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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 23.10.2013

Südkurier

"Kritik an Diktatoren ist tabu"

Tausende Afrikaner fliehen nach Europa, viele kommen dabei um. Doch deren Politiker sind mehr am eigenen Machterhalt interessiert, kritisiert der frühere Botschafter Volker Seitz

Herr Seitz, die Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa hat Europa erschüttert. Sofort wurden Vorwürfe gegen die europäische Politik laut. Wie aber haben eigentlich Afrika und die Afrikanische Union reagiert?

Es gibt keinen Aufschrei des Mitgefühls für die Opfer. Die Flüchtlingstragödie von Lampedusa erinnert daran, dass die afrikanischen Diktatoren die Not ihrer eigenen Bevölkerung gleichgültig lässt. Kein Wort auf der offiziellen Homepage der Afrikanischen Union. Das ist aber auch verständlich, denn dann müssten die Autokraten der Staaten, deren Bevölkerung unter Korruption, mangelnden Menschenrechten und Arbeitslosigkeit leidet, an den Pranger gestellt werden. Kritik an Diktatoren ist tabu.

Ist Afrika denn machtlos gegenüber der Not und dem Elend der Menschen?

Nein, aber Regierungen erhalten leichter internationale Unterstützung und können sich an der Macht halten, wenn ihre Bevölkerung arm, ungebildet und unselbstständig bleibt. Eine Gesellschaft, die eine Perspektive für die Zukunft haben möchte, muss sich aus sich selbst heraus entwickeln können. Dies gelingt nur mit einem überzeugenden Bildungskonzept. Dies scheitert bisher meist an der Interessenlage der Führungsschichten afrikanischer Staaten. Die Bildungsmisere ist die Ursache der Probleme vieler afrikanischer Staaten, weil die Regierungen nicht in die menschlichen Fähigkeiten investieren. Würden sie das tun, bräuchten sie vermutlich viel weniger Hilfe. Der Schlüssel zum Erfolg bleibt Bildung. Ein wichtiger Entwicklungsfaktor ist die Qualität der Schulen und Universitäten sowie Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Fachkräften. Der südafrikanische Wissenschaftler Moeletsi Mbeki ist aber überzeugt, dass "einige afrikanische Machthaber Angst vor zu viel Bildung haben, denn damit werden sie automatisch zunehmend hinterfragt."

Warum bleibt die Selbstkritik aus, wenn die Menschen in Scharen den Kontinent verlassen?

Machterhalt ist für die Regime wichtiger als das Ausbluten der Gesellschaft. Wer geht, zählt zu den Lebenserfahrenen, ist anpassungsfähig und leistungsbereit. Da es die Unbequemen sind, sehen Afrikas Herrschende sie nur zu gerne ziehen. Wer geht, geht häufig für immer. Das kommt den Ländern mittelfristig teuer zustehen. Gerade besonders engagierte und leistungswillige junge Menschen sehen in ihren Ländern keine Perspektiven. Nach dem, was ich höre, waren einige der Flüchtlinge in Lampedusa gut ausgebildet und sprachgewandt, sie werden in ihren Ländern fehlen.

Auch afrikanische Länder haben mit Flüchtlingen aus Nachbarländern zu kämpfen - warum üben die Staatschefs keinen Druck auf ihre Polit-Kollegen aus?

Die Diktatoren "produzieren" natürlich Millionen von Flüchtlingen in Afrika. Dort haben sie es nicht immer leicht. Zum Beispiel haben Südafrikaner 2008 den Ausländern vorgeworfen, sie nähmen ihnen die Arbeitsplätze weg, und machten sie für die hohe Kriminalitätsrate verantwortlich. Es kam zu fremdenfeindlicher Gewalt. Politische Flüchtlinge aus Zimbabwe wurden, ohne Hab und Gut mitnehmen zu können, abgeschoben. Andere Staaten führen regelmäßig Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurück. Aber in Afrika als Autokrat bezeichnet zu werden, ist für die meisten Politiker keine Beleidigung. In der afrikanischen Kultur ist der Gehorsam gegenüber Älteren und Chefs tiefverwurzelt. In diesem kulturellen Umfeld ist eine Rechenschaftspflicht des Präsidenten schwer durchzusetzen. Deshalb wird auch ein afrikanischer Präsident keinen seiner Kollegen kritisieren.

Woran scheitert eine wirkliche Entwicklung in den Ländern Afrikas?

