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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 21.09.2009

TAZ Bilanz Heidemarie Wieczorek-Zeul

Das Marionetten-Ministerium
1.400 Mitarbeiter arbeiten in überflüssigen Doppelstrukturen, kritisiert der Rechnungshof. Die Reform der Entwicklungshilfe war das große Ziel von Wieczorek-Zeul - sie ist gescheitert. VON GORDON REPINSKI

Es war eine der flammenden Reden, wie man sie von Heidemarie Wieczorek-Zeul kennt. "100 Millionen Menschen werden in Armut gefangen bleiben, viele Kinder vom Tod bedroht sein", sagte die Bundesentwicklungsministerin im Juni dieses Jahres vor den Vereinten Nationen in New York, "wir müssen alles tun, um eine humanitäre Katastrophe in der Welt zu verhindern."
Auf der ganz großen Bühne fühlt sich Wieczorek-Zeul wohl. In elf Jahren Arbeit an der Spitze des Entwicklungsministeriums (BMZ) machte sich die Sozialdemokratin einen Namen als Politikerin, die das Leid der armen Länder immer wieder international angeprangert hat. Mit Verve hat HWZ, wie sie in der Entwicklungsszene genannt wird, für die Erhöhung der Haushaltsmittel für ihr Ministerium gekämpft - oft mit Erfolg.
Dass ein Teil dieses Geldes auch in Zukunft vor der eigenen Ministeriumstür in überflüssigen bürokratischen Strukturen versickern wird, verschweigt Wieczorek-Zeul. Denn die wichtigste Reform dieser Legislaturperiode, die Zusammenführung der großen staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen - der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und der Entwicklungsbank der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) - ist trotz Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag gescheitert.

