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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 12.02.2021

NZZ

Uganda

Despot, Wahlfälscher, Lügner – und Liebling der westlichen Geber: Wieso Entwicklungshilfe für autokratische Regime ein Eigentor ist

In Afrika bekommen auch autoritäre Staaten Hilfsgelder in Milliardenhöhe aus dem Westen. Das wirkt den Interessen der Geber- und der Nehmerländer langfristig entgegen.

Fabian Urech

Der Präsident Ugandas hat die verstörende Fähigkeit, schreckliche Lügen so stoisch zu erzählen, dass man sie glatt überhören könnte. Die «von Betrug freieste Wahl seit der Unabhängigkeit» habe in Uganda eben stattgefunden, sagte Yoweri Museveni Mitte Januar mit einschläfernder Ruhe, nachdem er für eine sechste Amtszeit gewählt worden war. Er werde sich, so fuhr der 76-Jährige mit dem Cowboyhut fort, den kommenden Aufgaben mit «totaler Integrität» widmen.

Wer Uganda kennt, wird bei derlei Gerede leer schlucken. Fakt ist: Als Museveni sprach, blickte das ostafrikanische Land zum wiederholten Mal auf eine Wahlfarce zurück. Während Monaten waren die politischen Gegner des Präsidenten eingeschüchtert oder eingesperrt worden, mehrere Dutzend Demonstranten wurden umgebracht. Ausländische Wahlbeobachter waren nicht willkommen, die Hinweise auf Stimmenmanipulation sind deutlich. Der Oppositionsführer Bobi Wine war mehrfach verhaftet, wahrscheinlich gefoltert und nach der Wahl unter Hausarrest gestellt worden.

Museveni ist ein unzimperlicher Autokrat, ein dreister Lügner. Eigentlich müsste er, so glaubt man, international längst im Abseits stehen. Doch der brutale Stoiker, seit 35 Jahren an der Macht, ist ein Liebling der westlichen Entwicklungszusammenarbeit. Aus den OECD-Staaten fliessen jährlich Hilfsgelder in Höhe von rund 2 Milliarden Dollar nach Uganda – zehnmal so viel wie bei Musevenis Amtsantritt.

Sicherheit, Stabilität, Migration

Die meisten westlichen Staaten haben zwei Gesichter, wenn es um den Umgang mit autokratischen Regimen in Afrika geht. Öffentlich stellen sie das Bemühen um Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung in den Vordergrund. Diese Anliegen prägen die offiziellen Strategien ihrer Entwicklungsorganisationen. Und sie nehmen in den Reden ihrer Diplomatinnen und Aussenminister einen prominenten Platz ein.

In der Realität aber ist anderes oft wichtiger. Entwicklungsgelder fliessen in vielen Fällen dorthin am grosszügigsten, wo der Geberstaat selbst handfeste politische oder wirtschaftliche Interessen hat. Sofern eine lokale Regierung für diese Interessen einsteht, steht ihr das Tor zu einer lukrativen Zusammenarbeit auch dann offen, wenn demokratische Wahlen und ein Rechtsstaat selbst nach Jahrzehnten reine Fassade bleiben.

Das Beispiel Uganda bietet dafür reichlich Anschauungsmaterial. Präsident Museveni hat die inoffiziellen «Spielregeln» der internationalen Zusammenarbeit bereits vor Jahren verinnerlicht. Er bietet Dinge an, für die viele Geberstaaten im Gegenzug bereit sind, bezüglich Menschenrechten und Demokratie beide Augen zuzudrücken.
Was Uganda dem Westen bietet

Dazu gehört, erstens, Ugandas vielgelobtes Flüchtlingsregime. Über 1,4 Millionen Menschen, die meisten aus dem Südsudan und Kongo-Kinshasa, haben in den letzten Jahren in Uganda Schutz gefunden. Das ist ein weltweiter Spitzenwert – und ein wirksames Faustpfand bei Verhandlungen mit Geberstaaten.

Zweitens gehört dazu Ugandas Engagement im internationalen Anti-Terror-Kampf. In Somalia bekämpfen über 6200 ugandische Soldaten die islamistische Shabab-Miliz. Kein anderer Staat stellt mehr Männer für die Friedensmission der Afrikanischen Union. Insbesondere die USA danken es grosszügig: Allein 2019 flossen amerikanische Hilfsgelder in Höhe von 750 Millionen Dollar nach Uganda.

Drittens punktet Museveni mit etwas, das in einer Region, in der die Zahl der Krisenherde zunimmt, selten ist: Stabilität. «Schaut, wie viel besser ihr es habt als eure Nachbarn in Ostkongo, im Südsudan», pflegt Museveni im Wahlkampf zu sagen. Das Argument, so tief es die Messlatte setzt, verfängt offenbar nicht nur bei zahlreichen Wählerinnen und Wählern, sondern auch in Washington, Brüssel und Berlin.

