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Beitrag vom 16.03.2021

Welt Online

Identitätspolitik: „Ich bin weiß, aber vielleicht habe ich doch etwas ,Schwarzes‘ in der Stimme“

Weiße Sprecher sollen keine schwarzen Schauspieler mehr synchronisieren – fordert die Identitätspolitik. Charles Rettinghaus, die deutsche Stimme von Jamie Foxx, tut das jedoch seit 35 Jahren. Einem Regisseur war seine Stimme sogar nicht weiß genug für weiße Schauspieler.

In Portugal unterschrieben 17.000 Menschen eine Petition gegen die Synchronisierung des Disney-Films „Soul“, in Dänemark fegte deshalb eine Welle der Empörung durch die Netzwerke. Der Grund war jeweils derselbe: Der schwarze Charakter „Joe“ – im Original Jamie Foxx – wurde von einem Weißen gesprochen.

Auch Joes deutsche Stimme ist weiß. Charles Rettinghaus spricht seit drei Jahrzehnten schwarze Schauspieler: Foxx, Billy Dee Williams, Chiwetel Ejiofor, Djimon Hounsou, Ice-T, Mos Def, Tupac Shakur. Ein Gespräch mit dem Berliner über eine fast völlig weiße Branche, „schwarze“ Stimmen und die Frage, ob nur Schwarze Schwarze und nur Weiße Weiße synchronisieren dürfen.

