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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 18.03.2010

Die Weltwoche

Hilfswerke
Klüngel der Helfer

Staatlich alimentierte Schweizer Hilfswerke arbeiten weitgehend im Dunkeln. Sie entziehen sich der Kontrolle von aussen und verbitten sich jede Kritik. So macht eine weitere Erhöhung der Ausgaben für Entwicklungshilfe keinen Sinn.

Von Alex Reichmuth

Bisher hat die Schweiz 0,4 Prozent des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe ausgegeben, in Zukunft sollen es sogar 0,5 Prozent sein. So will es das Parlament, und darum weist es in diesen Tagen einen Bericht zur Entwicklungshilfe an den Bundesrat zurück. Dieser wollte wegen der Wirtschaftskrise mit einer Erhöhung zuwarten. Denn es geht um jährliche Mehrausgaben von mehreren hundert Millionen Franken.
Dass das Parlament schon jetzt mehr Geld für Entwicklungshilfe will, kann nicht erstaunen - sitzen doch in den beiden Kammern zahlreiche Vertreter, die Führungspositionen bei grossen Hilfswerken besetzen. Einige von ihnen sitzen sogar in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, der die Parlamentsentscheide zur Entwicklungshilfe vorspurt - so etwa Hans-Jürg Fehr, Präsident des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks, Rudolf Rechsteiner, Präsident von Swissaid, und Kathy Riklin, Zentralvorstandsmitglied von Helvetas.
Eine zentrale Rolle bei der Vergabe der heute schon etwa 1,3 Milliarden Franken für Entwicklungshilfe spielt die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Sie entscheidet, welchen Hilfswerken wie viel Bundesgeld zufliesst. Dieses Geld ist eine der wichtigsten Finanzquellen der Hilfsorganisationen: Für die zwölf grössten unter ihnen macht das Geld vom Bund durchschnittlich 30 Prozent der Einnahmen aus. Bei einzelnen Hilfswerken ist der Anteil noch deutlich darüber: Bei Swisscontact stammen 38 Prozent der Einnahmen von der Deza, bei Helvetas sogar 52 Prozent. Vielen Hilfswerken fliesst dazu noch Geld über das Staatssekretariat für Wirtschaft sowie über Kantone und Gemeinden zu.
Verlierer: Helvetas, Fastenopfer, Swissaid
Obwohl also ein grosser Teil des Geldes für Entwicklungsprojekte von den Steuerzahlern stammt, legen die meisten Hilfswerke kaum offen, wie und wo diese Mittel verwendet werden. Zu diesem Schluss kommen Entwicklungsfachleute der unabhängigen Organisation Ideas (Independent Development Experts Association). Unter der Leitung von Jan Stiefel, der über jahrzehntelange Erfahrung mit Entwicklungsprojekten in der gan- zen Welt verfügt, hat Ideas die zwölf grössten Hilfswerke unter die Lupe genommen.
Ihre Studie erfasst, wie weit und wie erhellend die Hilfswerke über ihre Entwicklungsprojekte informieren. Dabei schneidet World Vision am besten ab, es folgen Terre des hommes und das Schweizerische Rote Kreuz - sie bekommen die Noten gut oder genügend. Der grosse Teil der übrigen bewerteten Hilfswerke schneidet schlecht ab. Auf den hintersten Rängen liegen Helvetas, Fastenopfer und Swissaid.

