Beitrag vom 24.12.2012
Handelsblatt
Streit über Feldexperimente
Ökonomen stecken Entwicklungshilfe ins Labor
von Malte Buhse
Was die einen als Revolution feiern, ist für andere unethische Schmalspurforschung. Mit kontrollierten Feldexperimenten wollen manche Ökonomen die Entwicklungspolitik umkrempeln. Kritiker bezweifeln die Aussagekraft.
Düsseldorf. Manche Ökonomen wären gerne Arzt oder Physiker. Dann könnten sie ihre Ideen mit einem Experiment überprüfen. So wie Mediziner neue Medikamente testen oder die Forscher im Teilchenbeschleuniger messen, ob Neutrinos tatsächlich schneller als Licht sind. In der Ökonomie sind Experimente schwierig.
Wenn Ökonomen mit einem Experiment herausfinden wollten, was passiert, wenn die Zentralbank die Leitzinsen senkt, bräuchten sie zwei gleiche Volkswirtschaften. In einer könnten sie die Zinsen senken und in der anderen nicht. Doch Volkswirtschaften unterscheiden sich in so vielen Aspekten, dass ein sauberes Experiment unmöglich ist. Ökonomen versuchen daher traditionell eher mit statistischen Werkzeugen, Wirkungszusammenhänge zwischen ökonomischen Variablen zu belegen.
Das ist aber sehr fehleranfällig. Es besteht die Gefahr, dass die Forscher wichtige Faktoren außer Acht lassen und so die beobachteten Wirkungen fälschlicher Weise den untersuchten Variablen zuweisen. Deshalb suchen sich Ökonomen zunehmend Forschungsfelder, in denen sie tatsächlich wie in Medizin oder Physik die untersuchten Variablen isolieren können.
Vor allem Entwicklungsökonomen wollen neuerdings so herausfinden, ob zum Beispiel kostenlos verteilte Medikamente gegen Darmparasiten dafür sorgen, dass Kinder häufiger zur Schule gehen, oder ob Mikrokredite die Armut lindern. "Experimente könnten die Entwicklungsökonomik revolutionieren", versprechen Esther Duflo und Abhijit Banerjee vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) vollmundig im Bestseller "Poor Economics".
Nur mit kontrollierten Feldexperimenten, bei denen die Teilnehmer per Zufall ausgewählt werden, lasse sich herausfinden, ob Hilfsprojekte wirken. So hat Duflo etwa gezeigt, dass Eltern ihre Kinder öfter impfen lassen, wenn sie für den Arbeitsausfall mit Lebensmittelspenden entschädigt werden.
Kritik aus allen Richtungen
Doch nicht alle Entwicklungsökonomen wollen die Revolution mitmachen. Denn auch kontrollierte Feldexperimente seien fehleranfällig. Studien zeigen, dass sich Menschen anders verhalten, wenn sie wissen, dass sie Teil eines Experiments sind. "Dieser Verhaltenseffekt kann genauso problematisch sein wie die Verfälschungen bei klassischen Datenanalysen", sagt Jörg Peters, vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung.
Einige Volkswirte lehnen Experimente auch aus ethischen Gründen ab, da sie Menschen zu Versuchskaninchen machen, und zwar bevorzugt solche, die wegen Armut billig dafür zu gewinnen sind. Das größte Problem bei ökonomischen Experimenten ist ihre begrenzte Aussagekraft.
Denn, "je genauer ich die untersuchten Variablen isoliere, desto spezifischer werden meine Ergebnisse", bemängelt Dimitrios Koumparoulis von der Schweizer Monarch Business School in einem aktuellen Papier.
Schon im nächsten Dorf kann alles anders sein, weil die Rahmenbedingungen dort andere sind. Wenn Medikamente in einem Dorf dafür sorgen, dass mehr Kinder zur Schule gehen, heißt das noch lange nicht, dass das auch in anderen Dörfern so ist. Duflo und ihre Forscherkollegen schlössen viel zu schnell von einzelnen Feldstudien auf allgemeingültige Zusammenhänge, kritisiert daher der Weltbank-Ökonom Martin Ravallion.
Duflo und Mitstreiter wollen die Entwicklungspolitik im Sinne ihres Forschungsansatzes umgestalten: Statt auf großangelegte Hilfsprogramme sollen sich Hilfsorganisationen und Regierungen auf Dörfer und Regionen konzentrieren. Mit lokalen, gut überwachten Projekten könne man das Leben der Menschen Stück für Stück verbessern.
Die jüngst verstorbene MIT-Forscherin Alice Amsden hat Anfang des Jahres ein Papier veröffentlicht, in dem sie mit diesem Ansatz ihrer MIT-Kollegin Duflo hart ins Gericht ging. Erfolgreiche Entwicklung funktioniere nicht von unten, sondern nur von oben, etwa durch den Bau von Infrastruktur oder die Förderung der Industrie.
Denn was nütze es, fragt Amsden, wenn Kinder zur Schule gingen, später aber keinen Arbeitsplatz fänden, weil es zu wenige Unternehmen gebe?