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Beitrag vom 22.03.2013

Wiener Zeitung

Trauer um Chinua Achebe
Er brachte Afrika in die Welt

Nigerianischer Schriftsteller starb im Alter von 82 Jahren in den USA.

Lagos. "Achebe hat der Welt Afrika gebracht", urteilte der frühere südafrikanische Präsident Nelson Mandela einmal über Chinua Achebe. Der schwarzafrikanische Schriftsteller und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels hat nicht nur der Welt Afrika nahe gebracht, sondern auch seinen nigerianischen Landsleuten einen Spiegel vorgehalten. Nun ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.

Achebe kritisierte in seinen Romanen, Essays, Reden und Gedichten Machtmissbrauch und Korruption in seiner Heimat und engagierte sich darüber hinaus politisch. Dabei war Achebe ein Wanderer zwischen zwei Welten: Er studierte und lehrte in Nigeria, England und den USA. In seinen Büchern schöpfte er aus den Traditionen seiner afrikanischen Heimat. 2007 wurde er mit dem mit 60.000 Pfund dotierten Internationalen Bookerpreis ausgezeichnet. Der Nigerianer sei bereits durch seine frühen Arbeiten "zum Vater der modernen afrikanischen Literatur als integralem Bestandteil der Weltliteratur geworden", erklärte die südafrikanische Schriftstellerin Nadine Gordimer, die damals der Jury angehörte.

Die Folgen des britischen Kolonialismus

Als Nigeria 1960 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen wurde, war der am 16. November 1930 als Sohn eines evangelischen Geistlichen geborene Schriftsteller gerade 30 Jahre alt. Zwei Jahre zuvor hatte er seinen ersten Roman "Things fall apart" ("Okonkwo oder Das Alte stürzt") veröffentlicht. Darin und in seinen vier folgenden Romanen beschrieb er die Folgen des britischen Kolonialismus für die afrikanische Gesellschaft. Sein Antrieb war, dem europäischen Afrika-Bild und der Überheblichkeit westlicher Darstellungen ein realistischeres Bild entgegenzusetzen. In seiner Rede zum Friedenspreis des Buchhandels kritisierte Achebe das verzerrte Bild, das der Westen von Afrika habe. Für viele sei es nur "der Kontinent der Krisen und Katastrophen, der Kriege, Kindersoldaten und Krankheiten, des Hungers und der Heimatlosigkeit".

"Literarische Chronik"

Der fünfte Roman "Anthills of the Savannah" ("Termitenhügel in der Savanne") erschien nach langer Pause erst 1987. Er ragte nach Ansicht des Experten für afrikanische Literatur, Peter Ripken, "als schonungslose Kritik der herrschenden Klassen und politischen Verhältnisse im heutigen Afrika weit über das hinaus, was vielen anderen afrikanischen Autoren zu diesem Thema eingefallen ist." Zusammen bildeten Achebes Romane eine "literarische Chronik der historischen Tendenzen, die Afrika bestimmten", schrieb Ripken einmal.

Der Medizin wegen

Während des Biafra-Krieges 1967-1970 setzte sich Achebe mit anderen Autoren in den USA und Europa für die Unabhängigkeit seiner Heimatregion ein. Daneben arbeitete er als Herausgeber mehrerer Literaturmagazine, Leiter eines Kinderbuchverlags - der vierfache Vater schrieb selbst einige Kinderbücher - und Präsident des nigerianischen Schriftstellerverbandes.

Als Gastprofessor für Literaturwissenschaft lehrte Achebe in den 70er Jahren in Massachusetts und Connecticut, anschließend kehrte er nach Nigeria zurück. Nach seiner Emeritierung 1985 ging Achebe erneut als Gastprofessor in die Staaten, unter anderem nach New York und an die Stanford University. Seit einem schweren Verkehrsunfall 1990 im nigerianischen Lagos war Achebe querschnittgelähmt. Wegen der besseren ärztlichen Versorgung zog er daraufhin ganz in die USA.

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Information

"Things fall apart" ist längst ein Klassiker der afrikanischen Gegenwartsliteratur. Der Roman wurde in rund 50 Sprachen übersetzt und in mittlerweile zehn Millionen Exemplaren verkauft. Damit dürfte Achebe der meistgelesene afrikanische Schriftsteller des Postkolonialismus sein. Dass er in Englisch, der Sprache der früheren Kolonialherren, schrieb, war für ihn keine Selbstverständlichkeit. Allerdings lebte Achebes Englisch vom Rhythmus seiner Muttersprache Ibo, von überlieferten Mythen, Fabeln und Sprichwörtern, die für ihn "das Palmöl sind, mit dem die Wörter gegessen werden".