Beitrag vom 03.06.2013
Greenpeace magazin
Offensive gegen Boko Haram: Hohn der Islamisten und US-Kritik
Von Laszlo Trankovits, dpa Kapstadt/Abuja (dpa) - Es sind Kinder, die von Terrortaten berichten. «Man hat uns 5000 Naira (24 Euro) gegeben, um Schulen in Brand zu setzen», berichtet ein Teenager. Er gehört zu den 35 Kindern zwischen neun und 15 Jahren sowie 23 Frauen, die wegen Unterstützung der Islam-Sekte Boko Haram inhaftiert waren und am Freitag vom Militär «für lokale Rehabilitationsmaßnahmen» freigelassen wurden. Dazu gehört, dass Eltern 10 000 Naira monatlich bekommen, wenn ihre Kinder regelmäßig die Schule besuchen.
Einige der Freigelassenen wurden in Maiduguri (Bundesstaat Borno) Journalisten präsentiert. Kinder schilderten ihre Verwicklung in Boko Haram-Aktivitäten. Mehrere Frauen beteuerten dagegen ihre Unschuld und warfen Soldaten willkürliche Verhaftungen vor - dem die Militärs umgehend widersprachen.
Es ist schwierig, den Wahrheitsgehalt der teilweise erschütternden Aussagen der Kinder und Frauen zu beurteilen. Sicher ist nur, dass die Vorführung der Amnestierten ein weiterer Beleg für die tiefe Misere Nigerias ist. Seit Jahren nun steckt das bevölkerungsreichste Land Afrikas mit fast 170 Millionen Einwohnern in einem Sumpf von Gewalt, Fanatismus und Hass.
Um die Anschlagsserie Boko Harams im islamisch dominierten Norden zu stoppen, hatte Präsident Goodluck Jonathan Mitte Mai wieder einmal eine Militäroffensive angeordnet. In den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Tausende Soldaten durchkämmten vor allem das Grenzgebiet im Norden. Sogar die Luftwaffe flog Angriffe. «Wir werden den Krieg gegen den Terrorismus gewinnen, was immer es auch kostet», erklärte Jonathan. Prompt wurden Erfolge gemeldet, über 120 Festnahmen, die Befreiung von Geiseln, Waffenfunde und die Einnahme von Boko Haram-Stützpunkten im Wildreservat Sambisa. «Die Aufständischen haben ihre sicheren Häfen verloren», lobte Präsident Jonathan.
Allerdings gab es auch Berichte über Gräueltaten der Armee. So sollen im Ort Baga am Tschad-See etwa 200 Menschen getötet worden sein. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch beschuldigen das Militär, «ein Massaker an Zivilisten» zu verschleiern.
Auch US-Außenminister John Kerry äußerte sich «tief besorgt» über «glaubwürdige Vorwürfe, dass nigerianische Sicherheitskräfte grobe Menschenrechtsverstöße begehen». Solche Aktionen «nährten nur Extremismus und Gewalt». Jonathan widersprach den Vorwürfen heftig, beauftragte gleich fünf Komitees, die Vorgänge in Baga aufzuklären. Menschenrechtsgruppen aber zweifeln: In der Regel komme «nichts dabei heraus», so die Bürgerrechtsaktivistin Mabel Ade.
Am vergangenen Mittwoch meldete sich nun Boko Haram-Führer Abubakar Shekau. In einem Video erklärt er höhnisch das Scheitern der Offensive. Viele Soldaten seien bei den Gefechten «geflohen wie Hasen». Er habe gerade mal sieben Mann verloren. «Meine Brüder in aller Welt, ich versichere Euch, dass wir stark, gesund und munter sind!», sagte der bärtige Islamistenführer, neben ihm lehnt ein Kalaschnikow-Maschinengewehr an der Wand. Der Kampf Boko Harams vor allem gegen die Christen und für einen islamischen Gottesstaat hat seit 2009 etwa 3000 Menschen das Leben gekostet.
Shekau forderte explizit seine Glaubensbrüder im Irak, Pakistan, Afghanistan and Syrien dazu auf, sich dem «Heiligen Krieg» Boko Harams anzuschließen. Es ist nicht der einzige Hinweis auf eine wachsende Internationalisierung des Kampfes der Islamisten.
Nigerias Regierung betont seit langem, dass Boko Haram und abgespaltene Splittergruppen wie «Ansaru» vom Ausland unterstützt werden und Verbindungen zum Terrornetz Al-Kaida haben. Hunderte von nigerianischen Islamisten seien in Militär-Lagern der Aufständischen im Norden Malis ausgebildet worden. Im Februar wurde eine Gruppe festgenommen, die nach nigerianischen Angaben vom Iran finanziert wurde und Anschläge auf Amerikaner und Israelis vorbereitet habe. Bei den Razzien der vergangenen Wochen wurden auch fünf Männer aus dem Tschad und zwei aus Niger verhaftet.
Vergangene Woche entdeckten Militärs im Haus eines Libanesen in Kano ein Waffenlager mit Panzerabwehrraketen, Maschinengewehren, Minen und Sprengstoff. Militärsprecher Ikedichi Iweha erklärte, drei verhaftete Libanesen hätten gestanden, aktive Mitglieder der radikal-islamischen Hisbollah zu sein. Die Waffen seien für Angriffe gegen Einrichtungen mit westlichen und israelischen Verbindungen gedacht gewesen.
Eine klare Verbindung zu Boko Haram gebe es zwar nicht, so Iweha. Gegen eine Zusammenarbeit der Gruppen spräche vor allem, dass Nigerias Islamisten Sunniten sind, während die Hisbollah Schiiten sind. Aber die Enttarnung der Hisbollah-Zelle ist ein weiteres Zeichen dafür, dass ein Ende der islamistischen Gewalt in Nigeria nicht absehbar ist.