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Beitrag vom 31.01.2022

FAZ

Staatsstreich im Namen des Volkes

In Burkina Faso, Mali und Guinea stoßen die Militärputsche auf breite Zustimmung

Von Claudia Bröll, Kapstadt

Schon wieder ein Putsch in Westafrika, wieder treten finster dreinblickende Soldaten in Tarnuniform vor die Fernsehkameras und versprechen Frieden und die Rückkehr zur Demokratie. Seit Beginn dieser Woche hat auch in Burkina Faso ein Militärführer die Macht übernommen. Paul-Henri Sandaogo Damida folgt den Putschisten Assimi Goita in Mali und Mamady Doumbouya in Guinea. Die Gemeinsamkeiten sind nicht zu übersehen: Alle drei sind jung, hervorragend ausgebildet, sie besuchten elitäre Militärakademien und haben die einst gewählten Präsidenten im Alter ihrer Väter aus den Ämtern gejagt, schnell und ohne Blutvergießen.

Staatsstreiche sind in diesem Teil Afrikas keine Seltenheit. Allein in Burkina Faso gab es von 1966 bis heute sieben erfolgreiche Umstürze, davon fünf bis 1987. In kaum einem anderen Land wurde in der Zeit so viel geputscht. Doch auch in anderen Ländern in der Region waren demokratische Machtwechsel die Ausnahme. West- und Zentralafrika erhielten den Beinamen „Putsch-Gürtel“ des Kontinents.

Politische Analysten sehen jetzt jedoch eine neue Entwicklung. In einem bisher selten gesehenen Ausmaß hätten die Militärführer Unterstützung aus der breiten Bevölkerung erhalten, sagt Fahiraman Rodrigue Kone vom Institute for Security Studies (ISS) in Malis Hauptstadt Bamako der F.A.Z. Die Putschisten würden nicht als machtgierige Diktatoren betrachtet. „Viele Bürger sehen sie als Reformer und Hoffnungsträger in einer Zeit, in der sich die Sicherheitslage immer weiter verschlechtert und das Vertrauen in die bisherige politische Elite verpufft ist.“

Vor dem Putsch waren sowohl in Mali wie auch in Burkina Faso die Bürger monatelang zu Demonstrationen auf die Straße gegangen. Sie warfen der Regierung und ihren internationalen Verbündeten Versagen im Kampf gegen die Terroristen vor. Denn seit 2012 haben bewaffnete Gruppen in Mali und später in Burkina Faso die Kontrolle über weite Teile des Landes übernommen. Gleichzeitig entlud sich aber auch die Wut über Korruption, Vetternwirtschaft und Wahlmanipulationen. Kone spricht von einer „tiefen Desillusion über das demokratische System“. Es habe weder in Mali, Burkina Faso noch in Guinea die Verbesserungen gebracht, die man sich erhofft hatte.

Besonders hoch gesteckt waren die Erwartungen in Guinea. Alpha Condé, ein früherer Professor in Frankreich und Oppositionsführer, war 2010 als erster Präsident demokratisch gewählt worden. Nach seinen Worten wollte er wie ein „Nelson Mandela von Guinea“ regieren. Doch als Condé 2020 mittels Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit anstrebte, gab es Proteste mit Todesopfern und Verhaftungen. Wenige Monate später wurde er von Soldaten im Präsidentenpalast festgenommen. Das Bild des 83 Jahre alten Präsidenten auf einem Sofa, im zerknitterten Hemd und mit verstörtem Blick, ging um die Welt. Der 41 Jahre alte Mamady Doumbouya, ein früherer französischer Fremdenlegionär, übernahm die Führung.

In Mali wurde Ibrahim Boubacar Keita 2018 zwar mit zwei Dritteln der Stimmen zum Präsidenten wiedergewählt. Doch sofort wurde der Verdacht von Wahlbetrug laut. Als das Verfassungsgericht im April 2020 das Resultat der vorigen Parlamentswahlen kippte und die Partei des Präsidenten eine Mehrheit erlangte, hatten es viele Bürger satt. Der kürzlich verstorbene IBK, wie man ihn in Mali nannte, wurde vom Militär im August desselben Jahres gestürzt - nach dem gleichen Muster wie sein 64 Jahre alter burkinischer Amtskollege Roch Marc Kaboré in der vergangenen Woche. Wie in Mali und Guinea zuvor feierten viele Burkiner die Machtübernahme des Militärs ausgelassen auf den Straßen. „Wenn wir jetzt hin- und hergerissen sind zwischen dem Festhalten an den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates und dem Staatsstreich, dann liegt das an der katastrophalen Staatsführung“, sagt Serge Martin Bambara. Der Musiker hatte 2014 eine Bürgerinitiative angeführt, die gegen Kaborés Vorgänger, Blaise Compaoré, symbolisch mit Besen durch die Städte zog. Doch auch die darauf folgende Regierung habe die Interessen und Nöte des Volkes nicht ernst genommen, resümiert der Rapper mit Künstlernamen Smockey. Jetzt müssten die Burkiner zusammenstehen, die „alten Dämonen bekämpfen und rasch zu einer verfassungsmäßigen Ordnung zurückfinden“.

Die jungen, ehrgeizigen Offiziere wiederum verstehen es meisterhaft, auf die Unzufriedenheit zu reagieren und sie für eigene Interessen zu nutzen. Mit dem Verweis auf die Sicherheitslage und die Bürgerproteste verpassen sie den Staatsstreichen einen Anstrich von Legitimität.

In Burkina Faso hatte das Militär unter Kaboré an Einfluss verloren, der Präsident hatte zuvor die bestens ausgebildete und bezahlte Präsidentengarde seines Vorgängers aufgelöst. Die verbliebenen Truppen indes sind nicht für den Kampf gegen die Terroristen gerüstet. Als Hunderte Terroristen im November eine Kaserne stürmten, waren die letzten Getreuen dem Angriff fast wehrlos ausgeliefert.

Die Militärputsche, die wie Volksputsche aussehen, bringen die internationalen Staatengemeinschaften und die einstigen westlichen Verbündeten zunehmend in die Bredouille. Als die Junta in Mali eine Verschiebung der zunächst versprochenen Wahlen um bis zu fünf Jahre ankündigte, reagierte die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS sofort und verhängte harte Sanktionen. Die EU schloss sich an. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, forderte einen ehrgeizigeren Zeitplan.

In Mali wiederum fanden wieder Demonstrationen statt. Es waren die größten seit der Absetzung von IBK. Diesmal richteten sie sich nicht gegen den eigenen Staatslenker, sondern gegen ECOWAS, gegen die westlichen Staaten und vor allem gegen Frankreich. Patriotische Lieder wurden gesungen, nationale und russische Fahnen geschwungen. Zuvor hatte die internationale Gemeinschaft bereits entrüstet reagiert, als die Junta den Übergangspräsidenten abgesetzt hatte, nur neun Monate nach dem ersten Putsch. In Bamako wiederum ließ dieser zweite De-facto-Staatsstreich die meisten völlig unbeeindruckt. Sicherheitsexperten sind jetzt besorgt, dass der Putsch in Burkina Faso nicht der letzte in der Region gewesen sein könnte. Mit Blick auf die Amtsführung schneide kaum eine der Regierungen gut ab, sagt Kone. Eine Entspannung der Terrorlage im Sahel zeichnet sich auch nicht ab. „Ein vom Volk unterstützter Militärputsch kann fast überall passieren.“