Sicherheit, Stabilität, Migration: Einer von Musevenis Trümpfen sticht fast immer. Nach der jüngsten Wahlfarce ist das nicht anders. Zwar hat sich die EU in einer Stellungnahme besorgt gezeigt über die staatliche Gewalt und die Unterdrückung von Oppositionellen, NGO-Mitarbeiterinnen und Journalisten. Spürbare Konsequenzen hat die Kritik für Museveni jedoch auch diesmal nicht. 2021 werden neuerlich Hilfsgelder in Milliardenhöhe nach Uganda fliessen.
Kurzfristige Interessenpolitik

Ein Einzelfall ist Uganda nicht. Dass Entwicklungsgelder vor allem dorthin fliessen, wo sie am dringendsten gebraucht und am effizientesten eingesetzt werden, ist ein Märchen. Nur ein Viertel der Hilfsgelder aller EU-Staaten geht an die 46 ärmsten Länder der Welt. Zudem weisen Studien darauf hin, dass autoritäre Staaten in Afrika nicht weniger Hilfe bekommen als demokratische.

Natürlich fliessen die Gelder selten direkt an die Regierungen, sondern ins Gesundheitswesen, in den Bau von Strassen, in den Bildungsbereich. Dennoch stützt man damit in vielen Fällen die Machthaber: Wer Aufgaben übernimmt, die eigentlich der Staat leisten sollte, ermöglicht es diesem, andernorts zu investieren. In Uganda konnte Museveni in den letzten 35 Jahren auch dank indirekter westlicher Unterstützung einen massiven Sicherheitsapparat aufbauen, der eigentlich nur einem Zweck dient: der Verunmöglichung eines politischen Wandels. «Die internationalen Geber sind die grössten Unterstützer von Musevenis Autoritarismus», sagt Godber Tumushabe, ein ugandischer Anwalt und Aktivist.

Die Folgen davon wiegen schwer für die Menschen vor Ort. Uganda weist zwar seit Jahren ein solides Wirtschaftswachstum auf, doch die extreme Armut geht kaum zurück, die Jugendarbeitslosigkeit ist gigantisch, das brachliegende Potenzial des Landes ernüchternd. Musevenis jüngster Wahlspruch – «Sichere deine Zukunft» – muss für jene 80 Prozent der Bevölkerung, die jünger als 30 Jahre alt sind und nie einen anderen Präsidenten erlebt haben, wie ein deplatzierter Witz klingen.

Auch für die Geberstaaten lohnt sich die als «Entwicklungszusammenarbeit» getarnte Interessenpolitik meist nur kurzfristig. Anstatt den dringend nötigen politischen und wirtschaftlichen Wandel vor Ort zu unterstützen, verhindert sie ihn. «Entwicklungshilfe macht Autokratien autokratischer»: Zu diesem Schluss kommt die Politologin Nabamita Dutta in einer umfassenden Studie.

Repression ist kein solides Fundament für nachhaltige Entwicklung und Stabilität. Oft führt sie in der Bevölkerung zu Unmut. Irgendwann entlädt sich dieser. Was danach folgt, ist derzeit etwa in Äthiopien zu beobachten: eine gefährliche politische Destabilisierung, ein Aufbrechen latenter Konflikte, Vertreibung, wirtschaftliche Stagnation – kurz: das Gegenteil von Stabilität und Sicherheit.

Der Sohn steht in den Startlöchern

Was also wäre der bessere Weg für die Geberstaaten? In Washington diskutiert die Biden-Administration derzeit über Sanktionen gegen einzelne Exponenten der ugandischen Regierung. Zudem wollen die USA ihre Hilfszahlungen an Kampala künftig stärker von der Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Mindeststandards abhängig machen. Die europäischen Staaten – zusammen die grössten Entwicklungshilfegeber der Welt – sollten es den Amerikanern gleichtun. Falls nötig, sollten sie die Hilfszahlungen an Kampala ganz aussetzen. Und mittelfristig muss sich Europa – auch im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit – grundsätzlich die Frage stellen, inwieweit es künftig noch der Geldgeber von Despoten sein will.

Bringt das etwas? Sicher ist das nicht, wenngleich sich Museveni eine direkte Konfrontation mit seinen grössten Gebern und gewichtigen Handelspartnern eigentlich kaum leisten kann.

Gewiss scheint hingegen angesichts des langjährigen Trends, wo eine bedingungslose Fortsetzung der Unterstützung für das Museveni-Regime hinführen würde: zu noch mehr Polizeistaat und Gewalt, noch mehr Wut und Perspektivlosigkeit für die Jungen. Selbst das Ableben des starken Mannes in Kampala verspräche kaum Besserung. Der Sohn Musevenis, der in der Armee innert Kürze die höchsten Ränge erreicht hat, steht für das Erbe des Vaters längst bereit. Sollte es so weit kommen, bedeutete dies die Zementierung der Diktatur, auf die das Land seit Jahren zusteuert – mit grosszügiger Hilfe von aussen.