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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 05.04.2012

Neue Zürcher Zeitung

Entwicklungshilfe spürt die Krise

Anteil der Schweiz entgegen dem Trend deutlich höher

Erstmals seit 15 Jahren haben die öffentlichen Zahlungen für Entwicklungszusammenarbeit im vergangenen Jahr abgenommen. Entgegen dem weltweiten Trend leistete die Schweiz laut OECD 2011 mehr.

Manfred Rist, Paris

Der langjährige Trend steigender Zahlungen für die Entwicklungszusammenarbeit hat sich im vergangenen Jahr nicht fortgesetzt. Erstmals seit 1997 ist im Jahr 2011 auf der Basis konstanter Preise global nämlich weniger Entwicklungshilfe als im Vorjahr geleistet worden. Gemäss der jüngsten Einschätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) reflektiert der Rückgang um 2,7% die anhaltende Wirtschafts- und Verschuldungskrise beziehungsweise die angespannte finanzielle Situation vieler Geberländer.

Sorgenfalten in Paris

Der Betrag, den die Mitglieder des OECD-Entwicklungsausschusses im vergangenen Jahr zur Verfügung stellten, beläuft sich auf total 133,5 Mrd. $. In der Grafik und in Statistiken zu Vergleichszwecken wird er inflationsbereinigt und nach Neutralisierung von Wechselkursschwankungen mit 125,1 Mrd. $ ausgewiesen. Die Summe setzt sich zum grössten Teil aus bilateralen Hilfsprogrammen zusammen, bei denen sich die Trendwende am deutlichsten manifestiert, sowie aus multilateral eingegangenen Versprechen. Insgesamt entspricht sie im Durchschnitt 0,31% der Bruttonationaleinkommen (BNE) aller Geberländer.

Der Rückgang wird am OECD-Hauptsitz in Paris zwar mit Sorgenfalten quittiert. Generalsekretär Angel Gurria wertete es aber als ermutigendes Zeichen, dass trotz der Schwere der Krise das Niveau von 2010 praktisch gehalten werden konnte. Der Kurvenverlauf muss denn auch relativiert werden: In absoluten Dollar-Zahlen liegen die Werte nämlich erneut höher. Ferner muss berücksichtigt werden, dass die Zahlen, die die OECD erfasst, ein neues Phänomen der Entwicklungshilfe nicht einschliessen, auf das die Organisation in einer früheren Analyse verwiesen hat: nämlich die Tatsache, dass die klassische Nord-Süd-Hilfe in den letzten Jahren durch wachsende Süd-Süd-Hilfen ergänzt wird, wie sie etwa aufstrebende Länder wie Indien, China oder Brasilien in Entwicklungsländern leisten. Dessen ungeachtet pflanzt sich die Krise in den klassischen Geberländern natürlich über geringere Investitionen und eine schwächere Importnachfrage in die bedürftigen Länder fort.

Höherer Anteil der Schweiz

Bemerkenswert ist das Abschneiden der Schweiz. Sie liegt zwar noch weit hinter den Musterschülern aus Skandinavien zurück, die wie Norwegen und Schweden 1% ihrer Einkommen für Entwicklungshilfe aussondern. Aber ihr Anteil hat sich von 0,41% im vergangenen Jahr auf 0,46% erhöht. Zieht man die reinen Dollar-Werte zum Vergleich heran, weitete sich die Hilfe von Bund und Kantonen gemäss vorläufigen Zahlen gar um 34% auf 3,114 Mrd. $ aus. Gemäss Grundsatzbeschlüssen des Parlaments soll die Entwicklungshilfe bis 2015 auch 0,5% des Bruttonationaleinkommens erreichen. Wie schon 2010 dürfte auch 2011 die in den Statistiken mitgerechnete Unterstützung für Asylsuchende die Zunahme der öffentlichen Entwicklungshilfe der Schweiz (APD) beeinflusst haben.

Schlusslicht Italien

Italien, das mehr denn je mit Asylanten aus Nordafrika konfrontiert ist, weist in diesem Zusammenhang eine sprunghafte Steigerung der registrierten Hilfen um 33% aus, bleibt mit einem BNE-Anteil von 0,19% aber dennoch auch 2011 ein Schlusslicht. Hoch - aber eben auch nur relativ - liegen die Hilfen aus den Vereinigten Staaten. Sie erreichten mit 0,2% gewissermassen «italienisches Niveau», stellen in absoluten Werten aber natürlich weiterhin alles in den Schatten. Die USA unterstützten die Länder der Dritten Welt im Jahr 2011 mit fast 31 Mrd. $. Das ist mehr als das Doppelte des zweitplacierten Deutschland, das prozentual gemessen allerdings auch das doppelte der USA zahlte, nämlich 0,4% seines BNE.