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Beitrag vom 22.10.2014

Wall Street Journal

Chinesen verlassen die Ebola-Region in Scharen

Von Peter Wonacott

FREETOWN—Ein Kran, ein Bagger und mehrere schwere Laster stehen ungenutzt auf dem Gelände der Baufirma China Civil Engineering Construction in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone. Dieses Stilleben zeigt, wie die Angst vor Ebola die größten Investoren Afrikas lähmt.

"Niemand kommt hinein", sagt Chefingenieur Li Ning zur selbstverhängten Quarantäne über dem Gelände. Dann deutet er auf den Wasservorrat an seiner Bürowand, der ein halbes Jahr reichen soll. "Und ich gehe nicht hinaus."

Trotz Bürgerkriegen und Militärputschs ist der Einfluss von China auf die afrikanische Wirtschaft massiv gewachsen. Doch bei Ebola ist das anders. Die Unternehmen aus China, der größte Handelspartner des Kontinents, haben eine große Zahl ihrer Arbeiter aus den betroffenen Ländern in Westafrika evakuiert. Das schränkt den Handel ein, blockiert wichtige Projekte und verstärkt die übrigen wirtschaftlichen Probleme der Region.

Der Handel zwischen China und den am stärksten von Ebola betroffenen Ländern - Liberia, Sierra Leone und Guinea - machte im vergangenen Jahr umgerechnet gut 4 Milliarden Euro aus. Mit den USA war es nur ein Zehntel davon. Die chinesische Wirtschaft benötigt zwar immer noch die Rohstoffe aus Afrika. Doch die Nachfrage von wichtigen Erzeugnissen aus den Ebola-Ländern - etwa Bauxit aus Guinea - ist während der Epidemie eingebrochen.

In Liberia wiederum liegt ein über 60 Millionen Euro schweres Bauprojekt der Weltbank auf Eis. Eigentlich sollte hier die Straße zwischen der Hauptstadt Monrovia und der Grenze nach Guinea erneuert werden, das größte Infrastrukturvorhaben seit Ende des Bürgerkriegs 2002. Doch das chinesische Vertragsunternehmen berief sich auf höhere Gewalt und zog im August den Großteil seiner Arbeiter aus dem Land ab. Inguna Dobraja, bei der Weltbank für Liberia zuständig, sagt, es sei unklar, wann die Arbeit wieder aufgenommen werde.

Peking selbst hat keine Evakuierungen angeordnet. Doch offizielle Daten deuten an, dass die Zahl der Chinesen, die in den betroffenen Ländern leben, drastisch zurückgegangen ist. Im August schätzte das Handelsministerium, dass in der Region 20.000 chinesische Bürger leben, die etwa im Straßenbau, im Bergbau oder in der Landwirtschaft arbeiteten. Heute sind es nach Angaben des Außenministeriums in der gleichen Region noch 10.000 Chinesen.

Nur wenig Unterstützung von Unternehmen und Einzelpersonen

Besonders sichtbar ist der Exodus der Chinesen in Sierra Leone. Die einst geschäftigen Restaurants am Atlantik sind nun größtenteils leer. Jetzt ist es nicht der Baulärm von chinesischen Firmen, der die Geräuschkulisse der Hauptstadt prägt, sondern es sind die Sirenen von Krankenwagen, die Ebola-Verdachtsfälle transportieren.

Ingenieur Li sagt, seine Firma habe die chinesischen Vorarbeiter nach Hause geschickt und Projekte vor Ort auf Eis gelegt. Auch die Manager der China Kingho Energy Group sind wieder in der Heimat, sagen die Wächter am geschlossenen Gelände der Firma in Freetown. Eigentlich sollten sie gerade ein großes Eisenerz-Bergbauprojekt in Sierra Leone entwickeln.

Das Bintumani Hotel, das Chinesen gehört und bei Geschäftsreisenden aus dem Land sehr beliebt ist, ist jetzt zur Basis für medizinisches Personal aus China geworden, das sich am internationalen Kampf gegen Ebola beteiligt. Peking hat groß verkündet, dass es Geld und Hilfsgüter für den Einsatz gegen die Epidemie bereitstellt. Unter anderem überweist man umgerechnet knapp 5 Millionen Euro an das Welternährungsprogramm der UN, um Nahrungsknappheit in der Region zu bekämpfen. Aber der China-Beauftragte des Welternährungsprogrammes klagte am Montag, dass Unternehmen und reiche Einzelpersonen aus China nicht genug beitragen.

