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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 21.08.2013

Die Welt

Nichts war gut an der Kolonialzeit

(Replik auf "Wir wollen die Weißen zurück" siehe 3.8. - Anm. d. Red.)

Mit seiner provokativen Forderung nach einer Rückkehr der Weißen hat der Kameruner Regisseur Jean-Pierre Bekolo eine Debatte eröffnet. Kommt Afrika wirklich nicht alleine zurecht? Eine Entgegnung von Andreas Eckert

Seien wir ehrlich: Wir schaffen es einfach nicht. Wir sind darauf angewiesen, dass die Weißen zurückkommen." Diese provozierende Überschrift trug ein Interview mit dem Kameruner Filmemacher Jean-Pierre Bekolo in der neuen afrikanischen Intellektuellenzeitschrift "Chimurenga Chronic", das Wolf Lepenies in der "Welt" vom 3. August referierte. Bekolo redet einer Re-Kolonisierung Afrikas durch die ehemaligen Kolonialherren das Wort, verbunden mit einer scharfen Kritik an afrikanischen Eliten und insgesamt an Afrika: "Wir haben versagt." Ist das eine Einzelmeinung oder gar die herrschende Haltung afrikanischer Intellektueller? Übernimmt ein afrikanischer Kulturschaffender aus Lust an der Provokation rassistische Positionen?

Springen wir zunächst gut zwei Jahrzehnte zurück: In den frühen Neunzigerjahren, nach dem Fall der Mauer, schien auch in Afrika der Wind der Wandels zu wehen. Runde Tische wurden eingerichtet, Mehrparteiensysteme installiert, einige der alten Tyrannen mussten gehen. Genau in diese Phase platzte 1991 das Buch einer Kameruner Ökonomin. "Und wenn Afrika die Entwicklung ablehnte?" lautete der Titel der Polemik von Axelle Kabou, in welcher sie den Kontinent am Rande des Abgrundes verortete. Ihre Befunde: Die Entwicklungshilfe habe fast gar nichts bewirkt, die afrikanischen Eliten glaubten fälschlicherweise immer noch, der Rest der Welt müsse als Kompensation für vergangenes Unrecht Afrika retten, ja, Afrikaner seien selbst schuld an ihrem Elend, weil sie sich der Modernisierung verweigerten. Starker Tobak war das damals. Und viele in der westlichen Welt pickten sich den Punkt heraus, den sie hören wollten: Die Afrikaner können es einfach nicht.

Sinn und Unsinn der Entwicklungshilfe ist immer wieder auch von afrikanischen Intellektuellen debattiert worden. Hierzulande am liebsten zitiert wird seit vielen Jahren der zumeist als "kenianischer Ökonom" bezeichnete James Shikwati - der freilich gar keine formale wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung vorzuweisen hat. Shikwati fordert, die Entwicklungshilfe sofort einzustellen. Die Afrikaner, erklärte er, müssten anfangen, ihre Probleme selbst zu lösen, "statt andauernd die internationale Gemeinschaft zu bitten, es für uns zu tun". Er appelliert an die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen und preist die Segnungen des freien Marktes. Auf diese Segnungen, die bereits die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank verhießen, warten die meisten Afrikaner freilich seit geraumer Zeit vergeblich.

Eng verknüpft mit dem Streit über die Entwicklungshilfe ist die Schelte der afrikanischen Eliten. "Entwicklungshilfe stellt Tyrannen Mittel zur Verfügung, um ihre Völker zu unterdrücken", schrieb etwa Shikwati. Oft wird übersehen, dass afrikanische Intellektuelle bereits seit nahezu fünf Dekaden offen auf jedwede Unterdrückung, Eitelkeit und Inkompetenz der Herrschenden des Kontinents verweisen. Ayi Kwei Armahs 1968 erschienener Roman (Link: http://www.welt.de/themen/romane/) "The Beautiful Ones Are Not Yet Born" ragt dabei heraus als eine der ersten und eindrucksvollsten Darstellungen der Versagens einer afrikanischen Herrscherelite. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Armah eindringlich zeigt, wie viele Hoffnungen in die Unabhängigkeit gesetzt wurden.

Inzwischen reihen sich diverse Stimmen in den Chor ein, darunter sogar Kofi Annan, der "Korruption, Nepotismus, Selbstgefälligkeit und Machtmissbrauch" afrikanischer Potentaten geißelte. Und in der Tat, einige wollen sogar die Weißen wiederhaben. Oft kommt dieser Wunsch von einfachen Leuten, die am stärksten unter ihren kleptokratischen Machteliten leiden. Aber auch Intellektuelle bemühten in der Vergangenheit immer mal wieder dieses Argument, zum Beispiel der ugandische Journalist Andrew Manda, der vor einigen Jahren in einem Interview mit der Züricher "Weltwoche" anregte: "Wieso kommt ihr nicht und rekolonisiert unsere Länder, stürzt unsere Politiker und bringt Schweizer Regierungsstandards nach Afrika?"

