Direkt zum Inhalt
Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 10.05.2013

FAZ

Wirtschaft in Afrika
Der weiße Fleck auf der Konsumweltkarte

Auch beim diesjährigen "World Economic Forum for Africa" in Kapstadt hieß es wieder, dass die Wirtschaft Afrikas boome. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn der Kontinent ist gerade dabei, seine erreichten Fortschritte wieder zu verspielen.

Von Thomas Scheen, Johannesburg

Es gleicht einem Ritual: Alle Jahre wieder trifft sich die internationale Geschäftswelt in Kapstadt zum "World Economic Forum for Africa", und alle Jahre wieder heißt es: Afrika bietet enorme Chancen, Afrika ist wirtschaftlich auf dem Vormarsch, Afrika ist der letzte weiße Fleck auf der Weltkarte des Konsums. Das hatte in der Vergangenheit häufig etwas von sich gegenseitig Mut machen, doch in diesem Jahr sehen die Zahlen durchaus beeindruckend aus.

Allein für das laufende Jahr wird das Wirtschaftswachstum südlich der Sahara auf mehr als fünf Prozent geschätzt, Tendenz steigend. Südamerika wird im selben Zeitraum auf bestenfalls vier Prozent Wachstum kommen. Sieben der zehn am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt liegen südlich der Sahara. Afrika, heißt es, sei auf dem besten Weg, sich von einem Empfänger von Entwicklungshilfe zu einer Destination für Direktinvestitionen zu entwickeln.

Das kleine Ruanda hat vor drei Wochen die erste Staatsanleihe in seiner Geschichte in Höhe von 400 Millionen Dollar ausgegeben, um sich aus der Abhängigkeit von der Entwicklungshilfe zu lösen. Und die Weltbank veröffentlichte gar Zahlen, wonach nahezu die Hälfte der afrikanischen Länder in die Kategorie "Middle Income countries" fällt. Für diese Kategorisierung muss das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen mindestens 1085 Dollar im Jahr betragen.

Produktionssteigerung nur für den Export

Nun sind solche Zahlen immer mit Vorsicht zu genießen, weil sie auf einem Landesdurchschnitt beruhen, der das große Gefälle zwischen den Handelszentren und dem Hinterland außer Acht lässt. Wer viel in Afrika unterwegs ist und sich abseits der großen Städte und ihrer Fünf-Sterne-Hotels umschaut, reibt sich angesichts solcher Aussagen verwundert die Augen. Wo sind die Mitteleinkommen? Was hat sich in Städten wie Eldoret in Kenia oder Bunia in Kongo in den letzten zehn Jahren eigentlich verändert, außer dass die Bevölkerungszahl explodiert ist? Auf den ersten Blick nicht viel.

Die Unternehmensberater von McKinsey schätzen das Bruttosozialprodukt im Großraum Johannesburg in Südafrika auf 50 Milliarden Dollar im Jahr und damit gleichauf mit München. Aber Johannesburg ist eine Wohlstandsinsel, wie Kinshasa in Kongo eine ist und Luanda in Angola. Auf dem Land hingegen herrscht weiterhin Subsistenzwirtschaft.

Wenn Afrikas Wirtschaft dennoch um fünf Prozent im Jahr wächst, hat das mit den Preisen für Rohstoffe zu tun und nicht mit den Preisen für die üblichen Verdächtigen wie Gold, Diamanten, Kupfer und Uran. Landwirtschaftliche Produkte haben im vergangenen Jahr einen signifikanten Preissprung erzielen können - allerdings nicht wegen gestiegener Produktion, sondern wegen weltweit gestiegener Nachfrage. Tatsächlich produziert das so ungemein fruchtbare Afrika nicht genug Lebensmittel, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Und dort, wo die landwirtschaftliche Produktion wirklich gesteigert werden konnte, nämlich in den Agrarfabriken von chinesischen, südkoreanischen und indischen Konzernen in Äthiopien etwa, wird nicht für den lokalen Markt produziert, sondern ausschließlich für den Export nach Asien.

Zurück zum Kerzenlicht

Richtig ist allerdings, dass die Bedeutung der Rohstoffe angesichts des schnell wachsenden Bankensektors, der Telekommunikation und nicht zuletzt des Einzelhandels abnimmt. Richtig ist ebenfalls, dass überall in Afrika eine neue Mittelklasse entsteht, die auf lange Sicht hoffentlich auch politisch bedeutsam wird. Dennoch sitzt Afrika auf einer Zeitbombe, und die heißt Arbeitslosigkeit. Selbst ein relativ gut entwickeltes Land wie Südafrika ist nicht in der Lage, sein Wachstum in eine nennenswert große Zahl neuer Jobs zu verwandeln. Die Schere zwischen denen, die haben, und denen, die nichts haben, tut sich immer weiter auf, und was das für den sozialen Frieden bedeutet, hat man ebenfalls in Südafrika bei den blutig verlaufenen Bergarbeiterstreiks gesehen.