Die Organisationen
Hauptakteur: Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) agiert auf der operationalen Ebene der Entwicklungshilfe. Rund 11.000 Mitarbeiter sind bei dem Unternehmen beschäftigt, etwa 1.000 davon in der Zentrale in Eschborn bei Frankfurt. Die GTZ ist dem Bundesentwicklungsministerium untergeordnet.
Kreditgeber: Die Entwicklungsbank der Kreditanstalt für Wiederaufbau vergibt Entwicklungskredite. Die Frankfurter Bank betreut rund 1.800 Vorhaben in etwa 100 Ländern. Sie ist durch die Zusammensetzung des Verwaltungsrats dem Finanz- und Wirtschaftsministerium untergeordnet.
Die Entwicklungspolitik
Sonderfall: Ein eigenständiges Entwicklungshilfeministerium wie das in Deutschland ist ein Sonderfall, in den meisten anderen Ländern ist Entwicklungspolitik den Außenministerien zugeordnet. Weltweit allein steht die deutsche Entwicklungspolitik auch mit der Aufteilung zwischen finanzieller und technischer Zusammenarbeit da - insgesamt 30 Organisationen teilen die Arbeit unter sich auf.
Ineffizient: Die dadurch entstehende Ineffizienz prangern auch internationale Organisationen an, die OECD forderte Deutschland zur Verzahnung beider Bereiche auf. Das durchzusetzen ist schwierig, weil die institutionellen Interessen der Organisationen sehr stark sind und insgesamt drei Ministerien (Entwicklungs-, Finanz- und Wirtschaftsministerium) eine Reform absegnen müssen.
Vier Jahre hat man nach Lösungen gesucht, sich in Ausschüssen, Arbeitsgruppen, Ministerien und dem Kanzleramt beraten und zerstritten - ohne Erfolg. Selbst ein Gutachten wurde vom Entwicklungsministerium bei der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers in Auftrag gegeben, um mögliche Modelle für eine Zusammenführung zu bewerten, doch auch der sechsstellige Betrag für dieses Papier kann nun ohne Gegenwert abgeschrieben werden. "Bei der Reform tut sich nichts mehr", gab Staatssekretär Erich Stather gegenüber der taz zu.
Dass eine Reform dringend nötig gewesen wäre, bestreitet indes nicht einmal Stather. Mit der Unterzeichnung der Paris-Deklaration hat sich Deutschland 2005 verpflichtet, die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe zu erhöhen und Bürokratie zu beseitigen. Auch die OECD hat in dem sogenannten DAC-Bericht Deutschland anschließend aufgefordert, endlich Ordnung in sein Wirrwarr an parallel arbeitenden Organisationen zu bringen. Mehr als 30 davon sind in der staatlichen Entwicklungshilfe tätig. Die Teilung der finanziellen und der technischen Zusammenarbeit in KfW und GTZ ist weltweit einmalig.
Besonders eklatant: Obwohl KfW und GTZ in der Praxis oft an denselben Programmen arbeiten, gibt es in jeder Organisation eigene Länder- und Strategieabteilungen. Die KfW hat eine Afrikaabteilung, die GTZ auch, dasselbe gilt für die meisten anderen Regionen und Themen dieser Welt. Laut Bundesrechnungshof arbeiten rund 1.400 Mitarbeiter in den Organisationen in überflüssigen Doppelstrukturen. Auch Justiziariat, Personalabteilung, Beschaffungsabteilung und Finanzwesen gibt es in beiden Institutionen.
Geld wird verschwendet
Bürokratischer Höhepunkt ist aber wohl die Schaffung von Stellen wie die der "Schwerpunktkoordinatoren", die mit hohen Expertengehältern zwischen den Organisationen vermitteln und das Chaos mindern sollen. 5,8 Milliarden Euro beträgt der Bundeshaushalt für Entwicklungshilfe im Jahr 2009. Durch eine Zusammenführung von KfW und GTZ "ergeben sich Einsparmöglichkeiten", stellte der Rechnungshof in seinem Gutachten zum Reformvorhaben fest: "Das gewonnene Fachwissen könnte übergreifend benutzt werden, unternehmerische Eigeninteressen würden an Bedeutung verlieren."
"Es ist sehr enttäuschend, dass man es nicht schafft, das eigene Haus zu reformieren und gut aufzustellen", sagt die Grünen-Entwicklungspolitikerin Ute Koczy, "wir werden uns auf lange Zeit den Vorwurf der Unfähigkeit gefallen lassen müssen."
Koczy war zusammen mit ihren KollegInnen aus dem Entwicklungsausschuss Zeugin eines Prozesses, der von Anfang an problematisch verlaufen ist. "Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie man eine Reform nicht angehen darf", spottet der CSU-Entwicklungsexperte Christian Ruck. Auch der FDP-Politiker Hellmut Königshaus beklagt: "Es wurden zahlreiche handwerkliche Fehler gemacht."
Denn durch das zu Beginn der Legislaturperiode in Auftrag gegebene Gutachten zum Zusammenschluss nahmen sich KfW und GTZ von vornherein als Gegner wahr. Es galt, institutionelle Interessen zu wahren und die eigene Macht über die Entwicklungsagenda zu erhalten. Von beiden Institutionen wurden die Propagandamaschinen angeworfen, Lobbyisten gingen im Bundestag ein und aus. "Beide Organisationen lagen in den Schützengräben", sagt Ute Koczy. Möglich wurde dies, da sich beide einer Partei zuordnen lassen. Die KfW gilt als SPD-nah, die GTZ hat mit Bernd Eisenblätter einen CDU-Mann an der Spitze.
Gerade Eisenblätters Rolle wird dabei hinter vorgehaltener Hand kritisiert. Aus Angst davor, dass die ausgezeichnet miteinander auskommenden Wieczorek-Zeul und die damalige KfW-Chefin Ingrid Matthäus-Maier eine Lösung aushandeln, in der die GTZ der KfW untergeordnet würde, hat Eisenblätter alles getan, um das Reformvorhaben zu bremsen. "Eisenblätter hat sich an die Spitze der Bewegung gegen die KfW gesetzt", sagt ein Parlamentarier. "Die Macht der GTZ ist gefährlich", heißt es aus dem Entwicklungsministerium.
Dort spürt man diese Macht bereits heute. Den rund 500 Ministerialbeamten stehen 11.000 MitarbeiterInnen der GTZ gegenüber. Dutzende GTZ-Mitarbeiter arbeiten mittlerweile als Berater im Ministerium und bestimmen maßgeblich die Politikagenda des Hauses, das pro Fachbereich oft nur mit ein oder zwei Referenten besetzt ist. "Auf das Fachwissen der GTZ kann das Ministerium gar nicht mehr verzichten", sagen Mitarbeiter.
Um dabei die verlorene "politische Steuerungsfähigkeit" wenigstens nach außen zu demonstrieren, hat das Ministerium mittlerweile die Fachleute der GTZ aus den Referaten ausgegliedert und ein eigenes Haus für die GTZ eingerichtet - in unmittelbarer Nähe des Ministeriums in Bonn. "Es soll so aussehen, dass die GTZ keinen Einfluss mehr hat", heißt es aus der Mitarbeiterebene des Hauses. In wohl keinem Politikfeld ist das Ministerium so sehr Marionette einer nachgeordneten Organisation wie in der Entwicklungspolitik.
Steuerungsfähigkeit, doppelte Verwaltung, internationaler Druck, auch der uneinheitliche Außenauftritt in den Entwicklungsländern: Für eine Reform gab es genügend Gründe. "Es gab im Ausschuss einen Konsens darüber, dass wir etwas tun müssen", sagt die Grüne Koczy, "nur die Ministerin verweigerte eine Entscheidung." Vor allem dem Druck der Lobbyisten scheint sich Wieczorek-Zeul gebeugt zu haben - wohl wissend, dass die Öffentlichkeit beim Thema Entwicklungspolitik oft nicht so genau hinsieht. "Wieczorek-Zeul hat sich keine politischen Gewinne von einer Reform erwartet", heißt es aus Ministeriumskreisen, "es fehlte am Ende der politische Wille zur Reform."
"Nicht unsere Schuld"
Offiziell gibt man sich im Ministerium nun als Opfer. "Wir müssen den Kopf hinhalten, dabei ist es nicht unsere Schuld", sagt Staatssekretär Erich Stather. Seine Version: Durch den Zusammenbruch der IKB-Bank im Jahr 2007 in der Finanzkrise, eines Teils der KfW, und den Wechsel an der Spitze der Bank im Jahr 2008 sei zweimal eine Einigung durch äußere Umstände verhindert worden. Den Todesstoß hätte dem Vorhaben schließlich Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verpasst - dessen Haus im Verwaltungsrat der KfW vertreten ist. "Es gibt keine Lösung, weil zu Guttenberg blockiert", sagt Stather, "mit Wirtschaftsminister Michael Glos gab es eine grundsätzliche Einigung, die auch die KfW mit einschließt."
Aussagen, die im Wirtschaftsministerium für Verwunderung sorgen. "Es gab nie eine Zusage für eine große Lösung", sagt ein Ministeriumssprecher, "weder unter Glos noch unter zu Guttenberg". Auch aus Ministeriumskreisen hört man wiederholt einen Vorwurf: "Die Leitung will die Verantwortung für das Scheitern externalisieren."
Selber äußern möchte sich Wieczorek-Zeul nicht. Weder zu den Vorwürfen, sie hätte das Reformvorhaben vernachlässigt, noch zu den Aussagen des Wirtschaftsministeriums. "Die Ministerin wird nichts mehr zu der Reform sagen", lässt ihr Sprecher ausrichten, "da gibt es eine Aufgabenteilung mit Staatssekretär Stather."
Es passt ins Bild einer Heidemarie Wieczorek-Zeul, die gerne auf der internationalen Bühne auftritt und doch "einen Verschleiß an Kraft und Ideen zeigt", wie es aus ihren Kreisen heißt. "Es muss ein Wechsel an der Spitze her", heißt es weiter, "elf Jahre sind eine lange Zeit."

