Skip to main content
For a different development policy!

Beitrag vom 08.10.2024

Der Standard

Im Tschad offenbart sich die Heuchelei des Westens in der Sahelzone

Auffällig ruhig schaut man zu, wie die für die USA wichtigen Emirate vom Tschad aus die RSF-Miliz in Darfur mit Waffen beliefern – und damit den Krieg im Sudan befeuern. Ein Besuch

Christian Putsch

Die Wut der sudanesischen Flüchtlinge traf die Spitzenpolitikerin der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sichtlich unvorbereitet. Lana Nusseibeh, eine der hochrangigsten Diplomatinnen der Emirate, war Mitte September in das Flüchtlingslager Abéché im Tschad nahe der Grenze zum Sudan gereist. Ihre beschwerliche Reise inmitten der Regenzeit sollte den Ruf des Golfstaates in der Region aufpolieren, der dort mit Feldkrankenhäusern von seiner Rolle als Kriegstreiber im benachbarten Sudan abzulenken versucht.

Doch der PR-Trip, bei dem sie eine Zehn-Millionen-Dollar-Spende für die Versorgung geflüchteter Frauen im Gepäck hatte, ging mächtig nach hinten los. Rund 100 Flüchtlinge trafen sich in einem UN-Gebäude mit Nusseibeh und lehnten jegliche Unterstützung durch die VAE ab. "Wir wollen Ihre Hilfe nicht", sagte ein Mann in entschiedenem Ton, "Sie sind einer der Gründe für den Ausbruch des Krieges im Sudan.

Größte humanitäre Katastrophe

Die hitzige Begegnung im Tschad offenbart die Relevanz dieses international kaum wahrgenommenen Krieges: Seit dem Bürgerkrieg im Kongo vor über 20 Jahren hatte kein Konflikt in Afrika eine derart große geopolitische Dimension wie der im Sudan. Nachdem vor 17 Monaten der Krieg zwischen Sudans Armee und der Miliz Rapid Support Forces (RSF) eskalierte, wurden Zehntausende durch die Kämpfe getötet. Einige Schätzungen gehen angesichts von Folgen wie Ernteausfällen und mangelnder medizinischer Versorgung sogar von bis zu 150.000 Toten aus.

Es ist die größte humanitäre Katastrophe der Welt. Und die schlimmste Flüchtlingskrise. Im Zamzam-Flüchtlingslager in Darfur, einer kargen Region im Westen des Sudans mit mehr Fläche als Deutschland, wurde von der UN eine Hungersnot bestätigt. Zum ersten Mal weltweit seit sieben Jahren. Zehn Millionen Menschen wurden vertrieben, zwei Millionen davon in die überwiegend fragilen Nachbarländer. Die internationale Gemeinschaft finanziert die Nothilfe völlig unzureichend.

Die größte Last, knapp 800.000, trägt der Tschad, der als fünftärmstes Land überhaupt bei der Versorgung Bemerkenswertes leistet. Doch gleichzeitig wird der Nation von vielen sudanesischen Flüchtlingen eine Mitschuld vorgeworfen. Die meisten sind schwarzafrikanische Kleinbauern, die seit Jahrzehnten mit arabisch geprägten Hirtenstämmen um das Land konkurrieren – im Chaos des Krieges gab es neue ethnische Säuberungen.

Kein Frieden in Sicht

Im Tschad sind Ethnien wie die aus Westdarfur fast vollständig verjagten Massalit vorerst sicher vor der arabischen RSF-Miliz und anderen verbündeten Gruppen, die mal mehr, mal weniger der Kommandostruktur der RSF unterstehen. Doch es gilt als Konsens, dass die Emirate von hier aus die RSF mit Waffen und Ausrüstung beliefern und den Krieg damit verlängern. So wie Sudans von der Muslimbruderschaft unterwanderte Armee auf der anderen Kriegsseite auf Iran und Russland zählen kann. Frieden ist trotz zahlreicher Vermittlungsversuche so nicht in Sicht. Schon Verhandlungen für die Lieferung humanitärer Hilfsgüter durch die UN sind – im besten Fall – zäh.

