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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 14.02.2011

Allgemeine Zeitung, Windhoek/Namibia

Südsudan: Aufbruchstimmung und Hürden auf dem Weg zum neuen Staat
Von Wolfgang Drechsler

Kaum eine andere Stadt in Afrika ist in den letzten fünf Jahren derart rasant gewachsen wie Juba, die künftige Hauptstadt des Südsudans: Wo einst Gewitterregen die Sandpisten in riesige Seenlandschaften verwandelten, verlaufen heute zumindest ein paar ordentlich geteerte Straßen; die größte davon vor dem Präsidentenpalast, der in einem frisch renovierten Kolonialgebäude liegt. Selbst an eine Sauna haben die Architekten gedacht, obwohl die hohen Außentemperaturen von 35 Grad einen solchen Luxus eigentlich völlig überflüssig machen.

Am 9. Juli wird der Südsudan offiziell zum 54. Staat Afrikas werden - und sich dann auch offiziell vom sudanesischen Zentralstaat und der Regierung in Khartum abspalten. Nachdem am Montagabend vorgelegten amtlichen Endergebnis stimmten fast 99 Prozent der vier Millionen Wahlberechtigten für die Unabhängigkeit der ölreichen, aber bitterarmen Region. Damit entsteht der jüngste Staat Afrikas. Das Referendum über die Unabhängigkeit war Teil des Friedensabkommens von 2005, das einen mehr als 20 Jahre dauernden Bürgerkrieg beendete, in dem mindestens zwei Millionen Menschen ums Leben kamen.

Seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen dem muslimischen Norden und dem animistisch-christlichen Süden vor sechs Jahren ist die nahe der Grenze zu Uganda und Kenia gelegene neue Hauptstadt kaum wiederzuerkennen: Damals war Juba einer der unwirtlichsten Orte der Welt - und wenig mehr als eine Ansammlung von Lehmhütten, Zelten und Schotterpisten. Im gesamten Südsudan gab es damals ganze vier Kilometer geteerte Straße - in einem Gebiet von der doppelten Größe Deutschlands. Auch Unterkünfte suchten Besucher damals vergeblich.

Heute boomt Juba: Überall schießen Restaurants und Hotels aus dem Boden. Zwar kann sich der Ort längst noch nicht mit der sudanesischen Hauptstadt Khartum vergleichen, doch ist er auch kein völlig rückständiges Nest mehr: Sein Flughafengebäude ist zwar noch immer ein Schuppen, doch landen und starten inzwischen rund 80 Flüge am Tag. Und aus der Savanne erheben sich die Konturen eines neuen Terminals.

Allerdings hat es in der Region zuletzt nur eine einzige größere Privatinvestition gegeben: Der britisch-südafrikanische Biergigant SAB Miller hat vor zwei Jahren rund 45 Millionen US-Dollar in eine neue Brauerei gesteckt, die für die eigenen Zwecke mehr Strom erzeugt als ganz Juba mit seinen 750000 Menschen selber zur Verfügung stehen. Auch die Kriminalität ist auf dem Vormarsch: Überfälle sind häufiger geworden - und viele Hilfsorganisationen haben für ihre ausländischen Mitarbeiter zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang eine Ausgangssperre verhängt.

Auch der Verkehr hat stark zugenommen. Allerdings sind die meisten Straßen noch immer ungeteert und versumpfen beim ersten Regen. Ohne einen Geländewagen geht wenig. Und trotz des vom Ölreichtum befeuerten Baubooms leben die meisten Menschen noch immer in kleinen traditionellen Lehmhütten mit Strohdach. Hochhäuser sucht man vergebens, genauso wie Strommasten. Überall summen Generatoren.

Mit der Unabhängigkeit des neuen Staates kämpfen die Rebellen der SPLM nun nicht mehr gegen das arabische Regime im Norden, sondern gegen die Löcher in den Straßen und den eklatanten Mangel an Strom und Wasser. Es ist ein ungleich schwierigerer Kampf: Wie so oft in Afrika endet der "Neue Sudan", den seine Politiker den Menschen hier im Rahmen des Referendums so vollmundig versprochen haben, gleich hinter dem modernen Regierungsviertel im Herzen der Stadt.

Symptomatisch für den Stillstand im übrigen Land ist die Stadt Bor, die rund 30 Flugminuten entfernt liegt. Zwar hat sich die Zahl der Menschen hier nach Angaben von Ansässigen in den letzten Jahren mit der Rückkehr vieler Flüchtlinge aus dem Bürgerkrieg fast verdoppelt. Anders als in Juba sind aber nur wenige neue Häuser entstanden. Noch immer gibt es keine richtig asphaltierte Straße. In der Regenzeit, die über sechs Monate dauern kann, ist es schwierig, von einem Teil der Stadt in den anderen zu gelangen. Lokalpolitiker wie der Gouverneur des Bundesstaates Jonglei beklagen deshalb, dass die verblüffende Entwicklung von Juba auf Kosten des übrigen Südsudans gegangen ist. "Wir machen hier nun die gleichen Fehler wie unsere langjährigen Unterdrücker im Norden", sagt er. Auch diese hätten allein ihre Hauptstadt Khartum aufgebaut - und darüber den Rest des Landes vergessen.

