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Fünf vor acht / Korruption in der Corona-Pandemie

Südafrika
Zeit Online Schamlos Eine Kolumne von Andrea Böhm Der Staat wird geplündert: Die Korruption in Afrika geht auf Kosten der Bedürftigen, besonders augenfällig ist das in Südafrika. Und sie gefährdet die Pandemiebekämpfung. Dass die Corona-Pandemie globale Ungleichheit verschärft und der Impfnationalismus reicher Länder verheerende Folgen für ärmere hat – all das ist inzwischen eine Binsenweisheit. Allerdings gibt es in vielen Staaten des globalen Südens noch ein anderes schweres Hindernis im Kampf gegen die Pandemie: Korruption. Beginnen wir im reichsten Staat unseres Nachbarkontinents, in Südafrika. Dort zieht gerade eine zweite Infektionswelle durch das Land, dieses Mal verschärft durch die ansteckendere Virusmutation B.1.351. Doch aktuellen Umfragen zufolge nennen die Südafrikanerinnen und Südafrikaner als größte Sorge nicht die Pandemie, Arbeitslosigkeit oder Armut, sondern eben Korruption. Was kein Wunder ist, wenn man sich allein die Skandale der vergangenen Monate ansieht: Lebensmittelpakete zur Verteilung an die Menschen in den Townships während der drastischen Lockdown-Phasen wurden von lokalen Funktionären des regierenden African National Congress (ANC) abgefangen und an eigene Gefolgsleute verteilt. Zahlreiche Arbeitgeber steckten ein kurzfristig eingeführtes Kurzarbeitergeld in die eigene Tasche und ließen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen registrieren, die sie gar nicht beschäftigten. Aufträge zur Beschaffung von Schutzausrüstung für medizinisches Personal gingen an Firmen mit gut geschmierten Beziehungen in die Politik. Sie brachten qualitativ minderwertige, aber extrem überteuerte Schutzmasken auf den Markt – eine Katastrophe für die Abertausenden lokalen Gesundheitshelferinnen, die bei ihren täglichen Einsätzen gegen die Pandemie in Armenvierteln einem besonders hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. Tedros Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sprach von einem Verhalten, "das an Mord grenzt". Mehrere hundert community health workers in Südafrika sind inzwischen an Covid-19 gestorben – viele hatten keine ausreichende Schutzausrüstung. Der Staat wird gekapert Auch in Kenia macht das Schimpfwort vom "Covid-19-Millionär" die Runde. Gemeint sind Inhaber von Firmen, die lukrative staatliche Aufträge zur Beschaffung von Schutzausrüstung gegen Corona erhalten haben. Mehrere dieser Unternehmen waren erst wenige Wochen zuvor gegründet worden. Ihre Qualifikation bestand vor allem in guten Kontakten der Inhaber zu Regierungskreisen. Die staatliche Behörde zur Beschaffung von Medikamenten und medizinischer Ausrüstung (KEMSA) gilt als notorisch korrupt. Selbst der kenianische Gesundheitsminister sprach unlängst von "Kartellen" in der Behörde. Aber es ist Südafrika, wo sich neben dem Kampf gegen die Pandemie derzeit auch ein Showdown in Sachen Korruption abspielt. Hauptdarsteller ist der ehemalige Präsident Jacob Zuma. Zuma regierte das Land von 2009 bis zum Februar 2018, als er nach öffentlichen Protesten, internationalem Druck und einem verlorenen Machtkampf innerhalb des ANC zurücktreten musste. Seine gesamte Amtszeit war von Skandalen der Misswirtschaft und des Nepotismus geprägt. Deren Dimensionen ermittelt derzeit eine Untersuchungskommission unter Vorsitz des Verfassungsrichters Raymond Zondo. Wobei in der Kommission nicht von Korruption die Rede ist, sondern