Im Hintergrund wird am Tschad entsprechend gezerrt wie an wenigen anderen Staaten. Das zentralafrikanische Land hat seine ohnehin hohe geopolitische Bedeutung seit Kriegsbeginn weiter erhöht. Es soll um jeden Preis stabil und dem Westen zugewandt bleiben. Der Tschad ist der letzte relevante Sahelstaat, der angespornt von erheblichen Budgethilfen mit Frankreich im Antiterrorkampf und mit der EU bei Maßnahmen gegen illegale Migration kooperiert.

Keine Kritik

Angesichts dieser Konstellation muss das Land für seine autokratischen Regierungsstrukturen keine Kritik befürchten. Als Präsident Mahamat Idriss Déby im Jahr 2021 verfassungswidrig die Macht von seinem von Rebellen getöteten Vater übernahm, reiste Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zur Vereidigung des bis dato wenig bedeutenden Generals an – und gab damit lächelnd seinen Segen zur Machtübernahme des Militärs. Jener Macron, der Putsche in weniger gefügigen Sahelstaaten auf das Schärfste verurteilte.

Denn in der Hauptstadt N'Djamena ist die Zentrale der französischen "Operation Barkhane"-Elitesoldaten, die Paris für den Antiterrorkampf in die Sahelregion entsendet hat, 1000 sind im Tschad stationiert. Teilweise heben ihre Kampfjets im Zehnminutentakt ab, fliegen von hier aus bis zu Libyens Grenze. In den umliegenden Gebäuden wie der chinesischen Absteige Chez Wou wackeln dann die Gläser. Auch die USA haben nach ihrem Niger-Rauswurf weiterhin Soldaten im Tschad, wenngleich die Beziehungen zuletzt litten. Der US-Konzern Exxon hatte sich recht abrupt aus der Ölförderung des Tschad zurückgezogen. Tschads Regierung zeigt sich bis heute irritiert.

Mit dem Tschad und den Emiraten – einem USA-Verbündeten am Persischen Golf – kooperieren im Schatten des Sudan-Krieges zwei Länder, die vom Westen wegen ihrer Bedeutung mit Samthandschuhen angefasst werden. Das gilt umso mehr seit Beginn des Ukrainekrieges, der Dubais Bedeutung als Öl- und Gaslieferant für Europa weiter erhöht hat.

Waffenlieferungen

Dabei gilt es als aktenkundig, dass die Emirate die RSF-Miliz vom Tschad aus mit Waffen beliefern, über einen kleinen Flugplatz in der Nähe von Sudans Grenze und unter dem Deckmantel vermeintlicher medizinische Lieferungen: "Diese umfangreichen und anhaltenden Lieferungen reichten von kleinen und leichten Waffen bis hin zu Drohnen, Flugabwehrraketen, Mörsern und verschiedenen Arten von Munition", heißt es in einem UN-Expertenbericht.

In einem Hotel in N'Djamena räumt einer von Débys offiziellen Präsidentenberatern Verbindungen ein. "Ich streite nicht zu 100 Prozent ab, dass im Verborgenen Vereinbarungen zwischen unseren Sicherheitskräften, den RSF und den Emiraten stattfinden", sagt der Mann, der um Anonymität bittet. Der Tschad sei neutral, aber der Politiker bestätigt direkte Beziehungen mit den RSF, sie seien schlicht zu mächtig in der Grenzregion, um sie zu ignorieren. Der Umfang der Lieferungen werde aber übertrieben dargestellt – man könne die Tschad-Route keineswegs als Hauptquelle des RSF-Nachschubs bezeichnen.

