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Beitrag vom 25.01.2022

FAZ

Chaos in Burkina Faso

Neun Jahre nach Beginn des französischen Militäreinsatzes meutern Soldaten in einem weiteren Sahel-Staat.

Von Claudia Bröll, Kapstadt, und Michaela Wiegel, Paris

Eine Meuterei von Soldaten in Burkina Faso und heftige Schusswechsel nahe dem Präsidentenpalast der Hauptstadt Ouagadougou haben am Montag die Spekulationen über einen weiteren Putsch in der Sahel-Region geschürt. Wie mehrere Nachrichtenagenturen berichteten, wurde der Präsident Roch Marc Christian Kaboré festgenommen. Er soll sich in einer Militärbasis aufhalten. Nach unbestätigten Informationen soll der neue Machthaber ein an der Pariser École Militaire ausgebildeter Oberst, Paul-Henri Sandalogo Damiba, sein. Bis zum Montagnachmittag gab es keine offizielle Bestätigung eines Staatsstreichs. Internet- und Telefonverbindungen nach Burkina Faso waren gestört.

Bewohner von Ouagadougou berichteten am späten Sonntagabend von Schüssen in der Stadt und nahe von Militärbasen. Fotos in den sozialen Medien zeigten Schusslöcher in Limousinen, bei denen es sich wohl um Regierungsfahrzeuge handelt. Der Verteidigungsminister, Barthélemy Simporé, wiederum dementierte im Staatsfernsehen eine Festnahme des Präsidenten. Die Lage sei sehr nebulös, sagte Jo Holden, Direktor für Westafrika bei der Friedrich-Nau mann-Stiftung. Die Tatsache, dass sich der Präsident nicht selbst im Fernsehen gemeldet habe, deute jedoch auf einen Putsch hin. Auch die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS sprach in einer Erklärung am Montag von einem „Putschversuch“. Sie verfolge mit großer Sorge die Entwicklung und verurteile die Tat. Das Militär sei für die körperliche Unversehrtheit des Präsidenten verantwortlich. Die Staatengemeinschaft forderte die Soldaten auf, in die Kasernen zurückzukehren und den Dialog mit den Behörden zu suchen, um die Probleme zu lösen.

In dem westafrikanischen Staat braut sich seit Längerem die Unzufriedenheit sowohl vonseiten der Bürger als auch des Militärs zusammen. Der Regierung wird vorgeworfen, die Sicherheitslage nicht unter Kontrolle zu bekommen. Nahezu täglich ereignen sich Angriffe von islamistischen Terroristen und anderen bewaffneten Gruppen in weiten Teilen des Landes. Vor einer Woche wurden bereits mehrere Soldaten festgenommen, weil sie angeblich einen Putsch geplant hatten.

Hauptauslöser der Wut unter vielen Soldaten dürfte ein Überfall auf eine Militärbasis nahe einer Goldmine Mitte November gewesen sein. Mehr als 300 Terroristen stürmten die Basis, mehr als 49 Offiziere und vier Zivilisten wurden getötet. Nach Angaben der International Crisis Group lebten die dort stationierten Soldaten unter härtesten Bedingungen und hatten noch nicht einmal genug zu essen. Nach dem Sturz des früheren Präsidenten Blaise Compaoré 2014 hatte sich dessen bestens ausgestattete Präsidentengarde RSP aufgelöst. Ranghohe Offiziere landeten im Gefängnis oder flüchteten ins Ausland. Medienberichten zufolge fordern die Soldaten jetzt unter anderem mehr Truppen im Kampf gegen die Terroristen, eine bessere Versorgung der Verwundeten und ihrer Familien sowie besseres Training, höhere Löhne und feste Bataillone, um für die Gefahren gerüstet zu sein.

Zusätzlich zu der Meuterei der Soldaten war es am Sonntag zu Ausschreitungen zwischen protestierenden Bürgern und der Polizei in Ouagadougou gekommen, Dutzende Menschen wurden festgenommen. Die Regierung hatte Demonstrationen zuvor verboten und eine Ausgangssperre verhängt. Am Montag und Dienstag sollen die Schulen geschlossen bleiben.