Die politischen Eliten der Entwicklungsländer können und müssen ihre Bereitschaft zu wirtschaftlicher Aktivität verbessern, indem sie unnötige Bürokratie abschaffen. In der Hauptstadt von Mosambik, in Maputo, dauert es nach britischen Quellen 153 Tage, um ein Unternehmen zu gründen, in Asien ein paar Tage. Wo wird der Investor wohl sein Kapital anlegen? Die Länder müssen eigenes Geld in Straßenbau und eine verlässliche Energieproduktion stecken. Im Kongo ist die Infrastruktur so desolat, dass die Unternehmen selbst für Straßen und Energieversorgungsorgen müssen. Die Staaten müssen den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Bildungs- und Gesundheitswesen, Wasser verbessern. Neben der schlechten Datenbasis, die unklaren Zuständigkeiten, die mangelnde Wertschätzung des Gutes Wasser und fehlendes qualifiziertes Personal sind große Herausforderungen."Water Ressource Management" ist ein gerade erst neu aufgekommenes Thema in Afrika und spielt noch eine geringe Rolle. In Kamerun gibt es zum Beispiel keine einzige Wiederaufbereitungsanlage für Trinkwasser. Im von Dürre geplagten Äthiopien bislang kein Forschungsinstitut, das sich mit Wasser beschäftigt.

Sollte Europa den Flüchtlingen leichteren Zugang gewähren, anstatt sich abzuschotten?

Allein Deutschland hat in diesem Jahr schon annähernd 80 000 Menschen Zuflucht gewährt. Im europäischen Vergleich steht die deutsche Flüchtlingspolitik gar nicht so schlecht da. Sabine Riedel von der Stiftung "Wissenschaft und Politik" schrieb: "Tatsächlich kommen viele deshalb nach Deutschland, weil ihre Chancen auf ein ordentliches Asylverfahren hier weit besser stehen als in Frankreich, Italien oder Griechenland."

Und trotzdem fordert die EU-Kommissarin einen besseren Zugang für Flüchtlinge.

Wir brauchen eine gemeinsame europäischeMigrations- und Flüchtlingspolitik. Eine einseitige Schelte für Deutschland halte ich nach dem oben Gesagten für nicht angebracht.

Was sind das für Menschen, die in Europa ihr Glück suchen?

Das hohe Bevölkerungswachstum wird in ganz Afrika einen politischen Druck aufbauen, der viele Staaten überfordern wird. Durch Rundfunksendungen sind Afrikaner sehr gut über Löhne und Sozialleistungen in Europa informiert. Deshalb werden die Afrikaner weiter zu uns kommen wollen. Afrikanische Zeitschriften in Paris sind voll mit Anzeigen von Afrikanerinnen, die einen Partner mit Schengen-Pass suchen. Sie sind jung, und das überall zu empfangende europäische Fernsehen lockt mit Bildern aus der Welt des Überflusses. Ob es uns gefällt oder nicht, der Migrationsdruck wird das Thema der nächsten Jahre bleiben.

In Deutschland wird reflexartig nach mehr Entwicklungshilfe gerufen. Kann das die Flüchtlingsströme stoppen?

Vernünftige Hilfe setzt in den Empfängerländern hohe Eigenverantwortung bei gutem Regierungsmanagement voraus. Wo es keine klaren und fairen Gesetze gibt und die Respektierung grundlegender Menschenrechte fehlen und Korruption jede Anstrengung sabotiert, bringen Entwicklungshilfegelder nichts, weder Menschenwürde noch Wachstum. Was haben die deutschen Gelder tatsächlich in Afrika an Armutsbekämpfung, Demokratieförderung und "Institution-Building" im weitesten Sinne beigetragen? Ich behaupte, dass einzig die Katastrophenhilfe, aber auch da nur bedingt, den Betroffenen etwas gebracht hat. Aber wenn sie zur Dauereinrichtung wird, dann richten sich die Menschen darauf ein. Diese "Hilfe" wird gefährlich, wenn sie sicherer ist als der Ertrag aus Eigenleistung. Unsere Politik der ständigen Almosen erstickt jede Initiative. Heute ist es leider so: Je bedürftiger ein Land ist, desto mehr können die Verantwortlichen kassieren. Sie ist ein Trumpf in den Verhandlungen. Flüchtlingsströme wird sie nicht stoppen.

Sie waren selbst als Botschafter in Afrika tätig. Haben Sie ein Beispiel für verfehlte Entwicklungspolitik?

