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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 28.01.2010

Süddeutsche Zeitung
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Afghanistan, auf Dollars gebettet

Alles umsonst: Die Sicherheit des Westens wird am Hindukusch gefährdet - mit Entwicklungshilfe in bizarrem Ausmaß

Von Heinrich Langerbein

Afghanistan erhält seit Ende 2001 eine beispiellose Hilfe. Dies verdankt das Land nicht seiner Armut, sondern letztlich der Angst vor dem internationalen Terrorismus. Die Taliban als damals Herrschende waren nach dem 11. September 2001 bekanntlich nicht bereit, die Al-Qaida-Führer um Osama bin Laden auszuliefern. Die Unterstützung, die Afghanistan erhält, besteht bekanntlich aus Militär- und Entwicklungshilfe. Die Ziele dabei: Sicherheit und einen handlungsfähigen Staat zu schaffen sowie das Land wirtschaftlich zu entwickeln. An diesem Donnerstag soll auf der Afghanistan-Konferenz in London überprüft werden, welche Wirkung die Hilfen haben und wie die Ziele noch zu erreichen sind. Die Militärhilfe steht täglich in den Schlagzeilen. Wie aber steht es um die Entwicklungshilfe? Immerhin geben jährlich rund 70 Länder, internationale sowie Tauende von privaten Organisationen mehrere Milliarden Dollar für Afghanistan aus. Zu Recht? Oder könnte umgekehrt die Entwicklungshilfe womöglich erhebliche Gefahren für die Menschen in Afghanistan produzieren? Könnte sie gar auch die Sicherheit des Westens bedrohen?

Wenn man die Statistiken der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) betrachtet, so stellt man fest: Afghanistan erhielt von 2002 bis 2008 19,6 Milliarden Dollar an öffentlicher Entwicklungshilfe. Das Volumen nahm dabei stetig zu. 2002 bezifferte es sich auf 1,3 Milliarden, drei Jahre später auf 2,7 Milliarden, 2007 auf 4 Milliarden und 2008 auf 4,8 Milliarden Dollar. Hinzuzurechnen sind die Beträge, die von all den privaten Organisationen kommen (für die es keine zusammenfassende Statistik gibt), außerdem die Militärhilfe sowie die Hilfe von Staaten wie Indien, die nicht bei der OECD melden.

Wie sind die Beträge einzuordnen? Der Internationale Währungsfonds (IWF) setzt das Bruttoinlandsprodukt von Afghanistan fürs Jahr 2007 auf zehn Milliarden Dollar an. Der Anteil der Investitionen daran dürfte sich auf maximal zwei Milliarden Dollar belaufen, gemessen am Standard vergleichbarer Länder (genaue Zahlen gibt es nicht). Maximal eine weitere Milliarde - wiederum hochgerechnet anhand des Standards vergleichbarer Länder - dürfte Afghanistan für sein Militär ausgeben. Macht zusammen drei Milliarden. Wenn man diesem Betrag die vier Milliarden Dollar Hilfe gegenüberstellt, die Afghanistan in jenem Jahr allein gemäß der OECD-Statistik erhielt, so heißt dies: Rechnerisch konnte das Land schon allein aus der bekannten öffentlichen Entwicklungshilfe all seine Investitionen plus sein Militär plus Teile seines Konsums bezahlen, ohne einen Cent selbst erwirtschaften zu müssen. Finanziell war bereits damals das Paradies geschaffen worden.