Der Clan seines Chefs Déby wurde im Laufe der Jahrzehnte mehrfach von französischen Kampfjet-Einsätzen bei Rebellenangriffen an der Macht gehalten. Doch in diesem Jahr besuchte Déby gleich zweimal Russlands Diktator Wladimir Putin, unterzeichnete ein Militärabkommen mit Ungarn und bezog Kampfdrohnen aus der Türkei – er will sich unabhängiger von Frankreich machen, gegen dessen Präsenz es auch in seinem Land Demonstrationen gab.

Bedrohung durch islamistische Gruppen

Der Berater versucht, auch das herunterzuspielen. "Unsere Beziehungen mit Frankreich sind unverändert", behauptet er. Aber natürlich sei Paris, das aus Mali, Burkina Faso und Niger rausflog, in Westafrika auf dem Rückzug. Die Hauptakteure seien zumindest wirtschaftlich jetzt China und die USA, deren Bedeutung sei weit größer als die von Russland. Für diese Einschätzung gibt es durchaus Belege: Vor einigen Tagen griffen Islamisten Malis Hauptstadt Bamako an, wo man bekanntlich auf 1000 Wagner-Söldner setzt. Es gab 70 Tote.

Doch angesichts der Bedrohung durch islamistische Gruppen aus dem Nachbarland Libyen könne man sich im Tschad nicht allein auf Paris als Schutzmacht verlassen, sagt der Berater. Man habe deshalb strategisch die Nähe zu General Khalifa Haftar gesucht, der den Osten Libyens kontrolliert und dort einige der Jihadisten bekämpfe, die den Tschad bedrohen. Über diese Verbindungen sei letztlich auch der Kontakt zu den Vereinigten Arabischen Emiraten entstanden, die ebenfalls auf der Seite Haftars stehen.

Der Golfstaat hat derweil zahlreiche Interessen im Sudan. Es wurden Milliarden in das Land investiert, man verdient an der Goldförderung und über die Finanzabwicklung der Geschäfte von RSF-Anführer Mohamed Hamdan Dagalo, genannt "Hemedti". Er kontrolliert allein in Darfur Gebiete mit einer größeren Fläche als Deutschland, baut parallelstaatliche Strukturen auf, etwa eine eigene Akkreditierungsstelle für Hilfsorganisationen. Der Kriegsfürst verdient sein Vermögen auch im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik. Längst ist Hemedti zu einem der reichsten Männer Afrikas geworden. Als der Krieg begann, wurden seine Leute beobachtet, wie sie palettenweise Bargeld aus einem seiner Häuser der bis heute umkämpften Hauptstadt Khartum abtransportierten.

Basis an Handelsroute

Hinzu kommt die Rivalität der VAE mit dem Iran, der Sudans Armee, also den RSF-Kriegsgegner, offen mit Drohnenlieferungen unterstützt. Während Russland bereits eine Abmachung mit den sudanesischen Generälen über die Errichtung eines Marinestützpunkts am Roten Meer unterzeichnet hat, hofft Teheran ebenfalls auf eine Basis an der wichtigen Handelsroute. Beides wäre ein rotes Tuch für den Westen. Wohl auch deshalb hält man sich mit Kritik oder gar Sanktionen angesichts der Unterstützung der Emirate für die massenmordenden RSF-Kämpfer zurück. Aus diesem Krieg zurückziehen werden sich die Emirate jedenfalls nicht, sagt Tschads Präsidentenberater. "Solange der Iran auf Seiten der Armee ist? Ausgeschlossen."

Dabei gibt es in seinem Land durchaus Kritik an den Emiraten. An einem Freitagnachmittag reden am Flughafen von N'Djamena gleich mehrere Männer aufgeregt auf einen Mann ein, der eine Weste einer Hilfsorganisation der Emirate trägt. Immer wieder ist in dem arabischen Wortschwall das Wort "RSF" zu hören. Nach einiger Zeit geht der Mann zur Seite, ist nun nicht mehr als Mitarbeiter zu erkennen. Die Weste hat er ausgezogen und in seine Tasche gepackt.