Beitrag vom 11.02.2020
FAZ
Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit China: Fakten und Perspektiven
Thomas Bonschab, Robert Kappel und Helmut Reisen
Mit steter Regelmäßigkeit stellt vor allem die FDP im Parlament die Anfrage, warum die Bundesregierung heute noch jährlich knapp 500 Millionen Euro Entwicklungshilfe an China zahlt.
Das trifft gleich in doppelter Hinsicht die Stimmung der Wählerschaft. Wieso sollte man selbstlos Steuergelder an eine globale Wirtschaftsmacht schenken, dessen Grundwerte man nicht einmal teilt? Und wieso findet überhaupt noch Entwicklungszusammenarbeit (EZ) mit China statt, wenn sie doch bereits 2009 offiziell beendet wurde?
Solche Fragen sind Aufgabe und das gute Recht der parlamentarischen Opposition. Umso mehr verwundert es, dass die Bundesregierung, allen voran das Bundesministerium für Wirtschaft und Entwicklung (BMZ), es versäumt, in diese Debatte Transparenz zu bringen, was mit deutschen EZ-Geldern in China passiert und was nicht.
Intransparente Terminologie
Der Entwicklungsausschuss der OECD dokumentiert alle Finanzbewegungen, die unter dem Titel „Official Development Assistance“ (ODA) fließen. ODA enthält EZ, ist aber deutlich weiter gefasst. Genau hier liegt eines der Missverständnisse, das in den parlamentarischen Anfragen meist zu finden ist.
Neben dem BMZ haben in den vergangenen Jahren zunehmend andere Bundesressorts – Wirtschaft, Umwelt, Justiz, Landwirtschaft – erfolgreich ODA-Mittel aus dem Bundeshaushalt beantragt, um ihre Zusammenarbeit mit China hochzufahren. Die Kriterien dafür sind härter an deutsche wirtschaftliche und politische Interessen gebunden. Sie fordern von der chinesischen Seite nicht nur Eigenbeiträge, sondern ein Selbstverständnis, nicht mehr als Empfängerland von Hilfe aufzutreten. Unter dem ODA-Hut werden auch die wissenschaftlichen Kooperationen und Studienplatzkosten in Höhe 208 € Mio. (2017) erfasst.
Aufgepumpte Zahlen
ODA setzt sich zusammen aus Zuschüssen und ODA-fähigen Krediten an die Entwicklungsländer. Bis vor kurzem wurde der volle Nennwert eines Darlehens als ODA gezählt, auch wenn meist 80% davon als ganz normale Kredite zu Marktzinsen vergeben wurden. Das Geld kam dabei in der Regel von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die hierfür Eigenmittel einsetzte.
2018 hat die OECD diese Praxis unterbunden und bestimmt, dass künftig nur noch der tatsächliche Zuschussanteil von maximal 10% auf die ODA-Quote angerechnet werden darf. Für die aktuelle Diskussion, die sich mit den Zahlen 2009 bis 2017/18 beschäftigen, bedeutet dies, dass die deutschen ODA-Flüsse an China überhöht dargestellt werden. Vieles, was in der öffentlichen Debatte als „EZ mit China“ Empörung auslöst, ist de facto eine normale Kreditvergabe.
China zahlt mehr ODA an Deutschland als umgekehrt
Deutschland hat in den vergangenen Jahren gerne Kredite an China im Rahmen von ODA vergeben. Das Kreditausfallrisiko liegt bei beinahe Null und die Zinsen sind attraktiv. Die OECD-Statistik zeigt eindeutig: Deutschland ´schenkt´ China per Saldo nichts – seit 2013 erhält Deutschland vielmehr netto ODA zurück. Chinas Rückzahlung früherer deutscher Entwicklungskredite übersteigt seit sechs Jahren Zuschüsse und Neukredite. 2017 waren dies immerhin knapp 440 Millionen Euro. Anders als vielfach kolportiert, erhält Deutschland netto ODA-Mittelzuflüsse aus China. Nicht umgekehrt.
China verliert den Status als ODA-fähiges Land
Ohnehin wirkt die Debatte über „EZ mit China“ bei genauerer Betrachtung aus der Zeit gefallen. Die OECD hält nicht nur ODA-Statistiken fest, sie definiert auch, wer als Empfängerland Ansprüche an Hilfe stellen darf. Die Zielgruppe sind natürlich einkommensschwache Länder mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von unter 1026 Dollar. China gehört schon seit langem nicht mehr in diese Gruppe. Der Status als ODA-Empfänger ist längst angezählt und die eigentliche Frage ist, wie sich die Zusammenarbeit danach gestaltet.
Wenn in Zukunft China als erstklassigem Schuldner die ODA-Fähigkeit entzogen wird, bleibt dies nicht ohne Konsequenzen auch für die deutschen EZ-Einrichtungen. Entwicklungsbanken wie die KfW und die Weltbank sind revolvierende Kreditmechanismen, welche Neukredite vornehmlich aus Rückzahlungen alter Kredite in erfolgreichen Ländern wie China finanzieren.
Für die heute noch engagierten Bundesressorts ist die Lage nicht weniger herausfordernd. Wenn China demnächst nicht mehr ODA-fähig ist, müssen auch sie nach neuen Möglichkeiten suchen, wie sie ihren Dialog mit China finanzieren. Sicher: China kann „seinen“ Teil selbst finanzieren, aber wie werden es die deutschen Ressorts halten, wenn sie keinen Zugriff mehr haben auf einen entsprechenden Haushaltstitel?
Deutsches Eigeninteresse
Immer wieder verkeilen sich die parlamentarischen Anfragen an der deutschen Förderung von Berufsbildung in China. Grundton: Die Chinesen werden mit deutschem Geld darin qualifiziert, Konkurrenz zu Deutschland aufzubauen. Ohne Frage hat China ein Interesse daran, Fachkräfte in den Schlüsselindustrien auszubilden. Deutschland aber auch. Man sollte nicht aus dem Auge verlieren, dass viele dieser Programme auf Druck deutscher Unternehmen ins Leben gerufen wurden. Die deutschen Technologiekonzerne konnten in der Vergangenheit nur gute Geschäfte machen, wenn auch entsprechende Fachkräfte zur Verfügung standen.
Man mag kritisieren, dass ODA im Bereich der Berufsbildung die ordnungspolitische Grenze zur Außenwirtschaftsförderung überschreitet, aber sie war in der Vergangenheit dennoch ein Rückgrat der deutschen Wirtschaft in China.
Rituellen Empörungen über deutsche EZ mit dem vermeintlichen Konkurrenten China führen in die Irre. Sie sind weder gerechtfertigt durch Fakten, noch erfassen sie die eigentliche Problematik.
Man fragt sich allerdings, warum sich die Bundesregierung und die verantwortlichen Ressorts nicht offensiv um eine auch für Laien verständliche Darstellung der Verwendung von ODA-Mitteln mit China bemühen. Und stattdessen den Stier bei den Hörnern zu packen und zu zeigen, wie ein Dialog mit einem der wichtigsten strategischen Partner weltweit künftig aussehen könnte: auf Augenhöhe und auf Eigeninteresse basierend. Die ehemalige EZ hat hierfür alle Brücken gebaut.
Die Autoren betreiben den Blog „Weltneuvermessung“