Dies ist aber noch nicht alles. Im Mai 2009 veröffentlichte der IWF seinen jüngsten Länderbericht zu Afghanistan. Er ermittelte Währungsreserven, die im Mittel der Jahre Jahr 2007 und 2008 brutto knapp 2,8 Milliarden Dollar betrugen. Für 2009/2010 werden 3,3 Milliarden erwartet. Bei einem Bruttoinlandsprodukt von zehn Milliarden ist das ein außerordentlicher Überfluss an Kapital, für das die Regierung in Kabul im Inland offenbar keine Verwendung hat. Wenn die Afghanen mit ihren Währungsreserven das machen, was viele Länder machen, so werden sie weitgehend US-Anleihen gekauft haben. Damit hätten wir den absurden Fall, dass die Weltgemeinschaft Afghanistan Milliarden schenkt, worauf es diese wiederum zu einem erheblichen Teil den USA als verzinslichen Kredit zur Verfügung stellt. Nach IWF-Schätzungen verfügte Afghanistan 2007/2008 über Brutto-Währungsreserven in Höhe von 12,7 Monats-Importen (zwei Jahre zuvor betrugen sie noch 7,7 Monats-Importe). Derartig riesige Währungsbestände haben nur sehr wenige Staaten.

Es ist zu vermuten, dass die Londoner Konferenz die Hilfe noch wesentlich erhöhen wird. Ein wichtiger Impuls wird hierbei von den Ländern ausgehen, die sich ganz oder teilweise aus einem Militäreinsatz herauskaufen wollen. Japan hat bereits verkündet, seine militärische
Unterstützung nun ganz einstellen. Dafür werde sie aber ihre Entwicklungshilfe auf insgesamt fünf Milliarden Dollar für die nächsten fünf Jahre aufstocken. Wenn nicht wider Erwarten Vernunft einkehrt, wird Afghanistan sehr bald mehr Finanzkapital haben, als es zur vollen Finanzierung seiner Investitionen, seines Konsums, seines Militärs benötigt. Die Weltgemeinschaft hat das Land Afghanistan dann im Geld ertränkt. Das Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe" würde vollständig außer Kraft gesetzt.

Wenden wir uns nun der Frage zu,welche Erfolge diese Hilfe bisher hatte. Sie kann wegen der Unsicherheit gerade in den Regionen, wo die Not am größten ist, überhaupt nicht eingesetzt werden. Zudem sind nur relativ wenige ausländische Experten bereit, im Land zu arbeiten. Eine qualifizierte Planung und Umsetzung der Projekte ist daher weitgehend unmöglich. Omar Zakhilwal, der Gouverneur der Zentralbank, sagte im Oktober beim IWF-Jahrestreffen: "Derzeit werden 80 Prozent der an Afghanistan geleisteten Entwicklungshilfe außerhalb des offiziellen Etats abgewickelt. Es ist schwierig sicherzustellen, dass diese Hilfe mit den Prioritäten der Regierung in Einklang steht. Das Ergebnis ist eine Art von Entwicklungshilfe, die weder gut zu managen noch zu koordinieren ist." Und damit verhindere sie auch, dass sich die Afghanen damit identifizierten. Es ist im Zusammenhang mit dem Land stets von der hohen Korruption die Rede. Das besonders Bedrohliche an der afghanischen Korruption aber liegt in demUmstand, dass die Entwicklungshilfe am Staat vorbei geleistet wird. Die Gelder fließen damit weitgehend in die den Staat bedrohenden Gruppen: Taliban, Milizen, Warlords, Opium-Barone und Banditen.

Man muss unterstellen, dass fast alle Vorhaben für die Afghanen weitgehend kostenfrei sind. Das bedeutet aber auch: Sobald ein Projekt keine Zuschüsse mehr erhält, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit zusammenbrechen. Damit ist zu befürchten, dass nur ein Strohfeuer ausgelöst wird und die wirtschaftliche, aber auch soziale Lage Afghanistans trostloser wird, als sie vor acht Jahren war. Dies dürfte ebenfalls eine massive Schwächung der Staatsgewalt nach sich ziehen - mit erheblichen negativen Folgen auch für die Nachbarländer und für die Sicherheit des Westens. Die Frage liegt nahe: Warum gewährt der Westen im Übermaß Hilfen, die den Afghanen nicht nutzen, die eigenen Soldaten bedrohen und der Sicherheit schaden?