Beitrag vom 08.11.2021
faz.net
KOMMUNALWAHLEN IN SÜDAFRIKA
Die Kirche stürzt ein
Was die Krise des ANC für Südafrika heißt
Von Claudia Bröll
„Der ANC wird regieren, bis Jesus zurückkehrt.“ Kritiker der südafrikanischen Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) zitieren dieser Tage genüsslich den Satz des früheren südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma aus dem Jahr 2016. Die mehr als 100 Jahre alte Organisation, die erst gegen die Apartheid gekämpft hatte und seit 1994 das Land regiert, hat in den jüngsten Kommunalwahlen eine herbe Niederlage erlitten. Zum ersten Mal erreichte sie weniger als 50 Prozent der Stimmen im ganzen Land. Selbst in früheren Hochburgen in der Provinz KwaZulu-Natal und im Wirtschaftszentrum Gauteng entschieden sich lediglich 41 und 36 Prozent der Wähler für den ANC. In ländlichen Regionen dominiert die Partei weiterhin, doch nur in zwei von acht Städten erlangte sie eine Mehrheit. Kapstadt wird weiter von der Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) geführt.
Für Volksparteien in anderen Ländern wären solche Ergebnisse immer noch stattlich. Doch in Südafrika ist der ANC mehr als eine Partei. Er ist für viele Südafrikaner weiterhin die Organisation, die für die Befreiung von der Apartheid steht. Manche vergleichen den ANC mit einer Kirche: auch wenn man nicht mit allem einverstanden ist, man bleibt ihr trotzdem treu. Doch der Unmut über Korruption, die marode Infrastruktur und die vielerorts kollabierende Grundversorgung ist mittlerweile groß. Als der staatliche Stromversorger Eskom kurz vor den Kommunalwahlen am vergangenen Montag abermals mehrere Stunden den Strom abschaltete, fühlten sich einige in ihrem Frust bestätigt.
Ende der „Ramaphoria“
Auch die Grabenkämpfe zwischen einem Flügel um Zuma und Anhängern von Präsident Cyril Ramaphosa haben dem ANC nicht geholfen. Letzterer war 2018 nach dem erzwungenen Rücktritt Zumas als Reformer angetreten, es war von einer „Ramaphoria“ die Rede, doch die Partei hatte Ramaphosa nur mit knapper Mehrheit zum Vorsitzenden gewählt. Seitdem müht er sich, den ANC zusammenzuhalten, auch wenn Reformen auf der Strecke bleiben und die Opposition immer wieder beklagt, der Präsident stelle die Interessen der Partei über die der Nation.
Doch auch für die beiden großen südafrikanischen Oppositionsparteien verliefen die Kommunalwahlen eher enttäuschend. Das Ergebnis der DA rutschte im Vergleich zur vorigen Kommunalwahl von 25 auf 20 Prozent, die populistischen Economic Freedom Fighters (EFF) legten von 8 auf 10 Prozent zu. Hingegen feierten einige neue lokale Parteien wie die ActionSA des früheren Johannesburger Bürgermeisters Herman Mashaba Erfolge. Nie zuvor waren bei den Kommunalwahlen so viele kleine Parteien und unabhängige Kandidaten angetreten.
„Gewinn für die Demokratie“
Präsident Ramaphosa, der wegen der Wahl nicht zur Weltklimakonferenz nach Glasgow gereist war, nannte das Ergebnis einen „Gewinn für die Demokratie“ und rief zur Zusammenarbeit auf. Schon vor dem Bekanntwerden des endgültigen Wahlergebnisses aber war deutlich, dass dies nicht einfach werden dürfte. EFF-Chef Julius Malema, ein früherer Anführer der ANC-Jugendbewegung, verkündete, er sei wegen der Verluste des ANC der „glücklichste Mann auf der Welt“. Ziel seiner Partei sei es immer gewesen, die Regierungspartei aus „Dieben und Gangstern“ zu vertreiben.
In mehr als 60 Kommunen – unter anderem in Johannesburg, Pretoria und Durban – wird es jetzt auf Koalitionen ankommen. Schon vor Bekanntgabe der offiziellen Ergebnisse am Donnerstag liefen die Verhandlungen hinter den Kulissen auf Hochtouren. Gute Erfahrungen hat man mit Koalitionen in Südafrika nicht gemacht. In Städten wie Johannesburg führten sie zu Instabilität und brachen schließlich auseinander. Auf Provinzebene gibt es keine Koalitionsregierungen. Auf der nationalen Ebene stellt der ANC seit 27 Jahren allein die Regierung.
Bemerkenswert an den jüngsten Wahlen waren aber nicht nur die Ergebnisse. Noch nicht vergessen sind die langen Warteschlangen vor Südafrikas Wahllokalen in den neunziger Jahren, kurz nach dem Ende der Rassentrennung. Mittlerweile aber ist die Wahlbegeisterung Verdrossenheit gewichen. Weniger als die Hälfte der registrierten Wähler und weniger als ein Drittel der Wahlberechtigten beteiligten sich an den Kommunalwahlen. Die Südafrikaner neigten dazu, lieber gar nicht zu wählen als eine andere Partei, wenn sie mit ihrer Partei unzufrieden seien, sagt etwa der Politikwissenschaftler William Gumede.