WELT: „Soul“, ihr jüngster großer Film, ist in die Mühlen der Identitätsdebatten geraten, weil in Europa auch Weiße die schwarze Hauptfigur synchronisiert haben. Die „New York Times“ hat Sie deshalb sogar angerufen. Wie viele Menschen von Farbe gibt es eigentlich in der deutschen Synchronbranche?
Charles Rettinghaus: Meines Wissens drei oder vier männliche und drei weibliche in Berlin. In den anderen Städten weiß ich es nicht.
WELT: Wie werden die besetzt?
Rettinghaus: Meistens auf afroamerikanische Charaktere. Bei „Soul“ wirkt auch ein schwarzer Synchronkollege mit, er ist hier aufgewachsen. Aber ich würde, wenn ich seine Stimme in einem Film höre, nicht seine Herkunft bestimmen können.
WELT: Was macht eine „schwarze Stimme“ aus – wenn man das sagen kann?
Rettinghaus: Ich finde es schwer, so etwas anhand einer Hörprobe zu entscheiden. Jamie Foxx hat zum Beispiel etwas in der Stimme, was ich als „schwarz“ bezeichnen würde, diese Musik und diesen Soul. Wenn ich versuchte, das zu kopieren, würde es lächerlich klingen. Das ist nichts, was man herstellen kann. Man hat diese einzigartige Stimme, oder man hat sie nicht. Meine Aufgabe ist es, mit meiner Stimme und meinem Spiel seine Performance ins Deutsche zu übertragen.
WELT: Gibt es einen Unterschied in Tonlage oder Sprechweise zwischen Schwarzen und Weißen?
Rettinghaus: Nein. Es kommt immer auf den jeweiligen Schauspieler an. Ich habe auf Instagram gerade eine Nachricht von jemandem bekommen, der „Soul“ gesehen hat. Sie lautete: „Ach, ich dachte, sie wären ein Schwarzer.“ Ich bin, wie man sieht, ein weißer Europäer, aber vielleicht habe ich doch etwas „Schwarzes“ in der Stimme, sonst wären die Leute nicht darauf gekommen, mich oft so zu besetzen.
WELT: Bei einer „schwarzen“ Stimme denke ich an James Earl Jones oder Paul Robeson, beide gewaltige Bässe. Aber auch an das Kieksen von Eddie Murphy mit der Stimme von Randolf Kronberg.
Rettinghaus: Wir haben es doch alle geliebt in den Achtzigerjahren, dieses „Hey, Leute, kommt mal her, bababa ...“. So klang Murphy im Original aber nicht. Der hat manchmal gekiekst, jedoch nicht die ganze Rolle durch, insgesamt war er viel entspannter und hat normal gesprochen. Im Nachhinein kann man sagen, dass das nicht in Ordnung war, auch wenn wir es lustig fanden. Von mir hat man damals auch manchmal „Mach doch auf Eddie Murphy“ verlangt, aber ich habe mich, nachdem ich es einmal bei einer Serie gemacht habe, danach geweigert. Randolf Kronberg war ein toller Sprecher, und es war damals, wie man heute oft sagt, eine andere Zeit, es wurde von den meisten nicht als diskriminierend empfunden. Aber wenn ich Randolf imitiert hätte, hätte ich mich nicht wohlgefühlt. Und genau das ist der Punkt, wir sind keine Imitatoren. Wir sollen eine Figur mit unseren Mitteln performen und ins Deutsche transportieren, damit wir den Film auch ohne Untertitel genießen können. Und das immer mit dem nötigen Respekt gegenüber dem Schauspieler.
WELT: Synchronisieren Sie einen Weißen anders als einen Schwarzen?
Rettinghaus: Nein. Ich sehe den Schauspieler und was er spielt. Und ich sage mir nicht, das ist ein Afroamerikaner, den muss ich jetzt anders anlegen. Nein, ich mache das mit meiner Stimme – und leichten Abwandlungen, je nach Rolle.
WELT: Aber gehört – speziell nun in „Soul“ – der Soul nicht in die Stimme rein?
Rettinghaus: Wenn man mich auf meine Hautfarbe reduziert, dann wäre ich nicht die Idealbesetzung, da es sich ja um eine afroamerikanische Animationsfigur handelt, die gleich zu Beginn tödlich verunglückt. Aber ich bin sehr froh, dass man mich genommen und nicht aufgrund meiner Hautfarbe ausgegrenzt hat. Ich musste jedoch ausnahmsweise einen Stimmtest machen. Die Verantwortlichen haben sich den angehört und dann grünes Licht gegeben.
WELT: Für diese Rolle brauchte es jemanden, der spielen kann. Oft werden zur Synchronisation ja deutsche Stars ohne große Synchro-Erfahrung engagiert.
Rettinghaus: Diese Synchro war sehr anspruchsvoll; jemand, der das Handwerk nicht wirklich beherrscht – und das meine ich unabhängig von der Hautfarbe und meiner Performance –, hätte seine Schwierigkeiten gehabt. Ich liebe diesen Film, weil er so eine tolle Botschaft hat. Und er hat für mich noch eine ganz besondere Bedeutung, da genau in dem Zeitraum dieser Synchronarbeit meine Mutter verstorben ist. Ein weiterer Grund, mich auszuwählen, denke ich, war der Wiedererkennungswert, da ich seit 15 Jahren die deutsche Stimme von Jamie Foxx bin.
WELT: Man könnte argumentieren, irgendwann müsse man anfangen, den Wiedererkennungswert für eine schwarze deutsche Stimme zu schaffen.
Rettinghaus: Aber was kennzeichnet eine schwarze deutsche Stimme? Ich habe LeVar Burton als Chefingenieur in „Star Trek“ gesprochen – und in Burtons Stimme höre ich nicht das, was ich bei Jamie Foxx höre. Also auch hier für mich die Frage: Wie muss sich eine schwarze Stimme anhören? Ich habe schwarze Freunde, bei einigen höre ich nicht den Soul von Foxx, bei anderen wiederum schon.
WELT: Haben Sie Foxx schon persönlich getroffen?
Rettinghaus: Ja, und es war ein großes Erlebnis – denn ich kenne ihn in- und auswendig als Schauspieler. Foxx hatte kein Problem damit, dass ich ihn synchronisiere. Im Gegenteil, er war sehr aufgeschlossen. Als ich im Januar die Synchronarbeiten für Nicholas Pinnock in „For Life“ wieder aufnahm, habe ich das auf Instagram gepostet. Er hat es retweetet und dazu geschrieben: „My German voice – thank you Charles“ und ein blaues Herzchen dazu. Er hat gesehen, dass ich kein Schwarzer bin. Auch er hat scheinbar kein Problem damit.
