenigen Ländern gehört Humor so zur politischen Kultur wie in Südafrika. Unvergessen ist, wie Nelson Mandela bei Verhandlungen zum Apartheid-Ende die Stimmung seiner weissen Politikergäste mit einem Scherz auflockerte: Es tue ihm leid, er habe nach 27 Jahren Haft vergessen, wie man Tee einschenke.

An einem ähnlichen Unterfangen versuchte sich am Mittwoch eher hölzern der gegenwärtige Präsident, Cyril Ramaphosa. Er habe endlich seinen Kugelschreiber gefunden, feixte er in seinem Regierungssitz in Pretoria. Dann zückte er einen goldenen Schreibstift und unterzeichnete das Gesetz zu einer Gesundheitsreform, das für sein Land zusätzliche Kosten in Höhe von mindestens zehn Milliarden Franken bedeutet. Die bisherigen Ausgaben würden sich damit fast verdoppeln.

Wohl deshalb hatte er seine Unterschrift ewig hinausgezögert, immerhin verabschiedete das Parlament das Gesetz schon im vergangenen Juni. Erst jetzt, welch Zufall, genau zwei Wochen vor den Parlaments- und Regionalwahlen am 29. Mai, hat er es gutgeheissen. Ramaphosa wird dabei eine zweite Amtszeit bekommen, und der African National Congress wird weiterregieren können – aber eben nicht mehr allein. Das vom ANC durchgesetzte Gesetz ist ein besonders dreister Akt von Populismus, um den prognostizierten Verlust der absoluten Mehrheit doch noch irgendwie abzuwenden.

Drohender Exodus von Ärzten

Die Reform verspricht eine nationale Gesundheitsversicherung mit der gleichen medizinischen Versorgung für alle Bürger; Südafrika zählt zu den Ländern mit den grössten Einkommensunterschieden der Welt. Es ist der Versuch, die privaten Krankenversicherungen und Spitäler dem kollabierenden staatlichen Gesundheitssystem einzuverleiben; laut der Reform dürfen die von der Gesundheitsversicherung abgedeckten Leistungen nicht mehr von privaten Versicherungen angeboten werden. Das ist international nahezu einmalig. Gezahlt werden sollen fortan alle Leistungen aus einem staatlichen Fonds.

Doch nur jeder zehnte Bürger Südafrikas zahlt Einkommenssteuern. Die Mittelschicht ist schon jetzt so steuerbelastet wie kaum eine andere weltweit, wozu Ramaphosa vor einigen Tagen nur rassistische Untertöne einfielen. Das Gesetz treibe offenbar «Angst in die Herzen einiger Weisser», sagte er, wohlwissend, dass auch schwarze Steuerzahler und Ökonomen entsetzt sind.

Der Oppositionsführer der mehrheitlich von Weissen gewählten Democratic Alliance, John Steenhuisen, sprach von einem «Todesurteil für das Gesundheitssystem», es drohe eine Massenabwanderung der Ärzte. Zuerst habe der ANC mit seiner Korruption in Milliardenhöhe um den Stromkonzern Eskom dem Land die Lichter ausgeschaltet, sagte Steenhuisen, «jetzt schalten sie Leben aus». Die Democratic Alliance will gegen die Reform klagen. Experten gehen deshalb davon aus, dass frühestens in einigen Jahren eine abgespeckte Version der Gesundheitsversicherung in Kraft treten wird.

Seit Ramaphosas Amtsvorgänger Jacob Zuma russische Atomkraftwerke für 40 Milliarden Franken kaufen wollte – wogegen das südafrikanische Finanzministerium intervenierte –, hat wohl keine Regierungsinitiative die Staatsfinanzen derart gefährdet. Unter Präsident Zuma (2009–2018) hat der ANC seine einst konservative Fiskalpolitik aufgegeben und die Staatsverschuldung verdoppelt.

Desolate wirtschaftliche Lage

Das Ergebnis bleibt auch unter dem heutigen Präsidenten Ramaphosa desolat. Jeder zweite junge Erwachsene ist arbeitslos, die Wirtschaft stagniert. Anstelle des Arbeitsmarktes baute er das Sozialhilfesystem zu einem der grössten der Welt aus, es hat inzwischen 27 Millionen Empfänger. Auch das ist fast jeder zweite Einwohner. Die Milliarden versickern weiter, nicht zuletzt im Gesundheitsministerium, das mit 13 Prozent des Budgets einen hohen Anteil bekommt: Mehr als 10 Prozent sind in Schwellenländern selten.

An Errungenschaften hat der von parteiinternen Widerständen zerriebene Ramaphosa wenig vorzuweisen. Am ehesten kann der ehemalige Grossunternehmer, der sich vor seiner Präsidentschaft vom Gewerkschaftsführer und ANC-Parteiarbeiter zum Multimillionär mauserte, noch Reformen des Energiesektors vorweisen – viel zu spät und zögerlich, aber immerhin.

Der ANC prahlt, deshalb habe es seit mehr als sechs Wochen keine Stromausfälle mehr gegeben, der längste Zeitraum seit Jahren. Ein weiterer Zufall? In Südafrika glauben viele, dass die letzten Watt aus den Kohlekraftwerken gequetscht und Wartungsarbeiten schlicht verschoben wurden.

Als Wahlkampfthema eignet sich die Wirtschaft jedenfalls nicht. Hilfreicher ist da schon der Blick in die Vergangenheit, als das Gut-Böse-Schema klar verteilt war. Die Ermittlungen zum Unfalltod des ehemaligen ANC-Anführers Albert Luthuli im Jahr 1967 sollen neu aufgerollt werden. Es gebe da einen neuen «mathematischen und wissenschaftlichen Bericht», gab Justizminister Ronald Lamola (ANC) ominös bekannt. Die einstige Befreiungsorganisation verdächtigte seinerzeit das Apartheid-Regime. Luthuli ist eine Ikone der ethnischen Gruppe der Zulu, die sich gerade in Scharen vom ANC abwenden und sich der neuen MK-Partei des früheren Präsidenten Zuma anschliessen. Lamola verkündete die vermeintlich neuen Erkenntnisse am vergangenen Montag, also ebenfalls pünktlich zum Endspurt des Wahlkampfs.