Beitrag vom 21.05.2015
St. Galler Tagblatt
Die Nachwehen eines Gastauftritts
Paul Kagame zu Besuch am St.Gallen Symposium.
ST.GALLEN. Darf ein autokratischer Staatspräsident am St.Gallen Symposium auftreten? Diese Frage beschäftigt mittlerweile die St.Galler Regierung - und auch die Universität selber. Für die Verantwortlichen des Symposiums ist die Sache klar.
ANDRI ROSTETTER
Das Video hat schon doppelt so viele Klicks auf YouTube wie die offizielle Version: «Sehen Sie unseren arroganten Präsidenten Kagame, wie er den Präsidenten von Burundi wegen seiner dritten Amtszeit kritisiert», so der Titel der Aufnahme. Sie zeigt einen Ausschnitt aus dem Gespräch des chinesischen Journalisten James Chau mit Ruandas Staatspräsident Paul Kagame am 8. Mai am St.Gallen Symposium. Kagame erklärt wortreich, weshalb Burundis Präsident keine dritte Amtszeit anstreben dürfe. Der Frage, wie er es selber mit der verbotenen dritten Amtszeit halte, weicht er ebenso wortreich aus.
Das offizielle Video dauert knapp 40 Minuten, doch die Drei-Minuten-Version enthält alles, was die Öffentlichkeit an kritischen Tönen von und über Kagame am Symposium zu hören bekam. Dabei hätte es durchaus noch weitere interessante Fragen gegeben. Zum Beispiel nach dem Preis für Ruandas wirtschaftlichen Erfolg. Kagame herrscht seit 2000 praktisch ungestört über das ostafrikanische Land. Die Opposition ist weitgehend ausgeschaltet, immer wieder kommen politische Gegner und kritische Journalisten ums Leben, die Umstände bleiben meist im dunkeln.
«Leistungsauftrag verletzt»
Das Interview von James Chau hat nun die Politik auf den Plan gerufen: SP-Kantonsrat Max Lemmenmeier will die Regierung mit einen Vorstoss dazu bringen, ihre Haltung zum Kagame-Auftritt offenzulegen (Ausgabe vom 16. Mai). Für Lemmenmeier erfüllt zumindest das Interview von Chau den Tatbestand der «Verhinderung einer offenen Diskussion über die Zustände in Ruanda». Damit verletze die Universität ihren «durch die Öffentlichkeit definierten Leistungsauftrag».
Auch wenn die Verbindungen zwischen den Institutionen für Aussenstehende nur schlecht wahrnehmbar sind: Zwischen Universität, Symposium und Politik bestehen enge Bande. Regierungsrat Stefan Kölliker ist von Amtes wegen Präsident des Universitätsrats, dort sitzen auch der St.Galler Stadtpräsident Thomas Scheitlin, alt Bundesrätin Ruth Metzler und Ex-SP-Nationalrätin Hildegard Fässler. Im Stiftungsrat des Symposiums wiederum treffen sich Uni-Rektor Thomas Bieger, FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter und Avenir-Suisse-Chef Gerhard Schwarz - und diverse andere Grössen des Wirtschafts-Establishments. Präsident des Stiftungsrats ist Peter Voser, Ex-Shell-Manager und heutiger ABB-Präsident, Keller-Sutter ist seine Stellvertreterin.
«Kein Handlungsbedarf»
Zum Fall Kagame will aber kaum jemand Stellung nehmen - zumindest nicht öffentlich. Stiftungsrat Gerhard Schwarz lässt ausrichten, dass er zwar sehr wohl eine Haltung zum Auftritt des ruandischen Präsidenten habe, diese aber nicht in der Öffentlichkeit ausbreiten werde. Ein wenig deutlicher wird Regierungsrat Kölliker: «Grundsätzlich gilt: Wer von der UNO völkerrechtlich nicht geächtet wird, geniesst Redefreiheit.» Im Fall Kagame lasse sich deshalb «kein Handlungsbedarf ableiten».
Erfolgreiches Lobbying
Völkerrechtlich geächtete Personen - das heisst vor allem: Diktatoren und Kriegsverbrecher. Und zu diesen zählt Kagame nicht. Dass sein Ruf trotz Berichten über unterdrückte Oppositionelle und politische Morde nach wie vor so gut ist, hat nicht zuletzt mit seinem erfolgreichen Lobbying zu tun. Laut verschiedenen Medienberichten kümmern sich gleich mehrere internationale PR-Firmen um das «Country Branding» von Ruanda. Portland Communications, BTP Advisors, GPlus und Acanchi sorgen dafür, dass die Öffentlichkeit vor allem über Kagames wirtschaftliche Erfolge spricht - und nicht über seine politischen Methoden.
«Ruanda ist ein strikter Polizeistaat, der seine Gegner bis ins Ausland verfolgt», sagt Peter Niggli, Geschäftsleiter von Allliance Sud. «Eine Universität darf nicht so naiv sein, Kagame nur zu seinem wirtschaftlichen Erfolg zu befragen und alles andere auszublenden.» Man könne Kagame einladen, dann müsse man ihn aber mit kritischen Fragen konfrontieren. «Aber dann würde jemand wie er wahrscheinlich gar nicht kommen.»
Für die Leitung des Symposiums ist die Lage eindeutig: «Die Fragen waren nicht mit Paul Kagame abgesprochen», sagt Johannes Berchtold von der St.Gallen Foundation for International Studies, die hinter dem Symposium steht. «Kagame war sechs Stunden auf dem Gelände und war direkt zugänglich für die Teilnehmer des Symposiums. Kritische Fragen waren jederzeit erlaubt.» Zudem habe Kagame an einem 90minütigen Workshop teilgenommen. Auch dort seien kritische Fragen jederzeit erlaubt gewesen. Das sagt auch HSG-Prorektorin Ulrike Landfester: «Es gibt keine Zensur. Und die Schweizer Behörden haben die Einladung unterstützt.»
Ganz ausgestanden dürfte die Geschichte dennoch nicht sein: Keller-Sutter lässt durchblicken, dass sie die Auswahl der Symposiumsgäste im Stiftungsrat «zum Thema machen» werde.