WELT: Wie kam es zu Ihrer „Spezialisierung“?
Rettinghaus: Ich synchronisiere nun seit 35 Jahren. Meine erste Rolle war Tony Holmes, ein Afroamerikaner, in „Crocodile Dundee“, drei Szenen. Danach wurde ich fast ausschließlich auf Schwarze besetzt. Irgendwann sagte ein Aufnahmeleiter: „Nee, Rettinghaus auf einen Weißen, das geht gar nicht. Du hast einfach diese Stimme.“ Da könnte man jetzt sagen, das sei auch rassistisch gewesen, aber schließlich hat es sich vermischt, es kamen bei mir auch Robert Downey jr. und Matt Dillon und Jean-Claude van Damme hinzu. Alle, die ich spreche, sind für mich Seelenverwandte. Beim Synchronisieren gibst du einen Teil von dir in diese Figur beziehungsweise in diesen Schauspieler.
WELT: Identitätsdebatten handeln aber gerade davon, dass Weiße Schwarze angeblich nicht in- und auswendig kennen könnten, weil ihnen deren Erfahrungen fehlten. Ist es also schlimm, wenn ein Weißer etwas von seiner Persönlichkeit in einen Schwarzen hineinsynchronisiert?
Rettinghaus: Ich sehe es nicht als schlimm, denn ich nähere mich einem Schauspieler an, seinem Spiel in der Rolle. Ich sehe den Schauspieler, keinen Schwarzamerikaner oder Asiaten oder Inder, die ich auch schon synchronisiert habe. Ich habe, und das meine ich aus tiefster Überzeugung, mir nie Gedanken über die Hautfarbe gemacht, da für mich alle gleich sind. Im beruflichen wie auch in meinem privaten Umfeld.
WELT: In Originalversionen kann man hören, ob das Englisch des Schauspielers hispanische, afroamerikanische, asiatische oder britische Wurzeln hat. Lässt sich dieser Akzent ins Deutsche übertragen?
Rettinghaus: Häufig nicht. Manchmal wird von Synchronsprechern „Sprich mal mit asiatischem Akzent“ verlangt, was für mich in den meisten Fällen nicht funktioniert, wenn man kein Muttersprachler ist. Ich lehne es ab, Akzente zu sprechen, denn jeder Asiate oder Russe lacht mich aus. Ich sage immer: Das Original ist 100 Prozent, und wenn die Synchronisation 80 oder 85 Prozent erreicht, ist sie sehr gut. „Django Unchained“ war das Musterbeispiel einer hervorragenden Synchronisation. Aber ich glaube, die Akzentfrage wird sich in Zukunft gar nicht mehr stellen, da mit dem Thema glücklicherweise jetzt viel sensibler umgegangen wird.
WELT: Identitäre Debatten haben natürlich einen wirtschaftlichen Aspekt: Minderheiten möchten ebenfalls Teile des Kuchens abhaben und bauen auch deshalb „Reservate“ für sich auf. Zum Beispiel, dass Weiße nur Weiße synchronisieren dürfen und Schwarze nur Schwarze. Würden Sie das unterstützen?
Rettinghaus: Natürlich nicht: Das soll unbedingt gemischt sein. Der Fehler liegt darin, dass es nie thematisiert wurde. Nun kocht es durch Black Lives Matter hoch. Aber solch eine Exklusiv-Doktrin ist bei uns gar nicht umsetzbar, da wir einen viel geringeren Anteil an afroamerikanischen Schauspielern bei uns in Deutschland haben als in Amerika.
WELT: Von den wenigen deutschen nicht weißen Sprechern kenne ich niemanden beim Namen.
Rettinghaus: Die meisten sind junge Leute, die sind erst auf dem Weg nach oben. Tobias Schmidt ist aber einer, den man schon kennt, er hat schon ein paar Stars, die er synchronisiert.
WELT: Vielleicht muss man nach solchen Sprechern eben aktiv suchen.
Rettinghaus: Ich bin, als ich angefangen habe, zu den Firmen hingegangen und habe mich angeboten. Bei den Sendern arbeitet man jetzt daran, dass Schwarze oder Asiaten diese Ethnien auch synchronisieren. Aber da liegt das nächste Problem: Viele Schauspieler, und das meine ich auch unabhängig von der Hautfarbe, sind vor der Kamera brillant, können aber nicht synchronisieren. Da sind ganz andere Techniken gefragt. Bis ich das richtig beherrschte, hat es mehr als zehn Jahre gedauert.
WELT: Stellen wir uns eine Situation in zehn Jahren vor, in der es genug Synchronsprecher von Farbe gibt.
Rettinghaus: Aber ist das nicht auch rassistisch, nur nach Ethnie zu besetzen? Jamie Foxx hat etwas Schönes zu „Soul“ gesagt: „In jedem von uns steckt ein bisschen Joe, egal, welche Hautfarbe man hat.“ Das halte ich für einen großzügigen Satz angesichts dessen, dass Schwarze viel diskriminiert worden sind.
WELT: Diese jahrhundertelange schwarze Erfahrung der Diskriminierung in den USA hat niemand in Europa. Kann man, muss man die in einer Stimme hören?
Rettinghaus: Das kann ich nicht beurteilen. Aber nehmen wir die Figur von Jamie Foxx in „Django Unchained“ und wie Django gequält wird. Das hat Foxx glücklicherweise nicht selbst erlebt. Es ist eine Rolle, die er gespielt hat und so überzeugend spielte, dass man mit ihm gelitten hat. Und ich habe sie synchronisiert. Damit möchte ich mich nicht mit ihm auf eine Stufe stellen. Aber: Beides ist Schauspiel.
WELT: Gibt es in der Synchronbranche nicht den Spruch „Wenn ein Gender auftritt, muss man auch einen Gender holen“?
Rettinghaus: Es kann aber auch sein, dass der, der den Gender spielt, gar kein Gender ist, sondern nur einen spielt.
WELT: Genau das möchten Aktivisten in Zukunft verhindern.
Rettinghaus: Es ist ein ganz schwieriges Thema. Ich habe mir lange keine Gedanken darüber gemacht, da es für mich selbstverständlich war, dass mein Schauspieler und ich eins sind. Jetzt werde ich mir Gedanken darüber machen und wünsche mir, dass in uns allen irgendwann ein bisschen Joe steckt. Vielleicht macht es uns dann etwas einfacher, den anderen Menschen zu verstehen, egal, woher er kommt und wer er ist.