Das Bintumani Hotel, das zur Beijing Urban Construction Group gehört, öffnete 2003 wieder seine Pforten. Ein Jahr zuvor hatte der Bürgerkrieg in Sierra Leone geendet, der schätzungsweise 50.000 Menschen das Leben kostete. Einen Aufschwung erfuhr das Hotel durch die chinesischen Unternehmen, die sich um Aufträge für neue Straßen, Bergwerke und Wohnhäuser bewarben. Doch in der aktuellen Epidemie hat das Bintumani einen Teil seiner Belegschaft nach Hause geschickt. Der Rest kümmert sich darum, das Haus in eine Hilfsstation umzuwandeln. Der stellvertretende Hoteldirektor Zhang Wenguo setzt darauf, dass es nach Ebola wieder bergauf geht.

Reiche fliehen, Touristen bleiben aus

"Sierra Leone ist wie ein Läufer in einem Rennen. Wenn Ebola ihn niederschlägt, dann steht er wieder auf", sagt Zhang. Er verbringe viel Zeit damit, seiner Familie in Internetchats zu beteuern, dass er sicher ist. Er will in Sierra Leone bleiben. "Ebola ist real, aber die geschäftlichen Möglichkeiten sind es ebenfalls."

Andere sind sich da nicht so sicher. Ein hochrangiger Manager einer Firma, die Bauteile zur Verarbeitung von Meeresfrüchten herstellt, sagt, er wolle die Lage in Sierra Leone erst einen Monat lang prüfen, bevor er über einen Ausstieg entscheide. Es sei schwierig, qualifizierte Arbeiter aus China anzuwerben. Und die Arbeiter, die bereits dort seien, drängten darauf, nach Hause zurückzukehren. "Jedes Geschäft braucht Ergebnisse", sagt er. "Wir brauchen qualifizierte Arbeiter. Leider sehe ich nicht, dass sich Sierra Leone bald von Ebola erholt."

Es sind nicht nur die Chinesen, die Sierra Leone in Scharen verlassen haben. Auch Touristen bleiben aus. Und die Reichen des Landes sind ebenfalls geflohen, sagte Lan Lan Jaffa. Sie betreibt einen chinesischen Supermarkt, ein Gästehaus und ein Restaurant mit Bar am Strand. Ein Kasino, das chinesische Gäste anlocken sollte, steht halbfertig neben ihrem Gästehaus. Enten watscheln über den Hof. "Die Leute, die gehen konnten, sind gegangen", sagt die 51-jährige, die aus der südchinesischen Provinz Guangdong stammt.

Die chinesischen Unternehmen, die vor Ort geblieben sind, hoffen, dass die Staaten die Ebola-Epidemie bald besiegen. Die Manager wollen nicht nur zurück zum geschäftlichen Alltag kehren, sondern erinnern sich auch noch ganz genau, wie der Sars-Ausbruch vor mehr als zehn Jahren Chinas Wirtschaft geschadet hat. Die Erfahrungen mit der Infektionskrankheit haben eine besondere Sensibilität für die Gefahren ansteckender Krankheiten am Arbeitsplatz geschaffen.

Der chinesische Botschafter in Liberia hat den großen Staatskonzern Chongqing International Construction, der in Liberia Straßen und Infrastruktur baut, aufgefordert, dass die Arbeiter ihr Lager nicht verlassen und keinen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung aufnehmen sollten. Die Botschaft verlange auch tägliche Berichte über die Gesundheit der Arbeiter, erklärt das Unternehmen.

Chefingenieur Li von China Civil Engineering Construction hat ähnliche Kontrollen über sein Gelände verhängt. An einem heißen Sonntagnachmittag sitzt er in Bermudashorts an seinem Schreibtisch und erledigt Papierkram. Besucher kommen nicht ohne seine Genehmigung auf das Gelände - und die erteilt Li nur selten. Die wenigen verbliebenen Arbeiter bauen ihr Gemüse selbst an, um möglichst selten mit der Außenwelt Kontakt aufnehmen zu müssen.

Li rechnet damit, dass es noch Monate so weitergeht. "Wir werden unseren Kurs nicht ändern", beteuert er, "Dieses Land hat den Bürgerkrieg überwunden. Sie werden Ebola überstehen. Es wird eine Wende geben."

—Mitarbeit: Brian Spegele in Peking und Patrick McGroarty in Monrovia