von state capture. Damit sind nicht nur Schmiergelder, Kickbacks und andere illegale Methoden bei der Sicherung öffentlicher Aufträge oder politischer Loyalität gemeint. State capture beschreibt das Kapern des Staates durch nicht staatliche Akteure. Der Begriff tauchte erstmals im Zusammenhang mit den Raubzügen und der politischen Dominanz von Oligarchen im Russland und Zentralasien der Neunzigerjahre auf. Er passt aber auch gut auf das Geschäftsmodell, das Jacob Zuma mit der indischstämmigen Gupta-Familie geknüpft hatte. Robbin‘ the Hood Deren Netzwerk aus Unternehmen in Südafrika und Briefkastenfirmen im Ausland, angeführt von drei Brüdern, hatte mit Zumas Hilfe nicht nur staatliche Aufträge in Milliardenhöhe abgegriffen – im Gegenzug für enorme Summen an Schmiergeld und lukrative Posten für Zumas Angehörige. Zuma hatte auch Ministerien, Staatsbetriebe und Kontrollinstanzen mit korruptem Führungspersonal besetzt. Beamte sollen in manchen Fällen direkte Anweisungen von der Gupta-Familie entgegengenommen haben. Profite aus all diesen Geschäften flossen zu großen Teilen auf Konten im Ausland ab. Massive Korruption war in Südafrika auch vor Zuma schon ein Problem, aber in seiner Amtszeit wurde der Staat in vielen Bereichen regelrecht ausgehöhlt – mit gewaltigem Schaden für die Volkswirtschaft. State Capture, so eine Analyse der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem hübschen Titel "Robbin‘ the Hood" (die Nachbarschaft ausrauben), sei maßgeblich verantwortlich gewesen für den Anstieg von Armut und Ungleichheit im vergangenen Jahrzehnt. Die Schaffung von bis zu 2,5 Millionen neuen Arbeitsplätzen sei so verhindert, 2,8 Millionen Menschen seien zusätzlich in die Armut getrieben worden. Diese Form der staatlich-privaten Plünderung hat auch dem Gesundheitssystem enorm geschadet. Als "neun vergeudete Jahre" hat Zumas Nachfolger Cyril Ramaphosa die Amtszeit seines Vorgängers bezeichnet. Auch Ramaphosa, einer der reichsten Männer des Landes, kommt aus der Funktionärselite des ANC. Aber er will die Korruption zumindest eindämmen und mehr Transparenz schaffen. Die Untersuchungskommission unter Richter Zondo ist ein Schritt. Den aber hat Zuma vor wenigen Tagen brüskiert, indem er trotz Vorladung nicht zur Befragung erschienen ist. Für den Fall, dass die Staatsgewalt ihn holen will, bewachen nun Zumas Anhängerinnen und Anhänger sein Haus. Von denen hat Zuma immer noch viele. Für die ist er kein Räuber, sondern tatsächlich eine Art Robin Hood, der sich lediglich derselben Methoden bedient wie jahrzehntelang das weiße Apartheidregime. Dass er dabei die soziale Zerrüttung des Landes forciert hat, verdrängen seine Fans. Jedenfalls solange Zuma ihre politische Loyalität entlohnen kann. Es ist eine Machtprobe, die sich auch gegen Ramaphosa richtet, dessen Ruf aufgrund der jüngsten Skandale ohnehin schwer angeschlagen ist. Der träumt vermutlich in diesen Tagen nicht nur von einer Impfkampagne gegen Corona, sondern auch gegen Korruption. Erstere läuft jetzt endlich an. Bei der Bekämpfung der Korruption muss sich Ramaphosa auf andere Gegenmittel verlassen: eine wache, investigative Presse, die seit Jahren einen Skandal nach dem anderen aufdeckt. Eine ebenso wache Zivilgesellschaft, die vor zwei Jahren Zuma zu Fall gebracht hat. Und staatliche Kontrollbehörden, die heute nicht mehr unter der Fuchtel der Guptas stehen. Die haben sich nach Zumas Rücktritt übrigens schnell eine neue Heimat gesucht. Sie leben jetzt angeblich in Dubai.