Vor diesem Hintergrund sind die polemisch-provozierenden Aussagen von Bekolo nicht wirklich neu, sondern reihen sich in eine lange Tradition ein. Allerdings stehen sie keinesfalls für einen zentralen Trend unter afrikanischen Intellektuellen. Denn viele von ihnen glauben bei aller Kritik an den afrikanischen Herrschereliten keineswegs, dass die ehemaligen Kolonialherren die Zukunft ihres Kontinents sein könnten. Im Gegenteil: Sie wenden sich von Europa ab, auch weil sie der leeren Versprechen, der Besserwisserei und der Überheblichkeit müde geworden sind. Ihr Blick richtet sich etwa nach Brasilien (Link: http://www.welt.de/themen/brasilien-reisen/) , zudem nach Süd- und Südostasien und, ob wir es wollen oder nicht, nach China (Link: http://www.welt.de/themen/china-reisen/) .

Die gewaltige Transformation der chinesischen Gesellschaft und Ökonomie der vergangenen Jahre übt eine beträchtliche Faszination aus. Das chinesische Auftreten in vielen Ländern Afrikas wird dabei keineswegs unkritisch akzeptiert. Mahmood Mamdani, der international renommierte Politologe aus Uganda, bekannte unlängst in einer chinesischen Zeitung allerdings, China tue Afrika einen Gefallen, indem es die europäische Dominanz auf dem Kontinent infrage stelle.

Vor allem zwei Aspekte an Bekolos Projekt der Re-Kolonisierung provozieren Widerspruch. Zum einen verleitet ihn die Einsicht, dass das Hauptproblem Afrikas nicht länger das Erbe des Kolonialismus ist, zu einer allzu rosigen Sicht auf das koloniale Projekt. Vielleicht sei noch einmal erinnert an Patrice Lumumbas berühmte Rede zur Unabhängigkeit des Kongo, in welcher er zu Recht von Ausbeutung, Rassismus und verletzter Würde als wesentliche Kennzeichen des Kolonialismus sprach. Kolonialismus war weder eine "zivilisatorische Mission" noch heroischer Widerstand dagegen. Vielmehr lässt sich diese Zeit als Geschichte ebenso vielfältiger wie widersprüchlicher Kooperationen und Auseinandersetzungen interpretieren, aber mitnichten als Modell, an das wieder anzuknüpfen wäre.

Und das Ende dieses Projektes war keineswegs allein der Wucht nationalistischer Bewegungen geschuldet. Die politischen und wirtschaftlichen Erwägungen der Kolonialmächte, die afrikanischen Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen, spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Kolonien erschienen vielen schlicht als zu teuer.

Niemand in Europa zieht heute ernsthaft in Betracht zurückzukehren. Frühere Kolonialisten wissen nur zu gut, dass der letzte Versuch dieser Art mit Gewalt, Widerstand und sinnlosen Ausgaben verbunden war, und haben weder individuell noch kollektiv auch nur das geringste Interesse an einer neuen Episode kolonialer Herrschaft. Was hinter dem Vorschlag der Rekolonisierung steht, ist ohnehin etwas anderes: Es ist die Annahme, dass Afrika so anders ist, dass es außerhalb der Vorstellungen von normaler , sprich: westlicher Politik liegt.

Dies führt zum zweiten problematischen Punkt in Bekolos Ausführungen. Was für ein Afrika meint er? Wer ist das "wir", von dem er schreibt? Alle Afrikaner oder wenigstens alle Kameruner? Alle afrikanischen Intellektuellen? Frühere Generationen wähnten sich vor einer äußerst schwierigen Aufgabe: Wie kann man gegenüber einer Welt, die von rassistischer und kultureller Stereotypisierung geprägt ist, von afrikanischen Staaten und Gesellschaften sprechen, ohne die allzu häufig brutale Wirklichkeit zu leugnen oder sich jeder afrikanischen Verantwortung zu entziehen? Jean-Pierre Bekolo scheint diese Aufgabe abgeschüttelt zu haben. Oder nicht mehr zu spüren. Er erklärt nichts, verfällt aber in pauschale Zuweisungen à la "wir haben versagt". Demnach ist Afrika, was es ist, weil es Afrika ist. Im Grunde zeichnet er Afrika als einen sehr speziellen Ort, der von sehr speziellen Menschen bewohnt wird.

Wolf Lepenies hat recht, wenn er mahnt, auf Bekolos Ausführungen nicht mit Häme oder triumphaler Besserwisserei zu reagieren. Was sich einstellt, ist eher das Gefühl der Bedrückung: Ist es nicht ein Ausdruck von tiefer Ratlosigkeit, wenn ausgerechnet die Rückkehr der Weißen und ein "Kolonialismus light" ohne Ausbeutung und Unterdrückung als Zukunftsprojekt propagiert wird?

Andreas Eckert ist Professor für die Geschichte Afrikas an der Humboldt-Universität zu Berlin und Vorsitzender des Forums Transregionale Studien.