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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 02.09.2013

General-Anzeiger Bonn

"Extrem inspirierend"

Vor fünf Jahren sorgte der "Bonner Aufruf" für eine andere Entwicklungspolitik für Wirbel. Heute lobt ihn Staatssekretär Beerfeltz.

Von Lutz Warkalla

BONN. Es war nur eine Seite, doch die hatte es in sich: Mit dem "Bonner Aufruf" starteten Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisationen Cap Anamur und Grünhelme, Winfried Pinger, ehemaliger entwicklungspolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Kurt Gerhardt, ehemaliger Kölner WDR-Journalist, und eine ganze Reihe altgedienter Entwicklungsexperten im September 2008 ihre Fundamentalkritik an der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika. Von Totalversagen war die Rede, der Kurs müsse radikal geändert werden. Ein gutes halbes Jahr später legten die Initiatoren mit dem "Aufruf plus" nach. Die Kernthesen: Entwicklungshilfe habe zu viel Verantwortung an sich gezogen und damit das Bewusstsein der Afrikaner zerstört, dass sie selbst für ihre Entwicklung verantwortlich sind. Die Annahme, dass mehr Geld zu mehr Entwicklung führe, sei ein Irrtum - Geld schade häufig, weil es die Eigeninitiative lähme. Die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen müsse ins Zentrum rücken, die Hilfe sich auf Grund- und Berufsbildung, Kleinkredite und arbeitsintensive Infrastrukturprojekte konzentrieren.

Fünf Jahre später wurde jetzt der Versuch gemacht, eine Bilanz zu ziehen. Hat der Aufruf Wirkung gezeigt, was hat sich geändert? Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet das Entwicklungsministerium (BMZ) zu der Veranstaltung eingeladen hatte - also jenes Haus, das doch im Zentrum der Kritik stand. Auf dem Podium saßen neben Pinger Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz, die frühere parlamentarische Staatssekretärin im BMZ, Uschi Eid (Grüne), Christine Nkulikiyinka, Botschafterin von Ruanda, und Martin Wilde, Mitinitiator des Bonner Aufrufs und Geschäftsführer des Bundes Katholischer Unternehmer. Und tatsächlich liegt die vielleicht größte Veränderung in der Position des BMZ zu dem Aufruf: "Nicht auf der Höhe der Zeit", befand Heidemarie Wieczoreck-Zeul (SPD), damals Entwicklungsministerin, kurz und bündig. Beerfeltz dagegen stellte fest: "Der Aufruf war extrem inspirierend für unsere Reformen." Auch für das BMZ gelte heute: Nicht die Höhe des ausgegebenen Geldes sei entscheidend, sondern die Wirksamkeit.

Trotzdem war bei der Diskussion viel von Geld die Rede. Wilde warb dafür, mehr Mittel für Entwicklungsprojekte der Wirtschaft einzusetzen, Pinger beklagte, dass die entwicklungspolitische Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, Stiftungen und Kirchen noch immer zu wenig unterstützt werde, auch wenn sich dies schon gebessert habe. Dass das BMZ sich offenbar von dem Ziel verabschiedet hat, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, feiern die Aufruf-Initiatoren naturgemäß als Erfolg.

Auch Uschi Eid, bis 2005 parlamentarische Staatssekretärin im BMZ, fand den Aufruf "prima", auch wenn sie nicht jede Position teile. Gut sei, dass berufliche Bildung und ländliche Entwicklung wieder stärker gefördert werden und die Kooperation mit der Wirtschaft intensiver geworden sei. Gegeben habe es das alles aber auch schon vorher: "Jede Regierung denkt, sie erfindet das Rad neu, auch wenn sie auf alten Pfaden wandelt."

Christine Nkulikiyinka machte klar, woran es noch immer mangelt: "Leider wird meistens über uns gesprochen, nicht mit uns."Afrika brauche beides: Stärkung der staatlichen Institutionen ebenso wie die Stärkung der Zivilgesellschaft. "Wir wollen nicht bevormundet werden", betonte sie. "Wir wollen über unser Schicksal selbst entscheiden und eigenverantwortlich handeln. Nur so können wir unsere Würde wiedererlangen."