Der ehemalige südafrikanische Präsident Thabo Mbeki warnte vor kurzem, dass Afrika dabei sei, die unbestreitbaren Fortschritte der letzten Jahre zu verspielen. Das war in erster Linie auf Nord- und Südsudan gemünzt, die sich einen unerklärten Krieg liefern, in dem Mbeki zu vermitteln versucht. Das ließe sich aber auch auf andere Länder übertragen: Mali wurde von Islamisten überrannt und brauchte französische Militärhilfe, um die Bärtigen wieder loszuwerden. Im Norden Nigerias verbreitet die radikalislamische Sekte Boko Haram Angst und Schrecken.

Die Zentralafrikanische Republik hat gerade Putsch Nummer sieben oder acht hinter sich gebracht und ist bei der Gelegenheit von elektrischem Strom zu Kerzenlicht zurückgekehrt. Kongo-Kinshasa ist das potentiell reichste Land des Kontinents, politisch aber ist es eine Schlangengrube. Und als im März dieses Jahres in Kenia ein neuer Präsident gewählt wurde und die Ergebnisse auf sich warten ließen, stand das Land aus Angst vor neuen Unruhen eine geschlagene Woche lang still. Die Höhe des volkswirtschaftlichen Schadens ist unbekannt.

Staat ist als Monopolist im Energiesektor überfordert

Hinzu kommt die schlechte Infrastruktur, die den Preis für jede Zahnbürste und jedes Paket Waschmittel drastisch nach oben treibt. In Afrika ist es immer noch zweimal teurer als im Rest der Welt, eine Ware von A nach B zu transportieren. Die Straßen sind in einem erbärmlichen Zustand, auch wenn insbesondere chinesische Baufirmen daran seit einigen Jahren kräftig arbeiten. Der gesamte Kontinent leidet unter einem chronischen Energiedefizit, das zu hohen Produktionskosten führt, weil der Strom im Notfall mit Dieselgeneratoren erzeugt werden muss.

Zudem findet zwischen den afrikanischen Ländern kaum Handel statt. Ghana an der Westküste treibt mehr Handel mit Großbritannien als mit dem benachbarten Nigeria mit seinen 160 Millionen Einwohnern. Ein Lastwagen, der den Hafen von Abidjan in der Côte d'Ivoire in Richtung Lagos in Nigeria verlässt, braucht für die 800 Kilometer lange Strecke fünf Tage, weil er fünf Grenzen überqueren muss und der Fahrer dabei jedes Mal zur Kasse gebeten wird.

Das alles ließe sich relativ einfach abstellen, und etliche Länder gehen dabei inzwischen neue Wege. Nigeria beispielsweise ist dabei, den Energiesektor zu privatisieren, weil die Regierung eingesehen hat, dass ein staatlicher Monopolist mit dem ständig wachsenden Energiebedarf einfach überfordert ist. Doch ob der wirtschaftliche Aufschwung des Kontinents von Dauer sein wird, entscheidet sich ohnehin nicht auf den Ölfeldern von Angola oder den Kupferminen im kongolesischen Katanga.

Viele Beamte können Rechner nicht bedienen

Es entscheidet sich an den Schulen und den Universitäten, deren Aufgabe es ist, die Eliten von morgen auszubilden. In diesem Bereich aber sieht es in Afrika stockfinster aus. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass Schüler in Südafrika in den ersten vier Jahren nichts anderes tun als irgendetwas auswendig zu lernen. Verantwortlich dafür ist die Unfähigkeit der Lehrer, ihre Schützlinge zu selbständigem Denken anzuhalten, weil sie dafür nicht ausgebildet wurden. In einem internationalen Vergleich der Mathematikkenntnisse von Abiturienten belegt Südafrika inzwischen den vorletzten Platz. Dahinter kommt nur noch Jemen. Einst prestigeträchtige Universitäten wie die Witwatersrand University in Johannesburg oder die Université de Cocody in Abidjan rangieren international unter ferner liefen. All dies ist bekannt und wird von den afrikanischen Regierungen selbst kritisiert.

Der beninische Präsident Thomas Yayi Boni etwa führt dafür gern das Beispiel Singapurs an, das in Ermangelung von Rohstoffen in die Bildung seiner Bevölkerung investiert hat und heute eines der reichsten Länder der Welt ist. Was Boni und seine Amtskollegen aber daran hindert, die eigenen Lehrer besser zu bezahlen, damit die sich auf ihren Job konzentrieren können, statt während der Unterrichtsstunden privaten Geschäften nachzugehen, bleibt sein Geheimnis.

Die haarsträubende Unterqualifikation vieler Schulabgänger findet ihre Fortsetzung in staatlichen Verwaltungen, wo viele Akten immer noch per Hand geschrieben werden, weil der Gebrauch von Computern an der Unfähigkeit der Beamten scheitert, die Rechner zu bedienen. Der Computerriese Microsoft eröffnet deshalb überall auf dem Kontinent Akademien, an denen die Medienkompetenz gefördert werden soll. Mit anderen Worten: Microsoft muss seine künftigen Kunden erst ausbilden. Das ist mit Sicherheit eine gute Sache, doch das Beispiel zeigt, wie unendlich weit Afrika nach wie vor dem Rest der Welt hinterherhinkt.