Empörung der Kritisierten
Die Transparenz der Hilfswerke zu bewerten und zu vergleichen, ist bei einem so grossen Anteil an Steuergeld bei ihren Einnahmen mehr als legitim. Das Vorgehen von Ideas für das Ranking scheint zweckmässig. Trotzdem: Wenn man die bewerteten Hilfswerke, die staatliche Deza oder auch die Stiftung Zewo (die das bekannte Gütesiegel für Hilfswerke vergibt) auf das Ranking anspricht, bekommt man fast nur üble Kommentare zu hören: Der Ansatz sei «mangelhaft», die Resultate «nicht nachvollziehbar» oder sogar «aus der Luft gegriffen». Sogar von «Polemik» und «Unsinn» ist die Rede.
Die Ablehnung wird teilweise seltsam begründet: Eine Kritik lautet, das Ranking von Ideas beruhe nur auf dem Internetauftritt der Hilfswerke. Der Vorwurf ist falsch: Ideas hat alle öffentlich zugänglichen Informationen genutzt und darüber hinaus den Hilfswerken angeboten, diese zu ergänzen. Auf die entsprechende Anschrift haben allerdings nur drei der bewerteten Hilfswerke reagiert. Auch wird Ideas als «selbst ernannte Expertengruppe» bezeichnet, die nicht zu einer Bewertung der Hilfswerke berechtigt sei. Martina Ziegerer, Geschäftsführerin der Stiftung Zewo, schlägt etwa vor, die Entwicklungsfachleute von Ideas sollten ihre Dienste den Hilfswerken lediglich anbieten: «Wer immer sich dafür interessierte, würde ihre Leistungen nachfragen.» Das zeugt von einem seltsamen Verständnis von Transparenz: Die Hilfswerke, die massgeblich mit öffentlichem Geld arbeiten, sollen ihre Prüfer offenbar selber aussuchen können. Wer die Gunst der Hilfswerke nicht bekommt, darf folglich auch nicht bewerten. Evaluationen sind aber nur dann glaubhaft, wenn sie nicht vom Wohlwollen der Evaluierten abhängen.
Die Empörung über das Rating überrascht Jan Stiefel von Ideas nicht. Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit sei in den Händen eines abgeschotteten, von Insidern besetzten Kreises, welcher sich gegen Kritik von aussen sträube, meint er. Man kennt sich, man tut sich gegenseitig nicht weh. Besonders heftig kritisiert Stiefel die Zewo. Diese nehme als Zertifizierungsstelle der Spenden sammelnden Organisationen eine monopolartige Stellung ein, sei aber nicht wirklich unabhängig von der Deza und den Hilfswerken. Die Zewo-Zertifizierung koste die Hilfswerke zwar eine Stange Geld, sei aber in der Sache anspruchslos: Die Zewo prüfe nur Dokumente, nicht aber die konkrete Arbeit in den Entwicklungsländern. Gemäss Stiefel erfüllen sogar mehrere zertifizierte Organisationen die Voraussetzungen nicht, die die Zewo selber vorgibt - ohne dass dies Konsequenzen hätte. Das Zewo-Gütesiegel erscheint so als eine Art Eintrittsticket zum Kreis der Insider. Gegenüber der Deza ist es auf jeden Fall eine der wichtigsten Voraussetzungen, um an staatliches Entwicklungshilfe-Geld heranzukommen.
Diese Vorwürfe werden von der Zewo zurückgewiesen: Sie arbeite unabhängig, die Kontrollen seien umfassend und unparteiisch. Unter der Hand weisen Fachleute aber darauf hin, dass bei grossen Hilfswerken der Aufwand, um Spenden zu generieren, weit höher ist, als von der Zewo offiziell erlaubt - von 35 bis zu 50 Prozent der Ausgaben ist zum Teil die Rede. Buchhalterische Tricks, um den Fundraising-Aufwand zu verstecken, machten dies möglich.

Umstrittene Deza-Praxis
Jan Stiefel und seine Arbeitsgruppe kritisieren aber auch die Rolle Deza. Diese sei Geberin, Durchführerin und Richterin in einem. Hilfswerke, die in hohem Masse von den durch die Deza gesprochenen Staatsgeldern abhängig seien, arbeiteten nachweisbar intransparenter als andere. Die Deza ist für Stiefel klar die graue Eminenz der Entwicklungshilfe-Lobby. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass mehrere ehemalige Vizedirektoren der Deza nun Führungspositionen bei grossen Hilfswerken besetzen: Serge Chappatte bei Intercooperation, Rudolf Dannecker bei Swissaid und bei Helvetas, Jean-François Giovannini bei Fastenopfer.
Bei der Deza widerspricht man der Kritik: Sie vergebe Bundesgelder unabhängig und nach international anerkannten Standards. Die Vergabepraxis sei transparent. Ganz anders sieht das aber gemäss einer Expertise aus, die im Auftrag der ständerätlichen Geschäftsprüfungskommission (GPK) erstellt und im letzten Sommer veröffentlicht wurde: Die Deza vergebe Mandate und Finanzhilfen oft willkürlich, heisst es darin, ausschlaggebend sei der Grad der «partnerschaftlichen Kooperation». Die Deza verfüge über keine Gesamtstrategie bei der Geldvergabe. Die berücksichtigten Hilfswerke würden eine «faktische Monopolstellung» geniessen. Auch stelle die Deza nicht sicher, dass die gesprochenen Gelder für den vorgesehenen Zweck verwendet würden.
Die GPK hat den Bundesrat nach Erscheinen des Berichts aufgefordert, dringend für mehr Wettbewerb und Transparenz im Bereich Entwicklungshilfe zu sorgen.