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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 22.07.2009

SÜDKURIER
Politik
"Wir müssen Leuchttürme in Afrika schaffen"

Herr Neudeck, beim G8-Gipfel haben die großen Länder mal wieder Milliardenhilfe für Afrika versprochen. Toll, oder?

Vor 30 Jahren hätte ich mich darüber wahnsinnig gefreut. Damals war ich noch ein Kind in Fragen der Entwicklungspolitik. Ein Journalisten-Kollege, langjähriger Afrika-Korrespondent, hat mal gesagt, er sei früher überzeugt gewesen, dass 90 Prozent der Misere des Kontinents von uns Europäern verschuldet wurde, zehn Prozent durch die dortigen Eliten. Heute sieht er es genau umgekehrt. Und ich auch. Geld alleine hilft nicht.

In ihrem Bonner Aufruf verlangen Sie eine neue Form der Entwicklungshilfe. Was ist denn so schlecht am klassischen Modell?

Es ist mit hunderttausenden Projekten, die viele Milliarden Dollar gekostet haben, nicht gelungen, Afrika zu einem selbsttragenden, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu verhelfen. Die Mehrheit der Menschen hat heute keine besseren Lebensbedingungen als vor 50 Jahren. Wir müssen uns eingestehen, dass die Mehrzahl der afrikanischen Herrscher noch nicht einmal das Wort Regierungsführung buchstabieren kann - von gut will ich dabei noch gar nicht reden. Dabei möchte ich betonen: Wir sind ja alle Mittäter gewesen. Dazu bekenne ich mich ganz klar. Wir waren davon überzeugt, dass das, was wir taten, richtig ist.

Werden an Hilfsgelder keine Bedingungen geknüpft?

Wir haben das natürlich immer ins Protokoll geschrieben, dass die Regierungsführung sich ändern muss. Aber an Sanktionen haben wir uns nie gewagt. Aber es muss eben auch die Frage erlaubt sein: Hat es das gebracht, wofür wir angetreten waren? Das Ziel von Entwicklungshilfe ist, dass sie irgendwann überflüssig wird. Leider muss man sagen: Nein, das haben wir in der Regel nicht geschafft.

Gibt es keine positiven Beispiele?

Das sehe ich in Afrika kaum. Eher schon in Asien, das inzwischen zu unserem großen wirtschaftlichen Konkurrenten aufgestiegen ist. Vor 40 Jahren noch waren die Länder Südkorea und Ghana auf dem gleichen Niveau. Heute sind deren Standards völlig auseinander gedriftet.

Was haben asiatische Länder besser gemacht als afrikanische?

Das ist eine der schwierigsten Fragen, auf die es keine einfache Antwort gibt. Es gibt nur verschiedene Wurzeln, die man deuten kann. Etwa den südostasiatischen Konfuzianismus, der die Menschen zur Tüchtigkeit und Agilität anhält. Dennoch muss man mit solchen Argumenten vorsichtig sein, es gibt definitiv keine genetischen Gründe dafür, dass Afrika abgehängt ist. Wir als Europäer müssen uns vielmehr durch unsere schreckliche Kolonialisierung in die Verantwortung nehmen. Patriarchentum und Abhängigkeit wurden dadurch gerade erzeugt.

Sind Sie zum Pessimisten geworden, was Afrika betrifft?

Nein, im Gegenteil. Botswana und Mauritius haben es laut Weltbank schon geschafft. Ich würde noch drei Länder dazu nehmen: Ghana hat den Prozess zur Demokratie gemeistert und hat wirtschaftliche Erfolge. Uganda wurde von der Diktatur befreit und wirtschaftlich vorangebracht. Auch Ruanda würde ich hier aufführen, da es momentan die fähigste Regierung in Afrika hat. In Afrika muss endlich eine Konkurrenz angestachelt werden, die nicht durch zu viel Entwicklungshilfe eingedickt wird.

Was ist mit Eigenverantwortung?

Die Mächtigen müssen endlich verstehen, dass sie ihr Land nur alleine und aus eigener Kraft voranbringen können. Wenn das nicht der Fall ist, ist Entwicklungshilfe geradezu desaströs.

Warum kleben viele Entwicklungshelfer trotzdem an alten Mustern?

Ganz einfach: Es gibt alleine in Deutschland 100 000 bis 150 000 Personen in höheren Positionen, die davon leben, dass das Alte weitergeht. Es gibt sicher zigtausende von Firmen, die von der Entwicklungshilfe profitieren, ja, die zur Entwicklungshilfe-Industrie gehören. Dabei ist es inzwischen wirklich fünf vor zwölf: Die junge Arbeiterschaft Afrikas macht sich auf den Weg nach Europa. 18 Millionen sind schon unterwegs, schätzt die Uno - das hält Europa nicht aus. Nur die Zäune höher zu machen, wird nicht reichen. Deshalb müssen wir Leuchttürme in Afrika schaffen. Jetzt.

Fragen: M. Hufnagel

Rupert Neudeck fordert im "Bonner Aufruf" einen Neuanfang der staatlichen Entwicklungshilfe. Neudeck ist Gründer von Cap Anamur, Chef der Grünhelme, Journalist und meldet sich oft unbequem zu Wort.