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Beitrag vom 24.11.2014

Neue Zürcher Zeitung

Zwist zwischen ANC und Gewerkschaften

Tumulte unter Südafrikas Genossen

Claudia Bröll, Kapstadt

Während der Zeit der Rassentrennung in Südafrika kämpften der Afrikanische Nationalkongress und die Gewerkschaften noch gemeinsam gegen das Unrechtsregime. 20 Jahre später erlebt die Allianz die schwerste Zerreissprobe ihrer Geschichte.

Jay Naidoo spricht von der «dunkelsten Stunde» für die Arbeiterbewegung in Südafrika. Als er sich in den späten 1970er Jahren dieser Bewegung verpflichtet habe, hätte er sich nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen eine solche Situation ausmalen können, resümiert der 60 Jahre alte ehemalige Widerstandskämpfer und einer der Mitgründer von Cosatu, des grössten Gewerkschaftsbundes des Landes.

Ausschluss der Metallarbeiter

Seit die Delegierten des Congress of South African Trade Unions (Cosatu) vor kurzem mehrheitlich beschlossen haben, die Gewerkschaft der Metallarbeiter (Numsa) mit 350 000 Mitgliedern auszuschliessen, reisst der Tumult unter den Genossen nicht ab. Cosatu-Generalsekretär Zwelinzima Vavi kämpft weiter dafür, die Entscheidung zurückzunehmen. Es bestehe die unmittelbare Gefahr, dass man das zerstöre, wofür man mit dem Blut und Schweiss der Arbeiter über Jahrzehnte hinweg gekämpft habe, schrieb er vor kurzem in einem emotionalen Brief an die Genossen.

Derweil sind sowohl die Gründung einer neuen Metallarbeitergewerkschaft innerhalb von Cosatu wie auch die Bildung einer Arbeiterpartei von Numsa in vollem Gange. Mit einer Rücknahme der Entscheidung rechnet kaum noch jemand. Sieben verbündete Organisationen folgen der Metallarbeiter-Gewerkschaft.

Ökonomen wiesen bereits auf ein höheres Risiko von Arbeitskämpfen hin, besonders vor den nächsten Kommunalwahlen im Jahr 2016. Mehrere internationale Konzerne informierten ihre südafrikanischen Niederlassungen darüber. Die zweitgrösste Volkswirtschaft in Afrika wird immer wieder von Arbeitskämpfen gelähmt, unter anderem von einem fünf Monate langen Streik im Platinbergbau in diesem Jahr. Gemessen an den Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern rangiert Südafrika schon heute auf dem letzten Platz in einem Index des Weltwirtschaftsforums. Der Wettbewerb unter den Gewerkschaften werde die Lohnforderungen in die Höhe treiben, sagte der Arbeitsmarkt-Fachmann Andrew Levy in Johannesburg. Die Streiks würden vermutlich länger dauern und gewalttätiger verlaufen.

Cosatu entstand vor 29 Jahren während des Widerstandskampfes gegen das Apartheidregime. Bis heute hat die Gewerkschaft grossen Einfluss auf die Regierungsarbeit, ist seit 1990 Teil einer Dreierallianz mit der Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) und der Kommunistischen Partei. Doch interne Grabenkämpfe und ideologischer Zwist bringen den Verbund seit Jahren an den Rand der Spaltung.

Numsa tut sich dabei immer wieder als Hauptkritiker sowohl von Regierung und Cosatu-Führung hervor. Sie wirft beiden vor, sich nicht genügend für die Armen und die Arbeiter einzusetzen sowie aufseiten der Kapitalisten statt der Arbeiter zu stehen. Bei der letzten Parlamentswahl im Mai verweigerten die Metallarbeiter-Genossen dem ANC die Unterstützung. Umgekehrt bezeichnet die stellvertretende ANC-Generalsekretärin Jessie Duarte die Gewerkschaft als «antirevolutionär» und verglich sie mit der nigerianischen Terrorgruppe Boko Haram. Für Verärgerung sorgte auch, dass Numsa entgegen den geltenden Regeln Mitglieder von anderen Cosatu-Gewerkschaften abwarb.

Der ANC regiert zwar weiterhin mit einer überwältigenden Mehrheit im Parlament. Doch die Unzufriedenheit der armen Bevölkerung mit den Nachfolgern Mandelas wächst. Die gemeldete Arbeitslosigkeit verharrt bei mehr als 25%, und die Wirtschaft dürfte in diesem Jahr nur um 1,4% wachsen. Jetzt kommt nach dem Ausschluss von Numsa weiterer Gegenwind für die Regierungspartei, die auch finanziell von Cosatu unterstützt wird.

Auf politischer Ebene ist es die neue populistische Partei Economic Freedom Fighters (EFF), angeführt vom ehemaligen Chef der ANC-Jugendliga Julius Malema, die schon jetzt zu immer neuen Attacken ausholt. Im Wirtschaftsleben hat sich im Bergbau eine militante Rivalin zur National Union of Mineworkers, einer Cosatu-Gewerkschaft, gebildet. Sie rief unter anderem die verheerenden Arbeitskämpfe im Platinbergbau in diesem Jahr und vor zwei Jahren aus. Während eines Streiks 2012 wurden 34 streikende Arbeiter in einem Massaker von der Polizei erschossen.

Mitgliederschwund

Normale Arbeiter fühlten sich von Cosatu schon lange nicht mehr vertreten, sagt Dinga Sikwebu, Chef von Numsas neuer Partei United Front. Der Gewerkschaftsbund sei mehr ein Interessenvertreter des öffentlichen Diensts als der Belegschaften in Industrieunternehmen. «Unsere Arbeiter sind erbost, dass Manager und Eigentümer von Unternehmen immer noch überwiegend weiss sind.» Für solche und andere Nöte aber hätten die anderen in Cosatu kein Verständnis.

Die Gewerkschaftsbewegung erlebt seit den 1990er Jahren einen sukzessiven Mitgliederschwund. Nach einer Studie des südafrikanischen Institute of Race Relations waren im Jahr 1997 noch gut 45% der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert, im Jahr 2012 aber dann nur noch 25,4%. Mit der Bildung einer neuen Arbeiterpartei und einer neuen Gewerkschaft ausserhalb von Cosatu sei die «emotionale Bindung zwischen Arbeitern und dem ANC gebrochen», stellt die Zeitung «Mail & Guardian» fest.

Wie es nun weitergeht in Südafrika, weiss auch der frühere Gewerkschaftsfunktionär Naidoo nicht zu prognostizieren. Er sei zutiefst enttäuscht, aber es kümmere ihn inzwischen auch nicht mehr, sagt er. «Mich kümmern nur die Arbeiter Südafrikas. Und deren Zukunft sieht düsterer aus als zu irgendeiner anderen Zeit seit den Tagen der Rassentrennung.»