TAZ 20.9.09
Wieczorek-Zeuls gescheiterte Reform

Das Ende der Roten Heidi
KOMMENTAR VON GORDON REPINSKI

Seit elf Jahren ist Heidemarie Wieczorek-Zeul Bundesentwicklungsministerin, doch auf der Zielgeraden ihrer dritten Amtszeit ist sie mit dem wichtigsten Projekt ihres Ressorts gescheitert: der Zusammenführung der in über 30 verschiedene Organisationen zersplitterten deutschen Entwicklungspolitik. Schlimmer noch: Sie hat die Reform leichtfertig aus den Händen gegeben, weil ihr die vorhandenen Widerstände übermächtig erschienen und sie sich keine politische Rendite versprechen konnte.
Das steht im krassen Gegensatz zu der Heidemarie Wieczorek-Zeul, die von internationalen Auftritten her bekannt ist. Dort kämpfte sie mit aller Kraft darum, dass internationale Zusagen getroffen und Gelder für die Ärmsten der Armen auch tatsächlich bereitgestellt werden. Diesen Kampf führte sie im Bundeskabinett weiter - die Finanzminister Hans Eichel und Peer Steinbrück hat sie mit ihrer berüchtigten Beharrlichkeit an den Rand der Verzweiflung getrieben -, damit die Entwicklungshilfe nicht Sparmaßnahmen zum Opfer fällt.
Doch was ist all dies wert, wenn die erstrittenen Gelder in der eigenen Bürokratie versickern? Die doppelten Strukturen der beiden Hauptakteure KfW-Entwicklungsbank und Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit sind seit Jahren bekannt, durch Gutachten belegt und werden international kritisiert. Auch auf politischer Ebene war am Anfang der Legislaturperiode ein Konsens darüber getroffen worden, dass eine Reform stattfinden müsse. Heidemarie Wieczorek-Zeul hat sich dagegen entschieden. Zudem ist ihr die Arbeit vor der eigenen Haustür offenbar weniger wert als der glamouröse Auftritt vor internationalem Publikum. Damit ist sie gescheitert. Ihre Zeit als Ministerin wird nach der Bundestagswahl enden. Daran zweifelt mittlerweile nur noch sie selbst.
Die Herausforderungen für die Entwicklungspolitik bleiben. Es geht um hunderte Millionen Menschen, die durch die Folgen der Finanzkrise von neuer Armut bedroht sind. Ihnen hilft man mit internationalem Engagement. Doch noch mehr als jede neue finanzielle Zusage ist es wichtig, dass die Gelder dort ankommen, wo sie hingehören. Welche Regierung auch immer ab der nächsten Woche einen Koalitionsvertrag vorbereitet, sie sollte dies nicht vergessen. Denn Entwicklungshilfe ist ganz sicher für eines nicht gedacht: für Bürokraten.

Gordon Repinski, 32, ist Redakteur im Inlandsressort der taz.