„Wir haben genug gesehen, der Präsident muss gehen, wir unterstützen die Soldaten, sie müssen Widerstand leisten“, sagte ein Demonstrant dem Fernsehsender Al Jazeera. Ein anderer sagte, zu viele Menschen seien aus ihren Dörfern vertrieben worden. „Wer nichts dagegen unternehmen kann, soll gehen.“ Die Rufe nach einem Rücktritt des Präsidenten haben sich über Monate hinweg verstärkt. Im Dezember trat aber nicht er, sondern Ministerpräsident Christophe Dabiré sowie das Kabinett zurück.

Es wäre schon der fünfte undemokratische Machtwechsel in der Sahel-Region in der jüngeren Vergangenheit. In Mali hatte das Militär im vergangenen Jahr in einem zweiten De facto-Putsch den notgedrungen eingesetzten zivilen Übergangspräsidenten und den zivilen Regierungschef festgenommen und vollständig die Macht übernommen. Nur neun Monate zuvor hatte das Militär den damaligen Präsidenten gestürzt. In Guinea hatte eine Eliteeinheit des Militärs im November den dortigen 83 Jahre alten Staatschef Alpha Condé aus dem Amt gejagt. Ebenfalls im vergangenen Jahr hatte der Sohn des getöteten Präsidenten Idriss Déby im zentralafrikanischen Tschad die Staatsführung übernommen. Es war eine Art monarchische Amtsfolge.

Die Sahel-Region wird seit 2012 von Angriffen islamistischer Terroristen erschüttert. Zunächst konzentrierten sie sich auf Mali, später weiteten sie sich auf andere Länder und von 2015 an auch auf Burkina Faso aus. Die Terroristen nutzen dort lokale Konflikte und Verteilungskämpfe um Wasser, Land und Goldvorkommen, um zu expandieren. Einige Gruppen haben dem Terrornetzwerk Al-Qaida oder der Terrormiliz „Islamischer Staat“ ihre Treue geschworen. Sicherheitsexperten befürchten, dass islamistische Gruppen Burkina Faso als Sprungbrett nutzen werden, um in die noch stabilen Küstenländer wie die Elfenbeinküste, Benin und Togo vorzudringen. In den fast sieben Jahre andauern den Konflikten in Burkina Faso sind mehr als 2000 Menschen getötet und 1,5 Millionen aus ihren Heimatorten vertrieben worden.

Der Putschversuch in Burkina Faso kommt für die französische Regierung zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Noch hat Präsident Emmanuel Macron nicht offiziell reagiert. Das Chaos, das in Ouagadougou herrscht, wirft jedoch ein Schlaglicht auf die gebrochenen Versprechen von Macrons Grundsatzrede zur französischen Afrikapolitik. Vor mehr als 800 Studenten in der Universität von Ouagadougou kündigte er im November 2017 an, das Verhältnis zu Afrika neu denken und die Interessen der jungen Generation in den Vordergrund stellen zu wollen. Doch von den hehren Vorsätzen ist nicht viel übrig geblieben. Indem er die altern den Herrscher im einst französischen Hinterhof zu strategischen Partnern erhob, verprellte Macron die jungen Afrikaner und die Zivilgesellschaften.

Das gilt insbesondere für Burkina Faso, das aufgrund der französischen Sicherheitsstrategie im G-5-Format (Mali, Burkina Faso, Niger, Mauretanien, Tschad) immer stärker in den Konflikt hineingezogen wurde, der zunächst auf Mali beschränkt war. Obwohl die französische Regierung immer mal wieder die „Elimination“ des einen oder anderen Islamistenführers feierte, hat der Kriegseinsatz nicht die erhoffte Stabilität gebracht. Nach neun Jahren französischer Militärpräsenz hat sich die Sicherheitslage nicht gebessert, und auch in Burkina Faso hat der Staat die Kontrolle über weite Teile seines Territoriums verloren.

Die französischen Soldaten werden längst nicht mehr als Befreier angesehen, sondern rufen Misstrauen und Feindseligkeit hervor. Im vergangenen November wurden französische Militärkonvois tagelang von protestierenden Menschen in Kaya, im Norden Burkina Fasos, an der Durchfahrt ins benachbarte Niger gehindert. Die französische Armee bahnte sich schließlich mit Warnschüssen den Weg. Der Unmut richtete sich auch gegen Präsident Kaboré, der diese Militärkonvois zugelassen hat. Kaboré hatte im Oktober 2019 Präsident Macron um eine Entsendung französischer Soldaten der Mission Barkhane in sein Land gebeten. Aus Sicht vieler Einheimischer ist die Lage dadurch eskaliert.