Auch die vielen NGOs in der Region klagen über das von der neuen Regierung eingeschlagene Schneckentempo. Einen echten Anreiz zur Eile haben die neuen Machthaber aber auch nicht: Die Hilfe aus dem Ausland scheint für die Menschen im Süden bisher so sicher zu sein wie die kommende Regenzeit. Fast 20 Jahre lang haben die Vereinten Nationen (UN) den Süden während des Bürgerkriegs durchgefüttert - eine Gegend, die zu den fruchtbarsten in Afrika zählt.

Die Landwirtschaft scheint den früheren Rebellen der SPLM jedenfalls nicht am Herzen zu liegen. Stattdessen sind fast Zweidrittel des Staatshaushalts in Armee, Polizei und den Aufbau der neuen Hauptstadt geflossen. Begründet wird dies gerne mit "einmaligen Anlaufinvestitionen" für neue Uniformen und Kasernen. Doch Zweifel bleiben, zumal der Süden in den letzten fünf Jahren immerhin rund sechs Milliarden US-Dollar vom Norden aus den Öleinahmen erhalten hat.

Am schnellsten hat sich auch hier bislang die Korruption verbreitet: Eignung und Erfahrung spielen bei der Postenvergabe kaum noch eine Rolle. Einziges Einstellungskriterium in der Verwaltung ist oft die familiäre Beziehung zu einem der Bosse der regierenden SPLM. Zudem versucht die größte Volksgruppe der Dinka, sich schon jetzt die lukrativsten Posten im Staatssektor zu sichern - und pocht zudem auf den Löwenanteil aus den Öleinnahmen. Und schließlich fehlen den Rebellen nach den vielen Jahren in Busch schlicht die eigenen Fachkräfte. Die meisten kennen nur den Kampf mit der Waffe.

John Garang hatte genau davor gewarnt. Der bei einem Hubschrauberabsturz 2005 getötete Führer der Südsudanesen hatte große Visionen für den neuen Staat - und auch Ängste. "Jedes einzelne Wort des Friedensabkommens mit dem Norden muss in die Tat umgesetzt werden", steht auf einer Betonplatte an seinem Grab. Das "Licht der Hoffnung" solle alle Welt daran erinnern. Doch der Hass auf den arabischen Norden wird fortan nicht mehr reichen, um die vielen Völker des Südens zu vereinen. Sie müssen nun zeigen, dass sie nicht nur kämpfen, sondern auch bauen können.

Zur Person: Omar al Bashir
1989 gelangte er durch einen Militärputsch an die Macht. Zunächst führte er lange Zeit einen heiligen Krieg gegen den christlichen Süden. 2005 wurde ein Friedensvertrag geschlossen, der in dem Referendum gipfelte. Kaum war der Frieden mit dem Süden unter Dach und Fach, begann der Aufstand der Rebellen in der westsudanesischen Provinz Darfur, den Bashir mit brutalen Mitteln niederschlagen ließ. Wegen der Verbrechen der sudanesischen Armee unter Bashirs Verantwortung hat der Internationale Strafgerichtshof zwei Haftbefehle gegen den Präsidenten erlassen - wegen Kriegsverbrechen und Völkermord. Der internationale Druck hat Bashir bisher allerdings kaum beeindruckt Der 67-Jährige hofft womöglich, durch eine Anerkennung des Referendumresultats eine stärkere Legitimation in den Augen des Westens zu erhalten.

Zur Person: Salva Kiir
Der künftige Präsident des Südsudan gilt als verschwiegen und meidet das Rampenlicht. Selbst sein Geburtsjahr (1951) ist nicht verbürgt. Der groß gewachsene Mann mit dem schwarzen Vollbart und dem stets getragenen Stetson-Hut war einer der ersten Rebellen im Südsudan und ein enger Gefolgsmann des 2005 tödlich verunglückten langjährigen Guerillaführers John Garang. Beide zählen zu den Gründungsmitgliedern der sudanesischen Rebellenorganisation Sudan´s People Liberation Army (SPLA), aus der die neue Regierung des Südsudans hervorging. Anders als Garang, der einen Verbleib von Südsudan im Zentralstaat nie ausschloss, legte es Kiir von Beginn an auf eine Abspaltung an. Vermutlich am 9. Juli wird er nun als erster Präsident der jüngsten afrikanischen Nation vereidigt werden.

Der Südsudan
Größe: rund 700000 Quadratkilometer (Namibia: 824292 km2)
Einwohner: 8,8 Millionen
90% leben von weniger als einem US-Dollar am Tag
33% leiden an chronischer Unterernährung
6% haben Zugang zu sanitären Anlagen
85% können weder lesen noch schreiben
135 von 1000 Kindern sterben vor dem 5. Lebensjahr.
Ein Lehrer kommt auf 1000 Grundschüler.