Ja, es nehmen Länder Hilfe in Anspruch, die nachweislich nicht alle Anstrengungen unternehmen, ihre Schwierigkeiten selbst zu beseitigen. Wir tun den normalen Afrikanern keinen Gefallen, wenn wir die Führer, die zwar auf Hilfsgelder erpicht sind, aber nicht verantwortlich regieren, einfach gewähren lassen. Hinter den üblichen Mitleidsbekundungen und Ausreden wie Kolonialismus, Neokolonialismus, Globalisierung steht immer die uneingestandene Meinung, an Afrika könne man eben keine besonderen Anforderungen wie etwa Verantwortungsbereitschaft stellen. Wir können einem Land helfen, wenn wir uns kein Wunschbild malen, sondern an die politische Elite hohe Ansprüche, zum Beispiel bei der Rechtssicherheit, bei der Achtung der Menschenrechte, bei der Korruptionsbekämpfung stellen. Die betroffenen Regierungen sehen in der Korruptionsbekämpfung in erster Linie eine Einmischung in interne und politisch sensible Angelegenheiten. Man erwartet von uns, dass wir das Wohl der Machteliten nicht durch unbequeme Fragen nach dem Volkswohl stören. Was wir bei unseren eigenen Regierungen für selbstverständlich erachten und kritisch beobachten, fordern wir in Afrika nicht ein: Zu einer guten Regierungsführung gehört zu allererst, die eigene Bevölkerung nicht zu missachten.

Können Sie das konkret an Ländern festmachen?

Es gibt eine Reihe von afrikanischen Staatschefs, die in einer Woche das Jahresgehalt der Bundeskanzlerin ausgeben. Der Präsident von Kenia erwartet Entwicklungshilfe und genehmigt sich gleichzeitig ein Jahresgehalt von 427 900 Dollar. Zum Vergleich: Barack Obama verdient 400 000 Dollar. US Präsident Obama hat bei seinen Besuchen in Ghana 2009 und 2013 das afrikanische Grundübel angeprangert: Das Potenzial Afrikas könne sich nicht entfalten, wenn politische Eliten nicht begriffen, dass Korruption, schlechtes Regieren und fehlende demokratische Strukturen die Entwicklung des Kontinents gefährden. Das amerikanische Außenministerium wurde noch deutlicher. Besonders korrupte Minister, Abgeordnete und Beamte erhalten keine Visa mehr für die USA. Weil dies die ignoranten Eliten noch mehr als Obamas Rede trifft, sollten wir uns bei der Visavergabe an den USA orientieren.

Wie kann Europa Afrika überhaupt helfen? Was soll Europa im Angesicht der Flüchtlingsströme tun?

Die effizienteste Hilfe ist Bildungs- und Wirtschaftsförderung. Eine Investition in Wissen bringt die besten Zinsen. Ein Teil unserer Hilfe könnte als größere Kredite zu Risikokonditionen vergeben werden. Eine Beratung zu Geschäftsplänen und Qualitätskontrolle könnte durch Hilfsorganisationen erfolgen. Mit Förderkrediten könnten dann etwa Zementwerke, Fruchtsaftfabriken oder Hersteller von Generika gefördert werden. Dadurch könnten der Aufbau neuer Arbeitsplätze gefördert werden und die Menschen aus der Armut befreien. Das Allerwichtigste ist, damit die jungen Menschen Arbeitsplätze bekommen: Berufsausbildung. Sie müssen ausgebildet werden in Berufen wie Bauingenieure, wie Elektrotechniker, Solaringenieure, handwerkliche Berufe wie Schreiner, Elektriker und so weiter. Wichtig wäre es im volkswirtschaftlichen Interesse afrikanischer Staaten, dass nicht nur unverarbeitete Rohstoffe exportiert werden. Für die Veredlung der Bodenschätze fehlen aber ein Mittelbau aus Ingenieuren, technischen Mitarbeitern und ausgebildete Facharbeiter in technischen Berufen .

Europa tut sich häufig schwer im Umgang mit Afrika, sieht in dem Kontinent und den Menschen meist die "Opfer", denen geholfen werden muss. Wie sehen Sie das?

Ich nehme Nkosazana Dlamini-Zuma,die Präsidentin der Kommission der Afrikanischen Union, beim Wort. Sie hatte sich kürzlich mit mir bislang nicht bekannter Offenheit geäußert, dass 97 Prozent der Entwicklungsprogramme innerhalb der afrikanischen Staatengemeinschaft von ausländischen Gebern finanziert werden. Der Kontinent müsse seine eigenen Ressourcen nutzen, um seine Entwicklungsagenda zu finanzieren. Sie unterscheidet sich damit wohltuend von der sonst vorherrschenden Propaganda, dass zu wenig Entwicklungshilfe geleistet werde. Wir sollten den Afrikanern zutrauen, dass sie sich selbst helfen können.

FRAGEN: MARGIT HUFNAGEL