Skip to main content
For a different development policy!

Beitrag vom 12.04.2025

General-Anzeiger Bonn

Im eigenen Interesse?

VON RÜDIGER FRANZ

Den Radwegen in Peru zum Trotz: Wieder einmal wurde die
Abschaffung des Bundesentwicklungsministeriums abgeblasen.
Nun kündigt die designierte Koalition „grundlegende
Veränderungen“ an. Die fordern Experten allerdings schon lange

Bis zum unteren Rand von
Seite 132 muss im neuen
Koalitionsvertrag blättern,
wer etwas über die Zukunft
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
erfahren möchte. Nicht
gerade ein prominentes Plätzchen,
aber immerhin: Das von manchen
schon sicher geglaubte Aus für das
Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ) wurde abgewendet, wieder
einmal. Und womöglich dürfen
nicht nur die knapp 1200 Bediensteten,
etwa die Hälfte von ihnen am
ersten Dienstsitz Bonn, mit unveränderter
Visitenkarte weiter arbeiten,
sondern auch Ministerin Svenja
Schulze (SPD). Also weiter so?

Wohl nicht ganz, wenn man in den
vergangenen Tagen genau hinhört.
Als Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier am Mittwoch die 2000
Bonner Mitarbeiter der Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit
besuchte, würdigte er erwartungsgemäß
die Entwicklungszusammenarbeit
als „unverzichtbar“. Ins
Zentrum seiner Rede stellte das
Staatsoberhaupt allerdings auch
den Rechtfertigungszwang, dem die
Entwicklungspolitik stets unterliege,
verbunden mit Fragen wie: „Sind wir
in den richtigen Regionen mit den
richtigen Ansätzen unterwegs? Können
wir unsere Ziele möglicherweise
effizienter erreichen? Wie schaffen
wir nachhaltigen Fortschritt und
nicht nur kurzfristiges Strohfeuer?
Und wie stellen wir echte Augenhöhe
her mit den Partnern in der Entwicklungszusammenarbeit,
und nicht nur Augenhöhe auf dem Papier?“

Nicht gerade kleiner wird der
Rechtfertigungsdruck, wenn befreundete
Staaten reihenweise
von der Fahne gehen. „Wir haben
das Wochenende damit verbracht,
USAid durch den Häcksler
zu jagen“, verkündete Elon Musk
kürzlich stolz auf seiner Plattform
X. Wenngleich moderater im Ton
haben zuletzt Großbritannien, die
Schweiz und die Niederlande den
Rotstift angesetzt. Mit einem eigenen
Ministerium steht Deutschland
schon länger recht einsam da.

Wegen der Aussetzung von USAid
winkt Deutschland in absoluten
Beträgen (laut OECD zuletzt 35
Milliarden Euro) gar der weltweite
Spitzenplatz als Entwicklungshilfsgeber.
Wäre da nicht der neue Koalitionsvertrag,
der neben „grundlegenden
Veränderungen in der
Entwicklungspolitik“ ankündigt,
den Anteil der Entwicklungsleistungen
am Bruttoinlandsprodukt
„angemessen“ zu senken. Mit 0,82
Prozent des BIP lag die Quote zuletzt
über der internationalen Verpflichtung
von 0,7.

Als der Bundespräsident am
Mittwoch die „Radwege, Sie wissen
schon wo ...“ erwähnte, ging der
Rest seines Satzes im Gelächter der
500 anwesenden GIZ-Mitarbeiter
im Saal unter. Warum nicht etwas
Selbstironie, wenn schon sonst
niemand einsehen will, dass deutsches
Steuergeld für die berüchtigten
„Radwege in Peru“ zur Verbesserung
der dortigen Lebenssituation
beitragen soll – indem die Menschen
beispielsweise Waren zu Märkten
bringen und verkaufen können? Insgesamt
stellt der Bund in dem Projekt
für die (Bonner kennen das!) rot
markierten Radwege knapp 44 Millionen
Euro zur Verfügung, hinzu
kommen mehrere Kredite in Höhe
von insgesamt 155 Millionen Euro
für umweltfreundliche Mobilität.

Längst steht die in die Zeit von
Entwicklungsminister Gerd Müller
(CSU) zurückreichende Initiative
als Symbol für einen Kulturkampf,
in dem ein zentraler Vorwurf lautet:
In Wahrheit gehe es nicht zuletzt darum,
den gesellschaftsmoralischen
Anspruch des eigenen Milieus auf
andere Länder zu übertragen – mit
dem schönen Nebeneffekt, dass
man sich auch auf Seiten der Geber
rundum wohlfühlt. Sollte dies
so sein, kann es gleichwohl anders
laufen: So rief Botwanas Präsident
Masisi vor einem Jahr weltweite Erheiterung
hervor, als er Bundesumweltministerin
Steffi Lemke (Grüne)
20.000 Elefanten als Geschenk für
Deutschlands Wald und Flur anbot,
weil Lemke die Einfuhr von Jagdtrophäen
erschweren wollte. Als dann
auch noch Namibias Umweltminister
der deutschen Kollegin „neokoloniale
Einmischung“ vorwarf, verlief
die Sache im Sand der Kalahari.
In Deutschland fragen derweil mit
Blick auf neue Schuldenpakete, Generationengerechtigkeit
und marode
Brücken die einen: Millionen für
städtische Infrastruktur in Ägypten,
für die Stärkung von Vielfalt und
Toleranz in Indonesien oder die
Förderung positiver Maskulinität
in Ruanda – was soll das? Solche
Projekte, entgegnen die anderen,
arbeiten gegen Diskriminierung
oder verbessern das Gesundheits-und
Bildungssystem, stabilisieren
die Gesellschaft, verringern Migrationsdruck
(wobei die jüngsten
Fluchtbewegungen eine andere
Sprache sprechen) und sind somit
ebenso in deutschem Interesse wie
die Stärkung potenzieller Märkte.

