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Beitrag vom 22.01.2013

FAZ

Krieg in Mali

Wut auf die Berufsrevolutionäre

22.01.2013 · Dass die Tuareg gegen die Regierung in den Krieg ziehen, ist nichts Neues in Mali. Dabei sind sie nur eine Minderheit im Norden des Landes. Viele wollen keinen Tuareg-Staat - und sind zornig darüber, dass die Rebellen radikale Islamisten im Schlepptau hatten.

Von Thomas Scheen, Bamako

"Ein unabhängiger Staat namens Azawad?" Agory Ag Iknane lacht auf. "Was für eine Schnapsidee, das funktioniert niemals." Dabei gehört der Mediziner Iknane zu den Tuareg und damit zu der Volksgruppe im Norden Malis, die für die Unabhängigkeit ihres Siedlungsgebietes im Januar vergangenen Jahres einen Krieg vom Zaun gebrochen hatte. "Bewegung für die Befreiung des Azawad" (MNLA) heißt diese Rebellengruppe, die sich aus Tuareg zusammensetzt, die zuvor in der libyschen Armee gedient und sich nach Gaddafis Tod unter Mitnahme von schweren Waffen nach Mali abgesetzt hatten. "Die haben uns nicht gefragt, behaupten aber, im Namen aller Tuareg zu sprechen. Dann verbünden die sich mit diesen Dschihadisten und bringen uns damit in Teufels Küche", sagt Iknane. Er kann seine Wut kaum noch unterdrücken. "Glauben Sie mir: Die Mehrheit der Tuareg verflucht diese Leute."

Der Arzt ist Präsident der "Association des Ressortissants de Kidal" in Bamako, einer Tuareg-Bürgervereinigung aus der gleichnamigen nordmalischen Stadt. Er hat die Angriffe der MNLA-Rebellen öffentlich verurteilt, auch die der Islamisten, die im Schlepptau der Söldner aus Libyen auftauchten und nun den ganzen Norden besetzt halten. Er hat zu Blutspenden für die Soldaten der malischen Armee aufgerufen und Sachspenden organisiert. Wohl fühlt er sich trotzdem nicht mehr in seiner Haut. "Ich habe das dumme Gefühl, dass wir Tuareg einen hohen Preis zahlen werden, wenn dieser Spuk vorbei ist", sagt er.

"Es ging um Geld, um nichts anderes"
Der Krieg in Mali, der sich inzwischen zu einer internationalen Militäraktion gegen die nordafrikanische Filiale von Al Qaida ausgeweitet hat, begann wie nahezu alle Tuareg-Aufstände zuvor: "Es ging um Geld, um nichts anderes", sagt Baba Haïdara, der für die ehemalige Regierungspartei Adema als Abgeordneter aus Timbuktu im Parlament sitzt. Haïdara, dessen Vater als erster malischer Parlamentspräsident nach der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 diente, war Vorsitzender des parlamentarischen "Krisenkomitees für den Norden", das im Auftrag der Regierung Verhandlungen führen sollte mit den heimgekehrten Söldnern.

Die wollten in die Armee integriert werden und drohten anderenfalls mit Krieg. "Wir haben die Führer des MNLA in ihren Grotten da oben an der libyschen Grenze besucht und haben sie gefragt: Wen repräsentiert ihr eigentlich? Und wir haben ihnen gesagt, dass es dieses Mal nicht so laufen wird wie bei allen anderen Tuareg-Aufständen, nämlich dass die Regierung das Problem mit Geld regeln wird", erinnert sich Haïdara. Das war im Dezember 2011. Einen Monat später ging der MNLA zusammen mit den Islamisten von "Ansar al Dine" zum Angriff über.

Der militärische Kopf des MNLA, Mohamed Ag Najem, und der Chef von Ansar al Dine, Iyad ag Ghaly, stammen beide aus Kidal, wo noch jede Tuareg-Rebellion ihren Anfang genommen hat. Es sind Ifoghas, benannt nach dem Gebirgszug Adrar des Ifoghas an der Grenze zu Niger. Die Ifoghas aber sind eine Minderheit innerhalb der Tuareg-Gemeinschaft, die alles in allem auf 65000 Menschen geschätzt wird. Bei einer Gesamtbevölkerung von 1,3 Millionen Menschen in den drei Regierungsbezirken Timbuktu, Gao und Kidal stellen die Tuareg damit fünf Prozent der Bevölkerung und die Iforghas nicht einmal ein Prozent.

