Beitrag vom 22.01.2013
Neue Zürcher Zeitung
Islamismus und Kriminalität im Sahel
Macht durch Schmuggel und Entführungen
An der Rebellion in Mali sind islamistische Gruppen beteiligt, die sich hauptsächlich mit Entführungen und Drogenschmuggel finanzieren.
Frank Sieber
Schmuggel hat im Sahel Tradition und stellt einen wesentlichen Bestandteil der regionalen Wirtschaft dar. Seit Jahrzehnten werden Konsumgüter beispielsweise zwischen Mali und Südalgerien illegal verschoben. Zu den wichtigsten Schmuggelwaren gehören traditionell Zigaretten und Treibstoff, mit dem sich sehr gut verdienen lässt. So kostet Benzin in Mali und im benachbarten Niger ein Vielfaches dessen, was weiter nördlich in Algerien oder Libyen bezahlt wird. Auch der Waffenschmuggel blühte in den 1990er Jahren, angeheizt von Konflikten in der Region.
Der Ausweg der Kokainmafia
In den vergangenen fünf Jahren hat die organisierte Kriminalität in der Region aber eine neue Dimension angenommen, wie der Berliner Politikwissenschafter und Mali-Experte Wolfram Lacher festgestellt hat. Dafür stünden vor allem die Zunahme von Drogenschmuggel und Entführungen. War der Schmuggel von marokkanischem Haschisch durch die Sahara nach Ägypten schon länger üblich, gelangte seit etwa 2005 auch südamerikanisches Kokain über Westafrika nach Europa, weil der Drogenmafia der direkte Seeweg über Marokko nach Spanien offenbar zu riskant geworden war.
Das Ausmass des Kokainschmuggels ist schwer zu beziffern. Dass es um beträchtliche Mengen geht, musste man aber spätestens im November 2009 annehmen, als im Norden Malis das Wrack einer Boeing 727 gefunden wurde, die offenbar Kokain aus Kolumbien transportiert hatte und mehrere Tonnen davon laden konnte. Die ansehnlichen Margen aus dem Schmuggel belegt ein Bericht des damaligen Afrika-Korrespondenten der NZZ, Kurt Pelda, aus dem gleichen Jahr. Er berichtet, dass gemäss einem ortskundigen Unternehmer die Kokainmafia für einen neuen Pick-up das Fünffache des Neuwerts zahlte - für eine einzige Fahrt von Mauretanien im nordwestlichen Afrika nach Ägypten. Die von bewaffneten Eskorten begleiteten Schmuggler schafften die in Luftlinie rund 3200 Kilometer lange Strecke quer durch den Kontinent in nur einer Woche.
Nicht weniger lukrativ sind die Entführungen, mit denen Mitglieder der Quaïda au Maghreb islamique (Aqmi) oder assoziierte Kriminelle Lösegelder erpressen. Mutmasslich handelt es sich pro Geisel um Beträge im mehrstelligen Millionenbereich. Seit 2008 wurden in der Region jedes Jahr westliche Staatsbürger entführt. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zählt in seinen Reisehinweisen Entführungsfälle aus den vergangenen Jahren auf, um diese Gefahr in Erinnerung zu rufen. Wie weit Islamisten wie Mokhtar Belmokhtar dabei zu gehen bereit sind, hat zuletzt das Geiseldrama im Südosten Algeriens deutlich gemacht.
Akzeptanz im Volk
Wolfram Lacher stellt fest, dass die kriminellen Netzwerke mit ihrer wachsenden finanziellen Macht zusehends an Einfluss in Staat und Gesellschaft gewonnen und sich damit im Norden Malis auch bei Teilen der Bevölkerung Akzeptanz verschafft haben. Ausserdem wurde staatlichen Unterhändlern, die Entführungsfälle regeln sollten, nachgesagt, sie hätten wiederholt Anteile des Lösegelds in die eigene Tasche gesteckt.
Verbindungen zwischen dem Staatsapparat und kriminellen Netzwerken dürften mit ein Grund sein, dass die Ausbreitung solcher Gruppen nicht effektiv bekämpft wurde. Mit den jüngsten Ereignissen ist nun allerdings auch das Ausland involviert. Mali droht ein Magnet für radikale Islamisten zu werden. Und die Entstehung neuer Hochburgen des Terrors will man sich nicht leisten.