Doch ähnlich schwer liegen in der
Waagschale vergünstigte und staatlich
abgesicherte Millionenkredite
der deutschen Förderbank KfW ausgerechnet
an China, das derweil in
munterem Eigeninteresse ganz Afrika
mit Infrastrukturprojekten durchzieht.
Womöglich dachte hieran die
künftige Regierung, als sie im Koalitionsvertrag
nun das Ziel formulierte,
„dass Vergaben von staatlich finanzierten
Projekten (...) überwiegend an
Unternehmen aus Deutschland und
der EU erfolgen“. Nicht so schnell
vergessen wird man auch die wohl
schwerste Niederlage deutscher Entwicklungspolitik:
die Machtübernahme
der Taliban in Afghanistan 2021
– trotz jährlicher Hilfen über 500 Millionen
Euro allein aus Deutschland.

An manchen grundsätzlichen
Fragen scheiden sich auch solche
Geister, die der Entwicklungszusammenarbeit
grundsätzlich positiv
zugewandt sind. Schon 2008 konstatierte
der „Bonner Aufruf“, unterzeichnet
etwa von Persönlichkeiten
wie Rupert Neudeck oder Gerhart
Baum, ein Versagen der deutschen
Entwicklungspolitik: unter anderem,
weil in afrikanischen Staaten
das Bewusstsein für Verantwortung
dadurch zerstört worden sei, dass
„ausländische Helfer zu viel Verantwortung
an sich gezogen haben“.
Geld indessen habe der Entwicklung
häufig sogar geschadet, weil Eigeninitiative
gelähmt worden sei.

Mittelbar damit verbunden ist die
These, Hilfsgelder würden korrupte
und autokratische Regierungen
stützen, deren Interessen sich nicht
selten mit jenen der Entwicklungshilfeorganisationen
überschnitten,
weil die sich mit allzu erfolgreicher
Arbeit überflüssig machen würden.
Zusagen des Bundes an Nigeria über
640 Millionen Euro fielen vor knapp
zwei Jahren vor allem deshalb negativ
auf, weil parallel jeder der 460
Abgeordneten der nigerianischen
Nationalversammlung vom Präsidenten
einen neuen SUV (mit Verbrennermotor,
na klar!) geschenkt
bekam (jeder kostete 150.000 Dollar,
alle zusammen also 69 Millionen)
und die postkoloniale nigerianische
Präsidentenluftflotte für 38 Millionen
Euro eine Auffrischung erhielt.
In ihrem Buch „Weder arm noch
ohnmächtig“ beklagt die Kameruner
Autorin Axelle Kabou die „Humanitätsduselei
des Westens mit
seiner historischen Schuld“ und
wundert sich: „Man könnte fest meinen,
es gebe ein stillschweigendes
Verbot, die Situation Afrikas direkt
mit dem Verhalten der Afrikaner
in Zusammenhang zu bringen“
(Lenos Pocket, 260 S., 15,90 Euro).
Doch auch auf Regierungsebene
scheint sich Zustimmung zu der
Erkenntnis zu regen, dass das eigene
Ansehen auf Dauer nicht gerade
steigt, wenn man als ewiger Hilfsempfänger
dasteht. In Äthiopien
etwa veröffentlichte das Büro des
Ministerpräsidenten und Friedensnobelpreisträgers
Abiy Ahmed jetzt
eine Presseerklärung, in dem ausdrücklich
die eigene Anstrengung
gerühmt wird, „sich von Abhängigkeiten
zu befreien“.

Beiträge dieser Art könnten auch
dort auf Interesse stoßen, wo deutsche
Hilfsorganisationen parallel an
Projekten arbeiten und manchmal
nur durch Zufall voneinander erfahren
– ein Phänomen, das der frühere
deutsche Diplomat und Botschafter
Volker Seitz allzu oft beobachten
musste, wie er dem General-Anzeiger
berichtet. „Entwicklungspolitik
braucht neben einem ehrlichen
Monitoring gescheiterter Projekte
eine einheitliche, selbstbewusste
und sachkundige Vertretung unter
Leitung der Auslandsvertretung“,
denn dort flössen die komplexen
Gesamtbeziehungen Deutschlands
zu dem betreffenden Land zusammen.
„Afrika wird armregiert“ heißt
das Buch, in dem der Bonner seine
Erfahrungen und Erkenntnisse zusammentrug.
Dessen bis dato elfte
Auflage (dtv, 304 S., 16,90 Euro)
zeugt vom großen Interesse an den
Achillesfersen der Entwicklungspolitik.
Insofern, sagt Volker Seitz,
würde er sich „eigentlich freuen,
wenn die Aufmerksamkeit auch
einmal abnehmen könnte“.