"Es ist immer dasselbe mit denen", sagt der Tuareg Iknane: "Die Ifoghas wollen einfach nur Macht und berufen sich dabei auf ihre Tuareg-Wurzeln. Sie fangen Rebellionen an, lassen sich den Frieden mit viel Geld bezahlen, warten ein paar Jahre ab und legen dann wieder los." Doch dieses Mal haben die Ifoghas zusätzlich die Dschihadisten aus Algerien angeschleppt. "Und das, das verzeiht ihnen niemand mehr", prophezeit der Abgeordnete Haïdara. Inzwischen sind die letzten MNLA-Kämpfer nach Mauretanien geflüchtet und haben der dortigen Armee ihre Waffen übergeben. "Die existieren nur noch in den französischen Medien. Das Leben in Paris ist bekanntlich komfortabler als in der Sahara", sagt Haïdara verächtlich.

Grotesk anmutende politische Vorteile
Burema Maiga stammt aus Gao. Er gehört zur Ethnie der Songhai, die im Norden die Mehrheit stellt. Das Konzept eines unabhängigen Azawad ist ihm völlig fremd. "Der Norden ist unterentwickelt, das stimmt", sagt der stämmige Unternehmer. "Aber wir Songhai leiden darunter doch genauso wie die Tuareg, ohne ständig zu den Waffen zu greifen." Maiga, der mehr als einhundert Lastwagen sein Eigen nennt, hatte große Hoffnungen in den von der Europäischen Union finanzierten Bau der Straße von Bamako nach Timbuktu gesetzt, das gegenwärtig größte Straßenbauprojekt in Afrika. "Das hätte uns geholfen, die Region zu entwickeln und Jobs zu schaffen", sagt Maiga. Doch die Baustellen sind geplündert, und ob diese Straße jemals fertiggestellt wird, steht in den Sternen. Burema Maiga glaubt nicht an eine Versöhnung zwischen den Ethnien, sollten die Islamisten vertrieben werden und so etwas wie Normalität im Norden einkehrten. "Unter den alten Bedingungen? Definitiv nein", sagt er.

Die "alten Bedingungen", von denen er spricht, waren der Versuch aller malischen Regierungen seit der Unabhängigkeit, das Tuareg-Problem zu lösen, indem der kleinen Volksgruppe grotesk anmutende politische Vorteile gewährt wurden, um sie vom nächsten Aufstand abzuhalten. Von den 19 Parlamentsabgeordneten aus dem Norden etwa sind elf Tuareg, die kein Mensch gewählt hat. "Die Regierung hat nach den vergangenen Wahlen um des Frieden willen nicht den gewählten Songhai oder Peul als Abgeordneten vereidigt, sondern einen Targi. Was macht der in dem Wissen um seine angebliche Unverzichtbarkeit? Er stößt Drohungen aus, damit ihm noch mehr Geld zugeschanzt wird", sagt der Iknane.

Gehirnwäsche in Saudi-Arabien
Die maßlos überzogenen Forderungen aus Teilen der Tuareg-Gemeinschaft sind vermutlich das kleinste Problem im Norden Malis. Das größere Problem ist der radikale Islamismus, der nicht über Nacht über das Land gekommen ist. Es ist bis heute nicht ganz klar, wie es der Islamistengruppe "Ansar al Dine" gelungen ist, dem laizistischen MNLA die Kontrolle über die Rebellion zu entreißen. Iyad ag Ghaly, der Anführer von Ansar al Dine, war an allen Tuareg-Aufständen der vergangenen 20 Jahre beteiligt, und insofern war es nur logisch, dass er sich im Januar 2012 der Rebellion des MNLA anschloss. "Ich vermute, er hat die MNLA-Kämpfer gekauft", sagt der Abgeordnete Haïdara, "und zwar mit dem Geld, das er aus Saudi-Arabien bekommen hat, und dem Geld, das Al Qaida im Islamischen Maghreb mit den Geiselnahmen gemacht hat."

Seine Einschätzung impliziert zwar, dass mit noch mehr Geld das Gegenteil der jetzigen Entwicklung erreicht werden kann. Aber die malischen Islamisten von Ansar al Dine haben mehr Zulauf, als es den moderaten Tuareg und allen anderen Ethnien im Norden lieb sein kann. Mali ist genauso wie die Nachbarländer Niger, Burkina Faso und Mauretanien seit Jahren Aufmarschgebiet radikaler wahhabitischer Prediger. In den vergangenen zehn Jahren sind im Sahel unzählige Moscheen von islamischen Nichtregierungsorganisationen gebaut worden, in denen Kinder und Jugendliche von ausländischen Predigern auf den "rechten Weg" gebracht werden. Wer hinter diesen Organisationen steht, ist weithin unbekannt. Besonders fleißige Koranschüler werden zum Studium nach Saudi-Arabien eingeladen. Es sind jedes Jahr einige hundert allein aus Mali. "Die werden regelrechten Gehirnwäschen unterzogen", sagt Haïdara. "Die erkennst du nicht wieder, wenn sie zurückkommen."